Watara Supervision

Watara Supervision User-Artikel

Wie der Game Boy, nur in schlecht

CharlieDerRunkle / 31. Oktober 2017 - 14:52 — vor 4 Jahren aktualisiert

Teaser

Nintendos Game Boy hat Videospiel-Geschichte geschrieben. Der Watara Supervision hingegen nicht. Eine kleine Retrospektive, die einem Gerät auf den Grund geht, das kaum jemand kennt. Zu Recht?
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Als im Jahr 1989 Nintendo seinen berühmten Handheld in Japan und Nordamerika veröffentlichte (in Europa erst 1990), war dies der Auftakt zu einem Kampf um den Handheld-Markt, den Nintendo mit über 100 Millionen verkauften Geräten haushoch gewann. Andere Hersteller wie Atari oder Sega versuchten, dem Game Boy nachzueifern. Doch jeder ging seinen eigenen Weg, mit mehr oder weniger Erfolg. Der Atari Lynx war unhandlich, der Sega Game Gear zu teuer bei einer zu geringen Spiele-Auswahl. Dennoch kann man den Geräten, die dem Game Boy den Kampf angesagt hatten, durchaus etwas abgewinnen.
 

Ist es ein Klavier? Eine Tomate? Nein, es ist ein Game-Boy-Klon!

Links das Corpus Delicti, rechts der kleine Bruder des Originals.
Im Gegensatz zu den genannten Nintendo-Konkurrenten versucht der 1992 erschienene Watara Supervision nicht einmal, etwas anders zu machen. Selbst das äußere Erscheinungsbild wurde übernommen. Dabei sei angemerkt, dass es zwei verschiedene Varianten des Supervision gab. Eine Variante, die auch in Deutschland von der Firma Hartung vertrieben wurde, war unten abgerundet und hatte einen abknickbaren Bildschirm, ein einzigartiges wie sinnloses Feature. Die erste Version orientierte sich so weit am Game Boy, dass das (äußere) Design bis auf die Farben und das durch vier einzelne Knöpfe dargestellte Steuerkreuz praktisch identisch ist. Wie beim Game Boy gibt es links und rechts an den Seiten kleine Rädchen, mit denen der Kontrast des Bildschirms und die Lautstärke reguliert werden können. Wo befindet sich der Anschalt-Knopf bei einem Game Boy? Oben links. Wo befindet er sich beim Supervision? Oben links.
 

Auf eBay noch ein Renner

Letztere, dem Game Boy ähnliche Version, nenne ich mein Eigen. Vor ein paar Jahren als Kuriosum für etwa 40 Euro auf eBay erworben, entsprach das Supervision genau meinen Erwartungen. Für ein kaum gebrauchtes oder gar originalverpacktes Supervision bezahlt man etwa 200 Euro. Die Preise variieren jedoch, manchmal wird das Gerät billiger angeboten. Für die Spiele gilt dasselbe – vor ein paar Jahren noch bekam man ein Spiel für etwa 5 Euro (plus Versandkosten), heute werden überwiegend Cartridges in Original-Verpackung für 15 bis 25 Euro gehandelt.
 

Auch die inneren Werte zählen

Achtung, Verwechslungsgefahr! Oh, nein, doch nicht.
Zur Technik kann man sich auch ellenlang auslassen, aber eigentlich ist es kaum interessant. Der Monitor hat eine Auflösung von 160 x 160 Pixel und verfügt über vier Graustufen - und war damit besser als das Original, das eine Auflösung von „nur“ 160 x 144 Pixel vorweisen konnte. Im Innern arbeitete der 8-Bit-Mikroprozessor MOS Technology 6502, was dem Informatiker in mir natürlich etwas sagt - der 6502 war der größte Konkurrent zum Z80 von Zilog, eben jener 8-Bit-Prozessor, der wiederum beim Game Boy zum Einsatz kam. Der MOS Technology 6502 wurde beispielsweise auch beim Atari Lynx eingesetzt. Im Vergleich zum Game Boy war die verwendete Hardware daher nicht unbedingt unterlegen. Tatsächlich war der Game Boy auf Hardware-Ebene auch nicht optimal; der Sega-Konkurrent Game Gear hatte beispielsweise bereits einen Farb-Display – und das vor dem Game Boy Color! Grafik und Sound des Supervision waren also in etwa auf dem selben Niveau wie der Game Boy.
 

Killer-Apps: 0

Kommen wir zu einer interessanteren Frage, zu der wichtigsten, wenn man ehrlich ist: Wie sieht es mit den Spielen für den Supervision aus? Klare Antwort: düster. Während der Game-Boy-Herausforderer Sega Game Gear technisch dem Master System ähnlich war und einige Spiele von dieser Plattform auf den Handheld portiert werden konnten, bot Watara überwiegend Klone der Konkurrenz an. Waren die Spiele für den Supervision schlecht? Nein, nicht direkt. Aber dass sie gut waren, kann man auch nicht behaupten. Vermutlich würde ein kleines Kind, das noch nichts von der Welt weiß (und noch nicht von Smartphones verdorben wurde), durchaus seinen Spaß haben mit einem Watara Supervision. Für fünf Minuten. Oder so.
 

Aber es funktioniert

Kann man auch etwas Positives über das Watara Supervision sagen? Nun, es funktioniert. Wenn man ein Spiel-Modul einsteckt, dann kann man das Spiel spielen (sofern es nicht verdreckt oder beschädigt ist). Außerdem waren das Gerät und die Spiele zum Erscheinen weitaus preisgünstiger als die Nintendo-Produkte.
 

Ein kleines Fazit

Warum hat sich der Watara Supervision letztendlich nicht durchgesetzt, wenn das Gerät von der Hardware her gar nicht so schlecht war und auch der Preis gestimmt hat? Die Antwort liegt auf der Hand – es waren die angebotenen Spiele. Während Nintendo mit Marken wie Super Mario und Zelda punkten konnte, wurde für den Supervision Software auf dem Niveau von Tetris angeboten. Der Ansatz, den Watara mit seinem Produkt verfolgte, würde man heute  als „casual“ bezeichnen (oder beschimpfen). Als Entertainment-Gerät, das ausschließlich auf simple Spiele setzte und sonst keine Features bot, konnte sich das Supervision nicht gegen die Konkurrenz durchsetzen, die zu diesem Zeitpunkt bereits etablierte Titel vermarktete, die zum Teil auch heute noch bekannt und populär sind. Das Watara Supervision ist es hingegen nicht.

Wer sich intensiver mit diesem Kuriosum beschäftigen möchte, kann sich auf den Seiten umsehen, die mir als Quelle dienten. Unter consoledatabase.com findet ihr eine (englische) Zusammenfassung der Geschichte sowie einige technische Daten. Auf pixelkitsch.de gibt es einen Eintrag unter dem Titel „Unnütze Hardware vol. 20: Watara Supervision“, neben einem Review in Textform ist auch ein kurzes YouTube-Video eingebunden, das die Funktionsweise des Geräts demonstriert. Wer sich eher für die technischen Details interessiert, kann sich unter binarium.de eine kompakte Beschreibung mit Seriennummern und Ähnlichem zu Gemüte führen.
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Wenn man Glück hat, ist bei einem Spiel nicht nur die Schutzhülle mit dabei, sondern auch eine Beschreibung – die Schutzhülle ist wohl wichtiger.
CharlieDerRunkle 31. Oktober 2017 - 14:52 — vor 4 Jahren aktualisiert
Drapondur 30 Pro-Gamer - - 159633 - 31. Oktober 2017 - 13:08 #

Noch nie von gehört. Interessanter Artikel!

TheRaffer 23 Langzeituser - - 38693 - 31. Oktober 2017 - 13:22 #

Cooler Artikel. Das Gerät bzw. überhaupt Gameboy-Klone sind mir gänzlich unbekannt. Interessante Einblicke :)

Hyperbolic 21 AAA-Gamer - P - 25160 - 31. Oktober 2017 - 13:48 #

Die Bilder haben mich zuerst etwas irritiert. Habe dann mal im Gameplan Spielekonsolen und Heimcomputer Buch (übrigens jedem hier zu empfehlen der sich einen Überblick über die Geschichte aller elektronischen Spiele verschaffen möchte) nachgeschaut und da ist tatsächlich auch nur die Knick Variante im Bild zu sehen.
Wenn man sieht dass das Watara Dingens den gleichen 4MHZ 6502C wie der Lynx hat, kann man nur sagen, da wurde wohl wenig aus der Power gemacht (aber der Lynx hat dann wohl auch die besseren Co-Prozzessoren).

AlexCartman 20 Gold-Gamer - P - 22005 - 31. Oktober 2017 - 22:30 #

War der 6502 (bzw. 6510) nicht der Prozessor im
C64? Dann hätte er nur 1 MHz gehabt.

CharlieDerRunkle 17 Shapeshifter - 6386 - 31. Oktober 2017 - 23:11 #

im C64 kam der 6510 zum Einsatz, der 6502 gehört zwar zur selben Prozessor-Familie, war aber mit bis zu 4 MHz getaktet, der 6510 mit bis zu 2 Mhz; allerdings waren beide zueinander kompatibel

Hyperbolic 21 AAA-Gamer - P - 25160 - 1. November 2017 - 11:35 #

Den 6502 gab es im Laufe der Jahre in verschiedenen Ausführungen mit 1, 2, 3 und zuletzt 4 MHZ.
Zu finden in klassischen Rechnern wie Commodore PET, Apple I und II und den 8 Bit Atari Rechnern.
Ist schon interessant wie Commodore die 80er beherrscht hat. Das man so eine Firma zugrunde richten kann.

guapo 18 Doppel-Voter - 11864 - 2. November 2017 - 18:51 #

Die besseren Prozessoren haben sich halt durchgesetzt. Spieletechnisch nicht gegen Z80 mit Specky, AmstradCPC und MSX, aber später im PC.

maddccat 19 Megatalent - 14076 - 31. Oktober 2017 - 14:24 #

Beim Design der Cartridges wollte man wohl doch lieber bei Sega (Game Gear) klauen. Merkwürdiges Teil. :)

Vielleicht hätte man noch zusätzlich ein GG-Modul aufs Vergleichsfoto nehmen sollen.^^

Sierra 27 Spiele-Experte - 84757 - 31. Oktober 2017 - 14:43 #

Ein neues (altes) System kennengelernt. Kurzweilig geschrieben. Schön.

Slaytanic 25 Platin-Gamer - - 61764 - 31. Oktober 2017 - 21:18 #

Da schliesse mich mich mal mit an! :)

CharlieDerRunkle 17 Shapeshifter - 6386 - 31. Oktober 2017 - 15:08 #

@maddccat
mal eben kurz google gefragt - tatsächlich, die Game-Gear-Module sehen den gezeigten Modulen verdächtig ähnlich ^^ leider hatte ich nie einen Bezug dazu, in meiner Kindheit gabs nur Game Boy, daher habe ich auch nie ein Game-Gear-Modul gesehen, sonst wäre es mir wohl aufgefallen... aber wenn mans weiß ist das ein Lacher mehr ^^ danke für den Hinweis
@Hyperbolic
die Knick-Variante war u. A. die, die in Deutschland vertrieben wurde (meines Wissens), dazu habe ich eine Theorie (die ich allerdings nicht belegen kann): ich vermute, dass man sich mit der Knick-Variante noch ein wenig mehr vom Game-Boy-Design distanzieren wollte

Jonas S. 20 Gold-Gamer - P - 24847 - 31. Oktober 2017 - 15:24 #

Wirklich fasznierend. Der Gameboy war genau meine Kindheit und bin natürlich auch mit ihm groß geworden, aber von diesem Gerät habe ich noch nie gehört.

Vielen Dank für diesen User-Artikel! :-)

Name?welcher Name? (unregistriert) 31. Oktober 2017 - 15:24 #

Hatte damals den knickbaren das einzige wo ich mich noch richtig gut dran erinner ist wie beschissen das Steuerkreuz war.

Apfelsaft 15 Kenner - P - 3755 - 31. Oktober 2017 - 15:42 #

Interessanter Artikel! Es gab damals einige Gameboy Kopien die teilweise gar nicht uninteressant waren. In Korea gabs z.Bsp. den GP2X zu dem bis vor einigen Jahren noch regelmäßig Nachfolger und auch in Deutschland eine relativ aktive Homebrew-Szene gab.

Faerwynn 19 Megatalent - P - 17867 - 31. Oktober 2017 - 16:20 #

Ich erinnere mich noch gut an die Anzeigen für das Hartung-Gerät in den Spielezeitschriften. Irgendwie habe ich selbst als 10 Jahre alter Knirps bereits verstanden, dass das eine billige Kopie ist, mit der man Geld durch einen Hype abgreifen wollte.

Maulwurfn (unregistriert) 31. Oktober 2017 - 16:21 #

Wenn man ein Spiel einsteckt, kann man es spielen!

g3rr0r 17 Shapeshifter - - 6635 - 31. Oktober 2017 - 17:37 #

Dass ich dass noch(mal) erleben darf ;)

Sven Gellersen 23 Langzeituser - - 43734 - 12. Dezember 2017 - 1:23 #

Ohne Installation!

stylopath 17 Shapeshifter - 6257 - 31. Oktober 2017 - 19:00 #

Guter Artikel! Noch nie etwas davon gehört, auch nie gebraucht aber zum nachlesen definitiv ein netter Zeitvertreib! ;D

tenen53127 (unregistriert) 31. Oktober 2017 - 22:23 #

Der Artikel gefällt mir wirklich gut! Ich habe vorher noch nie von dem System gehört... Gerne mehr von Dir :-)

CharlieDerRunkle 17 Shapeshifter - 6386 - 31. Oktober 2017 - 23:12 #

ist in Arbeit ;-)

viamala 15 Kenner - 3250 - 31. Oktober 2017 - 22:27 #

Toller Artikel, nie gehört bis gerade...

Ridger 22 Motivator - P - 33510 - 31. Oktober 2017 - 23:27 #

Sehr interessanter und schöner Artikel. Besonders gut finde ich, wie du deine Liebe und Abneigung gleichzeitig darstellst.
Ich kenne das Gerät nur in der Knick-Variante und das auch nur aus dem Gameplan-Buch von Winnie Forster.

Vampiro Freier Redakteur - - 114298 - 1. November 2017 - 4:00 #

Bin jetzt umso froher, dass du die News-Hürde genommen hast! Schöner Artikel und für mich was ganz Neues!

euph 30 Pro-Gamer - P - 128062 - 1. November 2017 - 7:59 #

Und wieder was gelernt. Das Ding habe ich bisher nie bewusst wahrgenommen.

Woldeus 15 Kenner - 3169 - 1. November 2017 - 10:11 #

ich erinnere mich noch an das ding...das hatte ein junge in der nachbarschaft, ich glaube aber mit knickfunktion. der arme dachte, er hätte einen game boy und ob ich ihm nicht ein paar spiele leihen könnte...

Serto 12 Trollwächter - 842 - 1. November 2017 - 11:45 #

Hab ich sogar noch im Keller rumliegen. Ich hatte das Knick-Modell mit ein paar Spielen (Breakout, Tetris, Autorennen, uws.). Das gehört definitiv zu meiner Kindheit. Ebenso wie der Gameboy, den ich dann 1-2 Jahre später hatte (mit Spielen wie Breakout, Tetris und Autorennen :p).

SchlomoG 11 Forenversteher - P - 644 - 1. November 2017 - 15:11 #

Sehr interessanter Artikel. Vielen Dank dafür.

Aladan 25 Platin-Gamer - - 57046 - 2. November 2017 - 9:36 #

Stellt euch einfach mal vor, ihr hättet von euren Eltern damals statt eines Gameboy einen Watara Supervision bekommen..autsch. :-D

Elronhubbard 09 Triple-Talent - 299 - 3. November 2017 - 11:28 #

Da denkt man, man kennt alles und dann kommst du!
Guter Artikel.

Kendrick 11 Forenversteher - 616 - 27. November 2017 - 18:14 #

Naja, das Ding selbst ist also nicht so schlecht, aber der Spielemarkt hat damals sehr viel Hingabe verlangt (und irgendwie war auch fast alles auf dem Level aus heutiger Sicht zumindest ein bisschen schlecht). Ich hatte mal einen Game Gear, und ich glaube immer dieselben vier Spiele, die es im Angebot dazu gab, und ich kenne die ambivalente Beziehung als Kind zu so einem Gerät, das irgendwie ganz wundersam ist (wie oben gesagt, Spiele in Farbe, "wie auf den großen Geräten"!), aber andererseits immer ein bisschen hinter den Erwartungen zurücksteht und nicht wirklich zufriedenstellt. Natürlich gar kein Vergleich zum Nintendo 64... (Naja, ernsthaft nicht, erst ungefähr beginnend bei Erscheinen der Dreamcast.) Übrigens auch bei PCs, die fast jeder mal von der Stange nahm...

Ganon 27 Spiele-Experte - - 81250 - 1. Dezember 2017 - 13:41 #

Faszinierend, von dem Teil hatte ich noch nie gehört. Sehr interessant!

Sven Gellersen 23 Langzeituser - - 43734 - 12. Dezember 2017 - 1:26 #

Interessanter Artikel und wunderbar unterhaltsam geschrieben ... top! Der Name vom Gerät kommt mir dunkel bekannt vor, aber erst jetzt weiß ich, was es ist.