Am gestrigen 21. März 2015 fand in München eine Aufführung der Konzertserie Video Games Live statt, die seit 2002 existiert. Gespielt wird mit wechselnden Orchestern und Dirigenten, in München (sowie in zwei folgenden Konzerten, darunter in Berlin am 29. März) gab's gleich zwei Besonderheiten: Zum einen spielte das Prager Symphonieorchester, die auch schon mehrere der Video-Games-Live-CDs eingespielt hatten, zum anderen dirigierte Russell Brower. Die dritte Besonderheit war natürlich, dass ich unter den Zusehern war, zusammen mit über 2.000 anderen Spielemusik-Fans. Aber bescheiden, wie ich bin, stelle ich dieses wichtige Faktum natürlich nach hinten...
Aber zurück zu Russel Brower, hier im Foto schwer zu übersehen. Der ist Director of Audio bei Blizzard, hat aber auch früher schon für Novalogic an Spielen gearbeitet und vor allem an zig Fernsehserien und einigen Filmen; drei Emmy-Awards gehen auf sein Konto. Einige Stunden vor dem Konzert konnte ich ihn interviewen, und ich dachte, naja, machst du das halt mal, vielleicht ist es eine halbe News wert, aber es wurde dann tatsächlich zu einem der interessantesten Interviews, die ich seit längerem geführt habe. Also aus meiner Sicht, ihr könnt euch natürlich dann selbst euer Urteil bilden in Kürze.
Fast 2.400 Leute passen in den Gasteig, also die Symphoniehalle von München (die, aber das führt jetzt zu weit, zwei Weltklasse-Orchester beherbergt und deshalb nach dem Willen der münchnerischen und bayerischen Politik-Großkopferten wahlweise abgerissen, umgebaut, um eine zweite Symphoniehalle irgendwo anders ergänzt werden soll, aber das führt jetzt wirklich zu weit), und wie ihr hier sehen könnt, waren auch die meisten Plätze gefüllt.
Die Klientel entsprach nicht unbedingt dem klassischen Konzertpublikum (das in München immer sehr vornehm tut, sich in den kurzen Pausen zwischen Stücken aber gerne halb zu Tode röchelt und hustet, um dann am Ende selbst durchschnittlicher Darbietungen völlig aus sich herauszugehen und mindestens 24 Stunden lang am Stück zu klatschen und "Bravo" zu rufen. Kein Witz.). Vielmehr war es eine bunte Mischung aus, nun ja, ich schätze mal computerspieleinteressierten Menschen, die so ungefähr in der Hauptaltersspanne 30 bis 40 anzusiedeln war, aber mit Ausreißern in beide Richtungen.
Etwas Angst bekam ich nur, als einige Reihen vor mir ein Mensch mit blau-weißem Schlafanzug Platz nahm und von seiner Freundin eine Art Hasenkapuze gereicht bekam.
Das war Alexander Ophey, der den anfänglichen Cosplay-Wettbewerb (per freier Akklamation) gewann. Zusammen mit seiner Freundin stellt er Edna und Harvey aus Edna bricht aus dar. Ich fand ja einige andere Kostüme schöner, aber immerhin, so berichteten mir die beiden, ist alles wirklich selbstgemacht.
Die Dame rechts ist übrigens die Solistin des Konzerts, die noch einige Male in anderer Verpackung auf die Bühne kam, Jillian Aversa (die Dame hat natürlich eine Facebook-Seite).
Konzertunerfahrene Besucher mochten sich nach Einzug und Platznehmen des Prager Klangkörpers vielleicht fragen, wann es denn endlich losgeht. Aber da fehlt natürlich noch einer, und die Harfenistin strahlt auch schon erwartungsfroh, weil sie ihn erspäht hat...
Klar, der Dirigent, also Russell Brower, muss auch noch kommen. Wie üblich, legte er dann gleich los mit dem Orchester und gab eine sehr rockige Version der Castlevania-Titelmusik zum Besten.
... E-Gitarren-Spieler in den Vordergrund drängelte. Der ist aber eben auch der Erfinder und Veranstalter der Video Games Live, und wer Tommy Tallarico heißt, darf sich auch in den Vordergrund drängen und auf Einpeitscher machen. Und das machte er überzeugend mit allerlei Späßen und Suggestiv-Fragen wie "Findet ihr, dass Computerspielen gewalttätig macht?", mit erwartbarer Antwort des Publikums.
Tallarico hat in 21 Jahren in mehr als 275 Spieleproduktionen als Komponist mitgemacht, mir war er kein Begriff.
Bevor es dann mal so richtig losging, wurde noch der Konzertmeisterin die Hand geschüttelt, also der Ersten Violine. Also nicht dem Musikinstrument, wir Computerspieler sind ja nicht doof.
Auch noch erwähnenswert: In mehreren Kurzpausen zwischen den Stücken gab's Einspieler von Videospiel-Designergrößen wie Hideo Kojima sowie kurze, satirische "Versus-Battles"-Videos:
Sonic vs Pac-Man (Sonic schnappt natürlich in Rekordzeit alle Pillen)
Frogger vs. GTA (der GTA-Held ballert die Autos schlicht weg)
Mortal Kombat vs. Donkey Kong (der Affe wird sofort vom obersten Stockwerk heruntergezerrt und dann "hingerichtet"
R-Type vs. Space Invaders (das R-Type-Raumschiff räumt mal eben kurz die ganze Space-Invaders-Armada mit einem Breitschuss ab)
Contra vs. Duck Hunt (ihr könnt es euch vorstellen, oder? Am Ende war die Szenerie abgefackelt)
Ganz nett, wenn auch erwartbar: Die dickere Wumme gewann immer.
Nach Castlevania ging's weiter mit einem zunächst fast zarten (auch dank Solistin Aversa), dann brachialen God of War-Stück, einem Stück zu Metal Gear Solid 1 und 2, gefolgt von einem temporeichen Sonic The Hedgehog-Medley. Dann kam ein gravitätisch rasselndes League of Legends, gefolgt vom ersten Highlight...
Jillian Aversa stand in Prinzessinnen-Verkleidung auf der Bühne und bewies bei Zelda's Lullaby, dass sie nicht nur süß aussehen, sondern auch richtig gut singen kann. Lechzende Premium-Abonnenten bekommen übrigens einige Bonus-Bilder von ihr...
Übrigens zum Zweiten: Zelda's Lullaby ist ja eigentlich ein sehr braves Stück (ein Gutenacht-Lied, eben), wurde hier aber mit der Skyward Sword-Fassung kombiniert, bei der die Hauptmelodie rückwärts gespielt wird.
Ich hatte Russell Brower mittags beim Interview ein Foto vom Konzert versprochen und lief dann auch gleich mal nach vorne am Anfang, woraufhin sich eine Ordnerin auf mich stürzte, ich dürfe hier nicht fotografieren. Ich sagte ihr aber, dass ich das dürfe, und damit war alles gut. Am wenigsten klappt dieses "Doch, ich darf das" übrigens in den USA, tiefenpsychologische Begründungsansätze dafür könnt ihr gerne in die Comments packen.
Das Foto hier hat damit aber weniger zu tun, ich finde nur nett, wie der Dirigent genau in die Kamera zu schauen scheint, obwohl ich etwa 25 Meter entfernt auf meinem Platz saß dabei.
Beim Interview hatte Russell Brower gestanden, dass er sich am meisten auf seine beiden eigenen Stücke freue, wobei das hier gespielte Medley "Ten Years of World of Warcraft" nicht nur aus seinen Kompositionen bestand.
Dafür aber dann das zweite, namens "Magnificient Desolation" aus dem neuesten WoW-Addon Warlords of Draenor. Übrigens hat Russell richtig kluge und spannende Dinge erzählt im Interview, dies als kleine Werbeeinblendung meinerseits.
Angeblich wurde dieses Stück extra auf Wunsch der deutschen Besucherschar (die vorab auf Facebook Wünsche äußern konnte) ins Programm aufgenommen, was ich einfach mal glaube. The Secret of Monkey Island sah allerdings ein eher unterbeschäftigtes Orchester, denn auch wenn die "Strings" herzhaft an ihren Saiten zupften, wurde die karibische Melodie doch im Wesentlichen vom Keyboarder gespielt, und zwar ohne hinzuschauen mit seiner rechten Hand auf dem kleinen Begleit-Keyboard.
Zusammen mit Zelda's Lullaby war zu diesem Zeitpunkt der Applaus nach diesem Stück am größten. Doch noch lauter war erstaunlicherweise die Beifallsbekundung für das folgende Stück, die Tetris Opera. Dabei sangen Chor und Solistin auf Russisch.
In der folgenden 20-Minuten-Pause gab ich für ein Käsehäppchen und ein Lachshäppchen und 0,2 Liter Tonic Water mein theoretisches Tagesgehalt als Inhaber, Chefredakteur, Briefmarkenaufkleber und Spülmaschinen-Operator von GamersGlobal.de aus. Ich bekomme da gerade eine tolle Idee in Sachen Abnehme-Ratgeber, Arbeitstitel "Schlank werden in der Philharmonie".
Nach der Pause ging es mit einem wilden, rockigen Mega Man-Medley weiter, das mir gut gefallen hat. Die weiteren Stücke: Kingdom Hearts (eher Gähn, aber es wurde nicht wie sonst das oder die Spiele auf der Leinwand gezeigt, sondern Ausschnitte aus teils uralten Disney-Filmen) und eine phantastische Version der Shadow of the Colossus-Melodien.
Dann gab's einen der zahlreichen Einspieler mit den "10 schlimmsten Synchronisierungsleistungen" bei Spiele-Sprachaufnahmen, Sieger: Resident Evil auf Englisch.
Nach Final Fantasy 6 Opera kamen wir zu dem Stück, das ich insgesamt als meinen Favoriten dieses Abends bezeichnen würde.
Was auch immer der Chor da singt in der Titelmelodie von Skyrim, es klang zusammen mit dem Orchester wirklich sehr schön. Gut, ein größerer Chor hätte die Drachensprache noch voluminöser wiedergeben können, aber das war schon ganz fein, und passte auch gut zu den eingespielten Spielszenen.
Nicht so wahnsinnig begeistern konnte mich hingegen das rockige (ich schreibe immer "rockig", wenn entweder Schlagzeug oder E-Gitarre oder beide zu hören waren) Earthworm Jim-Medley, was aber auch daran liegen könnte, dass ich mit Earthworm Jim noch nie warm geworden bin.
Sehr drumlastig und, richtig geraten, demzufolge rockig war das Stück zu Street Fighter 2, bevor dann Final Fantasy 7 auf dem Programm stand, oder genauer das Stück "One-Winged Angel". Mit großer Inbrunst stieß der Chor immer und immer wieder den Namen Sepiroth aus. Was denn auch sonst?
Und das war der offizielle Schluss, Dirigent und Organisator verbeugten sich artig, das Orchester durfte mal schnell nach draußen, und dann gab's natürlich eine Zugabe.
Nett: Tommy T. ließ die Anwesenden mit den (ungefähren) Worten "Früher haben wir ja unsere Feuerzeuge hochgehalten, aber heute müssen es eben Gameboys oder Smartphones sein. Da hinten sehe ich noch nicht so viele Lichter, booten eure PSVitas noch?" für etwas Lichtstimmung sorgen.
Die erste Zugabe war Musik zu Chrono Trigger Chronicles, sie war passend episch. Und dann gab es noch...
eine instrumental eher unbedeutende, aber von Jillian Aversa nett-ironisch gesungene (und auch durch zum Beispiel genervte Blicke auf ihre imaginäre Armbanduhr untermalte) Fassung des Epilog-Songs von Portal.
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