Technisch legt Dontnod klar zu. Nur von einer feineren Mimik der Charaktere hätte das storylastige Abenteuer noch mehr profitiert.

 

Sprechertext zu Life is Strange 2 - Episode 1 - Roads

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Hallo liebe Spielefreunde, mein Name ist Benjamin Braun und ich begrüße euch herzlich zum GamersGlobal-Test zu Life is Strange 2, dem neuen Adventure von Dontnod Entertainment. Konkret geht es im Folgenden um die Episode Roads, die den Auftakt zum fünfteiligen Abenteuer bildet. Das Spielkonzept ist dem der vorherigen Staffel grundsätzlich sehr ähnlich, ihr trefft in Dialogen und anderen Situationen also immer wieder auch Entscheidungen, die den Verlauf der Handlung beeinflussen.

Max Caufield aus Staffel 1 von Life is Strange spielt im zweiten Teil keine Rolle mehr. Stattdessen begleitet ihr den 16-jährigen Schüler Sean Diaz, der gemeinsam mit seinem aus Mexiko stammenden Vater und seinem kleinen Bruder Daniel in einem Vorort von Seattle wohnt. Eigentlich will er sich nur auf eine Party mit seinen Freunden und seiner Flamme Jenn vorbereiten, ein tragisches Ereignis aber verändert sein Leben radikal. In dessen Folge muss er gemeinsam mit Daniel aus der Stadt flüchten und in seine neue Rolle als dessen Beschützer hineinwachsen. Dabei werden die beiden auch immer wieder mit Rassismus konfrontiert, wobei Dontnod auch Trumps Mauer an der US-Grenze zu Mexiko thematisiert.

Ein übernatürliches Element spielt auch in der Handlung von Life is Strange 2 eine Rolle. Es hat aber nichts mit der Zeitmanipulation aus Staffel 1 zu tun und wenigstens bislang auch spielerisch keine Bedeutung. Viel zentraler für die Handlung ist aber ohnehin die Entwicklung der Beziehung der beiden Jungs zueinander, die sich ohne große Vorräte durch die Wildnis schlagen müssen. Sean und Daniel lieben sich zwar, aber wie das unter Brüdern manchmal eben so ist, streiten sie  normalerweise häufig miteinander, müssen sich in der neuen Situation aber zusammenraufen.

Dontnod gelingt es dabei ziemlich gut, die Beweggründe und Emotionen von Sean auf mich zu übertragen. Ich kann Daniel zurechtweisen und klarstellen, dass ich als älterer Bruder das Sagen habe. Genauso gut aber kann ich ihm aber auch Dinge über die Natur erklären oder ihm beibringen, wie man einen flachen Stein so auf eine Wasserfläche wirft, dass er darauf mehrfach aufspringt. Ermutigt ihr ihn dazu, es weiter zu probieren oder gebt ihr Daniel – wenigstens in dieser Situation – auf? Life is Strange 2 konfrontiert euch immer wieder mit solchen Situationen.

Während ihr euch als Erzieher versucht, spielt häufig auch eine moralische Komponente eine Rolle. Lasst ihr euch in eurer Not etwa dazu hinreißen, Daniel zum Klauen zu animieren oder bringt ihr ihm bei, wie man sich richtig verhält? Noch wirken sich diese und andere Entscheidungen im Spiel nur selten stärker auf den Verlauf der Handlung aus. Sie führen allerdings durchaus zu anderen Voraussetzungen, die eure Entscheidungsfindung beeinflussen. Gebt ihr etwa im Prologkapitel in einer Situation eine ehrliche Antwort, tragt ihr später mehr Bargeld bei euch und könnt im Laden etwas zum Essen kaufen.

Wie stark sich letztlich Entscheidungen in den beziehungsweise auf die kommenden vier Episoden auswirken, bleibt abzuwarten. Gerade die größeren Entscheidungssituationen, bei denen ihr aus bis zu drei Alternativen wählt, könnten sehr spannend werden. Denn dabei geht es auch mal darum, ob ihr Gewalt anwendet oder einfach nur das Weite sucht. Wie aber bei den Episoden-Adventures von Telltale Games solltet ihr euch keine zu großen Hoffnungen darauf machen, dass ihr in völlig alternativen Spielszenen landet.

Sprachausgabe gibt es nur auf Englisch, aber für alle Dialoge und Bildschirmtexte optionale deutsche Untertitel.

Aber wo ich schon beim Telltale-Verleich bin: Die Auftaktepisode von Life is Strange 2 spielt sich  im Kern ähnlich linear wie ein The Walking Dead, ihr habt aber erheblich mehr Optionen, die Umgebung zu erkunden. Ob oder mit welchen NPCs ihr sprecht, ob ihr euch an einer Tankstelle mit  einem Spielautomaten beschäftigt, diverse Plakate und Sonstiges untersucht oder an entsprechenden Orten hinhockt, um eine Zeichnung in Seans Skizzenbuch anzufertigen, das alles sind Dinge, die euch im Spiel freistehen. Verzichten solltet ihr darauf allerdings nicht. Gerade im Prolog erfahrt ihr in Seans Kommentaren immer wieder interessante Infos über ihn und seine Familie.

Aufgrund der zahlreichen optionalen Möglichkeiten kann die Spielzeit der Auftaktfolge stark variieren. Schaffen kann man „Roads“ wahrscheinlich auch in etwa zwei Stunden, bei mir waren es am Ende dreieinhalb. Von Rätseln werdet ihr dabei einmal mehr nicht aufgehalten. Euer aktuelles Ziel könnt ihr in Seans Rucksack-Menü zudem jederzeit einsehen. Nach relativ kurzer Zeit gibt er euch  zusätzliche Hinweise, also etwa, wo er eine gesuchte Decke in seinem Elternhaus findet.

Die Dialoge kommen auch in der deutschen Fassung von Life is Strange 2 ausschließlich in englischer Sprache vor, die dafür jedoch mit durchweg sehr guten Sprechern daherkommt. Die deutsche Textübersetzung ist in Ordnung, zeigt aber immer wieder auch Besonderheiten, die an die Ergebnisse des Google-Übersetzers erinnern.

Aus technischer Sicht hat sich im Vergleich zur ersten Staffel erwartungsgemäß einiges getan, statt der Unreal Engine 3 kommt nun schließlich aktuelle 4er-Version zum Einsatz. Es gibt zwar immer noch ab und zu kleinere Texturnachlader, aber ansonsten legt Life is Strange 2 in allen Belangen teils deutlich zu, egal ob bei Texturen oder Effekten. Bei den Animationen, gerade in Bezug auf die Mimik, wäre aber sicherlich noch etwas mehr drin gewesen. Nicht so schön ist zudem, dass die Steuerung die bekannte Macke zeigt, dass Interaktionspunkte in manchen Fällen nur schlecht anvisiert werden können.

Und damit möchte ich zu meinem persönlichen Fazit kommen. An die erste Staffel von Life is Strange habe ich noch viele gute Erinnerungen, auch wenn ich finde, dass sie in ihrer Ganzheit oft ein bisschen überschätzt wird. Von daher waren meine Erwartungen zwar hoch, uferten aber auch nicht in Richtung irgendwelcher Meilenstein-Hoffnungen aus. Mir hat der Auftakt jedenfalls sehr gut gefallen. Hier und dort darf man die Logik der Geschichte sicherlich nicht zu sehr hinterfragen, aber ich bin mit Sean als neuer Hauptfigur ziemlich schnell warm geworden und finde, dass sich die Beziehung zu seinem Bruder sehr glaubwürdig entwickelt.

Besonders gut gefällt mir, dass es so viel Raum zum Erkunden gibt sowie viele kleinere und größere Entscheidungen, durch die ich mich richtig gut in die Rolle von Sean einfühlen kann. Dass die Spielmechanik abseits dessen eher mau ist, während Max immerhin hier und dort ihre übernatürliche Fähigkeit in rätselartiger Form nutzen musste, stört mich aufgrund der dichten Atmosphäre nicht. Noch weiß ich nicht, wie stark sich meine Entscheidungen wirklich auf den Verlauf oder den Ausgang der Geschichte auswirken. Aber wer weiß, vielleicht ist Life is Strange 2 am Ende ja das erste Adventure dieser Art, das mit wirklich weitreichenden Konsequenzen aufwartet.

Ich bin jedenfalls sehr gespannt darauf, wie es mit Sean und Daniel weitergeht. Für mich ist Episode 1 ein Grundstein, der nahelegt, dass Dontnod die Qualität der ersten Staffel halten oder  sich am Ende womöglich sogar im Vergleich dazu steigern können wird. Meine Wertungstendenz nach Episode 1 ist eine 8.

Die Story hat kleine Logikschwächen, die Inszenierung seltene Anschlussfehler. Das tut der Atmosphäre aber keinen Abbruch.