Burtchen 14. September 2023 - 12:00 — vor 1 Woche aktualisiert
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Mit dem Tod von Kalliope fangen die großen Probleme für Grace an.
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Vom Zauber der Musik: Das interaktive Musical
Laufen, erkunden, reden – da fehlt doch noch ein Verb? Richtig, natürlich wird in Stray Gods gesungen. Schließlich möchte das Team mit dessen Werk ja ein ganz neues Genre begründen. Die Lieder haben dabei zumeist einen wesentlicheren Einfluss auf die Handlung als die regulären Dialoge und können dazu dienen, dramatischste Ereignisse herbeizuführen oder zu verhindern. Die Handlung beantwortet die „Warum singen die plötzlich?“-Frage damit, dass Kalliope bei ihrem Tod ihre Kräfte an Grace übertragen hat, womit diese andere zu einem Musik-Duell zwingen kann. Die Kräfte an sich reißen zu wollen, ist für Athene übrigens ein klares Mordmotiv.
In den Gesangspassagen kommt auch wieder die Mechanik der Gespräche zum Einsatz, allerdings deutlicher auf die drei Charakter-Attribute ausgerichtet und mit einem (abschaltbaren) Zeitlimit für die Entscheidungen. Die Musik selbst ist genau das, was nach dem Trailer zu erwarten war – gefällige Musical-Songs mit allen am Broadway erwarteten Formen: Solo-Passagen, Dialoge, Chor-Einlagen, fünf Reprisen der bereits etablierten Lieder. Wer nach dem Trailer keinen Gefallen an Stray Gods‘ Musik gefunden hat, wird das auch im Spiel nicht tun, wer grundsätzlich für die Art von Musik empfänglich ist, wird sich alsbald summend und rezitierend durch die Gegend bewegen. Als Komponist hat sich hier wieder Austin Wintory hervorgetan, der mit dem Soundtrack des Indie-Meilensteins Journey einen Grammy errang.
Leicht versteckt im Ladebildschirm gibt es zudem die Option, den aktuellen Fortschritt kapitelweise neu zu beginnen und so noch einmal sämtliche Entscheidungen neu zu überlegen sowie andere Achievements abzugreifen. Ich hätte mir allerdings insbesondere nach dem ersten Durchspielen auch eine prominente „Jukebox“-Schaltfläche im Hauptmenü gewünscht, um direkt die Songs zu erleben (natürlich gibt es je nach Edition separate Soundtracks.)
Die Musik-Einlagen sind die Highlights von Stray Gods, deren Schlagzahl ist aber weniger hoch als zunächst gedacht.
Viel Zwischenspiel
Und damit kommen wir zu meinem Hauptkritikpunkt an Stray Gods: Zu viel Text, zu wenig Musik. Mein erstes Durchspielen dauerte bei moderater Neugier auf nebensächliche Gesprächsfäden gut fünf Stunden, davon waren aber nur an die zwei Stunden Musik. Die Gespräche dazwischen sind souverän geschrieben, haben Humor, emotionale Tiefe, wirklich alle Checkboxen – aber sie sind mir dennoch entschieden zu lang. Stray Gods ist so leider eher ein Visual-Novel-Musical-Hybrid und wird auch dem Bühnenvorbild nicht ganz gerecht – denn in Musicals gibt es natürlich Dialoge, nur dienen diese eher dazu, narrativ den Bogen zum nächsten Titel vorzubereiten. Hätte Stray Gods wenigstens einen der zwei größeren – und per se unterhaltsamen! - Nebenfiguren-Handlungsstränge leichter zu umgehen gemacht und die Dialogregie etwas mehr die Peitsche geschwungen, wäre das Resultat ein dichteres Gesamtwerk gewesen, das auch näher am eigenen Anspruch liegt.
Das macht auch den löblich herausgearbeiteten Wiederspielwert etwas weniger attraktiv, denn die Kern-Spielmechanik zwischen diesen Entscheidungen ist eben das reine Abklappern der Dialoge, auch wenn sich diese natürlich zeilenweise überspringen lassen.
Die Untertitel lassen sich dabei auch auf Deutsch einstellen und geben die Stimmung und sprachliche Souveränität des Originals überzeugend wieder. Die Sprach- und Gesangsausgabe bleibt immer auf Englisch, eine sowohl aus finanziell als auch künstlerischen Gründen nachvollziehbare Entscheidung – Lyrik-Übersetzungen sind dazu verdammt, auf höchstem Niveau sprachliche Unterschiede zur Schau zu stellen; die werden gerade in einem Lied-Kontext nur allzu deutlich, wie unterschiedliche Silbenlängen (Opera/Oper, Cats/Katzen), Betonungen (Zeus, Calliope/Kalliope) und Eben-Nicht-Reime. Nichtsdestoweniger ergänzt Offizier Offensichtlich: Wen eine fehlende deutsche Vertonung stört, den wird sie auch nach Kenntnisnahme der Gründe weiterhin stören.
Autor: Christian Burtchen, Redaktion: Hagen Gehritz (GamersGlobal)
Meinung: Christian Burtchen
Ich habe selten ein Produkt erlebt, das in seiner Gänze so viel Liebe zum Werk, zum Quellenmaterial und zu den Charakteren ausstrahlt. Stray Gods ist insgesamt einfach ein rundes Spiel. Das verdient meine Anerkennung, ebenso wie der Mut, wirkliches Genre-Neuland zu betreten. Die wichtigste Frage auf meiner Seite des Bildschirms ist: Habe ich am Ende das Gefühl, hier wirklich ein interaktives Musical durchlebt zu haben, dessen Melodien und Inhalte ich noch weiter ungefragt in meinem sozialen Umfeld verbreiten werde? Ja, ja, ja! Das erreicht Stray Gods über eine tolle Ästhetik, geschliffene Dialoge und nicht zuletzt über seine Musik. Die eigentliche Krimi-Handlung hatte für mich einen plausiblen Ausgang mit genau der richtigen Menge an knossischem Plot-Labyrinth (auch wenn ab und an das Verhalten der Figuren nicht ganz plausibel erscheint). Es braucht für das Durchsteigen der Geschichte auch weder Insider-Wissen über griechische Mythologie noch akribisches Pixel-Hunting (wenngleich einige Eastereggs in der Spielwelt herumstreunern).
Dass die Zahl in der Nähe dieses Kastens trotzdem nicht höher klettert, liegt auch an meiner Erwartungshaltung; für mich stimmt das Text-zu-Musik-Verhältnis nicht ganz. Eine Produktion, die noch mehr Material auf dem digitalen Boden des Schnittraums hätte liegen lassen, wäre ohne Einbußen beim Wiederspielwert möglich und damit einem dichteren Erlebnis dienlich gewesen. Mit etwas Abstand folgen die kleineren technischen Mäkel, die sicherlich in künftigen Patches weiter behoben werden.
Für mich ist Stray Gods ein beeindruckendes Produkt, von dessen Machart ich mir mehr wünsche. Und wer Visual Novels sehr mag, kann gerne zur Note noch einen Punkt addieren.
STRAY GODS PC
Einstieg/Bedienung
Die wenigen erforderlichen Spielprinzipien werden direkt erklärt
Zahlreiche Accessibility-Einstellungen
Aufgeräumtes Interface
Jede Szene einzeln im Ladebildschirm erreichbar
Gelegentlich ästhetische Bugs im Interface
Spieltiefe/Balance
Nachvollziehbarer Einfluss der Entscheidungen auf die Handlung
Funktionsfähiges System an Mini-Elementen aus Rollenspiel und Adventure für Fortschritt
Durchweg souverän und unterhaltsam geschrieben
Gutes Gespür für Humor und auch für tragische Themen inklusive Inhaltswarnungen
Merkliche Entscheidungsfreiheit, die auch Wiederspielwert beisteuert
Erkennbare Liebe zu Mythologie & Musicals
Zu hoher Anteil reiner Dialoge
Nebenhandlungen ufern, bei allem Charme, etwas aus
Auch Dialogregie hätte Straffung gut getan
Überflüssige „Adventure“-Passagen
Grafik/Technik
Visuell sehr stilsicherer Umgang mit dem Comic-Look
Passende Lichtstimmung
Seltene kleine Fehler
Sound/Sprache
Soundtrack zum „Bravo!“-Rufen
Überwiegend sensationelle, mindestens sehr gute Sprechrollenbesetzung
Mir hat es sehr gut gefallen. Ich bin fasziniert davon, wie die Songs komponiert sind, um sich an den Dialogpfaden entlang entwickeln zu können. Austin Wintory hat auf Twitter dazu mal ein paar Flowcharts gezeigt, wie die einzelnen Songparts ineinandergreifen. Außerdem kann man Laura Bailey singen hören, was immer ein Plus ist. Überhaupt sind viele der namhaften Sprecher gute Sänger, auch wenn man bei einigen schon hört, dass das nicht unbedingt ihre normale Profession ist. Aber selbst bei jemandem wie Rahul Kohli, der Singen sicher nicht zu seinen größten Stärken zählt, passt das einfach auf die Rolle, die er spielt und ist in meinen Ohren super charmant.
Mich hat der Textanteil zwischen den Songs nicht gestört, weil die alle gut geschrieben und gesprochen sind und die Story auch tatsächlich interessant ist. Ich mag aber generell auch Visual Novels. Meine Note die ich hier auf GG gegeben habe, liegt tatsächlich wie von Christian hervorgesagt einen Punkt höher :)
Burtchen
Redakteur - P - 4894 - 14. September 2023 - 20:21 #
Freut mich sehr, dass es dir gefallen hat! Ich lese andere Presse- und User-Reviews nicht vor meinem Test (was in diesem Fall durchaus anstrengend war) - der Vollständigkeit halber möchte ich aus der eher kritischen Ecke mal dieses beisteuern: https://www.eurogamer.net/stray-gods-a-roleplaying-musical-review-greek-melodrama-fails-to-reach-lofty-expectations
Kern-Kritikpunkt dabei ist, dass die Änderungen *in* der Musik - so beeindruckend sie formal sein mögen - durch die Entscheidungen es deutlich erschweren, klassisch-eingängige Musical-Songs zu erzeugen (was ich primär auf den zu hohen Wort-Anteil geschoben hatte).
Danke für den schönen Test! Hatte noch nie was von dem Spiel gehört. Der Text von dir trifft aber sowas von meinen Geschmack, dass ich es mir jetzt gleich geholt hab :-)
Bisher isses ein Brett! Tolle Präsentation und tolle Atmosphäre. Erinnert irgendwie an eine Mischung aus Vampire: The Masquerade und The Wolf among us.
Q-Bert
24 Trolljäger - P - 52668 - 15. September 2023 - 0:20 #
Auch wenn der Testtext mal wieder burtchikos ausgefeilt ist: Selten zuvor hab ich mir einen Test+ mit Video (+Ton) mehr gewünscht als hier. Interessantes Konzept, vielleicht genau das Richtige für 1-2 Abende zu zweit :)
Interessantes Konzept welches mit Sicherheit seine Spielerschaft finden wird. Für mich persönlich ist es wohl eher nichts. Wenn in Film/Serie das gesinge losgeht mache ich in der Regel eine Hechtrolle zur Fernbedienung und drehe den Ton runter. In 90% der Fälle gar nicht meins.
Desotho
17 Shapeshifter - P - 8785 - 15. September 2023 - 11:55 #
Ich mag die Idee, aber von dem was ich gehört habe ist die Musik einfach nicht gut. Handwerklich sicher alles ok, aber nichts was sich für mich wirklich schön anhört.
Super geschriebener Test, aber ich stimme mit ein, dass ein Video hier wirklich viel Sinn ergeben hätte.
Und auch wenn ich mich jetzt als ahnungslos oute: Was ist ein "knossisches Plot-Labyrinth"?!?
Burtchen
Redakteur - P - 4894 - 21. September 2023 - 20:36 #
> Was ist ein "knossisches Plot-Labyrinth"?!?
Das ist der Versuch des Autors, eine minimale Anspielung auf griechische Mythologie reinzubringen. Ausformulierter wäre es: "Immerhin ist der Plot nicht so komplex wie das Labyrinth von Knossos" :-]
Viel Spaß mit dem Test von Christian!
Von den Bildern her hat es etwas von der Bildsprache von Satoshi Kon. Das ist jedenfalls nichts schlechtes.
Das war auch mein erster Gedanke. Der schönste Anime-Stil für mich.
Teil 2 dann mit Stücken von Susumu Hirasawa. =D
Auch von mir viel Spaß beim Lesen!
Danke für den Test - das kommt auf die Wunschliste (im oberen Bereich :).
Schöner Test, danke. Normalerweise schaue ich ja nicht in die Videos rein, aber hier hätte ich eine Ausnahme gemacht.
So ein Zufall - aber zumindest bei der Einleitung dachte ich das auch :-)
Das Spiel klingt sehr interessant - alleine weil es mal irgendwie ein neuer Mix ist.
Schaut gut aus, danke für den Test, ich werde es im Auge behalten. :)
Mir hat es sehr gut gefallen. Ich bin fasziniert davon, wie die Songs komponiert sind, um sich an den Dialogpfaden entlang entwickeln zu können. Austin Wintory hat auf Twitter dazu mal ein paar Flowcharts gezeigt, wie die einzelnen Songparts ineinandergreifen. Außerdem kann man Laura Bailey singen hören, was immer ein Plus ist. Überhaupt sind viele der namhaften Sprecher gute Sänger, auch wenn man bei einigen schon hört, dass das nicht unbedingt ihre normale Profession ist. Aber selbst bei jemandem wie Rahul Kohli, der Singen sicher nicht zu seinen größten Stärken zählt, passt das einfach auf die Rolle, die er spielt und ist in meinen Ohren super charmant.
Mich hat der Textanteil zwischen den Songs nicht gestört, weil die alle gut geschrieben und gesprochen sind und die Story auch tatsächlich interessant ist. Ich mag aber generell auch Visual Novels. Meine Note die ich hier auf GG gegeben habe, liegt tatsächlich wie von Christian hervorgesagt einen Punkt höher :)
Freut mich sehr, dass es dir gefallen hat! Ich lese andere Presse- und User-Reviews nicht vor meinem Test (was in diesem Fall durchaus anstrengend war) - der Vollständigkeit halber möchte ich aus der eher kritischen Ecke mal dieses beisteuern: https://www.eurogamer.net/stray-gods-a-roleplaying-musical-review-greek-melodrama-fails-to-reach-lofty-expectations
Kern-Kritikpunkt dabei ist, dass die Änderungen *in* der Musik - so beeindruckend sie formal sein mögen - durch die Entscheidungen es deutlich erschweren, klassisch-eingängige Musical-Songs zu erzeugen (was ich primär auf den zu hohen Wort-Anteil geschoben hatte).
Fand die Demo vor einiger Zeit schon sehr vielversprechend und steht seitdem auf der Wishlist. Danke für den Test!
Danke für den Test.
Nicht wirklich meine Sorte von Spiel.
Hab bisher noch gar nichts vom spiel gehört. danke für den test.
Ach das Spiel wo mal irgendwo präsentiert wurde im Sommer. Sehr cool. Vlt mal reinschauen
Danke für den schönen Test! Hatte noch nie was von dem Spiel gehört. Der Text von dir trifft aber sowas von meinen Geschmack, dass ich es mir jetzt gleich geholt hab :-)
Ich packs mal auf die Wishlist. Ich befürchte das der Titel im übervollen Spielejahr untergehen wird.
Auch das ein Grund, warum ich es mir kürzer und dichter gewünscht hätte
Ja das hätte dem Spiel gut getan.
Bisher isses ein Brett! Tolle Präsentation und tolle Atmosphäre. Erinnert irgendwie an eine Mischung aus Vampire: The Masquerade und The Wolf among us.
Auch wenn der Testtext mal wieder burtchikos ausgefeilt ist: Selten zuvor hab ich mir einen Test+ mit Video (+Ton) mehr gewünscht als hier. Interessantes Konzept, vielleicht genau das Richtige für 1-2 Abende zu zweit :)
Danke, wieder was für den pile. ;)
Interessantes Konzept welches mit Sicherheit seine Spielerschaft finden wird. Für mich persönlich ist es wohl eher nichts. Wenn in Film/Serie das gesinge losgeht mache ich in der Regel eine Hechtrolle zur Fernbedienung und drehe den Ton runter. In 90% der Fälle gar nicht meins.
Ich mag die Idee, aber von dem was ich gehört habe ist die Musik einfach nicht gut. Handwerklich sicher alles ok, aber nichts was sich für mich wirklich schön anhört.
Liest sich durchaus interessant, aber mit Musicals kann ich nichts anfangen.
Ich war beim Thema Musik auch raus. :)
Endlich wird auch mal die Musical Peer-Group bedient.
Nix für mich, aber viel Spaß damit ^^
Du Minderheit! ;-)
Super geschriebener Test, aber ich stimme mit ein, dass ein Video hier wirklich viel Sinn ergeben hätte.
Und auch wenn ich mich jetzt als ahnungslos oute: Was ist ein "knossisches Plot-Labyrinth"?!?
> Was ist ein "knossisches Plot-Labyrinth"?!?
Das ist der Versuch des Autors, eine minimale Anspielung auf griechische Mythologie reinzubringen. Ausformulierter wäre es: "Immerhin ist der Plot nicht so komplex wie das Labyrinth von Knossos" :-]
Jetzt verstehe ich, danke. :D
Das werde ich mir wohl mal angucken