Sanel Rihic ist kein Potter-Fan, doch an Hogwarts Legacy kam er nicht vorbei: Immer wieder erklang die Forderung, das Spiel zu boykottieren, sonst sei man transfeindlich. Darf man es nicht spielen?
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Gaming kann man nicht von Politik trennen. Sie auf Biegen und Brechen zu erzwingen, funktioniert aber auch nicht. Das beweist Hogwarts Legacy. Wenn ihr es noch nicht selbst gespielt habt, dann vermutlich gesehen: Das magische Abenteuer erzielte einen Zuschauer-Rekord auf Twitch – bevor es überhaupt offiziell erschienen war. Die monatelang geführte Boykott-Debatte drumherum verstummt allmählich wieder. In Vergessenheit geraten sollte sie aber nicht, vielmehr könnte sie uns das ein oder andere lehren.
Das Rowling-Dilemma
Doch zunächst: Worum geht es dabei? Wer in jüngster Zeit nicht unter einem Stein lebte, dürfte den Konflikt um J.K. Rowlings mutmaßlich transfeindlichen Aussagen kennen. Wenn „Rowling“ fällt, muss „transphob“ folgen. Doch inwiefern ist die Harry-Potter-Autorin in den vergangenen Jahren negativ aufgefallen?
Die Initialzündung der Rowling-Aufregung war diese Solidaritätsbekundung der Erfolgsautorin am 19.12.2019 auf Twitter – sie unterstützte damit Maya Forstater, eine Wissenschaftlerin, deren Beratervertrag am Center of Global Development nicht verlängert worden war, nachdem sie in mehreren Social-Media-Postings Trans-Frauen als biologische Männer bezeichnet hatte.
...dass Rowlings Kampf für den Schutz von biologischen Frauen mit dem Schutz von Transpersonen kollidiert.
Heruntergebrochen kann man sagen, dass Rowlings Kampf für den Schutz von biologischen Frauen mit dem Schutz von Transpersonen kollidiert. Vergangenes Jahr setzte sie sich beispielsweise gegen ein geplantes Selbstbestimmungsgesetz in Schottland ein, weil sie fürchtete, dass künftig biologische Männer das ausnutzen könnten, um Frauen in Umkleideräumen, Toiletten oder gar Frauengefängnissen zu schaden, was von Teilen der Trans-Community als unwahr oder Pauschalaussage gewertet wird.
Rowlings Aussagen und Einstellung werden daher teilweise als diskriminierend gedeutet, da sie die Rechte von biologischen Frauen über die von Transfrauen hebt. Dass Rowling zudem auf Twitter kein Blatt vor dem Mund nimmt, besänftigt ihre Kritiker – wenig überraschend – nicht. Eine umfassende Auflistung von Rowlings Kommentaren könnt ihr hier und ihr persönliches Statement zu ihrer Haltung hier nachlesen.
Wer Hogwarts Legacy kauft, ist … transfeindlich?
Kunst und Künstler könne man nicht trennen, so heißt es gerne. Doch der Künstler ist im Fall von Hogwarts Legacy Avalanche Software. Im FAQ zum Spiel heißt es, dass man mit Hogwarts Legacy dem Originalwerk von J.K. Rowling treu bleibe. Die Entwickler betonen aber auch, dass die Autorin selbst nicht an der Entwicklung beteiligt war. Mit Hogwarts Legacy findet sich in der Barbesitzerin Sirona Ryan sogar erstmals eine Transfigur Einzug in der Welt von Harry Potter.
Nichtsdestotrotz hat Rowling zweifelsfrei ein Sümmchen für die Lizenz bekommen und verdient vermutlich mit jedem verkauften Exemplar von Hogwarts Legacy etwas mehr dazu. Und deshalb muss Hogwarts Legacy boykottiert werden! So lautet zumindest die Meinung einiger Transaktivisten.
Diese Meinung wird teilweise derart scharf geäußert, dass selbst Aussagen fallen wie, man würde mit dem Kauf „aktiv den Genozid an trans- und nicht-binären Menschen“ unterstützen. YouTuber und Streamer wie Gronkh mussten sich rechtfertigen, warum sie Hogwarts Legacy nicht boykottieren. Kann man Hogwarts Legacy also nicht einfach als das sehen, was es ist: ein Videospiel?
Es ist völlig okay, Hogwarts Legacy zu spielen
Wer Hogwarts Legacy spielt, vielleicht sogar gerade in diesem Moment, schadet selbstredend nicht der Trans-Community. J.K. Rowling hat keinen Cent in das Open-World-Abenteuer investiert. Sie hat mit dem Spiel per se nichts am Hut. Sie macht dementsprechend auch keinen Verlust, wenn sich Hogwarts Legacy schlechter verkaufen würde. Die Entwickler hingegen würden sehr wohl darunter leiden, denn Spiele-Entwicklung ist teuer und wenn ein Spiel floppt, kann das dazu führen, dass Arbeitsplätze gekürzt oder gar ganze Studios geschlossen werden müssen.
Selbst wenn Rowling tatsächlich transfeindliche Projekte finanzieren würde, wäre sie als potenzielle Milliardärin nicht auf die Einnahmen aus dem Verkauf von Hogwarts Legacy angewiesen. Außerdem eröffnet diese Argumentation die immerwährende Debatte, wo man die Grenze ziehen soll, da unzählige Unternehmen und Produkte sich in der ein oder anderen Weise an inhumanen Prozessen beteiligen, sie stillschweigend in Kauf nehmen oder zumindest nicht aktiv zu unterbinden helfen.
Allen Trans-Feindlichkeit zuzuschreiben, die sich ein gutes Harry-Potter-Spiel wünschten, geht an der Realität komplett vorbei.
Der Wunsch, Transrechte zu stärken, ist absolut richtig. Aber allen Spielern Transfeindlichkeit zuzuschreiben, die sich lediglich ein gutes Harry-Potter-Spiel gewünscht haben, geht komplett an der Realität vorbei.
Diese Form des Brachial-Boykotts hat vermutlich sogar mehr Spieler generiert: Nämlich Gamer, die das Spiel vorher gar nicht auf dem Schirm hatten, durch die Diskussion aber neugierig geworden sind. Dass nun manche aus der Trans-Community aus Frust das Ende von Hogwarts Legacy im Netz spoilern, schadet ihr mehr, als ihr zu helfen.
Ich will nicht aussagen, dass Boykott nicht wertvoll sein kann, schließlich kann er den Fokus auf Missstände lenken. Ich boykottiere beispielsweise Spiele von Activision Blizzard, was zum einen mit der gierigen Monetarisierung des Unternehmens zu tun hat, zum anderen mit den Vorwürfen der sexuellen Belästigung und Diskriminierung am Arbeitsplatz. Ein individueller Boykott, für den ich mich eben entschieden habe. Aber ich würde deshalb auf niemanden mit dem Finger zeigen, der sich das nächste Call of Duty vorbestellt.
Wir müssen lernen, miteinander zu diskutieren
Kann man Hogwarts Legacy guten Gewissens spielen? Natürlich kann man das! Jeder darf für sich persönlich abwägen, ob man mit dem Harry-Potter-Franchise weiterhin seine Freude haben kann, wenn man mit den Ansichten der Autorin nicht einverstanden ist. Ein individueller Boykott ist völlig legitim. Diesen aber anderen mit aller Macht aufzwingen zu wollen, ist der falsche Weg. Dialog und Kritik sind wichtig, aber auch über die eigene Bubble hinauszuschauen, statt einem Narrativ blind zu folgen. „Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich!“, lautet leider oft der Tenor. Eine gesunde Diskussionskultur sieht anders aus.
Geschadet hat die ganze Debatte dem Spiel jedenfalls nicht. Trotz oder gerade wegen der medialen Aufmerksamkeit befand sich Hogwarts Legacy schon Wochen vor Veröffentlichung auf Platz eins der meistverkauften Spiele auf Steam.