Freakshow #19

Thrill Kill User-Artikel

Daeif 30. Juli 2013 - 8:05 — vor 10 Jahren zuletzt aktualisiert
Hereinspaziert, hereinspaziert! Hier seht ihr die merkwürdigsten Computerspiele der Welt. Ob seltsame Genres, kuriose Szenarien oder einfach nur bodenlos schlechte Machwerke: In dieser Show kommt ihr aus dem Staunen nicht heraus!
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Heute, geschätzte Leserschaft, steigen wir hinab in die tiefsten moralischen Ebenen der Menschheit. Es geht um Blut, Morde, Titten und ein bisschen gutes altes BDSM. Was soll man auch sonst bringen? Die Leserzahlen sind im Keller, und bei den Serien der ganzen US-amerikanischen Pay-TV-Sender funktioniert das doch auch immer. Außerdem krabbelt mittlerweile schon Jörg jede Nacht unter meinem Bett hervor, in der Hand einen offensichtlich sehr scharfen und spitzen Gegenstand haltend, faselt was von höheren Page-Impressions und setzt dies in einen mich sehr beunruhigenden Zusammenhang mit dem Verlust einiger meiner Gliedmaßen. Setze ich halt alles auf eine Karte, hab ja nur zwei Arme und Beine zu verlieren. Oder wollte er mit Fingern und Zehen anfangen?

Apropos Gliedmaßen abtrennen: Kommen wir zum heutigen Spiel! Waren die achtziger Jahre in Sachen kontroverse Computerspiele noch vergleichsweise zahm (außer dem Empfinden der deutschen BPjS nach, die damals schon C64-Titel indizieren ließ, die jetzt erst langsam wieder vom Index gestrichen werden, wobei ich nicht sicher bin, ob das eine gute Idee ist, denn wenn ich mir so manche Erotikspiele der damaligen Zeit ansehe, fürchte ich, könnte das bei einigen immer noch chronische Impotenz auslösen), fing es in den Neunzigern so richtig an zu suppen. Grund dafür war neben der aufkommenden Shooter-Welle vor allem ein Beat'em Up: Mortal Kombat. Digitalisierte Schauspieler, die sich gegenseitig die Birnen von den Schultern droschen – so etwas hatten die Spieler noch nicht gesehen.

Überraschenderweise (oder eben gerade deshalb) entwickelte sich das Spiel zu einem „Hot Selling“ und zog eine Reihe nach sich, die bis heute erfolgreich existiert. Klar, dass Nachahmer folgen mussten. Einige davon waren gar nicht mal schlecht, etwa Eternal Champions oder Rares Killer Instinct. Andere Titel wie Naughty Dogs Way of the Warrior oder Kasumi Ninja rochen dagegen stark nach schneller Mark. Doch da gab es ein Spiel, das alle bisher dagewesenen in den Schatten stellen wollte. Ein Titel, so kontrovers, dass Menschen noch in Jahrzehnten davon reden würden. Nun, fünfzehn Jahre später reden nur noch traurige Gestalten wie meine Wenigkeit darüber, aber immerhin trotz der Tatsache, dass das Spiel offiziell nie erschien. Willkommen bei Thrill Kill.

Blut und Morde – oder auch nicht

Ja, ja, in den Neunzigern bekam man auf der E3 noch richtig was zu sehen, heute geht alles den Bach runter. Ob die beiden GamersGlobal-Entsandten auf der E3 2013 auch so viel „Spaß" hatten, darf bezweifelt werden...
Es war aber auch sicher ein Ärgernis für die Entwickler von Paradox Development (2004 in Midway LA umbenannt, 2008 geschlossen): Da preist man landauf, landab das Spiel als bisher blutrünstigste digitale Erfahrung, lässt Merchandise herstellen und ordert für die E3 1998 sogar eine eigene Domina (siehe Foto) – und dann bekommt man den Befehl, den Code einfach die Toilette runterzuspülen. Aber mal von vorn: Ursprünglich hatte Paradox den Publisher Virgin Interactive – damals keine schlechte Adresse, vertrieb diese Sparte von Buissness-Tycoon Richard Branson doch zu der Zeit Titel wie Command & Conquer oder Baphomets Fluch.

Interessanterweise schien Virgin ziemlich tolerant gegenüber kontroversen Inhalten zu sein, eine Haltung, die verwundert, wenn man weiß, dass Thrill Kill vor der offiziellen Veröffentlichung von der ESRB das berüchtigte AO-Siegel bekam – große Ketten hätten das Spiel also nicht ins Regal genommen. Doch dann geschah etwas überraschendes: Der Gemischtwarenkonzern trennte sich von seiner Computerspiel-Sparte – und ging in Electronic Arts über. Diese waren 1998 bereits auf einem sehr gutem Weg, von den „elektronischen Künstlern“ zum Antichristen der Publisher zu mutieren. Tatsächlich schreckten sie nur wenige Monate vor der Veröffentlichung zurück und cancelten das fertige Spiel. Der Verkauf zu einem anderen Publisher kam natürlich auch nicht in Frage, denn, hey, es ist EA, die brauchen halt ihre drei Dutzend Markenleichen im Keller.

Natürlich aber konnte EA die Büchse der Pandora nicht mehr an der Öffnung hindern. Einige Mitarbeiter leakten das Ding ins Netz, und nun kann jeder mit einem Emulator den Titel doch noch spielen. Zumindest so lange, bis EA einen aufspürt und standrechtlich 30 Minuten lang mit einer Feder am Fuß kitzelt. Tatsächlich dürfte es eines der bekanntesten nicht-erschienen Spiele der Computerspielgeschichte sein. In diversen PlayStation-Magazinen konnte ich des öfteren in Leserbriefen Zeuge werden, wie nach dem Spiel gelechzt wurde.  

Welcome to Hell

So, das war jetzt ziemlich viel Vorgeschichte, Zeit, zum eigentlichen Titel zu kommen. Typisch für ein Beat'em Up ist die Story simpel: Ihr seid in der Hölle und wollt so schnell wie möglich wieder raus. Ihr – das bedeutet eine von acht, sagen wir, geistig nicht ganz gesunden Gestalten. Bei eurer Auswahl könnt ihr euch etwa für einen Redneck-Kannibalisten, einer österreichischen Männerhasserin, einem mordernen Zwerg auf Stelzen oder die Dominatrix Belladonna entscheiden. Die Ladies und Gentlemen müssen sich nun in einem von der Dämonin Marukka aus purer Langeweile initiieren Turnier gegenseitig die Omme einhauen, bis der Sieger zurück auf die Erde darf.

Spielerisch klingt Thrill Kill zunächst nach einem interessanten Ausbrechen aus dem Prügelspiel-Einheitsbrei: Statt 1-on-1 stehen sich pro Match nämlich gleich vier Kämpfer in einer 3D-Arena gegenüber. Auch die Regel, wie der Kampf gewonnen wird, ist innovativ. Zuerst dachte ich an einen Bug, als ich sah, dass meine Lebensleiste noch vor dem Kampf schon leer war. Doch dann ging es los und ich verstand: Die „Lebensleiste“ ähnelt eher der Special-Leiste aus Tony Hawks Pro Skater. Je öfter ihr trefft und je mehr Kombos ihr erzielt, desto mehr steigt die Leiste. Ist sie voll, ist Massaker-Time. Euer Charakter leuchtet kurz auf, und der nächste, den ihr erwischt, wird mindestens eine Gliedmaße verlieren (und das ist nicht selten der Kopf).

OK, wer hat gedacht, dass ein Spiel mit so einer Thematik OHNE einen Killerclown auskommt? Dacht' ichs mir doch!
Das mag sich jetzt in der Theorie alles wahnsinnig kreativ und spritzig (höhö!) anhören, aber die gute alte Praxis macht da wieder einen Strich durch die Rechnung. Die Steuerung ist leider viel zu träge (der Todesstoß für alle Beat-em-Ups) und das Konzept, vier Spieler gegeneinander antreten zu lassen, macht die Kämpfe zu ziemlich chaotischen Veranstaltungen. Lediglich im 4-Spieler-Modus soll Thrill Kill Freude machen, da ich aber nicht die nötige Technik habe noch irgendwelche Freunde (da wundert ihr euch? Guckt euch nur mal die Spiele an, die ich spiele!), fällt das Antesten für mich flach. Immerhin läuft es stabil, das können die wenigsten unfertigen Spiele (und leider auch einige „fertige" Spiele) von sich behaupten.

Lego-Fighter

Muss ich bei einem PSX-Spiel von 1998 groß auf die Technik eingehen? Nun gut. Aus heutiger Sicht sieht Thrill Kill eher nach einem düster umgesetzten Lego-Prügelspiel aus, das heute sicherlich keine  Kontroversen mehr auslösen würde. Vom damaligen Standpunkt aus? Na ja, der Detailreichtum floss offensichtlich in die Charaktere, was bei einem Beat'em Up ja jetzt nicht so verkehrt ist. Aber die Kampfarenen?! Entschuldigung, aber eine graue Gummizelle als Schauplatz zu nehmen ist kreativer Bankrott, und ja, ich weiß, dass einer der Kämpfer aus einer Klappsmühle kommt, aber trotzdem, hätten die Designer nicht eher eine gläserne Zelle mit Details im Hintergrund machen können?

Wenigstens die Musik reißt es raus, zumindest für alle, die auf Industrial stehen. Die kalifornische Band Contagion lieferte den gesamten Soundtrack und damit die passende Untermalung für die nicht ganz jugendfreien Kämpfe.


Fazit: Splatter über BDSM-Themen über Blut über gutes Spiel

Das hat man davon, wenn man eine Legende entmystifiziert: Thrill Kill ist leider nach spielrischen Maßstäben hochgradig enttäuschend. Die Idee von Viererkämpfen passt leider nicht so recht zu gutem Gameplay, auch, wenn es sicherlich nicht unkreativ war. Tranige Steuerung und liebloses Arenendesign tragen auch nicht gerade zum positiven Image bei. Letztendlich bleibt der fade Beigeschmack zurück, dass Paradox seinen Fokus nur auf kontroverse Inhalte setzte und das eigentliche Spiel vernachlässigte, obwohl auch neue Impulse gegeben wurden. Doch wenigstens dieses Ziel hat Paradox wohl erreicht: Ein Beat'em Up mit so vielen kranken Ideen ist mir bislang nicht untergekommen, Mortal Kombat wird deutlich nach Punkten geschlagen! Und nichts anderes ist für den Kultstatus dieses Spiel wohl ausschlaggebender gewesen.

Damit schließt die Show für heute. Kommt auch das nächste Mal wieder vorbei, wenn ihr die kuriosesten und merkwürdigsten Titel der Spielwelt erblicken wollt. Ich bin euer Gastgeber Daeif und ich muss mir jetzt dringend überlegen, wie der Jörg ständig unter mein Bett kommt. Erstmal die Zwischenwände inspizieren...
Daeif 30. Juli 2013 - 8:05 — vor 10 Jahren zuletzt aktualisiert
mihawk 19 Megatalent - 16921 - 30. Juli 2013 - 8:19 #

Unglaublich, wo gräbst du solche Spiele immer wieder aus?

Herrlich geschriebener Artikel, ist eine meiner Liebling-Artikelserien hier auf GG!

Daeif 19 Megatalent - 13820 - 31. Juli 2013 - 15:41 #

Seit ich das erste Mal Ende der 90er in PSX-Mags von dem Spiel erfahren hatte, wollte ich immer mehr dazu wissen. Als ich dann Internet hatte, war das eines der ersten Sachen die ich gegoogelt hatte^^
Das Spiel geistert also schon seit fast 15 Jahren in meinem Kopf herum, da bot sich ne Freakshow dazu mal an.

Hendrik 27 Spiele-Experte - P - 93993 - 30. Juli 2013 - 9:27 #

Deine Serie ist doch immer wieder genial.
Ich hab seinerzeit auch in fast jedem Mag in den Leserbriefen die Leute nach dem Game lechzen sehen, war aber nicht traurig drüber als es gecancelt wurde. Vor Jahren als ich aus Nostalgie anfing mit Emulatoren zu zocken, lief mir das Game über den Weg, da hab ichs aus Neugier auch mal getestet. Aber wie du schon sagst, wenn man so eine Legende wirklich spielt, entmystifiziert sie sich ganz schnell. Ich hatte jedenfalls nach ca 20 min die Nase voll. Selten so einen Rotz gezockt :)

bsinned 17 Shapeshifter - 8201 - 30. Juli 2013 - 9:32 #

Ich denke, Jörg macht das wie der Kobold aus "Katzenauge" von Stephen King. Check mal deine Wände ;)

Daeif 19 Megatalent - 13820 - 31. Juli 2013 - 15:42 #

Nur gut, dass ich keinen Wellensittich habe^^

Ihr Name (unregistriert) 30. Juli 2013 - 10:06 #

Hach ja, Thrill Kill, das Spiel war dermaßen schlecht. Aber wegen dem Splatter damals bei vielen trotzdem 'ne ganze Weile das Gesprächsthema auf dem Schulhof nachdem Kopien davon rumgingen.

icezolation 19 Megatalent - 19280 - 30. Juli 2013 - 11:52 #

"Der hat ne PlayStation mit Chip, damit er Thrill Kill spielen kann."
"Thrill Kill?"
"Ja! Ich hab gehört das Spiel ist so brutal, man kann es nirgendwo auf der Welt kaufen und muss es sich deshalb kopieren."

Die waren schon bekloppt auf dem Schulhof ^^ Schöner Artikel wieder!

Drapondur 30 Pro-Gamer - - 159543 - 30. Juli 2013 - 13:01 #

Wieder gut geschrieben! :)

Dennis Kemna 16 Übertalent - 4121 - 30. Juli 2013 - 13:42 #

Jap, an Thrill Kill war tatsächlich nur der Hype toll. Das Game war spielerisch totale Grütze.

Naja so wurde aus einem schlechten Spiel eine guter Artikel! Ist doch auch was! ^^

Talakos 16 Übertalent - P - 5404 - 30. Juli 2013 - 13:44 #

Das hat uns damals gefallen zu zweit auf der Playse Thrill Kill zu zocken.. Wo ist die Zeit nur hin? Jaja *inErinnerungschwelg*

FPS-Player (unregistriert) 30. Juli 2013 - 14:35 #

Ui, klingt ja vom Spaß-Faktor ganz gut! Mal sehen, ob ich das irgendwo finden kann...
BTW: schade das Titel wie 'Splatter House' nicht für den Rechenknecht erschienen sind...

Handkante (unregistriert) 30. Juli 2013 - 17:37 #

Gab es damals nicht diesen Wu Tang Prügler?
Der war, glaube ich, auf Thrill Kill aufgebaut.

Daeif 19 Megatalent - 13820 - 31. Juli 2013 - 15:44 #

Yep, Wu Tang: Shaolin Style. Der war weniger brutal, dafür spieerisch genauso mau. Das einzige, was mir davon noch im Kopf geblieben ist war ein extra Controller im Wu-Tang-Style, vllt der schlechteste Controller aller Zeiten^^

Earl iGrey 16 Übertalent - 5093 - 31. Juli 2013 - 6:52 #

Ich hab's gespielt. Hölle? Waren die nicht in so einer Art Anstalt, die von nem Irren Direktor geleitet wurde? Ich hab allerdings nur 1 gegen 1 Multiplayer gezockt und nicht Kampagne oder sowas. Einige der Figuren sind mir nicht begegnet, ich erinnere mich an etwa sechs oder sieben Figuren, die schrägste war eine Art Gorillamutant. Wenn ich von dem Perversen mal absehe, der selbst ohne Arme noch ein ziemlich krasser Fighter war... Oo

Daeif 19 Megatalent - 13820 - 31. Juli 2013 - 15:51 #

Jah, bei der Hölle handelt es sich um eine „modernisierte" Version, die zudem die seelischen Abgründe der Figuren widerspiegelte. Vermutlich, um mehr Abwechslung bei den Kampfarenen zu haben. Nur beim Endkampf gegen Marukka kommt etwas Höllenfeeling auf.

partykiller 17 Shapeshifter - 7405 - 9. August 2013 - 22:02 #

Ich habe das auch mal eine Weile gedaddelt, das war schon sehr verstörend. Wirklich übermäßig brutal. Ich erinnere mich daran, dass ich den Tormentor mal gespielt habe, der sich in der Endsequenz dann als Richter herausstellte.
Und diese eigenartige Figur in der Zwangsjacke, Oddball hieß der, dessen "Storystrang" (muahaha) hatte ich mal durch gedaddelt.
Im Endeffekt ist es doch fast so wie bei "Playstation All Star Battle": den anderen so lange auf's Maul hauen, bis man die Superpower bekommt. Nur konnte man dann bei Thrill Kill einen aus dem Anfangs-Quartett zu Klump dreschen, danach ging es zu dritt weiter, und danach eben one-on-one. Das ist bei All Star Battle natürlich etwas anders gelöst worden. Das waren wirklich kranke Figuren in diesem legendären PSX-Prügler.
Schön, dass den mal jemand ausgräbt für einen Artikel.

csra 06 Bewerter - 55 - 5. August 2013 - 11:03 #

Wasn schrott...

HAAAGAYYY (unregistriert) 2. November 2013 - 17:03 #

auf welcher seite kann man das spiel legal downloaden habs mal ps1 gespielt zwar nicht der knaller aber hab irgendwie wieder bock

scienceguydetl 15 Kenner - 2733 - 9. Dezember 2014 - 22:44 #

Da das Spiel nie veröffentlicht und kurz vor Fertigstellung eingestampft wurde, glaube ich nicht, daß es wirklich illegal ist, eine ISO aus dem Internet zu brennen.

Adressen kann ich dir leider keine nennen. Schließlich gibts auf solchen Seiten auch ISOS von erhältlichen Spielen. Aber wenn du ein wenig nach "Midway" "Thrill Kill" "PSX" und "ISO" suchst solltest du selbst was finden.

Aber denk dran. Nix anderes von der Seite laden. ;-))

scienceguydetl 15 Kenner - 2733 - 9. Dezember 2014 - 22:40 #

Ich hatte eine Prototyp CD von dem Playstation Spiel und fand es gut. (Eigentlich sogar besser als Wu Tang - Shaolin Style, zu dem es dann letzten Endes verwurstet wurde).

Respekt für diesen tollen Rückblick.