Thema Spielgewalt

Wie die Pixel bluten lernten User-Artikel

Dieser Inhalt wäre ohne die Premium-User nicht finanzierbar. Doch wir brauchen dringend mehr Unterstützer: Hilf auch du mit!


Von Gewissensbissen geplagt – aber glücklicherweise nie allzu lange. Bruce Campbell in „My Name is Bruce”. 

Und irgendwie beschleicht mich ein unangenehmes Gefühl. Vielleicht liegt es an der Art, mit der sich Stacy und Courtney im Trainingsvideo mit einem herzzerreißend süßen Lächeln aus einem Meter Abstand gegenseitig den Garaus machen, ohne mit der tuschierten Wimper zu zucken. Vielleicht liegt es an der Inbrunst, mit der wir Erwachsenen den Kleinen den wichtigsten Aspekt der Evolutionsgeschichte seit dem vereinten Kriechen aus den Ozeanen verklickern. Vielleicht liegt es an den unschuldigen Gesichtern, die uns an den Lippen kleben und nicht einmal nachtragend sind, dass wir wie eine Kompanie von Saftsäcken vor Anbeginn unserer ungeahnten Zusammenarbeit hämisch grinsend and ihnen vorbeigezogen sind.

Naja – schaltet sich eine innere Stimme ein, die von dem kleinen Marmorteufel auf meiner linken Schulter stammen könnte – aber wir machen hier auch nichts anderes als das, was ihre Eltern tun würden, wenn die Pappnasen hier wären und ihren Pflichten nachkämen. Außerdem tun wir sogar noch eine pfadfindermäßig gute Tat, denn immerhin könnte das Kleingemüse ja in zirka zehn Jahren tatsächlich mal von ihrer Regierung aufgrund von dubiosen Wahlkampagnen nur mal so aus Jux im Militärbudget-freundlichen Unterhemd nach Afghanistan geschickt werden. Und dann müssten die dort zumindest nicht mehr durchs Grundtraining, was ihre Überlebenschancen exponentiell erhöht! Im Übrigen ist Laser-tag nur ein Sport und höchstwahrscheinlich harmloser als das, was die heutzutage im Kino, im Fernsehen, im bösen Intärnetz und nicht zuletzt Call of Duty und Assassin’s Creed vorgesetzt bekommen.

Der Engel auf meiner anderen Schulter hat bis jetzt mit einer Engelsgeduld, die schon fast an Arroganz grenzt, den Rand gehalten und will noch schnell seinen Senf dazugeben – kann das aber nicht mehr, weil die Laser unserer Gegner schon loszüngeln und er das erste Opfer geworden ist. Der Tanz geht los. Irgendwie schaltet sich die zynische Seite ein und die nächsten 20 Minuten werden der absolute Kracher – auch wenn mein Team verliert, weil die pummelige Burgerbrille die ganze Zeit nur auf sein eigenes Spiegelbild geschossen hat, während andere lässig seinen Rücken bestrahlt haben. Traumhaft. Und dennoch bleibt dieses mulmige Gefühl zurück, das wohl hauptsächlich diejenigen kinderlosen Individuen überkommt, deren einzige Interaktion mit der humanoiden Next-Gen sich auf – im Kontext der Gesamterziehung fragwürdige –  Freizeitaktionen wie diese beschränkt. Was haben wir nur getan?!
 
Ein ernsthaftes Tomatenproblem
Nur wer so aussieht, hat die Lizenz zum Splattern. (Gunzerker aus Borderlands 2)

Nun, wahrscheinlich nichts Schlimmes. Alles in allem ist Laser-tag gute, flotte, schweißtreibende Unterhaltung, die in keinem Haushalt fehlen sollte. Die Kids sind aufgrund unseres schlechten Einflusses garantiert nicht zu mordlüsternden Kampfmaschinen geworden, die fortan alles Menschliche über Bord werfen und ihre gewonnenen Erkenntnisse sogleich mit Papas halbautomatischer 30-Schuss AK47 an der nächsten Schule umzusetzen versuchen. Die Frage, die sich mir aufdrängt, ist eher anders gelagert: Wie kommt es, dass wir gerade als Erwachsene inzwischen so zynisch, leichtfertig und verharmlosend mit potentieller Gewalt umgehen, dass es uns gar nicht, kaum oder erst beim vertieften Reflektieren auffällt, wenn sie geschieht?

Noch vor zehn Jahren hätte ich Gewalt in Spielen und anderen Unterhaltungsmedien wahrscheinlich nicht einmal hinterfragt. Und auch heute würde ich mir Shadow Warrior, Rise of the Triad (2013) und Wolfenstein - The New Order nur ungern nehmen lassen. Nur damit das klar ist. Wer hinter diesem Essay das gutmenschige Geschwafel einer häkelnden Angstliese vermutet, darf gleich aufhören zu lesen, zum nächsten Alternativladen gehen und in den Choral der selten-nervigen Kauft-Kein-Kriegs-und-Gewaltspielzeug-Zombies mit einstimmen. Die Frage ist für mich eher, ob, über die Wachstumsjahre unseres geliebten Genres hinweg, auf Seiten der Spieler tatsächlich eine Abstumpfung gegenüber exzessiver und expliziter Gewaltdarstellung stattgefunden hat. Und ob Gewalt wirklich in all den Spielen, die sie nun portraitieren oder sogar zelebrieren in dieser extremen Form notwendig ist. Gut, abgehakt, es gibt Titel wie Monolith’s Blood oder Pulp-Fiction-Splatterer wie Borderlands 2 und Bulletstorm, die beinahe ein genrespezifisches Anrecht darauf haben, unnötig brutal zu sein, ohne bei Schwiegermutter unangenehm aufzustoßen. Aber langsam fragt man sich: Müssen jetzt wirklich ausnahmslos alle Spiele tonnenweise Tomatensaft durch die Gegend schleudern? Es war schließlich nicht immer so! 
 
Meckerpott Molyneux motzt sich durch die E3

Es gab eine Zeit, in der ich der letzte Mensch auf Erden gewesen wäre, der die digitalen Auswüchse der interaktiven Metzgerei-Ausbildung angeprangert hätte. So habe nicht zuletzt ich selbst Teenager zum Unreal Tournament Deathmatch verführt, den 12-jährigen Sohn meiner Arbeitskollegin bei einer Search & Destroy Mission auf seinem mobilen GTA-Ableger angefeuert und andere Todsünden begangen. Todsünden, für die ich mich spätestens dann schämen werde, wenn ich nach dem Abdanken vor die allmächtige Göttin trete und herausfinde, dass sie Hippi ist, in Alternativläden shoppt und Kriegs- und Gewaltspielzeug relativ Scheiße findet.

Doch hat sich meine Einstellung über die letzten Jahre geändert. Und offenbar nicht nur meine. Bereits auf der E3 2013 meldeten Journalisten und namhafte Entwickler der Branche ernste Bedenken ob des gehobenen Gewaltlevels an. Das ist drollig, zumal die ja für gewöhnlich den Rahmen künstlerischer Entfaltung sehr weit stecken und sich für die unbegrenzte Freiheit medialer Ausdrucksformen einsetzen – genau wie ich selbst. Aber auf dieser Messe hatte man offenbar bereits nach wenigen Pressekonferenzen und Ankündigungen die Faxen dicke, da sich das gezeigte Gameplay-Material aus „Geballer, Explosionen und Gewalt“ (wie Game-Designer-Legende Peter Molyneux wohl zu recht konstatierte) allein vom Namen her unterschied, aber ansonsten wie eineiige Zwillinge wirkte, die nur noch ihre Mutter unterscheiden und liebgewinnen konnte.

Eine Fontäne der Verzweiflung spie zornige Parolen, die nicht nur den Idealismus und die künstlerische Kompetenz, sondern geradezu die Intelligenz moderner Spieleentwickler infragestellte. Prophetische Stimmen sagten gar das Ende der Branche voraus, wenn der Brutalität nicht Einhalt geboten werde und man sich daran erinnere, dass die wirklich erinnerungswürdigen Titel, die Videospiele zu dem gemacht haben, was sie sind, nicht notgedrungen die Killerorgien waren, sondern innovative Perlen wie Myst, Thief - The Dark Project und das originale Tomb Raider Franchise. Gegenstimmen meldeten sich schnell mit dem Argument zu Wort, dass die Branche ohne Doom, Quake, Duke Nukem 3D und Konsortern immer noch in den Kinderschuhen stecken würde, was aber, wie man sich schließlich einigte, auch nicht der Stein des Anstoßes war. Das hüpfende Komma war der Mangel an Innovation und die Fokussierung auf den Brutalitätsfaktor als solche, zumindest im AAA-Bereich.

Schade, dass gerade kein Kaktus in der Nähe ist. Wir kicken unsere Gegner in Bulletstorm lustig durch die Gegend.

 
Nokrahs 16 Übertalent - 5996 - 11. Oktober 2014 - 22:56 #

Das ist mit Abstand der unterhaltsamste Text mit perfekter Bilduntermalung, den ich seit langer Zeit gelesen habe. Vielen Dank dafür!

Rashim of Xanadu 16 Übertalent - 4273 - 12. Oktober 2014 - 3:42 #

Dem schließe ich mich an. Habe gerade enthusiastisch auf dem Kudos-Button rumgehämmert bis die Maus Blut gespuckt hat!

MrFawlty 18 Doppel-Voter - 9845 - 12. Oktober 2014 - 11:37 #

Ja, wenn ich könnte würde ich 10 Kudos vergeben!

Freylis 20 Gold-Gamer - 23164 - 13. Oktober 2014 - 14:43 #

@Nokrahs/alle: Gerngeschehen. Freut mich, dass die harte Arbeitswoche sich ausgezahlt hat. In dem Artikel steckt definitiv viel Herzblut :)

J.C. - Desert Ranger (unregistriert) 12. Oktober 2014 - 0:59 #

Tackleberry!!!

Freylis 20 Gold-Gamer - 23164 - 13. Oktober 2014 - 14:44 #

Wurde Zeit, dass der Papa aller Ballernasen mal wieder aus der Schublade gekramt wird, gelle? :D

supersaidla 16 Übertalent - 4503 - 12. Oktober 2014 - 6:49 #

Hehehe super Artikel. Ist mit Abstand das treffendste was ich zu dieser Thematik bisher gelesen habe. Den sollte man ungekürzt in jeder Tageszeitung veröffentlichen. Danke :)

D43 (unregistriert) 10. November 2014 - 14:57 #

Seh ich genau so, dann würde auch seit langem mal wieder was sinnvoller drinnen stehen! Super geschrieben!

euph 30 Pro-Gamer - P - 130472 - 12. Oktober 2014 - 13:03 #

Sehr schöner Text, macht Spass zu lesen. Vielen Dank dafür.

Name (unregistriert) 12. Oktober 2014 - 14:19 #

Der erste Egoshooter war allerdings Spasim aus dem Jahr 1973, und selbst Battlezone von Atari war deutlich vor Wolfenstein. Genau genommen sind auch die frühen Weltraum-Flugsimulationen ebenfalls Egoshooter, weil von Simulation ist da doch eher wenig zu spüren. ;)

An meinen ersten Pixelmord kann ich mich übrigens nicht mehr erinnern. Ich kann mich aber daran erinnern, dass Green Beret für C64 für die BPjS ein ganz böses Spiel war, dass absolut nicht für meine Altersklasse geeignt war. Geholfen hat's nicht. Außerdem erinnere ich mich, dass sich meine Eltern immer furchtbar über die Digi-Schreie der überrollten Fußsoldaten in Dune 2 aufgeregt haben. Das Blechbüchsen-Geknarze von Command & Conquer (dt.) stieß da schon auf deutlich weniger Protest. Nur meine Freunde haben mich immer ausgelacht, weil ich die blöden "zensierten" Versionen und dann auch noch auf Deutsch gespielt habe, während man mit der englischen Variante ja insgesamt cooler und auch noch besser in Fremdsprachen war. Dumm nur, dass in unseren Klausuren weder "Halberd" noch "thee" gängiges Vokabular war.

Aber immerhin waren das noch Zeiten, als man mit Blood Patches cool sein konnte! Blöd, dass die USK sowas heute gar nicht mehr tangiert, da kann man sich gar nicht mehr richtig als Alternativer/Vorkämpfer gegen die Entmündigung des Konsumenten hervortun! Heute bleiben einem da als letzte verbliebene Bastion nur noch Nazisymbole und Gewalt an Zivilisten/Kindern, womit man auf der Straße aber leider schnell in dier falschen Schublade geschoben wird. Manchmal hatte ich allerdings sowieso das Gefühl hatte, dass das die Frühform der Indiekuschler war, als es noch kein richtiges bzw. mit Blick auf die Marktmacht genau genommen ausschließlich Indie gab und man irgendwas brauchte, um sich abheben zu können. Weil wenn's alle toll finden, dann ist es bekanntlich langweilig. Deswegen ist heute die Antikriegsdemo gegen rein von kapitalistischen oder Erdöl-Interessen gesteuerte Kriseninterventionen in Ländern wie Lybien und Syrien auch viel cooler als die Forderung nach mehr Pixelblut.

Das ist alles so schwierig geworden heutzutage. Früher war ich uncool, weil ich zu gewaltgemindert war. Heute ist man ein seelenloser Kriegshetzer, wenn man die Frage stellt, ob die unterlassene militärische Hilfeleistung in gewissen Krisenregionen nicht vielleicht sogar viel mehr von wenig nächstenliebenden politischen/kapitalistischen Interessen gesteuert ist.

guapo 18 Doppel-Voter - 11864 - 12. Oktober 2014 - 22:12 #

Wo ist Lybien?

Name (unregistriert) 13. Oktober 2014 - 0:26 #

Neben Lesekompetenzistan. Das ist so eine altsowjetische Kaukasusrepublik. ;)

D4Lphil 08 Versteher - 212 - 12. Oktober 2014 - 15:57 #

Grosses Kino *clapclapclap* - genau solche Beiträge sind es nach denen ich auf Gamingseiten od. in Magazinen suche um sie dann zu geniessen und wie in diesem Fall zu feiern. Selten so gut unterhalten worden (erinnern, lachen, nachdenken, ... alles drin^^) mit Bezug auf mein liebstes Hobby - bitte mehr davon :)

Freylis 20 Gold-Gamer - 23164 - 13. Oktober 2014 - 14:46 #

Thanx. :D Ich bleib am Ball und schreibe mal wieder was Nettes. Nur eine Frage der (Frei)Zeit. Bis dahin kannst du dich ja mit meinen aelteren Artikeln unterhalten (siehe: Ankuendigungsnews)

joker0222 29 Meinungsführer - 114746 - 12. Oktober 2014 - 19:50 #

Super Artikel, Freylis! Hat sehr viel Spass gemacht ihn zu lesen, obgleich auch nachdenkliche Aspekte drin sind.

EDIT: Mein erster Pixelmord war wahrscheinlich ein Selbstmord. Wenn man im Formel1-Spiel auf dem Atari2600 ein anderes Fahrzeug rammte, explodierten beide...dagegen ist das Strafensystem von Driveclub direkt lächerlich.

Freylis 20 Gold-Gamer - 23164 - 13. Oktober 2014 - 15:40 #

Dankeschoen fuer das Lob, und dass du dir sogar die Zeit zum Kommentieren genommen hast, zumal du ihn ja - glaube ich - schon vor Release gelesen hattest. Wusste nicht, dass Formel 1 auf dem Atari2600 so brutal war ;P

joker0222 29 Meinungsführer - 114746 - 13. Oktober 2014 - 19:09 #

Dankeschön zurück für die Arbeit und den spürbaren Enthusiasmus, den du hier ganz offensichtlich investiert hast.
Und ja, die Formel 1 in dieser Zeit war noch viel lebensgefährlicher als heute ;-)

immerwütend 22 Motivator - 31893 - 12. Oktober 2014 - 19:03 #

Sehr gelungener Artikel - hatte ich aber auch nicht anders erwartet ;-)
(Mein erster Pixelmord war der an Guybrush Threepwood... mit ausreichend Geduld ging das im ersten Monkey Island.)

Freylis 20 Gold-Gamer - 23164 - 13. Oktober 2014 - 14:41 #

Guybrush kann sterben? Passiert das, wenn man zu lange nichts macht? - Ist ja irre... :)

immerwütend 22 Motivator - 31893 - 13. Oktober 2014 - 14:48 #

Wenn er mit der an ihm festgebundenen Statue im Hafen versenkt wird, stirbt er nach 10 Minuten, wenn man nichts unternimmt. Entsprechend ändern sich dann auch die Aktionsverben (nimm, gib, gehe...) in so hübsche Dinge wie treibe, schwebe, verwese... :-)

Freylis 20 Gold-Gamer - 23164 - 13. Oktober 2014 - 15:38 #

Das nenne ich mal Attention to detail! :) Ich erinnere mich noch dunkel an die Bibliothek mit den tausend Karteikarten, die man alle lesen konnte. "Damp Damsels of the Deep" und so ;)

guapo 18 Doppel-Voter - 11864 - 15. Oktober 2014 - 20:28 #

Warnt Stan ihn nicht davor, dass zu tun?

Freylis 20 Gold-Gamer - 23164 - 15. Oktober 2014 - 21:50 #

Ach ja, ist schon so lange her, ich kann mich jetzt nicht mal dran erinnern, wer dieser Stan war? - Ich kann mich nur noch an Einzelheiten erinnern - wie die schoene Suedseemusik am Anfang - "Somewhere in the Caribbean"... *schwelg* :]

Noodles 26 Spiele-Kenner - 75672 - 15. Oktober 2014 - 23:29 #

Stan ist der Typ, der immer so schön mit seinen Armen rumfuchtelt und in jedem Teil der Serie einen anderen Job hat. :D

Slaytanic 25 Platin-Gamer - - 62174 - 19. Oktober 2014 - 0:23 #

Mir ist er als schmieriger Schiffsverkäufer im Gedächtnis geblieben. ;)

Slaytanic 25 Platin-Gamer - - 62174 - 12. Oktober 2014 - 23:23 #

Auch mir hat der Artikel sehr gut gefallen!

Noodles 26 Spiele-Kenner - 75672 - 13. Oktober 2014 - 16:57 #

So, hab den Artikel nun auch gelesen, war sehr unterhaltsam. :)

EddieDean 16 Übertalent - P - 5343 - 13. Oktober 2014 - 22:57 #

Einfach klasse!

Alain 24 Trolljäger - P - 49912 - 29. Mai 2022 - 17:14 #

Mit GTA mit Vehikel über Passanten ...

Irgendwie kam mir da noch Carmageddon in den Sinn - das hat zumindest im 3d Bereich echt geschmacklose neue Übertreibung gesorgt.