Viele Spiele geben sich große Mühe, dem Spieler regelmäßig seine Fortschritte zu präsentieren. Sei es in Form einer fortlaufenden Geschichte, einer Levelstruktur oder eines Charakterlevels. Wie sich diese Formen des „Progress" unterscheiden und ob es vielleicht auch noch weniger leicht ersichtliche gibt, erfahrt ihr im Folgenden.
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Angesichts der „Free-to-play"-Welle und der damit in vielen Fällen käuflichen Beschleunigung des spielerischen Fortschritts ist in Game-Design-Kreisen immer häufiger vom Schlagwort „Progress" zu lesen. Die Geschwindigkeit, mit der der Spieler vorankommen kann, wird stellenweise anhand psychologischer Betrachtungen und
sogenannter Belohnungsintervalle festgelegt. Das Ziel: Den Spieler durch diese Belohnungen beziehungsweise deren Struktur idealerweise
„für immer" an das Spiel binden, ihn also stetig neu motivieren. Letzteres ist zunächst wenig kontrovers. Schließlich ist Motivation für
Farmville genauso wichtig wie für
Starcraft, Schach oder Tennis. Dennoch unterscheiden sich die jeweils vorhandenen Fortschrittssysteme fundamental voneinander. Deshalb sollen im Folgenden die möglichen Formen des „Fortschritts" in Spielen etwas genauer betrachtet, beschrieben und kritisch analysiert werden.
Expliziter statischer Fortschritt
Der offensichtlichste Fortschritt ist der unmittelbar am Zustand des Spiels abzulesende (also
explizite) und zugleich auf einen zu erreichenden Endpunkt - ein
statisches Ziel - hin ausgerichtete. Bei Spielen, die primär auf dieser Art von Fortschritt aufgebaut sind, steht also die
Lösung beziehungsweise das „Durchspielen" des Titels im Vordergrund. Grundsätzlich sind diese Titel nicht auf Wiederspielbarkeit ausgelegt, sondern auf das Erleben der Inhalte. Es handelt sich um Content-basierte und damit erschöpfbare Spiele: Der Ablauf beziehungsweise das Leveldesign ist von vornherein festgelegt. Dem Designer ist also in jedem Moment genau bekannt, in welcher Situation sich der Spieler befindet oder zumindest welche Zustände möglich sind. Die Interessantheit in diesen
statischen Spielen kann sich nicht dynamisch ergeben, sondern ist handgemacht.
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Schon auf den ersten Blick ist klar: Wir sind in Level „1-1". |
Viele Spieler schätzen gerade diesen Fokus auf das zwar in der Regel einmalige, jedoch dafür idealerweise maximal mitreißende Erlebnis. Andere kritisieren die Natur dieser Titel als „Wegwerfprodukte". Letzteres ergibt jedoch nur dann Sinn, wenn die Spiele
nicht von vornherein auf ein reines Dasein als beispielsweise „interaktive Geschichte" oder „Puzzlesammlung" ausgelegt sind. Die Intention hinter
Heavy Rain (mit der Story als Fortschrittssystem) war nie, dass es
mehrfach gespielt werden sollte. Also ist es für fehlende Wiederspielbarkeit auch nicht zu kritisieren.
Portal (mit seiner Kombination aus Story und aneinandergereihten Puzzles) lebt vor allem von der Interessantheit der
Lösungssuche. Ist diese abgeschlossen, ist das Spiel natürlich unmittelbar weniger spannend. Auch das ist unproblematisch. Grenzwertig sind hingegen Titel wie
Mass Effect, das zunächst ebenfalls einer linearen Handlung folgt. Allerdings kann anhand des Kampfsystems durchaus vermutet werden, dass die Intention der Entwickler war, den Spieler auch einen gewissen Wert auf taktisches Vorgehen und strategische Entscheidungen legen zu lassen. Dies wird aber von der Linearität des Titels direkt untergraben: Wiederholt der Spieler beispielsweise ein Gefecht mehrfach, dann spielt zwangsläufig immer mehr das Auswendiglernen des genauen Ablaufs der Situation eine Rolle. Es handelt sich letztlich um ein (lösbares)
„Puzzle by Accident".
Ein weiteres sehr eindeutiges Beispiel für expliziten statischen Fortschritt ist
Super Mario Bros mit seiner vollkommen transparenten Levelstruktur.
Monkey Island hingegen kombiniert den Storyfortschritt mit einer (stellenweise) etwas loseren Struktur aus in der Spielwelt verteilten Rätseln. Auch die Einzelspieler-Kampagne eines Echtzeitstrategiespiels wie Starcraft setzt (unter anderem) auf eine lineare Handlung und eine festgelegte Reihenfolge von Missionen. Bei all den genannten Beispielen kann ein Außenstehender (der mit dem jeweiligen Spiel vertraut ist) sofort erkennen, wie weit der Spieler gekommen ist. Der Fortschritt lässt sich ganz konkret ausdrücken: „Level 7", „Mission 23", „Szene 182", „unmittelbar nachdem XYZ gestorben ist", „nach dem Rätsel mit dem Gummihuhn". Im
EPE-Modell ist diese Fortschrittsform damit übrigens ein „natürlicher Verbündeter" der problemlösenden Interaktion.
Expliziter persistenter Fortschritt
Persistenter Fortschritt ist - im Gegensatz zum statischen - von dauerhafter Relevanz. Ein auf Story oder vorgefertigten Levels basierendes Spiel lässt sich „durchspielen". Ist es abgeschlossen, verfällt der spielerische Fortschritt gewissermaßen, denn er ist im Kontext des Spiels nicht mehr von Belang. Gleiches gilt jedoch auch
an jedem beliebigen Punkt innerhalb des Spiels für den
bis dahin gemachten (statischen) Fortschritt: Er spielt für den weiteren Ablauf keinerlei Rolle. Persistenter Fortschritt bleibt jedoch über den Punkt, an dem er tatsächlich erzielt wurde, hinaus im Zustand des Spiels bestehen. Häufig (jedoch nicht zwingend) gilt dies sogar über das „Ende" - falls ein solches überhaupt eindeutig existiert - des Spiels hinaus für einen weiteren „Durchgang".
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Das Spiel „endet", der Charakter bleibt jedoch erhalten. |
Typische Beispiele umfassen „Rollenspielelemente" wie Erfahrungspunkte beziehungsweise -stufen (
Diablo,
Dragon Age, Farmville) und damit regelmäßig kombinierte, jedoch auch als alleiniges Fortschrittssystem taugende, freischaltbare Spielelemente wie Spezialfähigkeiten („Skills"). Sind diese einmal gesammelt, sind sie persistenter Bestandteil des Systemzustands und haben Auswirkungen auf dessen künftige Dynamik (es sei denn es handelt sich lediglich um „Achievements", die an sich keine Verbindung zum Spiel zurück haben und damit - wenn überhaupt - als „Scheinfortschritt" bezeichnet werden können). Eine interessante - beispielsweise vom
Game Design Bookclub näher erörterte - Beobachtung ist dabei der Unterschied zwischen
horizontalem und
vertikalem (explizit persistenten) Fortschritt.
Ich bin manchmal schon etwas genervt davon, dass heutzutage fast jedes Spiel irgendwie zum Grind verkommt oder man mit etlichen freischaltbaren Skills und Perks zugeschmissen wird. Wenn ich früher Bock auf sich füllende Exp-Balken und ähnliches hatte, hab ich eben ein RPG gezockt und konnte dort meinen Auflevel-Durst stillen. Mittlerweile ist es genreübergreifend fast überall so. Bei Ego-Shootern fiel es mir zuerst bei No One Lives Forever 2 auf und es hat das Spiel auch nicht unbedingt besser oder vielschichtiger gemacht.
Natürlich motiviert es meistens, weil man immer die nächste Skill-Karotte vor der Nase hat, aber manchmal braucht man mal ne Auszeit und will sich nicht ständig Gedanken machen müssen, wie viele Exp man für irgendwas benötigt und wo man seine Attribut-Punkte als nächstes investiert. Durch diese verRPGisierung vieler Genres wurden mir klassische Rollenspiele schon etwas madig gemacht, da mir das Konzept in konzentrierter Form dann oftmals fast zu "anstrengend" ist.
Es ist schon interessant zu sehen wie in bestimmten Bereichen die "Theorien" des Spielens entwickelt werden. Das gab es vor Jahren schon in der Pen & Paper Szene. Man hat nicht einfach nur das genommen was kommt sondern sich wirklich Gedanken drüber gemacht was einem selber gefällt, was weniger gefällt und wie man es besser machen könnte.
Im Prinzip hat es zu einer guten Entwicklung geführt, das sich die Leute und auch bestimmte Gruppen darüber bewusst geworden sind was sie konkret stört oder was ihnen gefällt. Und so konnte die Entscheidung. welches Produkt man wählt, besser getroffen werden.
Auch hat es zu einer aktiven und auch "erfolgreichen" Indieszene geführt, weil bestimmte Gruppen nicht mit dem "Mainstream" einverstanden waren und sich lieber ihre eigenen Produkte geschaffen haben, die zu ihren persönlichen Vorlieben und den Vorlieben der Gruppe besser passt.
An sich wäre es wahrscheinlich nur vom Vorteil wenn diese Bereiche ( pen&Paper, Computerspiele, usw. ) nicht in ihrer Umgebung daran arbeiten würden, sondern auch voneinandern lernen könnten. Man muss ja das Rad nicht immer neu erfinden.
Allerdings hatte die Rollenspieltheorie auch einen gewaltigen Nachteil - sie hat bestimmte Bereiche gespalten und zu Glaubenskriegen geführt. Man hat der anderen Gruppe abgesprochen "richtiges" Rollenspiel zu betreiben und regelrechte Kriege im Netz geführt. Etwas was man bei Computerspielen seit einiger Zeit auch beobachten kann.
Und abermals eine Erklärung, warum ich mich mit immer weniger verschiedenen Spielen beschäftige. Man ahnt das alles, aber es ist gut, wenn man sein eigenes Verhalten explizit erläutert vor sich sieht ;-)
bei dem titel wusste ich doch schon, dass sich wieder unser gg-spieltheoritker gedanken gemacht hat. passend zum release vom D3-addon, hehe. kudos ;)
Super Artikel! Schön zusammengetragen, gefällig aufgebaut. Schafft für GG durchaus einen Mehrwert. Es lebe der "Progress"! :)
Das stimmt... und trotzdem hat noch keiner gemeckert ;-)
Schöner Artikel, sehr wissenschaftlich. Bist du eigentlich auch beruflich in der Wissenschaft tätig, Nachtfischer?
Mir zeigt das mal wieder, dass ich eigentlich lieber Spiele mit implizitem Fortschritt spiele, aber mich auch immer wieder in die Welt des expliziten Fortschritts ziehen lasse.
Ich schreibe momentan meine Masterarbeit (Informatik) über Game-Design und "Digital Game-based Learning".
Danke Nachfischer für diesen wieder einmal sehr lesenswerten Artikel. Er hat bei mir mal wieder eine Selbstreflexion ausgelöst. Gespielt habe ich genau betrachtet mein gesamtes Leben lang. Was war denn früher zur Zeit der Kindheit (liegt so 35 Jahre zurück) anders? Es gab noch keine Computer- oder Videospiele. Man hat sich in den wärmeren Monaten selbst Spiele ausgedacht und diese mit selbst erstellten Regeln, die jedem bekannt waren, draußen gespielt. In der kälteren Jahreszeit kamen dann die Brettspiele dran. Auch diese hatten und haben den großen Vorteil, dass man die Regeln bei Bedarf anpassen oder komplett verändern konnte. Jeder, der schon einmal Monopoly gespielt hat, hat sicherlich schon von den sogenannten "Hausregeln" gehört.
Bei Computerspielen ist das bekannter weise nur sehr begrenzt möglich. Entweder man modded ein Spiel so lange, bis es einem gefällt (das kostet viel Zeit und erfordert Kenntnisse, die nicht jeder hat) oder man legt sich selbst Beschränkungen auf, wie wir z.B. damals bei WarCraft 2 "Wir spielen ohne Magier". Letztendlich sind diese "Änderungen" aber nur marginal (abgesehen mal von einem Total-Modding). Vielleicht ist dieser Aspekt ein Grund, warum sich "Mincraft" so gut verkauft hat. Hier kann man einfach mal ausprobieren, was alles möglich ist, ohne dass man merkt, dass es natürlich Regeln im Spiel gibt, die man nicht verändern kann. Starbound geht ja auch zum Teil in diese Richtung.
Ich entschuldige mich, dass mein Kommentar nun doch etwas vom Thema abgewichen ist.
Darum sind wir doch hier bei GG, also keine Entschuldigung für dein abschweifen.
Auch ich bedanke mich für den guten Artikel!
Horizontaler und vertikaler Fortschritt sind doch beide problematisch:
Der horizontale Fortschritt ermöglicht oft doch nur die gleichen Aktionen nur mächtiger, also im Grunde wie eine Verstärkung des vertikalen Fortschritts.
Da der horizontale Fortschritt aber erst zu erreichen ist, schränkt das Spiel den Spieler in seinen Aktionen von vornherein ein. Ein Missstand insbesondere in Strategiespielen.
Der horizontale Fortschritt kann aber auch im späteren Spielverlauf vollkommen neue "Verben" (Aktionen) freischalten und so für eine natürliche Spannungskurve sorgen. Beispiel: Den Spielern stehen im späteren Spielverlauf (durch Forschung o.ä.) gänzlich neuartige Zauber zur Verfügung, die vorher unmöglichen Einfluss auf das Spiel nehmen.
Es muss ja nicht immer "Feuerball I" und später "Feuerball II" sein. Es kann z.B. anfänglich der "Feuerball" und später ein "magischer Stachelwall".
Gut, aber der Feuerball ist auch nur eine Schadensart mit Punkten, idR mit mehr Punkten, sonst würde ich ihn wohl nicht einsetzen.
Er kann ja auch weitere Implikationen haben. Z.B. einen Teil des Terrains in Flammen setzen und somit nicht bzw. nur mit erheblichen Nachteilen überwindbar machen o.ä. Die Fähigkeiten taktisch oder anderweitig interessant zu gestalten ist dann eben der Job des jeweiligen Game-Designers. Horizontaler Fortschritt sollte natürlich idealerweise tatsächlich die Breite der (taktischen) Möglichkeiten erweitern und nicht einfach schwächere durch stärkere Zauber ersetzen. Das wäre in der Tat schon wieder ziemlich vertikal.
Funktioniert das überhaupt in Spielen? Letztlich kommt es doch immer nur darauf an, ein oder mehrere Werte des Gegners zu reduzieren. Sicher, es gibt den einen Zauber der dann einen Wall bildet, aber auf Dauer sind die Möglichkeiten doch arg begrenzt oder? Es führt doch viel mehr dazu, dass ein Spiel mehr Variablen und Komplexität braucht, die beeinflusst werden können.
Daran erkennt man mal wieder, wie gut Schach designt ist: Man kann mit dem Bauern auf die letzte Reihe laufen und kriegt dann einen grossen spielerischen Mehrwert als Aufstieg.
Schach hat eben auch keine "Werte", die reduziert werden könnten. Das ist nämlich leider immer ziemlich flach. Die meisten "Strategiespiele" oder RPGs funktionieren ja heute nach dem Motto: "Wirf ein paar Hitpoint-Säcke in eine Box und würfel aus, welcher zuerst leerläuft!" Zumindest im Kern.
Wenn ich mir da beispielsweise Auro anschaue: Da gibt es keinerlei Werte, keine direkten Angriffe, nichts dergleichen. Jede Fähigkeit ist taktisch vielfältig einzusetzen und MUSS auf interessante Weise mit Terrain, anderen Skills oder sogar den Gegnern kombiniert werden.
Hitpoints dienen eben der Simulation von Schaden und Sterblichkeit. Schlimm finde ich die AD&D-Systeme, denn wenn die bei 0HPs ankommen ist man nur bis zum Ende des Kampfes betäubt, um nicht einen Spieler aus einer Party entfernen zu müssen. Da wird die Mechanik absurd.
Guter Artikel!
Hatte das mit den verschiedenen Fortschrittsystemen gar nicht so auf meinem Schirm gehabt, jetzt werde ich da mal mehr nachschauen.
Interessanter Artikel, ich neige anscheinend ganz klar dem "statischen" zu, für mich ist die Story das wichtigste. "Grinding" ist eine Tätigkeit, die ich wirklich überhaupt nicht nachvollziehen kann.
Danke für den interessanten Artikel
Ich finds gut das sie sowas raus gebracht haben so kann man uach sehen ob man gut oder schlecht ist
Wovon redest du?
Ich finde das Levelsystem sehr gut, da es einen schon ein bisschen Motiviert ;)
Es bleibt bei den Motivatoren immer die Frage nach dem Warum: http://www.gamersglobal.de/user-artikel/warum-spielen-wir-wirklich