Willkommen zum 2. Tag meines Tokio-Reisetagebuchs. Heute nehme ich euch mit auf gleich mehrere verwirrte Reisen (zu Sony und Namco-Bandai), verrate euch Erstaunliches zu Schulmädchen und Liftgirls, lasse mich von euch in Sushi-Restaurants und Leckereien-Läden begleiten und erlebe am Ende noch einen Feuerwehr-Großeinsatz, der noch lief, als ich mit diesen Texten anfing -- und zwar etwa 90 Meter unter meinem Hotelzimmer.
In anderen Ländern bekommt man im Hotelzimmer Instantkaffee in kleinen Tütchen, wenn man Glück hat. In meinem Hotel gibt's auch ein Tütchen, das aber muss man erst mal, in vier einfachen Schritten, aufbauen: Es entsteht die abgebildete Konstruktion, die an zwei Seiten mit Papphaken am Tassenrand fixiert wird, sodass sich in der Mitte ein oben offener Filter-Quader auftut, in den man in mehreren Schüben das heiße Wasser eingießt. Filterkaffee leichtgemacht.
Was viel wichtiger ist: Der Kaffee ist recht stark, sodass ich heute, zusammen mit drei Starbucks-Besuchen und einem Dosenkaffee aus dem Automaten, koffeeintechnisch über die Runden kam (Tokio ist sieben Stunden vor der deutschen Zeit, was insbesondere morgens mörderisch ist).
Heute hatte ich zwei Termine: Ein Tag bei Sony und ein Tag bei Namco. Jetzt denkt ihr sicher, "geht doch gar nicht, wie will er das schaffen?", und das ist auch richtig, nur fängt das Problem schon wo ganz anders an: Nicht eingerechnet ist der weitere halbe Tag, den ich ziellos als Nutzer des Öffentlichen Nahverkehrs sowie als Passant verbracht habe, der sich vielleicht nicht auf Google Maps hätte verlassen sollen. Dazu komme ich noch genauer, fürs Erste stürze ich mich frohgemut in die nächste Bahnstation. Ziel ist Sony in Shinagawa.
Kein Wunder, dass ich, müde wie ich bin, mit einem klitzekleinen Fehler beginne: Shimbashi hört sich doch genau so an wie Shinagawa, findet ihr nicht? Als ich die Shimbashi-Station verlasse, meldet mir Google Maps, dass ich etwa 5 km Laufweg vor mir habe -- das hört sich in der Beschreibung ("5 Minuten von der Station") irgendwie anders an. Fast auf den ersten Versuch habe ich aber die Linie wiedergefunden, und kam wenige Viertelstunden und fünf Minuten Fahrtzeit später glücklich in Shinagawa an.
Durch mein kleines Missverständnis ist es 9:30, als ich die Shinagawa-Station verlasse. Meine Wegbeschreibung ist nicht sehr genau, und um 9:45 soll ich dort sein. Also nehme ich schweren Herzens ein Taxi. Zu Taxis in Tokio muss man wissen: 1. sind sie sauteuer, 2. sprechen die Fahrer grundsätzlich kein Englisch und können auch keine englischen Adressen lesen. Dummerweise ist mein Lageplan nur mit der englischen Anschrift versehen.
Aber natürlich kennen die Taxifahrer Hotelnamen und so weiter, und als ich "Sony" sage, bringt mich der Herr etwa 700 Meter weit zu Sony. Allerdings gehört Sony ein ganzer Block, und im Hauptquartier schicken sie mich einmal halb um denselben zurück. Es ist 9:45, als ich schließlich ankomme...
... allerdings weiß an der Rezeption von Sony Computer Entertainment niemand von mir oder der Journalistentruppe, zu der ich stoßen soll. Der japanische PR-Manager von SCEJ kommt und fragt mich, ob ich einer der europäischen PR-Manager sei. Irgendwann kommt ein australischer Kollege vorbei. Sonst lange niemand. Langer Rede, kurzer Sinn: Ich hätte mir Zeit lassen, noch einen Kaffee trinken und insbesondere mir das Taxi (650 Yen) sparen können, zumal ...
... das nicht ganz kleine SCE-Gebäude in gerader Linie etwa 500 Meter vom Hauptausgang der Shinagawa-Station liegt, einfach die Straße runter, wie ich auf dem Rückweg merke. Nächstes Ziel ist Namco-Bandai. Allerdings verwechsle ich zwei Linien, sodass ich zwar eigentlich in die richtige Richtung fahre, nur hält die falsche Linie nicht in der kleinen Station, an der ich raus muss. Das merke ich allerdings erst, als der Zug mit Höchstgeschwindigkeit vorbeibraust...
Das bringt mich zu den Schwierigkeiten für Nicht-Japaner mit dem eigentlich völlig logischen Bahnsystem hier. 1. Gibt es verdammt viele Linien. 2. Gibt es innerhalb der Bahnhöfe oft mehrere durch Bezahlschranken abgetrennte Bereiche, sodass ich oft zwar weiß, wie die Linie heißt, sie aber nicht finden kann. 3. Gibt es Rapid Trains, die zig kleinere Stationen überspringen. 4. Weiß ich oft nicht genau, in welche Richtung ein Zug fährt.
Kennt ihr in fremden deutschen Städten immer die Endstationen, um euch bei der S-Bahn orientieren zu können? Seht ihr, und nun nehmt ein ganz anderes Alphabet. Denn längst nicht in allen Zügen und Bahnhöfen gibt es freundliche englische Informationen wie hier (es scheint um eine Verzögerung aufgrund eines Passagierherbstes zu gehen).
Und je kleiner die Stationen oder unwichtiger die Linien werden, desto eher erwischt man auch solche, wo man wirklich lange suchen muss, um mal eine kleine englische Alternativbeschriftung zu finden. Zum Glück habe ich eine App, die den U-Bahn-Plan in lateinischen Buchstaben und Kanji-Zeichen abbildet. Viel wichtiger ist aber die Hilfsbereitschaft der Bahnangestellten, die mich bislang noch immer in den richtigen Zug gelotst haben.
So komme ich irgenwann in der Station Aomono-Yokocho an, von der aus es nur 8 Minuten bis zum Namco-Hauptquartier sein sollen. Taxis scheint es hier nicht zu geben, und überhaupt bin ich mutiger als am frühen Morgen. Ich habe die Adresse, vor der Station ist oben abgebildeter Stadtplan, und ich habe Google Maps und eine funktionierende Internetverbindung!
Nun muss man wissen, dass japanische Adressen nicht an Straßennamen glauben, sondern zum Beispiel so aussehen: Mirai-Kenkyusho, 4-5-15, blablabla. Auf Deutsch sucht man im 4 Unterbezirk des aktuellen Ku nach dem 5. Sho und dort irgendwie das 15. Gebäude (also wenn ich es richtig kapiert habe). Wenn man Glück hat, dröselt dann vor Ort eine Tafel näher auf, welche Firma in welchem Gebäude des Blocks sitzt. Ich markiere mir ungefähr die aus meiner Sicht richtige Position in Google Maps und marschiere los. Namco wird doch zu finden sein!
Habt ihr schon mal in Deutschland Google Maps als Fußgänger mit einem Smartphone benutzt? In einer Straßenschlucht? Dann wisst ihr ungefähr, wie fehleranfällig diese Kombination ist. Während meine Position auf dem Display sich nur alle 4 Minuten ändert, dann aber gerne abrupt einen Block vor oder zwei Blocks zurückspringt, komme ich zufällig an obigem Gebäude vorbei. Nur will ich gar nicht zu Konami.
Es hat 30 Grad, ich laufe im Anzug durch die pralle Sonne, ich habe keine Ahnung, wo ich bin. Google Maps hat eine neue Route berechnet, laut der ich die letzten 100 Meter zurückgehen und dann zwei Blocks nach Norden soll. Aber halt, die Zeichen im Firmenschild, vor dem ich gerade (ich schwöre: zufällig) stehe, kenne ich doch? Keine englische Schrift, kein Firmenlogo zu sehen, aber diese Zeichen kenne ich doch von heute morgen? (Beweisbild unten rechts: Hatte mir die japanischen Zeichen in die Mail gepastet, um sie notfalls einem Taxifahrer zeigen zu können).
Aber einfach so in eine Firma reinrennen, deren Namen ich nicht wirklich lesen kann? Noch mal hochschauen: Riesiger pyramidenähnlicher Bau, kein Namco-Bandai-Logo, keine rot-gelb-weiße Flagge, nichts. (Übrigens ist ganz oben links am Gebäude doch ein Logo, habe ich aber von direkt unterhalb nicht gesehen).
Ich betrete das Gebäude, der Wachmann scheint nichts dagegen zu haben, und im ausufernden Foyer sieht es irgendwie nicht nach einer Bank oder Versicherung aus.
Da euch Essensfotos immer interessieren: War eine Papp-Lunchbox und schmeckte wesentlich besser, als es vielleicht aussieht: Stellt euch Crispy Chicken mit leckerer Avokado-Creme und so vor. Vom eigentlichen Namco-Termin wird es den einen oder anderen Beitrag geben von mir, natürlich, unter anderem zu Dark Souls 2.
Auf dem Rückweg (der übrigens exakt 8 Minuten dauert) zur hiesigen Bahnstation fällt mir auf, dass die Japaner vielleicht etwas Paranoides an sich haben könnten. Trotz einer sensationell geringen Verbrechensrate und einer sensationell hohen Fahrraddiebstahlsaufklärungsquote schließen sie alles Mögliche ab: Die Koffer im Zug werden angekettet, die Fahrräder (mit einem sehr modern und aufbrechimmunen System) auch, und ...
... selbst die Motorroller, wobei mich diese Kettchen weniger überzeugt haben als die Fahrrad-Tresorvorrichtung vom vorigen Foto. Japaner haben aber übrigens kein Problem damit, mit ihrer Handtasche einen Platz im Restaurant zu besetzen, wenn sie allein sind und mal kurz aufs Klo müssen, verstehe das, wer will.
Solche Gestalten sieht man in den U-Bahnen häufig. Damit meine ich erstens Schulmädchen, deren Uniformen aus meiner Sicht von notgeilen alten Männern festgelegt werden, die ihre Unter-den-Rock-schau-Triebe in aller Öffentlichkeit ausleben wollen, und zweitens Menschen mit einer Maske vor dem Mund. Bislang dachte ich, dahinter verstecken sich Hypochonder, die sich vor allem Bazillenunbill dieser Welt schützen wollen.
Es ist aber genau andersrum: Es gilt als unfein (beziehungsweise könnte in den Schulen sogar verboten sein), mit einer Erkältung ohne so eine Maske herumzulaufen -- sie dient also vor allem dazu, die Mitmenschen nicht anzustecken.
Nachdem ich von Namco zurück zur Tokyo Station gefunden habe (wenn viele große Kanji-Zeichen auf Anzeigetafeln rot blinken, heißt das übrigens: "Verspätung aus für Touristen unerfindlichen Gründen"), wollte ich mir zum späten Nachmittag mal was gönnen.
Die untere Etage des örtlichen Daimaru-Kaufhauses besteht flächendeckend aus Läden mit Feinschmecker-Zeugs und Süßigkeiten (also solchen, die man verschenkt oder zur gepflegten Kaffepause verköstigt). Was es da an bunten Bällchen und Backwaren und Pralinés und so weiter gibt, hat mich spontan verschreckt, sodass ich lieber etwas ergriffen habe, das mir bekannt vorkam.
Wie heißt eigentlich Baumkuchen auf Japanisch? Das kann ich euch leider nicht sagen, jedenfalls hat das, was ihr hier sehen könnt und was mit "Baumkuchen" beschriftet ist, geschmacklich und in der Konsistenz nicht das Geringste mit Baumkuchen zu tun. Daneben übrigens Kaffee aus der Dose aus dem Automaten, echt schmackhaft!
Die Arme im Foto wird sich auch gedacht haben: "Gäbe es nicht 13 Millionen Menschen in der Präfektur Tokio und müsste ich deshalb nicht jeden Job annehmen, den ich finden kann, dann müsste ich nicht diesen komischen kleinen Fremdländer vom 1. in den 12. Stock fahren, ihn mit Worten begrüßen, die er eh nicht versteht, mich bei jedem Stockwerk, wo die Tür aufgeht, dann aber doch niemand einsteigen will, dennoch kurz verbeugen, und ihm schließlich mit meinen weiß behandschuhten Händen die Tür aufhalten, obwohl er doch allein ist und problemlos auch so rauskommen würde, woraufhin ich ihn mit Worten verabschiede, die er eh nicht versteht."
Was ich im 12. Stock des Kaufhauses gesucht habe? Abendessen natürlich. Wo in amerikanischen Malls die Food Courts sind, sind in japanischen Kaufhäusern anscheinend Restaurants. Wie immer, wenn ich mich als Japanisch-Loser zu erkennen gebe, bricht verhaltene Panik aus, und eine englische Menükarte wird besorgt. Wusstet ihr, dass die englische Übersetzung von Sushi "vinegard saturated rice" lautet nach Meinung mancher Sushi-Ketten?
Auf jeden Fall bestelle ich mutig, erhalte binnen von drei Minuten (das gar nicht mal so tolle) Nigiri Take, also meinen "essiggetränkten Reis", von einem der vier Sushi-Köche an zwei Tresen und gerate erst in Schwierigkeiten...
... als ich danach noch ein paar Sushi mit den Krebsen haben möchte, die da direkt vor mir an der Theke hinter Glas liegen (ganz rechts im Foto). Die nette Bedienung weigert sich aber und bestreitet (aus meiner Sicht), dass es irgendwo in diesem Restaurant Krebse geben könnte. Schließlich ruft sie die Mamasan des Etablissements um Hilfe. Die kann Englisch und versteht, dass ich mit mit dem Tippen auf die Krebse und dem Wort "Crab" tatsächlich die Krebse bezeichnen möchte. Eine Minute später stehen die Krebs-Nigiri (groß im Foto) für mich bereit. Haben leider nach nichts geschmeckt.
Auf dem Weg zurück ins Hotel komme ich an einem von ungefähr 555 kleinen Supermärkten der Tokyo Station vorbei (teilweise nur aus einem Tresen in der Wand bestehend). Noch was Süßes nach den Krebsen, denke ich mir, und lande zielsicher vor dem Pocky-Regal. Die kenne ich noch von den Care-Paketen unseres Users Miree -- ratet mal, für welche Sorte ich mich entschieden habe!
Falsch geraten, ich habe mich für zwei Sorten entschieden. Links die Schokostäbchen ohne Schocko, aber mit Erdbeer-Masse, rechts die Luxusvariante mit Mandelsplit und Schoko. Beide haben viel weniger Stäbchen als die normalen Pockys, die schlicht unseren "Mikados" gleichen. Aber welches der beiden Päckchen habe ich nun aufgemacht?
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