Anatol Locker schimpft:

"Abzocken statt abrocken" Meinung

DJ Hero, DJ Star, Sing Star, Lips, Band Hero, Rock Band, Beatles, Guitar Hero, Dance-Dance, und viele andere: Noch nie war das Musikspiel-Angebot so prall gefüllt wie Weihnachten 2009. Anatol Locker -- seines Zeichens "elektronischer Musiker", findet: Genug ist genug! Er erklärt das Genre kurzerhand für beendet.
Anatol Locker 17. November 2009 - 23:54 — vor 14 Jahren aktualisiert
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Eines vorweg: Ich liebe Musik. Und ich mag Musikspiele. Mit Rock Band, Guitar Hero, Lips und Singstar habe ich Stunden verbracht, köstliche Blamagen und heroische Triumphe erlebt. Von den gelungenen Parties ganz zu schweigen! Aber langsam mache ich mir ernsthaft Sorgen um den Zustand des Genres. Ich finde, seit drei Jahren passiert nichts Neues. Und zwar einfach deswegen, dass schnell Geld gemacht werden soll. 

Dreimal gekauft, immer noch derselbe Song

Die Musikindustrie wiederholt die Fehler des CD-Zeitalters.
Schauen wir uns die Songlieferanten an: Die Musikindustrie besitzt Songrechte. Sie verkauft Lizenzen an die Spieleindustrie (manchmal sogar gegen den Willen ihrer Künstler). Für die krisengeschüttelte Branche sind Musikspiele ein willkommener Einkommenszweig, der artig Geld in die Kassen spült. Für die Labels und Musiker ist das toll: Das Raubkopie-Problem hält sich im Vergleich zur Heimatbranche in Grenzen, zumal sich chinesisches Plastik so schlecht selbst in Gitarrenform verbiegen lässt. Man kann zudem bekannte Bands promoten und den Back-Katalog zweitverwerten. 

Leider beginnt die Musikindustrie, den Fehler zu wiederholen, den sie im CD-Zeitalter gemacht hat: Sie werden unfreundlich zu ihren zahlenden Kunden. Oder kann mir jemand erklären, warum ich bei Lips keine Songs auf die Festplatte kopieren darf, sondern DVDs jonglieren muss? Na klar: Aus Angst davor, ich könnte Musikstücke außerhalb des Lips-Spiels hören. WTF?!? Zweite Frage: Warum muss ich Songs eigentlich mehrmals kaufen? Manche besitze ich als Platte, CD, Online-Download mit DRM, als Online-Download ohne DRM und nun als Karaoke- oder Musikspiel-Version. Und mal auf dieser Plattform, und mal auf jedes. Und jedes Mal zahle ich den vollen Preis für das Spiel, oder muss erneut für einen Download zahlen. Warum eigentlich?

Die "Guitar-Band-Hero-Dance-DJ-Revolution"-Misere

Währenddessen kämpfen Musikspiel-Entwickler mit dem Ideen-Nirvana. Vor ein paar Jahren war die Schlacht zwischen Guitar Hero und Rock Band charmant, weil die neuen Ideen den Spielern zugute kamen. Doch inzwischen leiden die Programme unter der altbekannten Softwarekrankheit Feature-itis. Die Symptome äußern sich in übersteigerten Einstellvarianten, ellenlangen, aber nicht qualitativ besseren Songlisten, extra-greller Optik, hysterisch überschminkten Spiel-Charakteren, Covern voller Blitze und schier unzähligen Spielmodi. 

Nicht, dass ich etwas gegen Vollausstattung hätte. Aber mal ehrlich: Alles, was vage sinnvoll erscheint, wurde schon vor drei Jahren in die Spiele gepackt. Langsam wird’s bemüht. Metaphorisch gesehen befinden wir uns in den Zeiten des 80er-Jahre Hair Metal: Musikalisch nix los, aber die Posen werden immer greller, die Soli immer länger, die Haare immer toupierter… ich werde das Gefühl nicht los, dass ich mich schon besser amüsiert habe. 
 
Wenn sich Klone klonen

Damit wären wir noch nicht am Ende. Activision-Chef Bobby „Kein Spaß“ Kotick ließ keine Gelegenheit aus, uns zu erklären, dass in seinem Laden nur Spiele produziert werden, die sich im Jahresrhythmus melken lassen. Und so wird die Franchise der „Gitarrenhelden“ immer offensichtlicher geklont. Fällt ein „Guitar Hero - Van Halen“ noch in die Rubrik „kräftig abrocken“ oder ist das bereits „kräftig abzocken“? Auch die Konkurrenz versucht, eine Schreibe vom Kuchen abzuschneiden. Konami (übrigens die Erfinder der Musikspiele), Sony, UBI-Soft, DTP, Koch Media, sogar Nintendo… sie alle wollen den Zug nicht verpassen und bringen Klone der bereits geklonten Spiele heraus. Manche sind aufwändig und schön wie The Beatles - Rock Band, andere billig hingeschludert wie AC/DC Rock Band. Aber alle kopieren sie im Grunde das immer selbe System von den heransausenden farbigen Kreisen.

Die nächste Generation 

Eigene Mixe? Mit DJ Hero nicht möglich.
Nun steht nicht jeder auf Gitarrenhelden. Mir liegt der Sound einer Drum machine jedenfalls näher als ein Gitarrensolo. Activision versucht, mit DJ Hero jüngeres Partyvolk an den Deck-Controller locken. DJ Hero ist gut gemacht und macht auch Spaß…aber eine Sache vermisse ich ganz gehörig: Ein guter DJ mischt aus zwei Platten ein neues, eigenständiges Werk. Das ist sozusagen die Kernkompetenz eines DJs. Doch just das ist bei DJ Hero nicht möglich, weder in der haptischen Simulation (es gibt nur einen Plattenteller), noch in Sachen Mixing selbst: Hier tippt, fadet und scratcht man einen vorgegebenen Track entlang, als wäre man in einem alten Rail-Shooter. Das macht eine Zeitlang Spaß, aber mir fehlt die Möglichkeit, frei zu experimentieren. Schade eigentlich - aber vielleicht liegt’s auch daran, dass ich selbst Musik mache. 

Wenn wir ehrlich sind, stellen uns all diese Musikspiele vor ein Dilemma: Wir wissen, dass wir abgezockt werden… und haben trotzdem weiterhin oder mal wieder oder fast noch Spaß dabei. Ich für meinen Fall aber habe genug und erkläre das Genre für "wegen Überfüllung geschlossen“. Ja, es war lustig. Aber nun wird es Zeit, sich anderen Spielen zuzuwenden. Oder seht ihr das anders?

Euer Anatol Locker
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