Alan Wake 2 Test+

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Fest mit einem Nachfolger rechnen durften die Fans von Alan Wake keineswegs, denn das im Mai 2010 zunächst exklusiv für Xbox 360 veröffentlichte Action-Adventure blieb, zumindest bei den Verkaufszahlen, deutlich hinter den Erwartungen zurück. Spätestens seit Dezember 2021 aber war klar, dass die Geschichte des namensgebenden Autors mit Alan Wake 2 fortgesetzt werden wird. Die ausführliche Präsentation während der Gamescom 2023 hinterließ nicht nur bei mir einen äußerst vielversprechenden Eindruck, nun aber geht es mit der finalen Version ans Eingemachte.

Macht Alan Wake 2 nur die Fans glücklich oder reicht es sogar für eine allgemeine Empfehlung? Enttäuscht das Spiel womöglich gerade jene, die den Vorgänger, respektive die (gewiss nicht perfekte) Remastered-Version von vor zwei Jahren so sehr mochten wie ich? Diese Zeilen sowie das oben eingebettete 4K-Testvideo verraten euch, ob sich die Anschaffung lohnt. ich spielte dabei die PS5-Fassung im Qualitäts-Modus.

Als FBI-Agentin erstellt Saga Falltafeln, nutzt aber auch eher übernatürliche Profiling-Künste, um Ereignisse zu rekonstruieren. Das geschieht in ihrem "Gedankenraum", in den ihr quasi nahtlos per Knopfdruck wechselt.

Spannend, verworren, bisweilen göttlich absurd

Ganze 13 Jahre steckt der Autor Alan Wake nun am "Dunklen Ort" fest, den er selbst irgendwo tief unter dem Cauldron Lake im US-Bundesstaat Washington verortet. Dort war er einst gemeinsam mit seiner Frau Alice hingereist, da ihn eine schwere Schreibblockade plagte (nun, tatsächlich war es etwas mehr als das). In Alan Wake 2 kehrt ihr nun zum Cauldron Lake, zum nahegelegenen Fischerdorf Bright Falls und zu einigen anderen Schauplätzen zurück, die schon im ersten Teil eine wichtige Rolle spielten. Allerdings dauert es eine ganze Weile (mindestens 60, eher 90 bis 120 Minuten), bis ihr erneut in die Rolle des namensgebenden Autors schlüpft. Stattdessen macht ihr Bekanntschaft mit Saga Anderson, einer FBI-Agentin, die einen rätselhaften Mord am Cauldron Lake aufklären soll. Offenbar ist ein Kult dafür verantwortlich, der dem Opfer das Herz rausschnitt und seinen Brustkorb mit den Seiten eines Manuskripts füllte. Dieses Manuskript allerdings ist hier keine reine Fiktion, sondern besitzt offenbar die Macht, die Realität zu beeinflussen, womit auch die wesentliche Gemeinsamkeit zum ersten Alan Wake geklärt wäre.

Die Geschichte, bei der Alan und Saga nicht nur durch besagten Roman eine fast schon mythische Verbindung zueinander haben, lebt dabei weniger von ihrer ausgefeilten Dramaturgie. Wäre auch seltsam, da ihr später die Kapitel von Saga und Alan in mehr oder weniger beliebiger Reihenfolge absolvieren könnt. Die verworrene Story ist allerdings durchweg spannend und spart einmal mehr nicht an bisweilen absurden Elementen, während Realität und Fiktion immer stärker ineinander verfließen.

 

Sam Lake lieh Max Payne in dessen erstem Abenteuer sein Gesicht.

Erinnert ihr euch noch an das Bosskampf-artige Heavy-Metal-Konzert im ersten Teil? Etwas Ähnliches (nicht in spielerischer Hinsicht!) gibt es hier ebenfalls. Ihr lernt ein finnisches Brüder-Duo (gespielt von Aaron Eckhart) kennen, das in witzigen TV-Werbespots für Bier, Kaffee und anderes auftritt und einen Freizeitpark betreibt. Natürlich gibt es auch ein Wiedersehen mit Tor und Odin, den beiden Altrockern aus dem Vorgänger. Autor Sam Lake ist ebenfalls als wichtiger Nebencharakter mit an Bord, stellt seine (gar nicht so schlechten) Tanzkünste unter Beweis und dass er auch mehr als 20 Jahre nach dem Launch noch das Max Payne-Gesicht beherrscht wie kein anderer.

Vor allem aber unterstreicht Lake sein Können als Autor, gerade auch in Bezug darauf, wie er hier einmal mehr die Welten von Alan Wake und Control (im Test: Note 8.5) verbindet. Dazu sei nur gesagt, es geht deutlich über bloße Erwähnungen des Federal Bureau of Control hinaus. Eines steht jedenfalls fest: Wenn ihr den bisherigen Remedy-Spielen erzählerisch und atmosphärisch etwas abgewinnen konntet, dann fällt Alan Wake 2 definitiv genau in euer Beuteschema.

Die Kämpfe funktionieren im Wesentlichen noch genauso wie in Teil 1. Allerdings steckt in Alan Wake 2 nicht hinter jedem "Schatten" ein echter Gegner. Vor allem aber ist die insgesamt deutlich reduzierte Balleraction schwieriger, gerade in den Bossfights.

Die Detektivin und der Autor

Während Alan Wake 2 erzählerisch mehr oder weniger in dieselbe Kerbe schlägt, verändert sich auf der spielerischen Seite so einiges. Das Versprechen, dass euch nicht wie im Vorgänger ein Action-Spiel, sondern vielmehr ein Survival-Horror-Titel erwartet, halten die Finnen dabei aber nur zum Teil. Die Gegner vertragen gerade am Anfang zwar so einige Treffer und es kann zwar zweifellos eine gewisse Knappheit an Ressourcen entstehen, wenn ihr die vielen optionalen Kisten, Schubladen und Co. nicht nach Munition, Heilmitteln und Co. durchsucht. Tut ihr das allerdings, wird es trotz begrenztem Inventar nie total knapp. Selbst ein an Resident Evil erinnerndes System, durch das die Behältnisse auch mal leer bleiben, wenn ihr noch massig Kram habt, greift nur begrenzt. Zum Gruselfaktor: Man kann durchaus zusammenzucken, wenn angespannte Stille damit endet, dass ein Gegner durch die Wand bricht, um euch anzugreifen. Oder wenn im Zuge von Story-Abschnitten Visionen von Gesichtern begleitet mit Soundeffekten einen Sekundenbruchteil auf dem Bildschirm aufblitzen.

Ebenfalls letztlich nur geringfügige Auswirkungen auf das Gameplay haben die neuen Rollenspiel-Elemente wie etwa die "Worte der Macht", mit denen Alan in seinen Passagen Perk-artige Vorteile freischaltet. Oder die in Lunch-Boxen gefundenen Manuskript-Schnipsel von Saga, die für sie eine Art Währung darstellen, die sie in Waffenaufwertungen investiert. Das Arsenal der beiden unterscheidet sich dabei: Nur Saga kann eine Armbrust entdecken, kriegt aber nie die Signalpistole von Alan in die Finger.

Dafür allerdings gibt es eine ganze Reihe anderer neuer Gameplay-Features, durch die sich Alan Wake 2 ganz anders anfühlt. Eben auch, weil sie im Vergleich zu den Action-Abschnitten mehr im Rampenlicht stehen. Auch diese neuen Features unterscheiden sich zwischen den beiden Charakteren. Saga legt als FBI-Agentin zum Beispiel recht klassisch Ermittler-Falltafeln an. Ihr packt Hinweise (Zeugenaussagen, Bildhinweise und anderes) also auf eine Tafel, verbindet diese miteinander (mit roten Fäden, natürlich) und zieht Schlüsse. Fehler machen könnt ihr dabei nicht. Wollt ihr einen Hinweis an einer ungeeigneten Stelle platzieren, merkt Saga an, dass das falsch sei oder macht eine Mischung aus Schnalz- und Klicklauten, bei denen sich wohl nicht nur bei mir die Zehennägel hochbiegen.

Aber auch, wenn das bis hierhin vielleicht anders klingt: dieses Ermittlersystem gefiel mir mit steigender Spielzeit immer besser. Nur am Anfang fand ich es fast schon zu zentral und bisweilen sogar als Hemmschuh. Grund dafür ist, dass ihr für diese Deduction Boards fließend in Sagas "Gedankenraum" wechselt (wobei das Spiel nicht pausiert wird, also Vorsicht, wenn Feinde in der Nähe sind!), in dem ihr auch Zugriff auf alle gesammelten Manuskriptseiten, TV-Sendungen und so weiter habt. Neben den Falltafeln führt ihr dort auch immer wieder verpflichtend Profiling-Prozesse durch, ohne die ihr an bestimmte Infos nicht kommen würdet. Am Anfang bezeichnet Saga dies als Technik, um sich in Verdächtige, Zeugen oder Opfer hineinzuversetzen, das ist aber offenbar nicht im übertragenen Sinn gemeint. Es handelt sich eher um ein übernatürliches Element, denn die geisterhafte Vision der im Profiling "befragten" Person verrät Saga zum Beispiel auch Dinge, von denen sie im Rahmen der bisherigen Detektivarbeit noch nie gehört hat.

Bei Alan gibt es mit dessen Schreibstube auf dem Dachboden der Hütte am Cauldron Lake ebenfalls ein Gegenstück zu Sagas "Gedankenraum". Ihr stellt aber dort keine Fallakten zusammen. Alan legt lediglich Informationen über die betretenen Schauplätze ab, sowie die "Ideen", die er über in der Welt abgerufene Echos erhält. Er stößt zum Beispiel auf den Fall eines vermissten Polizisten oder auf einen Mörderkult. Die Schauplätze und Ideen, die innerhalb einer rein fiktiven Roman-Welt existieren, kombiniert ihr dann ebenfalls auf einer Tafel miteinander. Ihr schreibt dabei sozusagen in Echtzeit die Szene um, woraufhin sich diese vor euren Augen verändert. Dadurch entstehen neue Durchgänge, die sonst nicht da wären. Türen öffnen sich, wo sie sonst verschlossen sind (ihr müsst allerdings auch immer wieder klassisch Schlüssel sammeln, um verriegelte Durchgänge zu öffnen).

In ähnlicher Weise verändern kann Alan die Umgebungen im "Dark Place" auch mithilfe seiner Angel Lamp. Damit könnt ihr an bestimmten Stellen Licht abzapfen und an anderer Stelle einsetzen. Und im Lichtschein verändert sich ebenfalls die Umgebung. Bis zu vier Lichtquellen auf einmal saugt ihr in die Lampe, was ihr teils auch braucht, um zum Beispiel im ersten Abschnitt überhaupt Zugang in eine U-Bahn-Station in der "Dark Place"-Version von New York zu erlangen. Zuerst muss der Eingang erleuchtet sein, im nächsten Schritt der Ticket-Automat, damit ihr zu den Gleisen gelangt. Das klingt übrigens alles komplizierter, als es ist. Die Lösung ergibt sich bei den Lichtern weitgehend von selbst. Beim Umschreiben der Locations wiederum beschreiben die stets per Knopfdruck abrufbaren aktuellen Ziele meist ziemlich genau, in welchem Raum ihre nun welche Änderung vornehmen müsst. Selbstläufer wäre zu viel gesagt, aber große Steine werden euch hier nicht in den Spielfluss-Weg geräumt.

In den Abschnitten mit Alan nutzt ihr zwei Elemente, um die Umgebungen zu verändern und so etwa Durchgänge zu schaffen, die sonst nicht da wären. Das geschieht zum einem mit der Angel Lamp. Ihr sammelt aber auch Ideen und schreibt damit die Szene quasi in Echtzeit um, hier vom Zustand "Vor Ritual" zu "Verflucht".

Weniger, aber kniffligere Kämpfe

Es mag mich zum Teil meine Erinnerung trügen, obgleich ich die Remastered-Version von Alan Wake (im Test) erst vor knapp zwei Jahren zuletzt gespielt habe. Aber selbst auf der höchsten Schwierigkeitsstufe war der erste Teil nicht so schwer in den Kämpfen (!), wie es Alan Wake 2 zumindest in manchen Situationen schon auf normal ist. Feindliche Treffer hauen mich jedenfalls schneller um. Das Timing, um wie im Vorgänger mit Druck auf L1 gerade so am Angriff des Gegners vorbei zu taumeln, ist weniger großzügig. Heilen dauert länger und ist umständlicher. Immerhin: Abhängig von den Dingen im Inventar, eröffnen sich besondere Optionen. Werde ich auf den Boden geschleudert, zünde ich etwa auf Knopfdruck noch im Dreck eine Leuchtfackel, was die wieder gegen Licht empfindlichen Feinde zurücktreibt. Aber es wird weniger in den normalen Kämpfen eng, selbst wenn die gegen vier oder fünf Feinde auf einmal zweifellos anspruchsvoller sind als in Teil 1. Denn Kämpfe gibt es insgesamt deutlich seltener. Bei Saga gibt es sie generell wenig, Alan trifft im "Dark Place" zwar regelmäßig auf Schatten. Hinter den wenigsten davon stecken aber "echte Gegner". An den meisten könnt ihr also einfach vorbeilaufen oder sie nur mit Einsatz des Taschenlampenstrahls verschwinden lassen. Standard-Feinde müsst ihr wie im Vorgänger zunächst mit einem konzentrierten Strahl der Taschenlampe weichkochen, damit sich ihr Schutzschild aus Dunkelheit auflöst. Sie besitzen nun zudem rot leuchtende Dunkelheitsrisse. Zerstört ihr die mit wenigen Treffern, reduziert das ihre Gesundheit schonmal ein ganzes Stück.

In einem normalen Kampf zu sterben, ist mir zwar auch ein paar Mal passiert, was ärgerlich sein kann. Denn die Checkpoints folgen manchmal kurz aufeinander, wenn ihr Pech habt liegt der letzte aber mehrere Minuten zurück, weshalb manuelles Speichern in den beleuchteten Saverooms wichtig wird. Richtig nervig sind in Alan Wake 2 jedoch ein paar der Bossfights. Wer die Remedy-Spiele kennt, der wird wissen, was es bedeutet, wenn ich sage: Ein paar der Bosse in Alan Wake 2 unterbieten selbst den grausigen Endbosskampf in Quantum Break. Dazu gehört etwa ein Jäger-Duo, bei dem ich den Schüssen des einen Gegners anhand des Klickens seines Gewehrs ausweichen muss, während ich Flecken aus Dunkelheit mit Licht zerstöre (auch zu sehen im Testvideo).  Das macht das Spiel nicht kaputt, zumal ich mich nicht gescheut hätte, auf den Story-Schwierigkeitsgrad runterzuschalten, wenn es mir zu blöd geworden wäre. Aber dass Remedy in den Kämpfen allgemein mal eine durchweg gute Balance oder auch ein richtig gutes Bosskampf-Design im Besonderen hinkriegt, darauf muss ich auch nach Alan Wake 2 noch weiter warten.

Autor: Benjamin Braun, Redaktion: Hagen Gehritz (GamersGlobal)