Kommt ein schwuler Killer zum Floristen

Essays on Empathy Test

Thomas Schmitz 20. Mai 2021 - 12:54 — vor 2 Jahren aktualisiert
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In Behind Every Great One spielt ihr die depressive Ehefrau eines egozentrischen Künstlers.
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Triggerwarnungen inklusive

Fast alle Spiele sind mit Triggerwarnungen versehen. Die sind mal ernstgemeint, beispielsweise wenn es um Alkoholismus, Depression, Selbstmord, Online-Hass oder sexuellen Druck geht. Manche sind aber mit einem Augenzwinkern zu verstehen, beispielsweise die Warnung vor einem Killer-Soundtrack oder vor richtig schlechten Witzen.
 
Nur zwei Spiele in der Sammlung sind nicht bei einem der Ludum-Dare-Wettbewerbe entstanden. The Bookshelf Limbo stammt aus dem Februar 2020 und war ein Geburtstagsgeschenk für einen befreundeten Künstler. In dem Titel macht ihr nicht mehr, als Bücher in einem Buchladen anzuschauen, Online-Kommentare und Klappentexte zu studieren und dann eines als Geburtstagsgeschenk für den eigenen Vater auszuwählen, der offenbar nicht immer nett zu eurer Spielfigur war.
In De Tres Al Cuarto erzählt ihr Gags mithilfe eines Kartendecks. 
 

Gute Witze, schlechte Witze

Neun der zehn Titel könntet ihr auch kostenlos auf der itch.io-Seite des Entwicklers herunterladen, doch ein Spiel ist exklusiv als Teil von Essays on Empathy erhältlich: De Tres al Cuarto geht mit einer Spielzeit von 60 bis 90 Minuten am ehesten in Richtung vollständiges Spiel. Darin verkörpert ihr ein schwules Comedy-Duo, das zwei Wochen lang auf der Insel Menorca vor Publikum auftritt. Die Shows selbst funktionieren über ein Kartenspiel, bei dem ihr einen Gag aufbauen, eine gute oder eine schlechte Pointe setzen könnt oder einfach gar nichts sagt. Für jeden Gag gibt es Inspirationpunkte. Die können eingesetzt werden, um das Kartendeck nach und nach zu verbessern. Doch auch hier ist die Hintergrundgeschichte viel zentraler für die Spielerfahrung. Darin erlebt ihr in Szenen mit, was nach den Auftritten zwischen den beiden Männern passiert. Hier taucht ihr als Spieler in die Gedankenwelt der Figuren ein. Vorbild dafür war das erzählerisch ausgefallene wie starke Rollenspiel Disco Elysium.
 
Entstanden ist De Tres al Cuarto im Herbst 2020 in einer Phase tiefster Depression der drei Deconstructeam-Mitglieder, weil die Arbeit am aktuellen Spiel den drei spanischen Entwicklern so zugesetzt hat, dass sie Abstand vom Projekt brauchten. Die Entwicklung dieses in Sachen Spielzeit längsten Titels der Sammlung bezeichnen die drei als therapeutische Erfahrung. Bleibt zu hoffen, dass sie Kraft sammeln konnten, dass das nächste richtige Spiel bald fertig ist. Auf das bin ich schon gespannt - und das nicht nur, um zu schauen, welche Ideen aus dieser Sammlung darin implementiert werden.
 
Autor: Thomas Schmitz, Redaktion: Hagen Gehritz (GamersGlobal)
 

Meinung: Thomas Schmitz

Ich mochte The Red Strings Club, das ich für GamersGlobal vor knapp dreieinhalb Jahren testen durfte, wirklich sehr. Das lag vor allen Dingen an der gelungenen Atmosphäre, dem großartigen Soundtrack und den philosophischen Exkursen, die herausragten und so manches nervige Minispiel ertragbar machten. Doch in Essays on Empathy gibt es kein verbindendes Element, die zehn Titel müssen jeder für sich bestehen – und das scheitert.
 
Die drei Entwickler von Deconstructeam haben tolle Ideen, sie haben das Herz am rechten Fleck und versuchen mit ihren Spielen nicht einfach nur zu unterhalten, sondern auch ernsthafte Inhalte zu vermitteln. Das ist großartig, so soll es sein. Doch die zehn Essays wirken im Großen und Ganzen nur wie Fingerübungen.
 
Das ist dem Umstand geschuldet, dass die meisten Spiele bei Game Jams entstanden sind. In 72 Stunden ist es einfach nicht möglich, ein komplettes "großes" Spiel zu entwickeln. Stattdessen kann nur eine Idee rudimentär ausgearbeitet und umgesetzt werden. Unter dieser Prämisse sind die meisten der zehn Titel sogar gut gelungen.
 
Im Idealfall übernimmt Deconstructeam einige dieser Kurzspiele und packt sie in richtige Games, so wie das bei The Red Strings Club mit dem Töpfern oder dem Stimmenmodulator passiert ist. Selbst Grafiken und Handlungselemente aus einigen Titeln tauchten im 2018er-Werk eins zu eins auf.
 
Essays on Empathy bietet vor allem Mehrwert für Fans des Entwicklers. Auch wenn es abgedroschen ist: Wer die Spiele von Deconstructeam mag oder wer sich ein Bild davon machen möchte, wie sich ein Indie-Studio über die Jahre hinweg weiterentwickelt hat, darf auf die Note gerne noch mal ein bis zwei Punkte addieren und einen Blick riskieren.

Für den Otto-Normal-Spieler dürfte diese Sammlung aber insgesamt zu wenig bieten. Da wartet ihr lieber auf das nächste richtige Spiel des Studios – und vielleicht trifft man dann das ein oder andere Element aus dieser Compilation wieder.
 
ESSAYS ON EMPATHY PC
Einstieg/Bedienung
  • Im Regelfall Standardbedienung
  • Spiele meist selbsterklärend
  • Wenig Erklärungen zur Bedienung
  • Manche Titel steuern sich etwas umständlich
  • Nur wenig Hintergrundinformationen zu den einzelnen Titeln
Spieltiefe/Balance
  • Erzählerisch wertvolle, ausgefallene Storys
  • Oft ernsthafter Hintergrund
  • Große Abwechslung und spielerische Überraschungen
  • Auswirkungen teils unvorhersehbar
  • Bonus-Videos über die Entwickler und die Entstehungsgeschichte der Spiele 
  • Kein verbindendes Element, die zehn Spiele der Sammlung stehen jedes für sich
  • Underground Hangovers ist teils sehr schwer
  • Titel sind alle sehr kurz
  • Nicht alle Spiele sind gelungen
  • Großteil der Spiele sind Game-Jam-Projekte, die auch kostenlos spielbar sind
Grafik/Technik
  • Pixelgrafik gefällt den einen...
  • Titel laufen auch auf alten Systemen
  • ...und missfällt den anderen
  • The Bookshelf Limbo nicht im Vollbild spielbar
  • Alle Spiele müssen manuell in den Vollbildmodus übertragen werden (per Alt-Enter)
  • Kollisionsabfrage in Dear Substance of Kin nicht gelungen
Sound/Sprache
  • Großartige Musikuntermalung
  • Sprachausgabe in Dear Substance of Kin
  • Soundtrack auch als MP3 verfügbar
  • Nicht immer perfektes Englisch
  • Keine deutsche Übersetzung
  • Sehr seltene Vertipper
  • Nur ein Spiel mit Sprachausgabe
Multiplayer

nicht vorhanden
6.0
Userwertung0.0
Mikrotransaktionen
Hardware-Info
Minimum: Win 7, Pentium D 915 mit 2,8 GHz / Athlon 64 4000+ mit 2,6 GHz, 1 GB RAM, 4 GB HDD.
 
Eingabegeräte
  • Maus/Tastatur
  • Gamepad
  • Lenkrad
  • Anderes
Virtual Reality
  • Oculus Rift
  • HTC Vive
  • Playstation VR
  • Anderes
Kopierschutz
  • Steam
  • Kopierschutzlose GoG-Version
  • Epic Games Store
  • uPlay
  • Origin
  • Hersteller-Kontoanbindung
  • Ständige Internetverbindung
  • Internetverbindung beim Start

 
Thomas Schmitz 20. Mai 2021 - 12:54 — vor 2 Jahren aktualisiert
Hagen Gehritz Redakteur - P - 171904 - 20. Mai 2021 - 11:53 #

Viel Spaß mit dem Test!

DerBesserwisser 17 Shapeshifter - P - 7860 - 20. Mai 2021 - 13:33 #

Vielen Dank für den Test eines etwas abseitigen Titels, war sehr interessant zu lesen.

Jürgen (unregistriert) 20. Mai 2021 - 13:42 #

Sehr spannender Test, vielen Dank.

Hannes Herrmann Community-Moderator - P - 42902 - 20. Mai 2021 - 17:38 #

Danke für den Test. Ich lebe meine Empathie dann doch lieber in Mortal Kombat 11 aus.

Noodles 26 Spiele-Kenner - P - 75006 - 20. Mai 2021 - 18:13 #

Von mir auch ein Danke für den Test. :) Ich hab von dem Entwickler nur Red Strings Club gespielt, das hat mir gut gefallen. Schade, dass sie in das Paket einfach nur die Game-Jam-Versionen gepackt haben, die man auch (bis auf das eine Exklusiv-Spiel) kostenlos spielen kann. Hätten sie an den Spielen noch was gemacht, hätte ich mir einen Kauf überlegt. Die Doku-Videos interessieren mich zu wenig für den Preis.

PraetorCreech 18 Doppel-Voter - P - 12880 - 20. Mai 2021 - 19:54 #

Vielen Dank für den Test.
Ich muss schon sagen, mich reizt der Titel irgendwie doch. Die kleinen Spielehappen, die zusammen mit den Videos mit dem "was soll das bedeuten" Erklärflair klingen interessant. Das ist kein Kinoabend mit Popcorn und Megaaction, das ist ein Sofaabend daheim mit Earl Grey und ZDFDoku.
Beides ist super, wenn man in der richtigen Stimmung ist. Für Essays on Empathy werde ich sicher irgendwann demnächst in der richtigen Stimmung sein.

StefanH 26 Spiele-Kenner - - 65051 - 20. Mai 2021 - 19:54 #

Danke für den Test! Das Konzept finde ich schon interessant, aber leider beschreibt Thomas genau das, was ich befürchtet hatte. Es ist alles zu kurz gekommen, da es ja nur 72 Stunden pro Spiel gab... Aber vielleicht machen sie ja wirklich mehr aus den Einzelteilen wie in Red Strings Club? Hoffen würde ich es ja :)

Ganon 27 Spiele-Experte - - 83744 - 20. Mai 2021 - 21:34 #

Interessant, was Thomas da wieder ausgegraben hat. Zumindest die Intention, gewisse Themen in Spiele zu verpacken, gefällt mir, das Ergebnis spricht mich aber leider nicht so an.
Dennoch danke für den aufschlussreichen Test.

Thomas Schmitz Freier Redakteur - P - 14352 - 20. Mai 2021 - 22:33 #

Ich gebe zu: Gegraben hat Hagen.

Q-Bert 25 Platin-Gamer - P - 56324 - 20. Mai 2021 - 23:24 #

Oh Mann, als bekennender Indie-Kuschler und Pixelgrafikfetischist müsste ich frohlocken, aber hier reizt mich irgendwie gar nix. Obwohl das Teaserbild durchaus nett aussieht.

Aber schön, dass es den Test hier gibt. Solche und ähnliche Projekte bekommen leider viel zu wenig Aufmerksamkeit und gehen neben den Valhallas und Cyberpunks (50 Stunden? Eher das Dreifache...) mächtig unter. Wenn es ein paar Gamer anspricht, dann hat es sich schon gelohnt, darüber zu schreiben.

euph 30 Pro-Gamer - P - 129971 - 21. Mai 2021 - 6:03 #

Interessanter Test, ich finde solche Aktionen immer ganz spannend und bin überrascht, was da in kurzer Zeit herauskommt. Klar, dass das in der Regel dann keine 9.0-Granaten werden können. Aber gerade das Stand-Up-Spiel hört sich interessant an.

Labrador Nelson 31 Gamer-Veteran - P - 265167 - 25. Mai 2021 - 12:39 #

Interessanter Einblick und eine erfrischend andere Herangehensweise. Hatte Spaß beim Lesen.