Wenn Sid Meier sich an einem neuen Ableger der Civilization-Reihe versucht, kann das schon mal einige Zeit in Anspruch nehmen. Handelt es sich jedoch "nur" um einen Facebook-Ableger, stellt sich die Frage, ob sich die anderthalb Jahre Entwicklungszeit auch tatsächlich gelohnt haben. Unser User Imbazilla gibt euch eine Antwort darauf.
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Was die Facebook-Variante der altehrwürdigen Civilization-Serie bieten soll? Nicht weniger als "alles, was man an Civilization mag, in einer vollständig persistenten Welt." Das verspricht Designer-Legende Sid Meier seinen Anhängern für die neueste Variante seiner Erfolgsreihe, Civilization World. Und „World“ ist hier auch Programm: Keine Solo-Kampagne, kein Hot Seat, keine Rundenstrategie. Stattdessen kämpft man um die Weltherrschaft gegen, wie sollte es auch anders sein, die ganzen Welt – exklusiv auf Facebook. Und Schwarzseher haben es schon kommen sehen: Mit dem eigentlichen Civilization hat dieses Spiel nur noch wenig Ähnlichkeiten.
Städtebau für Dummies
Sobald man das Spiel auf Facebook aktiviert (dazu muss man der App den Zugriff auf persönliche Daten, Freunde, Pinnwandeinträge geben und ihr erlauben, Nachrichten und E-Mails zu senden), wird man einer Spielwelt zugeteilt, die 100 bis 200 Spieler enthält. Um mit einem Freund auf der gleichen Welt zu spielen, muss man ihn extra einladen, es gibt keine Möglichkeit, selbst ein Spiel auszuwählen.
Ist die Ladezeit erst mal überstanden (je nach Server heißt das bis zu einer Minute warten), kommt ein Tutorialfenster ins Bild, das die ersten Schritte erklärt. Auch wenn das Spielprinzip für fortgeschrittene Spieler selbsterklärend ist, zeigt das Tutorial in kurzer Zeit die nötigen Funktionen und belohnt den Spieler mit Ressourcen, Edelsteinen oder freigeschalteten Minispielen. Wirklich benötigt wird das Tutorial jedoch nicht, denn als Spieler ist es praktisch unmöglich etwas, falsch zu machen. Im Grunde kommt es nämlich nicht darauf an, was der Spieler baut, sondern darauf, wie viel er davon baut.
Die Bürger können als Farmer, Wissenschaftler, Arbeiter, Künstler oder Kaufleute eingestellt werden, jeder von ihnen produziert eine der fünf Ressourcen, die zum Bauen, Forschen oder Kaufen benötigt werden. Da die Produktion sehr langsam vorangeht, braucht man viel Zeit, um auf ein Gebäude zu sparen – beschleunigen kann man die Produktion mit bestimmten Gebäuden (zum Beispiel einer Bibliothek für Wissenschaftler) oder per „Ernte“-Knopf. Dieser ist jedoch nur alle 60 Minuten verfügbar, schneller arbeitet es sich mit dem ständigen Überwachen der Stadt, denn nach kurzer Zeit ploppen kleine Sprechblasen über den Bürgern auf, die per Klick aktiviert werden und dann kleine Mengen an Bonusressourcen liefern.
Insgesamt ist der Städtebau anspruchslos ausgefallen, besonders das langsame Spieltempo motiviert uns nicht, öfters im virtuellen Dörfchen vorbei zu schauen.
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Nachdem der Grundstein zu unserem Dorf gelegt wurde, können wir es nach Belieben ausbauen. |
Wissenschaft, Kultur und Minispiele
Außerhalb der Stadt habt ihr einiges zu tun: Ähnlich wie bei den großen Brüdern gibt es einiges zu erforschen, um neue Gebäude, Einheiten und Wunder freizuschalten. Die Technologien sind dabei an die Äras anpasst und voneinander abhängig, sodass zum Beispiel die Technologie Roboter Strom voraussetzt. Interessant sind auch Kampfboni, die neuartige Technologien mit sich bringen, beispielsweise Vorteile bei Kämpfen im Nebel.
Auch die Kultur wird nicht vernachlässigt, so ziehen besonders kulturell hervorstechende Siedlungen bedeutende Personen an, also Propheten, Maler oder Generäle. Diese kann man einsetzen, um Wunder zu bauen, die serientypisch besondere Boni mit sich bringen. Damit jedoch niemand seine Privatpyramide im Garten errichten kann, sind dafür mehrere Spieler in einer Zivilisation notwendig.
Viele haben schon geahnt, dass Civilization World der Casual-Welle auf Facebook folgen wird, und die Minispiele sind der beste Beweis dafür. Ein Puzzle, ein Labyrinth und ein Wegfindungsspiel sollen für Abwechslung sorgen und nebenbei das Ressourcenkonto auffrischen. Diese Spiele sind, zumindest für den Core Gamer, exakt so spannend, wie sie klingen. Nämlich gar nicht. Der Zusammenhang zwischen einem Murmellabyrinth und wissenschaftlicher Forschungsarbeit erschließt sich uns ebenfalls nicht.
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Die drei Minispiele im Überblick: Sie bringen, von links nach Rechts, Boni für Wissenschafts, Gold und Kultur. |
Weltkrieg nicht ohne, sondern mit Ende
Wirklich ungewöhnlich für ein solches Facebook-Spiel ist nur das Ende – beziehungsweise, dass es überhaupt eines gibt. Hierbei bleibt alles bei der altbewährten Formel der Civilization-Reihe: Der Sieg ist sowohl durch Wunder, Bau einer Weltraumbasis (früher: Raumschiff), Scheffeln eines bestimmten Goldbetrages als auch durch Eroberungen möglich.
Die Kämpfe sind der wohl spannendste Aspekt von Civilization World, auch wenn die Spieler bislang ziemlich kampfscheu zu sein scheinen. Die richtige Aufstellung der Truppen kann eine Schlacht entscheiden, ebenso das Schlachtfeld, die Wetterbedingungen und die Truppenmoral. Das Kampfmenü ähnelt dem Brett eines Sammelkarten-Spiels, auf dem die Truppen platziert werden. Wie in einem Kartenspiel wird hier, im Gegensatz zum Rest des Spieles, in Runden taktiert. Doch auch hier ist der größte Kritikpunkt die Langatmigkeit: Ein Kampf kann schon einmal mehrere Stunden dauern!
Gekämpft und gesiegt wird jedoch nicht als Einzelperson, sondern als Zivilisation, was dem Gildenprinzip ähnlicher Spiele gleicht. Auf insgesamt acht Zivilisationen können sich die Spieler frei verteilen, was Neueinsteiger sofort zum starken Fraktionsmitglied machen kann, allerdings auch schnell eine Fraktion übermächtig, wenn sich alle Spieler auf dieselbe Zivilisation stürzen. Meistens gibt es dann eine volle Zivilisation – und sieben mit ein bis zwei Spielern. Dies trägt nicht gerade zur Spannung beim Kampf um den Rundensieg bei. Vielmehr macht es Zivilisationskriege unnötig und selten. Spielerisch und grafisch gibt es zwischen den Zivilisationen übrigens keine Unterschiede.
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Der Kampfscreen ist eine der größten Stärken von Civilization World. Doch der Durchschnittsspieler wird ihn nie sehen. |
User-Fazit zu Civilization World
Während grafisch die Dorfumgebung durchaus nett anzusehen und die Sound- und Musikuntermalung schön anzuhören ist, bleibt Sid Meiers neuste Kreation spielerisch auf der Strecke. Die Einführung treibt den Spieler zu Leistungen an, die er später aufgrund des langsamen Spieltempos nicht nutzen kann. Der essentielle Städtebau ist so unspannend wie die Minispiele. Dass die Wahl der Zivilisation bereits darüber entscheidet, ob man auf der Gewinner- oder Verliererseite steht, macht das Investieren in Truppen unnötig. Der einzige Lichtblick sind die großen Zivilisationskriege, die jedoch nur selten auftreten -- im Gegensatz zu Fehlermeldungen, was jedoch noch dem Betazustand geschuldet ist.
Besonders schade ist allerdings der Verzicht auf Runden, wenn sowieso die Spielserver auf verhältnismäßig wenig Spieler beschränkt sind. Alles in allem bleibt Civilization World im weitem Mittelmaß der Aufbau-Browserspiele hängen, mittlerweile gibt es deutlich bessere Alternativen, die auch nicht auf Facebook oder übermäßige Premiumvorteile setzen. Klar, Einsteiger dürften ihren Spaß an Civilization World finden können. Für erfahrene Spieler aber bleibt nur die Frage: Was sind denn die Spielelemente in Civilization, die Sid Meier so an seiner Reihe mag? Wir können sie in Civilization World nicht erkennen.
Was sind denn die alternativen?
Ist anscheinend genau das geworden, was man auch erwarten musste, zusätzlich noch mit unverzeihlichen Designschnitzern (Balance der Zivilisationen, lange Kämpfe).
Brian Reynolds macht nach dem genialen Alpha Centauri oder Rise of Nations jetzt auch nur noch Browsergames bei Zynga, Peter Molyneux aktuell einen Kinect-Railshooter.
Schöne Aussichten.
vermutlich ist bei diesen Browsergames für den Einsatz an Ressourcen relativ viel Geld zu verdienen.
Ich habe das "Civilization World" auch angetestet. Das Spiel ist viel zu zäh, ich habe anders als bei den Civilization-Teilen kein Ziel vor Augen, sondern "baue" vor mich hin und sollte tagelang auf die Ressourcen warten (z.B. erhält man 4 Forschung/Stunde und braucht für die Freischaltung einfacher Technologien schon mehrere tausend Forschungspunkte). Die Idee, dass der Spieler durch das Überwachen seiner Figuren an Ressourcen kommt, mag für den Entwickler lohnend sein (die Wahrscheinlichkeit steigt, dass man im Itemshop etwas kauft), aber spielerisch ist es unpassend. Warum kann nicht eine oder zwei Runden pro Tag ablaufen?
Langweilig, seelenlos, Facebook. Gefällt mir NICHT
Meine schaurigen Erfahrungen werden also von der Allgemeinheit geteilt. Ich fand es echt gruselig. Vor allem den Gedanken, dass da einer meiner Spiel-Design-Legenden nicht nur vom Sockel gestürzt wird, sondern auch die Fratze des gnadenlosen Kommerzes angemalt bekommt.
An sich noch erträglich, wenn dabei was rauskäme. Aber scheinbar sind jede Lust an Innovation und Umsetzung eigener Design-Ideen total abhanden gekommen.
Um so wichtiger: Was sind denn die angesprochenen Alternativen? Gibt es Licht am Ende des Tunnels?
"Ich fand es echt gruselig. Vor allem den Gedanken, dass da einer meiner Spiel-Design-Legenden nicht nur vom Sockel gestürzt wird, sondern auch die Fratze des gnadenlosen Kommerzes angemalt bekommt."
Na, die Farbe ist doch schon längst abgeblättert. 2K hat den guten alten Sid ja schon angepinselt als sie "Rome" in "CivCity: Rome" umbenannt haben und auf der Verpackung den Eindruck erweckten das ganze sei auf Firaxis/Sids Mist gewachsen.
Da hast du wohl Recht.
Aber, ich weiß nicht wie es sich bei CivCity:Rome verhielt, fand ich es traurig wie er selbst immer wieder Dinge betont hat. Eine ganze neue Erfahrung des kooperativen Spielens per Browser werde das.
Das echte Civ-Gefühl sollte man spüren. Wie kann er da noch ruhig schlafen? :)
Natürlich weiß ich aber: Man wird nicht so ein erfolgreicher Entwickler ohne auch Gespür in den kaufmännischen Bereichen zu haben. Aber das ist eben doch recht abgebrüht. Andere Ziele als der Gewinn wurde hier ja wirklich nicht verfolgt.
(Vielleicht bin ich auch nur immer noch enttäuscht über Civ 5 und ärgere mich wieder sofort alle Versprechungen geglaubt zu haben)
Ich kann deine Enttäuschung sehr gut nachvollziehen. CivWorld ist wirklich langweilige, dümmliche Facebookspiel-Grütze. Ich selber war aber diesmal nicht enttäuscht. Warum? Weil man vorher etwas Gutes erwarten muss, um danach enttäuscht zu werden. Und angesichts der letzten Jahre habe ich ehrlich gesagt nichts mehr erwartet von Sid Meier.
Meiner Meinung nach liegen seine besten Designerjahre schon viele, viele Jahre zurück. Nichts gegen seine grossartigen Verdienste von früher (ich sach nur Civ, Silent Service, Pirates etc.) Welche grossartigen originellen und kreativen Ideen hat der Sid aber in den letzten 15 Jahren gehabt ausser steten Neuaufgüssen alter Spiele?
Und selsbt die werden schlechter (siehe Civ 5 im Vergleich zu Civ4).
Ob man dann vielleicht sogar sagen kann, Sid Meier dient wirklich nur noch als Markenzeichen, mit dem mitunter eben auch Schindluder getrieben wird?
Bei Civ4 und Civ5 war er ja auch nur noch "beratend" tätig.
Das ist die große 100Punkte Frage um deren Beantwortung sich selbst Sid drückt.
Mal schreibt er auf "Ask Sid" dass er nur noch an den wöchentlichen Teamsitzungen teilnimmt und die letzte Entscheidungsinstanz bei Streitfragen ist.
Mal sagt er in einem Interview er sei noch in alles direkt involviert.
Die Wahrheit kennt wohl niemand.
"Ask Sid" kannte ich noch gar nicht... danke!
Empfand das Spiel auch als große Enttäuschung, viel zu zäh, die so vielfach propagierte Zusammenarbeit fand nicht statt, trotz intensiver Bemühungen meinerseits. Die meisten Facebooknutzer besuchen wohl lieber nur ihre Nachbarn und mähen dort Gras anstatt zu chatten und sich taktisch abzusprechen. Habe es mehrere Runden probiert, vor kurzem erst nochmal aber es war keine Verbesserung erkennbar außer das die Server stabiler liefen.
Die Alternativen würden mich auch interessieren, und bitte nicht die stämme, travian und co nennen ;)
Sehr gut geschriebener User-Test, beschreibt schön die (wenigen) Stärken und (leider viel mehr) Schwächen des Spiels. Hat mich in der Entscheidung bestärkt, dieses Spiel möglichst zu ignorieren :)
Ach ja, wollte ich auch noch sagen: Super Test, Imbazilla. Du hast sehr schön den Kern herausgearbeitet, warum Civ World als Spiel so schlecht funktioniert.
"dazu muss man der App den Zugriff auf persönliche Daten, Freunde, Pinnwandeinträge geben und ihr erlauben, Nachrichten und E-Mails zu senden"
Warum zur Hölle sollte man so etwas tun? Ganz ernsthaft, ich verstehe es nicht, wer erlaubt so etwas einem Spiel bei seinem echten Account?