Mick Schnelle übers Pferdekaufen

Der gekaufte Held Meinung

Mick Schnelle ist unbekannt verzogen, bevor er diese Kolumne abgeliefert hat; oben ein Archivfoto für die Polizei. Wieso er floh, fragt ihr euch? Weil er weiß, was ihn nach den folgenden Zeilen erwartet. Mick findet es nämlich toll, 20 Euro für ein hübsches Pferdchen bei World of Warcraft zu zahlen. Und nicht nur das...
Jörg Langer 2. Mai 2010 - 18:50 — vor 14 Jahren aktualisiert
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Ein Pferd, ein Pferd, mein Königreich für ein Pferd! Wenn Shakespeare heute lebte, würde Richard III. garantiert kein Königreich mehr für ein Reittier bieten, sondern in Blizzards Online-Shop deutlich günstiger davonkommen. Mit etwa 20 Euro nämlich. Doch während es für den britischen Thronräuber völlig selbstverständlich wäre, sein Mount zu bezahlen, scheint Blizzards "Wir verkaufen schöne Polygone für harte Währung"-Politik nicht wenigen WoW-Spielern den Untergang des Abendlandes... pardon... des Abendservers einzuleiten. Geld bezahlen für ein schnödes Pferd? Ein Sakrileg für ehrliche WoW'ler! Ich dagegen finde das prima und fordere: Mehr davon!
 
Teenager mit Weltmachts-Gebaren

Wer jetzt glaubt, der letzte Satz wäre eine typische, kühl kalkulierte Mick-Schnelle-Provokation, der dann im nächsten Satz das genaue Gegenteil folgt, der irrt (zumindest diesmal). Denn ich finde wirklich nichts Verwerfliches dabei, wenn jemand sich ein schickes Pony einfach kauft, statt sich morgens um halb vier in einen zeitfressenden Kampf gegen den Lichkönig zu stürzen. Womöglich noch mit einer nervigen Truppe voller Teenager mit dem Selbstverständnis und Gebaren einer Weltmacht. Schließlich ist WoW-Spielen für die meisten (hoffe ich) Spieler nicht Lebensinhalt, sondern nur ein netter Zeitvertreib, dem man fünf, sechs Stunden pro Woche widmet -- weil ansonsten so profane Dinge wie eine geregelte Arbeit, eine Familie und das sogenannte echte Leben warten. Genau haben viele andere Anbieter von Online-Rollenspielen längst erkannt, weswegen sie ja ständig ihre Spiele für genau diese Zielgruppe mehr und mehr anpassen. Warum sonst, werden mittlerweile die Zielgebiete in den meisten MMOs exakts markiert, kann man sich durch Itemkauf Zeit ersparen? Oder werden bei Blizzard 25er- und 10er Raids in Cataclysm neuerdings praktisch gleichgestellt, was das Abräumen von Items anbelangt?
 
Cheaten ist kein Verbrechen!

Da sind Belohnungen, die man kaufen kann, nur der nächste logische Schritt. Ich verstehe die Aufregung darum sowieso nicht. Denn spielerisch erhält davon ja niemand einen Vorteil. Schließlich ist das gekaufte Pferdchen nur jeweils so gut, wie das Mount, das man eh schon besitzt. Aber, weil wir gerade so schön beim Thema sind, mal eine ketzerische Frage: Warum sollten sich Vorteile in WoW nicht auch erkaufen lassen? Warum nicht Tränke für mehr Erfahrung, Stärke oder Skills anbieten? Warum nicht hochlevelige Charaktere offiziell von Blizzard kaufen? Wem würde das schaden? Niemandem, vor allem dann nicht, wenn man die gekauften Verbesserungen, Mounts und Helden einfach auf bestimmte Server begrenzt. Dann weiß jeder, was ihn erwartet. Und wem es nicht passt, der kann ja der reinen Lehre auf den normalen Servern frönen. Dabei bin ich mir sicher, dass binnen kürzester Zeit gerade diese Server in der Minderzahl wären..
 
Kurz vor der Hinrichtung

Bevor mich die WoW-Community jetzt steinigt, mal ein paar Gedanken über die aktuelle Welt. Denn alles, was ich aufgezählt habe, gibt es ja schon. Wer zum Beispiel Runes of Magic spielt, weiß vorher, dass einige Spieler Tränke und Equipment kaufen. Und er sollte dankbar für diese Spieler sein. Denn sie finanzieren das ganze Spiel ja erst und ermöglichen so auch den Nichtzahlern ihre virtuellen Online-Abenteuer. Aber auch in Spielen mit monatlicher Gebühr ist der Kauf von Extras nichts Neues. Wer die Collectors Edition vom Age of Conan-Addon Rise of the Godslayer vorbestellt, bekommt nicht nur Zugang zur Closed-Beta, sondern auch Erfahrungspunktetränke, nebst besonderen Begleitern. Was ist das anderes, als sich für zusätzliches Geld Boni zu erkaufen? Die Zahl der Beispiele ließe sich schier endlos fortführen. Offensichtlich haben viele Spieler kein Problem damit. Mir ist jedenfalls noch kein MMORPG untergekommen, dass wegen zukaufbarer Inhalte plötzlich nicht mehr funktioniert hätte.
 
Aber wir können auch mal weggehen von den MMOS: Niemand findet es verwerflich, dass ein High-End-PC mehr kostet als eine Standardmöhre. Schnellere Datenleitungen sind teurer als 1MBit-Zugänge. Und beide bringen ganz elementare Vorteile beim Onlinespielen – das gilt nicht nur für Shooter.
 
Weltuntergang – wo bist du?

Um nicht missverstanden zu werden. Natürlich ist mir klar, dass jemand, der sich das Pferdle auf die harte Tour als Belohnung erkämpft hat, sauer ist, weil es mittlerweile absolut nichts Besonderes mehr darstellt. Und ja, auch ich würde vermutlich die Faust in der Tasche ballen, wenn ich miterleben müsste, wie jemand dank zugekauftem Erfahrungspunktebonus seinen Helden eine Woche eher aufleveln kann, als ich braver Spieler, der sich das alles mühsam erstreitet. Aaaaaber: Es geht nur um ein Spiel, es geht nur um virtuelle Charaktere. Wie viel Spaß ich mit denen habe, hängt weitgehend von mir selber ab. Was ICH darin sehe, was ICH damit mache. Wenn ICH weiß, dass mein Held zu 100 Prozent erspielt und nicht erkauft ist, reicht mir das. Damit muss ich nicht rumprahlen. Gleichzeitig habe ICH auch kein Problem damit, mir später, so es mal möglich ist, einen weiteren Level 80-Helden zu erkaufen, einfach um mal eine andere Charakterklasse auszutesten ohne den ganzen Anfangsweg und Hochlevel-Stress nochmal durchleiden zu müssen. Oder zwischenzeitlich meinem Helden mit einem Erfahrungspunkteboost auf die Sprünge zu helfen. Dafür begebe ich mich auch gern ins Reservat der Server für Gelegenheitsspieler. Und überhaupt: Was heißt schon "WoW-Profi"? Ist es wirklich mit Können, mit Skill, verbunden, einen Level-80-Testosteronklotz zu besitzen? Oder nicht viel mehr mit extrem viel investierter Zeit, mit der Bereitschaft, die immer wieder gleichen Handlungen durchzuführen, zu farmen, auf Drops zu hoffen? Wenn dem aber so ist, wieso darf ich nicht Geld gegen Zeit eintauschen, ohne mich zu schämen?
 
Um zum Anfang zurückzukommen: In WoW steht derzeit weder ein Königreich noch der Spielspaß zum Verkauf. Es sind nur ein zugegebenermaßen schmuckes Pferdchen und ein paar knuffige Haustiere. Und selbst wenn irgendwann einmal komplette Heldenkarrieren zum Verkauf stünden, würde das Spiel absolut nichts von seinem Reiz verlieren, solange man ihn sich nicht vom eigenen Neid zerfressen lässt. Und für den, sind wir alle ja selbst verantwortlich.
 
Oder was meint Ihr?
 
Euer Mick Schnelle

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