Ausblick in

Die Welt des Axel Torvenius User-Artikel

Earl iGrey 26. Februar 2010 - 22:39 — vor 12 Jahren zuletzt aktualisiert
Heute richten wir unser Augenmerk auf Axel Torvenius, der bei den Starbreeze Studios in Uppsala, Schweden, seine Brötchen verdient und dessen Arbeit wohl auf ihre Art prägend für dort entstehende Produkte ist. Er ist Leiter der Konzeptkunst und macht mit seinem eigenwilligen Stil von sich Reden. Grund genug, genauer hinzuschauen.
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Axel Torvenius ist 30 Jahre alt, sein Sternzeichen ist Waage, er bezeichnet sich selbst als kreativen Hedonisten und hält sich zwei große Tausendfüßler und eine Spinne als Haustiere. Er ist eine respekteinflößende Erscheinung, ein hochgewachsener kräftiger Typ mit tätowierten Armen und langem schwarzen Haar. Fast könnte man glauben, er habe persönlich für den Jackie Estacado in The Darkness Modell gestanden. Aber dann fällt einem schnell auf, daß Axel Torvenius noch viel kantigere Gesichtszüge hat als die Hauptfigur des Erfolgstitels aus dem Jahr 2007, der damals den endgültigen internationalen Durchbruch für die Starbreeze Studios als Multiplattform Videospielentwickler bedeutete.

Trostlosigkeit, Weite, Leere und Stille

Er besuchte die Konstfack, die größte Hochschule Schwedens für Kunst, Kunsthandwerk und Design. Seit mehreren Jahren ist er bei Starbreeze als Konzeptkünstler und leitender Konzeptkünstler tätig.

Neben ausgesprochen morbiden Werken aller Art, die neben Malereien auch unter anderem Skulpturen und Photografie umfassen, hat Axel Torvenius eine Reihe cooler und damit meine ich sehr schicker Artworks produziert, die teils in den Bereich futuristischer urbaner beziehungsweise postindustrieller Kulissen hineinreichen.

Dabei nehmen Trostlosigkeit, Weite, Leere und Stille einen beachtlichen Raum in den Motiven von Axel Torvenius ein. Seine Kunst ist dabei vielleicht das Spiegelbild der Welt wie er sie wahrnimmt. Oder zumindest ein Splitter dieses Spiegelbildes. Wenn wir aber in dieses Fragment des Spiegels blicken, dann offenbart sich uns eine unendlich zerschundene und verödete Welt, deren Schönheit, wunderbare Geheimnisse und Freuden gewiss existieren, allerdings ohne sich dem Beobachter aufzudrängen.

Wachposten in Schneesturm, industrielle Anlage im Blick.
Damit sind Axel Torvenius Motive die genaue Antithese zur realen Welt. Hier lockt aus allen Medien eine Konsumgüterindustrie mit bewegten Bildern, bunten Farben und klingenden Melodien die uns versprechen, daß wir mit Geld fast alles kaufen können. Und wir als durchschnittliche Mitteleuropäer tun das was von uns erwartet wird. Wir konsumieren neben dem was der Mensch zum Leben braucht einen babylonischen Luxus, Vergnügungen, Unterhaltung, Statussymbole und Berieselung bis zur restlosen Verblödung.

Wir spielen mit und streben nach Zufriedenheit oder zumindest nach dem, wovon wir uns einen positiven Schub erhoffen in dem permanenten Spiel der Ansprüche, die immer weiter steigen, je mehr wir uns erfüllen können. Seine Bilder sind metaphorische Abbilder unserer Welt. Die Ödnis und die fehlenden Menschen sind das was übrig bliebe, wenn man die Welt auf das wirklich Bedeutungsvolle reduzieren wollte. Für uns hieße das vielleicht Menschlichkeit, Freude und Schönheit. Woran Axel Torvenius dabei denkt, verrät er uns nicht.

„Deine Seele wird noch schneller tot sein als dein Leib“

Er findet eine beeindruckende, kraftvolle aber vor allem treffende Bildsprache. Die abweisende Kälte hinter den freundlichen Masken mancher Mitmenschen ist vielleicht der Schneesturm. Axel Torvenius erschafft Kreaturen, die in unserer Welt abstoßend und deplatziert wirken. Ihre Körper sind oftmals wulstig und ihre Haut scheint wie ein ledriger Panzer, ihr Blick ist stumpf und jede Lebendigkeit, sofern vorhanden, scheint nach Innen gerichtet zu sein, von der unwirtlichen Außenwelt abgekehrt. Anlässlich des 70. Geburtstages von Horror-Meisterregisseur John Romero bloggte Harald Harzheim kürzlich, wie Zombies zur unentbehrlichen Metapher der Gegenwartsdiagnostik wurden. "In einer Epoche, in der die Depression zur Volkskrankheit wurde, in der das „Burn-out“-Syndrom zum Alltag gehört, scheint sich Nietzsches Prophezeiung zu bewahrheiten: „Deine Seele wird noch schneller tot sein als dein Leib“."
Menschlichkeit, Schönheit und Freude existieren.

Diesen frühen Seelentod, so Harzheim, trifft die Metapher des Zombies, des „lebenden Toten“: Kein vitaler Gierhals wie der Vampir, sondern jemand, der eine „tote Seele“ in sich trägt. Eine psychologische Theorie besagt, daß Depression aus verdrängter Aggression resultiert, aus Wut gegenüber einer lebensfeindlichen Umwelt. Vielleicht geben die Zombies beim Morden und Fressen nur die Gewalt zurück, die sie zuvor verenden ließ? Und doch ist die Welt, die Axel Torvenius erschafft, eine Welt in der es gleichermaßen Gutes und Schlechtes gibt.

Torvenius nennt sich Hedonist, was laut Definition eine nur an materiellen Genüssen orientierte egoistische Lebenseinstellung bedeutet. In der Welt des Hedonisten nehmen die gegensätzlichen Pole Lust und Schmerz eine herausgehobene Stellung ein. Es gibt in Torvenius Werken sehr wohl Menschlichkeit, Schönheit und Freude, die sich in seiner Kunst häufig als Freude durch körperlichen Lustgewinn ausdrückt.

Ritualisierte Abkehr von der mutmaßlichen Norm

Die körperliche Lust, so sagten antike Philosophen, sei der eigentliche Sinn des Lebens. Andere Zeitgenossen beschreiben das Streben nach der Lust als die Befreiung vom Leid: So geht es in der epikureischen Glücksphilosophie darum, durch Freisein von Unruhe und Freisein von Schmerz Glück zu erlangen – dies aber nicht durch übermäßigen Genuss weltlicher Güter, sondern durch die Konzentration auf die wirklich notwendigen Bedürfnisse, zu denen auch die Freundschaft zählt.

Ich nehme an, daß Torvenius elementare Zusammenhänge der Welt verstanden hat und diese Weltsicht in seine Kunst einfließen lässt. Diese Erkenntnis muss natürlich nicht zwingend in eine fundamentale Gegenhaltung zu den Gewohnheiten der Menschen münden, allerdings schätzt Axel Torvenius auch die ritualisierte Abkehr von der mutmaßlichen Norm der Gesellschaft. Sein Myspace-Profil gibt Auskunft über seine Vorliebe für Gothic und Metal, deren Szenen sich selbst gern als Gegenpol zur angeblich oberflächlicheren Welt des Mainstreams zelebrieren. Wobei es längst zu den unausgesprochenen offenen Geheimnissen gehört, dass diese Subkulturen und ihre Mitglieder in Wahrheit nach den exakt gleichen sozialen Regeln funktionieren wie jede andere Gesellschaft.
Außerhalb des als gewöhnlich empfundenen Mainstreams.

Axel Torvenius ist ein Freund des breitgefächerten musikalischen Untergrund-Spektrums, das im Zuge seiner Entwicklung außerhalb des als gewöhnlich geltenden Mainstreams einen anderen, ebenso vielseitigen Mainstream mit Facetten und Nischen geschaffen hat. Er schätzt den rhytmischen Krach der Industrialgötter Grendel, für die Torvenius persönlich ein aktuelles Cover gestaltet hat, und den ungewöhnlichen Sound der französischen Pop-Band Dernière Volonté, deren Rhytmen teilweise der schleppenden Marschgeschwindigkeit der Fremdenlegion nachempfunden sind und deren Klang besonders auf älteren Alben bisweilen etwas düster meditatives an sich hat.

Torvenius hört auch den apokalyptisch inszenierten Gitarrenfolk von Sol Invictus und Ordo Rosarius Equilibrio. Der morbide Stil, in dem sich der Musiker Anna Varney Cantodea inszeniert, hat in Torvenius' Kunst sichtbare Spuren hinterlassen. Wo Vergänglichkeit und Tod oftmals im realen Leben hinter einer Maske der Lebendigkeit verborgen bleiben, so scheinen Axel Torvenius' Geschöpfe in ihrer Welt manchmal ihre wirkliche Lebendigkeit hinter einer Maske des Unbelebten zu verstecken.

Gelassenheit und Seelenruhe angesichts des Untergangs

Die Welt wird zu einem Ende kommen. Immer und immer wieder. Im Großen wie im Kleinen. Ob aber überhaupt ein Untergang so verheerend sein kann, als das aus der Verwüstung nicht wieder Neues emporwächst, das werden wir nicht erfahren. Der Verfall hat viele Gesichter, er kann sich explosionsartig entladen und lebendige organische Strukturen zerreissen oder rasend verbrennen.

Verfall kann aber auch unmerklich und still von Statten gehen. So wie das Altern. Ob Axel Torvenius darauf vertraut, daß sich alles im Sinne einer höheren Ordnung fügt, oder ob er im Sinne des Stoizismus seinen Platz in dieser Ordnung erkannt hat und ausfüllt, indem er durch die Einübung emotionaler Selbstbeherrschung sein Los zu akzeptieren lernt und mit Hilfe von Gelassenheit und Seelenruhe zur Weisheit strebt, das hat er mir nicht verraten.

Ich habe nur für einen Sekundenbruchteil in den Spiegel geschaut, der mich in die Welt des Axel Torvenius blicken lässt. Es ist eine Welt voller Geheimnisse und Rätsel, der wir noch nicht ansatzweise auf die Spur gekommen sind. Es gibt dort für den geneigten Leser noch viel zu entdecken, weil ich von dem vielen Anregenden und Interessanten was ich dort sah nur einen Bruchteil in diesem Artikel verarbeiten konnte. Diese Einblicke in die Welt von Axel Torvenius sind eine Einladung mal wieder reinzuschauen. Und weil die Welt des Axel Torvenius auch ihre ausgesprochen besinnlichen Seiten hat, gibt es das auch zum Abschluss.

Der Boulvevard of Broken Dreams, ein recht bekanntes Motiv, hier interpretiert von Axel Torvenius.

Teaserbild: Quelle: flickr.comHansoft/Montage GG | Alle weiteren Bilder: Alle Rechte Axel Torvenius.

Earl iGrey 26. Februar 2010 - 22:39 — vor 12 Jahren zuletzt aktualisiert
Benjamin Ginkel 18 Doppel-Voter - 11152 - 26. Februar 2010 - 23:09 #

Bildende Kunst ist nunmal garnicht mein Ding. Umso beachtlicher, dass ich mir den Artikel durchgelesen habe. Sehr philosophischer Text mit faszinierenden Bildern.

Loco 17 Shapeshifter - 8999 - 27. Februar 2010 - 0:19 #

Ich liebe Kunst (in jeder Form), werde mir den Artikel morgen mal gaaaanz genau durchlesen. Die Bilder habe ich schon überflogen... wunderschöne Werke, hast du noch ein paar weiterführende Links? z.B. falls er eine eigene website, Blog oder ähnliches hat?

Earl iGrey 16 Übertalent - 5093 - 27. Februar 2010 - 11:32 #

Du kannst die ganze Latte an Blogs und Social-Network-Profilen mit unzähligen sehenswerten Arbeitsproben einfach googeln unter seinem Namen.

hoschi 13 Koop-Gamer - 1631 - 27. Februar 2010 - 1:01 #

schön auch solche Artikel hier zu lesen...

Earl iGrey 16 Übertalent - 5093 - 27. Februar 2010 - 11:41 #

Ich habe während ich den Artikel zusammengestellt habe ein paar mal Pause gemacht nur um mal was anderes zu sehen als die Bilder. Ich bin im Zuge der Recherche ja auf noch viel unappetitlichere Sachen gestoßen. Der dicke grüne Punk war vorher ein sehr makaberes Motiv. Da stand noch kurz die Idee im Raum den Artikel ohne Jugendfreigabe zu veröffentlichen.

Kanonengießer 15 Kenner - 2996 - 27. Februar 2010 - 11:52 #

Kreativ, aber auch irgendwie verstörend. Nicht mein Ding! Aber interessant zu lesen!

onli 18 Doppel-Voter - P - 12255 - 27. Februar 2010 - 14:15 #

Einfacher gesagt als getan, aber trotzdem: Schade, dass du den Sprung zu seinem Werk in Computerspielen nicht geschafft hast. Wäre was für die zweite Seite gewesen.

Earl iGrey 16 Übertalent - 5093 - 28. Februar 2010 - 4:50 #

Ich wüsste nicht wie ich ermitteln sollte, welche Artworks zu welchem Spiel von ihm stammen. Oder, noch schwieriger, zu bestimmen, welche optischen Elemente innerhalb eines beliebigen Starbreeze-Titels auf seine Konzeptarbeit zurückgehen. Das wäre ein Job für Profis, die tatsächlich ein Interview mit ihm führen können, Zugriff auf Originalmaterial vom Hersteller oder Publisher erhalten und mehr Zeit für die Auswertung mitbringen als ich. :)

Anonymous (unregistriert) 1. März 2010 - 10:32 #

Gefällt mir, könnte gerne öfter Artikel über Gameartists geben :-)

BiGLo0seR 21 AAA-Gamer - 29336 - 2. März 2010 - 18:57 #

Schöner Artikel, der wirklich gut und vor allem interessant geschrieben ist und da es ja noch einiges zu diesem Herren zu sagen gibt, freue ich mich schon auf den nächsten Bericht über ihn ;)!

surthur (unregistriert) 23. August 2010 - 3:31 #

Er beschreibt sich als Hedonist, der Autor aber schreibt doch auch :

"Und wir als durchschnittliche Mitteleuropäer tun das was von uns erwartet wird. Wir konsumieren neben dem was der Mensch zum Leben braucht einen babylonischen Luxus, Vergnügungen, Unterhaltung, Statussymbole und Berieselung bis zur restlosen Verblödung. "

Abgesehen das man Babylon als aufgeklärter Mensch doch mal langsam in Ruhe und Respekt schlafen lassen könnte, driftet dort der Autor doch merklich etwas in seine eigene Welt ab..

Im Sinne der Pergamonausstellung, der Turm stand, vollständig und ohne mythische Vernichtung...

Was er erkannt hat, sollte man ihn doch selbst fragen.