Jede Menge Reime

Mixed-up Mother Goose User-Artikel

Name 19. März 2023 - 1:21 — vor 1 Jahr aktualisiert
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Die EGA-Fassung gibt sich redlich Mühe.
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Wie oft kann man ein Spiel veröffentlichen?

Kommen wir mal kurz zur Technik oder vielleicht besser gesagt: zu den Techniken. Denn wer sich ein wenig in der Sierra-Geschichte auskennt, weiß von dem kleinen Zeitfenster, in dem die Firma ältere Titel mit aktualisierter Engine neu aufgelegt hat. Die Grundidee war damals, dass mit entschieden weniger Aufwand in der Entwicklung ein zweites Mal gutes Geld verdient werden kann. Das erste Spiel der Police-Quest-Reihe war zum Beispiel so ein Fall. Ursprünglich erschienen 1987 wurde es 1992 in einer VGA-Fassung runderneuert wieder auf den Markt geworfen. Leisure Suit Larry in the Land of the Lounge Lizards war ähnlich gelagert: Zwischen 1987 und 1991 verstrichen hier sogar nur 4 Jahre. Packen wir mal großzügig noch die Reloaded-Fassung aus dem Jahre 2013 dazu (aber auch nur, weil Al Lowe mal einen wenig kritischen Blick darauf geworfen hat), kommt der erste Larry-Teil auf drei Fassungen. Eine ganz schöne Menge Holz, die nur von einem einzigen Spiel im ganzen Sierra-Portfolio übertroffen wird. Ihr werdet wenig überrascht sein, dass es sich dabei um Mixed-up Mother Goose handelt.

Ganze vier Versionen kamen im Laufe der Zeit in die Läden: Die ursprüngliche Fassung aus dem Jahre 1987 erschien in voller EGA-Pracht. Unter der Haube schnurrte der gute alte AGI und zauberte 16 Farben gleichzeitig auf den Bildschirm. Nicht viel besser sah dann die 1990 nachgeschobene Fassung aus, die aber auf einer völlig anderen Engine, nämlich der SCI0 aufsetzte. Klingt erst einmal gar nicht so großartig anders, aber sämtliche Sierra-Programmierer mussten sich von jetzt auf gleich von der bisher gewohnten prozeduralen Skriptsprache verabschieden und sich mit Objektorientierung rumschlagen. In dem empfehlenswerten Buch „The Sierra Adventure“ von Shawn Mills wurden vielen Programmierer von damals interviewt und keiner war aufgrund des vorherrschenden Zeitdrucks im ersten Moment oder noch im ersten Monat begeistert davon. Klar: alle gewohnten Handgriffe waren plötzlich hinüber. Wer wie ich auch nur an einer neuen Word-Oberfläche verzweifelt, wird das nachvollziehen können. Nach der erfolgten Umstellung waren aber irgendwann alle glücklich mit dem neuen System – daher machte es ja fast nichts, dass nur ein Jahr später, also 1991 die nächste Mutter Gans durchs Dorf getrieben wurde. Dieses Mal aber in VGA und damit 256 Farben!

Mittlerweile war Sierra auch fähig, Spielen eine Sprachausgabe zu spendieren. Die in den alten Versionen nur musikalisch untermalten Reime wurden hier tatsächlich gesprochen. In der parallel erscheinenden CD-ROM-Version wurden sogar zusätzlich alle Dialoge und sonstigen Sprüche vertont. Dazu gibt es noch eine einblendbare Landkarte. Und das Interface wurde noch komplett überarbeitet. Herz, was willst Du mehr! Lustigerweise setzt übrigens die Floppy-Fassung trotzdem auf einer anderen, neueren Engine-Version auf als die CD-ROM-Fassung. Deshalb protzt sie noch mit einem animierten Sierra-Logo beim Start. Die Wege des Ken sind unergründlich. Ein putziges Detail der CD-ROM-Fassung ist noch, dass hier zwei CD-ROMs mitgeliefert wurden: Auf der roten Disc sind die Audio-Daten in CD-Qualität enthalten. Die blaue Disc war für Computer mit Laufwerken gedacht, die solche Daten nicht lesen konnten und daher mittels Soundkarte komprimierte Dateien ausgeben mussten. Dafür war die blaue Fassung in der Sprachausgabe mehrsprachig: neben Englisch gab es noch Deutsch, Spanisch, Französisch und Japanisch. Dankenswerterweise von richtigen Sprechern aufgenommen und nicht wie auch schon vorgekommen von Sierra-Mitarbeitern, die ihre Bürotür nicht fest genug verrammelt hatten.
Die Szene von vorhin in SVGA.

Kommen wir nun zur letzten und bis dato aktuellsten Fassung: 1995 erschien mit Mixed-up Mother Goose Deluxe die SVGA-Fassung. Bei dieser Fassung sind wir dann endgültig im gelobten Land angelangt: Die Grafik erstrahlt in schönstem SVGA, die Animationen sind, der Spieler kann sich sein Ebenbild aus mittlerweile 12 Kindern aussuchen und die Musik ist auf einer beigelegten Audio-CD auch noch auf jedem x-beliebigen Abspielgerät im Haushalt abspielbar. Das freut die Eltern garantiert auch nach dem 20. Durchlauf noch.

Neben den jeweils einzelnen Veröffentlichungen der Versionen gibt es natürlich auch noch Zusammenstellungen, in denen sie auftauchen. Meine liebste Veröffentlichung dabei ist die King’s Quest Collection, die entgegen ihres Namens nicht nur Teil 1-7 dieser Reihe intus hat, sondern noch durch The Colonel’s Bequest und The Dagger of Amon Ra – also die beiden Laura-Bow-Abenteuer, die alten Hi-Res-Abenteuer 0, 1, 2 (das ist The Wizard and the Princess, quasi King’s Quest 0) und 5 samt Apple 2-Emulator und eben Mixed-Up Mother Goose in der Deluxe-Fassung aufgepolstert wird. Wer diese Box in den Fingern hat, wird für eine Weile beschäftigt sein. Alternativ sind die AGI- und die VGA-Fassung in der Roberta Williams Anthology enthalten. Zusätzlich zu den oben schon genannten Titeln ist noch das Hi-Res-Adventure Nummero 6 an Bord. Warum auch immer. Einzig auf die SCI-Version müsst ihr im größeren Rahmen verzichten und euch einzeln ins Regal stellen.
Schicke Bude. Schön auch das Bild der Bremer Stadtmusikanten.
 

Mixed-up Fairy Tales

Wie gesagt: Mother Goose gab es in vier verschiedenen Inkarnationen. Es lag Roberta Williams und der Firma Sierra wohl tatsächlich am Herzen. Und wahrscheinlich auch an der Brieftasche, die bestimmt von einer Fortsetzung des erfolgreich veröffentlichten Spiels geträumt hat. Nicht umsonst ist Sierra für eine ganze Reihe erfolgreicher Serien bekannt. Umso seltsamer ist es, dass in diesem wenig beackerten Feld der Kinder-Adventures gerade mal ein einziges Spiel in die Fußstapfen der Muttergans getreten ist: Mixed-up Fairy Tales, das im November 1991 erschien.

Entwickelt wurde es von Lori Ann Cole, die zusammen mit ihrem Mann heutzutage eher für ihre Quest for Glory-Reihe bekannt ist. Und natürlich für ihr bei Legend Entertainment veröffentlichtes Shannara-Spiel. Doch im Jahre 1991 gab es ausnahmsweise mal keinen Quest-Teil aus ihrer Feder und sie konzentrierte sich auf die Mixed-up Fairy Tales. War Teil eins noch konzipiert für Kinder ab 4 Jahren, sollte diese Fortsetzung quasi mit den Kindern wachsen und richtete sich an junge Leser ab 7. Entsprechend einfach gehalten ist das Interface: ganze zwei Begriffe kann der Mausjongleur anklicken und entweder etwas „tun“ oder etwas „sehen“. Kinderleicht. Wie auch das Inventar wieder spartanisch bei seinem winzig kleinen Platzangebot bleibt und nur einem Gegenstand Heimstatt bietet. Reicht aber natürlich auch.

Grundsätzlich spielt sich das Spiel wie Mother Goose auch: Anfangs wählt sich der Spieler eine Figur nach seinem Gusto – nur, dass hier nur noch sechs Kinder zur Auswahl stehen – die sich noch schnell in einer Bücherei ein Buch aussuchen soll. Aus einem der Bücher entschlüpft ein freundlich aussehender Bookwyrm. Und falls ihr euch jetzt fragt, was zum Geier das sein soll: ich weiß es auch nicht. Er taucht im Internet in den unterschiedlichsten Inkarnationen auf. Minecraft hat einen zu bieten. In diversen Fernsehserien gibt es welche. In dem Browser-Rollenspiel Godville tauchen sie ebenfalls auf. Sie sind mal recht klein, mal größer. Mal können sie sich ganz flach pressen, mal sehen sie eher wie Krokodile aus. Unser Exemplar hier sieht ein wenig wie der liebenswürdige alte Mann aus der alten Werthers-Werbung, der in seinem Lehnstuhl klebrige Bonbons an unwillige Enkel verteilt. Nur, dass der Drache noch einen lila Schal umwickelt hat und auf dem Kopf einen dazu passenden Fez trägt. Aber wie sagte schon einer unserer berühmten Dichter und Denker in all seiner Weisheit? Genau: Egal!
 

Die Guten ins Töpfchen

Die Märchen aus dem großen Märchenbuch sind wegen des bösen Bookends durcheinandergeraten. Und Bookwyrm bittet uns nun, die Märchen wieder zusammenzusetzen. Noch nicht einmal die Namen der Märchen kennen die Figuren noch. Also laufen wir wie schon im ersten Spiel durch die wunderschön anzuschauende Welt und treffen auf allerlei Leute, die uns um Hilfe bitten. Haben wir eine Ahnung, um wen es sich handeln könnte, benennen wir erst einmal das Märchen. Da uns nur fünf Stück zur Auswahl stehen, ist das auch für die Generation Smartphone noch machbar: Jack und die Bohnenranke, Aschenputtel, Schneewittchen, Die Schöne und das Biest und die Bremer Stadtmusikanten brauchen aber nicht nur den Märchennamen. Oh Nein. Da hängen noch ein paar weitere Suchaufträge dran. Aschenputtel braucht zum Beispiel erst mal einen Kürbis, damit sie überhaupt zum Ball kommt. Danach verliert sie wie geplant ihren Schuh, aber das böse Bookend klaut den Schuh und verschleppt ihn über die halbe Karte. Wenn wir das gute Stück wiederhaben und dem Prinzen in die Hand drücken, steht einem Happy End nichts mehr im Wege und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende. Nach diesem Prinzip funktionieren auch die anderen Märchen – und wie auch schon Mother Goose leben die Fairy Tales von den hübsch gemachten Animationen und der Entdeckungslust, die die Umgebungen hervorrufen.

Da das Spiel nicht allzu schwer ist und wir natürlich ganz geniale Adventure-Spieler sind, sieht sich Bookend gezwungen, dem Bookwyrm gegen Spielende vor das virtuelle Schienbein zu treten und dessen großes Märchenbuch zu stehlen. Eine letzte kleine problemlos gemeisterte Herausforderung. Und schon ist das Spiel zu Ende. Jubel Trubel Heiterkeit. Alle vertragen sich und auch wir leben glücklich und so weiter und so fort.

Technisches Grundgerüsts des Spiels ist die SCI1-Engine. Wobei es wieder zwei verschiedene Varianten gibt, die aber gleichzeitig entwickelt wurden: EGA und VGA stritten untereinander um die Gunst des Käufers. Wobei EGA ganz klar den Kürzeren zog und heutzutage ein äußerst rares Sammlerstück ist. Ebenfalls recht rar sind die Ausgaben beider Spiele (also von Mother Goose und den Fairy Tales) die im Rahmen der Sierra Discoveries Series herausgegeben wurden. Wobei praktisch jede Version der Spiele eher schwer zu bekommen ist. Schade. Denn beide sind mal abgesehen vom Schwierigkeitsgrad auch heute noch absolut liebens- und spielenswert. Wobei das Carsten Borgmeier in der Amiga Joker 3/91 ganz leicht anders sah. Er vergab mickrige 22 Prozentpunkte und attestierte dem Spiel so ziemlich alles außer Spielspaß. Dass er nicht ganz die Zielgruppe darstellte, war ihm zwar klar, hielt ihn aber von einem Verriss nicht ab.
 
Das war mein kleiner Ausflug in die Kinder-Software-Gefilde von Sierra. Ich hoffe, ihr lebt glücklich bis an euer Lebensende und schaut beim nächsten Artikel wieder rein.
Scheint eine tolle Party gewesen zu sein.
19. März 2023 - 1:21 — vor 1 Jahr aktualisiert
Drapondur 30 Pro-Gamer - - 161787 - 19. März 2023 - 8:23 #

"Computerspielmaus-Vernichtungsindustrie" Alleine für den Begriff hat sich das Lesen gelohnt, lass Dir das sichern! :) Das Spiel kenne ich nur vom Namen her, hab es nie selbst gespielt. War auf jeden Fall sehr interessant, vor allem welche Fassungen es davon gab.

Jürgen (unregistriert) 19. März 2023 - 9:05 #

Vielen Dank :)

TheLastToKnow 30 Pro-Gamer - - 125267 - 19. März 2023 - 9:26 #

Es bestätigt sich ein ums andere Mal, dass Jürgens Artikel über Sierra-Spiele deutlich unterhaltsamer sind, als die Spiele selbst. :)

Jürgen (unregistriert) 19. März 2023 - 9:46 #

Danke? Denke ich :)

Danywilde 30 Pro-Gamer - P - 163008 - 19. März 2023 - 9:48 #

Die beiden Mother Goose Teile habe ich Anfang der 2000er mal nachgeholt und musste sagen, da hatte ich nichts verpasst.

Jürgen, danke für den schönen Artikel.

Nischenliebhaber 18 Doppel-Voter - 10921 - 19. März 2023 - 12:05 #

Ich persönlich finde ja die beiden Eco Quest Spiele schöner! :-)

Jürgen (unregistriert) 19. März 2023 - 12:10 #

Die stehen auf meiner Liste für einen Artikel. Erst möchte ich durch die Legend-Historie durchkommen.

TheRaffer 23 Langzeituser - P - 40324 - 24. März 2023 - 20:55 #

Krass Jürgen. Hervorragende Arbeit :)

Jürgen (unregistriert) 24. März 2023 - 21:02 #

Danke. Hat viel Spaß gemacht.

Ridger 22 Motivator - P - 34740 - 29. Mai 2023 - 10:10 #

Wieder was dazu gelernt. :)

Jürgen (unregistriert) 30. Mai 2023 - 10:05 #

Das freut mich :)