Foretales

Foretales User-Artikel

Kartenspiel der anderen Art

Timberwolf76 / 30. Oktober 2022 - 9:10 — vor 1 Jahr aktualisiert

Teaser

Eine interaktive Story mit Entscheidungen trifft auf eine Heldenparty, Quests, Exploration und Rundenkämpfe. Das kann ja nur ein... Kartenspiel sein? Das wollte ich mir unbedingt genauer anschauen.
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Ich sollte damit einleiten, dass ich in der großen Welt der Kartenspiele außer Skat, Rommé, Mau-Mau und Autoquartett nicht viel gesehen habe. Auch bei den digitalen Varianten streifte mich nur Hearthstone und Gwent ein wenig. Beide haben mir zwar Spaß gemacht, aber keine rechte Langzeitmotivation hinterlassen wollen. Insofern hatte ich in den ersten Spielminuten von Foretales gehörig Respekt, oder besser gesagt Angst, in einer Welt von Überforderung ein schnelles Spielende zu finden. Aber ich kann euch beruhigen: alles halb so wild.
 

Mittelalter, Tiere und Intrigen

Worum geht es eigentlich? Ihr verkörpert Volepain, einen kleinen Gauner in der Mittelalter-Fantasy-Welt der Republik Harde. Wie in einer Fabel handelt es sich bei allen Einwohnern des Reiches um Tiere. Der von euch gespielte Held ist dabei ein Vogel, genauer gesagt ein Schuhschnabel, und seine Talente orientieren sich sehr am Klischee der diebischen Elster. Apropos Talente: Jeder der spielbaren Charaktere hat diesbezüglich spezielle Fähigkeiten, ganz ähnlich wie ihr es in einem traditionellen Rollenspiel erwarten würdet. Eure Party kann aus bis zu drei Mitgliedern bestehen und wird vor jeder Mission von euch individuell zusammengestellt. Ist eine Kombination also nicht erfolgreich, helfen beim nächsten Versuch eventuell die Talente einer anderen Figur.
Fähigkeitenkarten geben euch diverse Möglichkeiten, voranzukommen.

Aber zurück zur Geschichte. Volepain bekommt vom mysteriösen Timothy den lukrativen Auftrag, der einflussreichen Lady Katell ein Musikinstrument zu stehlen. Also macht er sich in Begleitung seines Kumpels Leo auf den Weg zum Anwesen, um den Raub durchzuführen. Mithilfe eines mit Geld bestochenen Gärtners und einer im Gartenhaus gestohlenen Karte finden die Diebe den Weg durch das Labyrinth vor dem Herrenhaus und können nach kleineren Auseinandersetzungen mit den örtlichen Wachen die begehrte Lyra an sich bringen. Doch im selben Moment, als Volepain das Instrument berührt, durchfährt ihn ein Blitz und er hat plötzlich Visionen der Zukunft, dem Tod seiner Freunde und Verwandten und dem Untergang des Reiches. Bei der Flucht aus dem Anwesen wird zusätzlich noch Leo gefangen genommen, das Tutorial ist beendet und das eigentliche Abenteuer rund um Freundschaft, Katastrophen, übersinnliche Ereignisse, Meeresungeheuer und eine rätselhafte Seuche beginnt.
Volepain wird von dunklen Visionen geplagt.
 

Jetzt wird gemischt

Wie bereits in der Einleitung verraten, handelt es sich beim neuesten Werk des französischen Alkemi-Teams nicht um ein klassisches Rollenspiel. Das heißt in Konsequenz, dass alles, was ich euch bis jetzt beschrieben habe, komplett durch Karten repräsentiert wird. Das gilt für die Charaktere, deren Fertigkeiten und die Aktionen die ihr ausführt, die Orte, die ihr erreichen könnt und natürlich auch die Ressourcen. Vor jeder Mission werden die Decks neu verteilt und Karten können nicht mitgenommen zu werden. Bis zu vier Ortskarten auf dem Tisch vor euch geben den Helden die Möglichkeit der Interaktion mit Hilfe der maximal verfügbaren sechs Fertigkeitskarten. Für Volepain sind dies wie bereits erwähnt eher diebische Aktionen wie „Flinke Finger“ und „Beutelschneider“, bei Leo dagegen das Überleben sichernde Aktionen wie „Gezielter Schuss“, der Gegner ohne Alarm ausschalten kann, oder „Auf der Spur“, mit dessen Hilfe ihr zusätzliche Nahrung findet.

Aktive Fertigkeitskarten dürft ihr außerhalb von Kämpfen mit Karten aus dem Reservedeck tauschen, falls gerade ein bestimmtes Talent gefordert ist. Rastkarten versorgen euch bis zu dreimal mit zusätzlichen Fähigkeitskarten und Lebenspunkten pro Mission, haben aber auch das Potenzial, euch zusätzlich Gegner zu bescheren oder Ressourcen zu kosten. Letztere können ebenfalls mit den Ortskarten kombiniert werden. Das wären zum einen Geld, Nahrung und gefundene oder erbeutete Gegenstände. Abhängig davon wir ihr in der Spielwelt agiert, erhaltet ihr auch Karten für „Ruhm“ und „Grauen“. Erpresst ihr zum Beispiel aus armen, bettelnden Kindern noch die letzte Nahrungsreserve, steigt die Angst vor Volepain, während eine kleine finanzielle Spende ihn berühmter macht. Beide Aspekte geben euch für den weiteren Missionsverlauf ebenfalls Handlungsmöglichkeiten, da ihr mit diesen Karten die Gegner und NPCs dann entweder beeindrucken oder einschüchtern könnt.

Die Elemente ermöglichen also wirklich viele Möglichkeiten der Interaktion, die sowohl positive Auswirkungen wie das Erbeuten von Ressourcen und Informationen als auch, manchmal gleichzeitig, unschöne Konsequenzen, wie zusätzlich nach euch suchende Wachen oder die Vergrößerung des Friedhofdecks nach sich ziehen können. Welches Ergebnis euch genau erwartet, zeigt das Spiel, indem ihr die jeweilige Fertigkeit oder Ressource mit der Maus über die entsprechende Ortskarte "zieht". Überhaupt ist die Steuerung sehr intuitiv, wird durch viele Erklärungsfenster ergänzt und lässt keine Fragen offen.

Nach jeder Aktion wird die entsprechende Ortskarte getauscht. Dies geschieht manchmal zufällig und manchmal gezielt durch die jeweilige Handlung. So bewegt ihr euch quasi Zug um Zug durch die Spielwelt. Nicht selten müsst ihr in einer Mission auch mehrmals den gleichen Ort besuchen. Aus diesem Grund sind Ortskarten auch nicht limitiert, sondern wandern einfach wieder in das entsprechende Deck zurück. Ihr solltet euch daher gut merken, in welcher Art und Weise ihr an bestimmte Plätze gelangt, um zu vermeiden, länger im Kreis zu rennen. Das hat nämlich zumindest bei mir mitunter für Frustmomente gesorgt, weil es vor allem im späteren Verlauf mitunter nur vage Hinweise gibt, wie ihr denn eigentlich an euer Ziel gelangen sollt.
Die Ergebnisse aus der Kombination zweier Karten werden euch immer vorab offenbart.
 

Rundenkämpfe einmal anders

Die Anzahl der Gegner, die euch verfolgen und dann zufällig auf den Ortskarten platziert werden, ist dagegen am Anfang jedes Levels limitiert. Der Suchtrupp kann durch eure Aktionen, zum Beispiel offensichtlicher Diebstahl, aber auch erhöht werden, was euren Fortschritt erschwert. Zusätzlich lauern Banditen und Monster vordefiniert in manchen Gebieten, die eine weitere Gefahr darstellen. Kommt es zu einer Auseinandersetzung, ist der Kampf aber nicht die zwingende Konsequenz. Auch hier können Fähigkeiten und Ressourcen eingesetzt werden, um die Kontrahenten zu bestechen, aus dem Hinterhalt anzugreifen, zu bestehlen, zu betäuben und so weiter. Sollte es dennoch zu unerfreulichen Handgreiflichkeiten kommen, liegen sich eure Helden und jeweils ein Gegnertrupp gegenüber. Welcher Held sich mit welchen Gegnern messen muss, liegt in eurer Hand und lässt sich jederzeit ändern.

Die Karten selbst zeigen euch Lebenspunkte, Schaden und Spezialfähigkeiten. Das sollte eure Entscheidung diesbezüglich beeinflussen. Getötete Gegner hinterlassen neben Ressourcen auch Punkte für „Grauen“. Sollte einer eurer Helden keine Lebenspunkte mehr haben, ist das Spiel vorbei und ihr müsst die jeweilige Mission von vorn beginnen. Ein anderer taktischer Aspekt des Kampfes ist die Moral. Jeder Gegner hat eine bestimmte Anzahl an Punkten. Sinkt die Gesamtmoral auf Null, was möglich ist, da sich diese aus 50 Prozent der Summe der einzelnen Beteiligten errechnet, fliehen die restlichen Opponenten und verschaffen euch Punkte für „Ruhm“. Durch diese Vielzahl an Aktionsmöglichkeiten gestaltet sich jede Auseinandersetzung etwas anders, alles andere als eintönig und gibt viel Spielraum für Experimente.
Vor dem eigentlichen Kampf können Fertigkeiten und Ressourcen eingesetzt werden.
 

Eine wendungsreiche Story nach eurer Wahl

Entscheidungen spielen auch in einem weiteren Aspekt des Titels eine Rolle, nämlich in der Missionsauswahl. Fast immer gibt es mehrere Fortschrittsmöglichkeiten, aber alle haben Konsequenzen, denn sie korrelieren mit den Unheil-Ereigniskarten, also den Unglücken, die Volepain in seinen Visionen sieht. Manche davon können verhindert werden, andere wiederum nicht. Auf jeden Fall bleibt euch immer nur eine bestimmte Rundenanzahl, um ein Unglück abzuwenden. Schafft ihr dies, kann es unter Umständen aber dazu führen, dass ihr zum Beispiel andere Charaktere nicht trefft oder diese sterben.

Das ändert in den Details zum einen die Handlung und macht die Lösung mancher Missionen komplizierter. Durchaus existente Vor- und Nachteile für den Spielverlauf mal ignoriert, wird durch die Freiheit dieser Entscheidungen der Wiederspielwert ungemein erhöht. In den Missionen selbst stoßt ihr neben der Haupt-Quest auch immer wieder auf optionale Aufgaben, die ihr erfüllen könnt um euch gegebenenfalls weitere Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen oder Ressourcen zu verschaffen.
Bevorstehende Katastrophen beeinflussen eure Entscheidung bei der Missionswahl.
 

Liebevolle Präsentation

In der Präsentation ist die Möglichkeit für ein Kartenspiel, den Spieler visuell zu beeindrucken, natürlich relativ klein. Allerdings sind die Comic-Charaktere und Animationen der Karten beim Kampf so liebevoll gestaltet, dass ihr euch schnell in die Optik verlieben werdet. Die Soundkulisse ist auf demselben Niveau, denn im Hintergrund begleitet euch stets angenehm ruhige und heitere Musik, die die Stimmung des Spiels thematisch perfekt einfängt.

Ein englischer Sprecher kommentiert eure Handlungen und gezogene Karten in humorvoller Art und Weise. Natürlich wiederholen sich die Sätze hin und wieder, tragen aber viel zur Atmosphäre des Spiels bei. Die Gespräche von Figuren finden in sehr gut übersetzten Textfenstern statt und sind leider nicht vertont. Die Handlung wird an entscheidenden Stellen zwischen den Missionen teils in nicht wenig animierter Zeichentrickoptik, häufiger jedoch als Zeichnung erzählt.
Zwischensequenzen werden meist in Zeichnungen ohne Animation präsentiert.
 

Mein Fazit

Foretales hat mich mit seinem Spielprinzip sehr überrascht, oft zum Schmunzeln gebracht, mein Hirn mit taktischen Überlegungen gefordert und zugegebenermaßen auch mal kurz geärgert, wenn ich ein bestimmtes Missionsziel einfach nicht finden konnte. Aber in erster Linie hat es mich wirklich hervorragend unterhalten und ich empfinde nur Liebe für diesen in jedem Aspekt erstaunlich gut geschliffenen und polierten Indie-Diamanten. Natürlich dürft ihr keinen Klassiker für die Ewigkeit erwarten. Aber ich bin mir sicher, immer mal wieder einen Ausflug zurück nach Harde zu machen, um der tollen Musik zu lauschen und die vielen anderen Handlungswege, Aktionsmöglichkeiten und Nebenaufgaben zu erforschen.

Optimalerweise würde ich mir dann eine Tablet-Version wünschen, denn dafür wären sowohl Spiel als auch Interface wie geschaffen. Falls ihr nur ansatzweise Freude mit Kartenspielen habt, dann gebt diesem Werk auf jeden Fall eine Chance und ihr werdet es nicht bereuen.
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Bei solch einem klaren Kräfteverhältnis zu unseren Gunsten muss nicht lang verhandelt werden.
Timberwolf76 30. Oktober 2022 - 9:10 — vor 1 Jahr aktualisiert
floppi 24 Trolljäger - P - 52632 - 30. Oktober 2022 - 3:39 #

Das klingt super. Danke für den schönen Artikel. Schaue ich mir sicher näher an.

TheLastToKnow 30 Pro-Gamer - - 125254 - 30. Oktober 2022 - 8:32 #

Vielen Dank für den Artikel! Das könnte ein Spiel für mich sein. Dein Text hat auf jeden Fall Interesse bei mir geweckt. :)

Olphas 26 Spiele-Kenner - - 66900 - 30. Oktober 2022 - 9:33 #

Oh, das klingt interessant. Danke für den schönen Bericht. Hab ich mir mal auf die Wunschliste gepackt.

thoohl 20 Gold-Gamer - - 23469 - 30. Oktober 2022 - 10:40 #

Ich ebenso.

Faerwynn 20 Gold-Gamer - P - 20270 - 30. Oktober 2022 - 10:20 #

Das gefällt mir wirklich sehr, ich glaube das schau ich mir mal an.

Viktor Lustig 18 Doppel-Voter - - 9160 - 30. Oktober 2022 - 11:56 #

Danke für den schönen Artikel! Genau für solche Blicke über den "Mainstream"-Tellerrand bin ich gerne auf GG!

Ridger 22 Motivator - P - 34726 - 30. Oktober 2022 - 12:20 #

Interessant und gewunschlistet. :)

Zille 21 AAA-Gamer - - 26486 - 30. Oktober 2022 - 14:56 #

Oh super, das Spiel hatte ich schon auf meiner Liste. Toll, dass es dazu jetzt einen Check gibt!

TheLastToKnow 30 Pro-Gamer - - 125254 - 30. Oktober 2022 - 17:24 #

Eigentlich ist es ein User-Artikel. ;)

Zille 21 AAA-Gamer - - 26486 - 31. Oktober 2022 - 8:41 #

Stimmt, aber im Grunde läuft's für mich hier auf dasselbe hinaus ;-)

Flooraimer 15 Kenner - P - 3371 - 30. Oktober 2022 - 15:22 #

Danke für den User-Artikel. Sieht nach einem spannenden Titel aus :).

busfahrer 12 Trollwächter - 1048 - 30. Oktober 2022 - 19:12 #

Guter Artikel!

Zum Thema Tablet stimme ich Dir zu, das ist für Kartenspiele aller Art für mich auch immer die perfekte Plattform.

Was Du mal ausprobieren könntest: Auf dem Tablet die Steam Link App nutzen, damit dann das Spiel vom Rechner streamen und das Steam-Link-Touch-Interface dann auf "direct" umstellen. Damit hatte ich bei manchen Spielen schon Glück und ich konnte sie auf dem Tablet spielen, bei anderen hat der "direct" Mausmodus leider nicht funktioniert.

Timberwolf76 19 Megatalent - - 18025 - 30. Oktober 2022 - 19:21 #

Oh...kannte ich gar nicht. Probier ich mal aus. Danke für den Tipp!

busfahrer 12 Trollwächter - 1048 - 30. Oktober 2022 - 19:51 #

Gerne! Sag Bescheid obs geklappt hat, wäre evtl. sogar ein Kaufkriterium ;-)

Timberwolf76 19 Megatalent - - 18025 - 30. Oktober 2022 - 23:48 #

Wird leider nicht unterstützt wie es aussieht, d.h. es wird bzgl. Remote Play gleich ausgesiebt. Schade.

Vampiro Freier Redakteur - - 121613 - 31. Oktober 2022 - 9:13 #

Danke für den tollen Test! Das ging komischerwese komplett an mir vorbei. Macht einen richtig guten Eindruck. Erinnert mich vom Look her ein wenig an Robin Hood von Disney, also mit dem Fuchs :)

AlexCartman 20 Gold-Gamer - 22087 - 31. Oktober 2022 - 9:22 #

Kann man das mit den beiden „Voice of Cards“-Teilen vergleichen? Dieses hier scheint aber mehr in Richtung Roguelike als klassisches Rollenspiel mit Story zu gehen, oder?

Timberwolf76 19 Megatalent - - 18025 - 31. Oktober 2022 - 10:24 #

Ich kenne "Voice of Cards" leider nicht. Das war wie gesagt eine relativ neue Erfahrung für mich. Auch wenn die Summe der Einzelteile eher in Richtung "Rollenspiel" gehen würde ich von der Spielerfahrung viel mehr von einem "Adventure" sprechen. Roguelike sehe ich gar nicht. Die Nebencharaktere können nur durch den eingeschlagenen Story-Pfad sterben, nicht aber im Spiel selbst bzw. ist das dann wie Game-Over und die Mission wird neu gestartet. Hätte ich evtl. noch als Info mit einbauen können.

Labrador Nelson 31 Gamer-Veteran - P - 266509 - 31. Oktober 2022 - 19:51 #

Scheint ein schönes Spiel zu sein. Danke für den netten Artikel.

SupArai 25 Platin-Gamer - - 61473 - 2. November 2022 - 13:34 #

Danke für den Artikel zu Foretales. :-)

Liest sich interessant, wenngleich ich mir den Spielablauf nicht so recht vorzustellen vermag.

Pack' ich mir mal auf die Wunschliste.