Wie Housemarque sich neu erfand

Making of: Returnal Report

Hagen Gehritz 7. April 2022 - 10:00 — vor 2 Jahren aktualisiert
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Die Chaser waren die ersten entworfenen Gegner für grundlegende Tests der Spielmechanik. Sie dienten auch als Versuchstiere für Lichteffekte, KI-Skripts, Angriffsmuster und mehr.
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Mittendrin statt nur dabei

Nicht nur die Suche nach einem befriedigenden Moment-zu-Moment-Gameplay war iterativ geprägt. In vielen anderen Bereichen taten sich ebenfalls Probleme auf, für die in parallelen Experimentierphasen nach Lösungen gesucht wurde. Während die grundlegende Steuerung inklusive Greifhaken-Mechanik und Nahkampf-Manöver recht schnell befriedigend funktionierte, war unklar, ob es freies Zielen oder eine Aufschalt-Funktion geben sollte. Der Nachteil beim freien Zielen war, dass es einen Teil der Aufmerksamkeit beanspruchte und man leicht versehentlich in Abgründen landete. Auch war es ärgerlich, wenn die Munition für den starken alternativen Feuermodus einer Waffe selten war und dann ein Schuss danebenging. Das Team entschied sich letztlich gegen die Aufschalt-Alternative, da sich die Kämpfe ohne die eigene Zielleistung mechanischer und distanzierter anfühlten. Dafür brauchen alternative Feuermodi im fertigen Spiel keine Munition, sondern sind nach einem Cooldown wieder verfügbar.

Eine wichtige Herausforderung für das Team war es, die Spieler aktiv in Räume hineinzuziehen. Für das gewünschte Arcade-Action-Gefühl müssen die Spieler mitten im Getümmel stecken, daher darf es keine valide Strategie sein, Risiko zu vermeiden, indem man sich vortastet und die Gegner bereits an der Tür eines Raumes stehend aufs Korn nimmt. Auch hier wurde die letztendliche Lösung nach einigen fehlgeschlagenen Experimenten gefunden. Viele Gegner spawnen in Returnal erst, nachdem Selene ein Stück in den Raum läuft. Elemente wie Feinde heilende Türme und Schilde, die nur im Nahkampf zerstörbar sind, verhindern allzu stumpfes Weglaufen vor den Gegnern im Rückwärtsgang. Allgemein sollte das Zufallselement in Returnal die grundlegende Erlernung der Mechanik und Improvisation fördern, anstatt das Auswendiglernen von Gegnermustern. Dafür musste aber auch das Spawn-System zuverlässig interessante Begegnungen schaffen, egal, durch welche Tür Selene den Raum dank der Auswürflung der Level-Anordnung betritt. Allgemein spricht Krueger jedoch wenig über die Herausforderungen des Zufallsfaktors für das Roguelite.

Stück für Stück fügten sich so die Puzzlestücke durch Fortschritte in den Problemzonen zusammen. Es gab jedoch auch zweifelnde Stimmen aus dem Team, ob am Ende auch alle Teile zusammenpasssen würden oder die bunte Action sich nicht doch zu sehr mit der düsteren Stimmung beißt, zumal das Technikgerüst der Unreal Engine 4 lange Probleme machte. Housemarque musste sich zunächst in die Engine einarbeiten und erlitt einige Rückschläge, weil Butterfly-Effekte scheinbar kleiner Änderungen nicht vorhergesehen wurden. Das führte auch dazu, dass die Performance die Hälfte der Entwicklungszeit nahezu an Unspielbarkeit grenzte.
Aus den Chasern entwickelte sich im fertigen Spiel der Gegnertyp der Kerberon.
 

Der Abgrund ruft

Auch bei der Story wirkte Krueger federführend mit. Die Grundidee war schnell gefunden: Eine Raumfahrerin legt auf einem fernen Planeten voller schrecklicher Kreaturen eine Bruchlandung hin, doch als sie von den Monstern getötet wird, erwacht sie wieder im Moment des Absturzes und der Planet hat sich verändert. Auch stand fest, dass die Hauptfigur nicht nur Überreste einer antiken Zivilisation findet, sondern auch mit der eigenen Vergangenheit konfrontiert wird – so findet Heldin Selene auf dem düsteren Planeten Atropos ihr Wohnhaus und andere Relikte ihrer Vergangenheit. Um allen Beteiligten die Vision für Returnal zu vermitteln, wurde für interne Zwecke ein Trailer erstellt, der Grundidee und Stimmung vorstellte. Aus diesem entwickelte sich der schlussendliche Ankündigungstrailer.

Damit die Geschichte auch nach den Credits noch Rätsel aufgibt, wurde sie gemäß des Mottos “das Mysterium ist spannender als die Antwort” bewusst offen angelegt und lässt verschiedene Interpretationen zu, selbst nachdem man alle Protokolle früherer Inkarnationen von Selene gefunden und alle Enden freigespielt hat. Selbst intern wollte Krueger eine definitive Interpretation der Handlung vermeiden, weil diese Vorstellung des Teams sich sonst indirekt niedergeschlagen hätte.

Drei große Einflüsse stecken in der Erzählung: der kosmische Horror von H.P. Lovecraft, die Horror-Elemente in David Lynch-Filmen und persönliche Erfahrungen Kruegers. Zu Beginn der Produktion war er gerade zum zweiten Mal Vater geworden und wollte gleichermaßen seine ganze Energie in Returnal stecken, als auch die ganze Zeit bei seiner Familie sein. Er habe in seinem Wunsch, an zwei Orten zugleich zu sein, regelrecht eine Obsession mit dem Thema Zeit entwickelt. Eine Zeitschleifen-Geschichte ergab sich aus dem Gedanken, dass die Gefangenschaft im immer wieder gleichen Moment die größtmögliche Ironie für einen Menschen mit einer Zeitbesessenheit sei.
Entwürfe für das Charakter-Design von Protagonistin Selene pendelten zunächst zwischen unbedarfter Entdeckerin und taffer Action-Heldin. Der Entwurf rechts floss maßgeblich in die finale Gestaltung der Spielfigur ein.
 

Wer ist Selene?

Selenes Besessenheiten wiederum wurden für Krueger der Ankerpunkt, um sich seiner Heldin verbunden zu fühlen, und er unterstreicht, wie positiv sich das auf den Schreibprozess auswirkte. Ein weiterer subjektiver Einfluss seinerseits war die Faszination mit dem psychologischen Phänomen “Call of the Void”. Das beschreibt die innere Stimme, die einem beim Blick vom Balkon oder am Rande einer Schlucht einflüstert, wie es wohl wäre, hinunterzuspringen. Daher folgt Selene aus eigenem Antrieb dem mysteriösen Signal zum Planeten Atropos und gewisse Interaktionen wie das Anheften von Parasiten für neue Boni und Mali sollen die selbstzerstörerischen Neigungen der Hauptfigur symbolisieren.

Es gab viele Konzepte für das Design der Heldin. Erste Entwürfe folgten dem Archetyp der verträumten Entdeckerin. Da Selene allerdings auf Gameplay-Ebene kompetent die Feinde zerlegt, wurden auch ihre Raumanzug-Designs härter. Das Pendel schwang ins andere Extrem, sodass sie zu sehr wie ein Space Marine wirkte. Es folgten viele weitere verworfene Konzepte, aber es festigte sich das Bild, dass Selene nicht typische Actionheldin-Eigenschaften tragen sollte, sondern sich als Avatar des Spielers in einem Roguelite vor allem durch Hartnäckigkeit auszeichnet; den Willen, auch nach unzähligen Fehlschlägen wie Sisyphos den Stein wieder auf den Berg zu rollen (während für den Spieler der Spaß am Gunplay der Grund für immer neue Anläufe ist). Als schließlich der Art Director zum Team stieß, entwarf der noch am ersten Tag ein Design, das für das Team die richtige Balance traf und  zu großen Teilen in den Raumanzug einfloss, den Selene nun im Spiel und auf dem Cover trägt.
NPCs in Returnal? Dieses auch in Kruegers "Cyber Kingdom"-Pitch enthaltene Element schaffte es nicht in die finale Version.
Hagen Gehritz Redakteur - P - 175271 - 6. April 2022 - 16:49 #

Viel Spaß beim Lesen!

Golmo (unregistriert) 7. April 2022 - 10:13 #

Mit Returnal konnte ich nichts anfangen, war für mich eine Enttäuschung und mit seinem Anfangs Preis (rund 80 Euro) viel zu teuer für das abgelieferte Spiel.

Mike H. 15 Kenner - 3076 - 7. April 2022 - 11:15 #

Und für mich war es fantastisch und definitiv das beste Spiel 2021! Gunplay, Bewegungsgefühl und Balancing der Waffen waren einfach überragend. Natürlich ist der Schwierigkeitsgrad enorm hoch, aber da selbst ich es mit meinen 53 Jahren zu einer Platin-Trophäe gebracht habe, braucht mir niemand zu erzählen, das Ganze sei unspielbar.

Ich bereue jedenfalls keinen Cent.

euph 30 Pro-Gamer - P - 130157 - 7. April 2022 - 11:23 #

Ich habe es zwar nicht platiniert, aber trotzdem gerne gespielt. Ja, man muss sich reinfuchsen, es ist teilweise hart und frustrierend. Aber es sieht sehr gut aus und spielt sich sehr gut. Einzig das Ding mit der fehlenden Speicherfunktion war blöd, ist jetzt aber ja gefixt.

Deepstar 16 Übertalent - 4928 - 8. April 2022 - 15:30 #

Ich weiß nicht "enorm hoch" trifft auf Returnal gar nicht so zu.

Was mir so im Coop aufgefallen ist... viele Spieler versuchen die Gebiete so schnell wie möglich zu machen, Hauptsache so schnell wie möglich zum Boss -> Ein großer Fehler. Ich finde man sollte sich vornehmen immer JEDEN Raum eines Bioms zu betreten. Da findet man im Allgemeinen immer etwas, was einen weiterbringt.

Obolit für die Silphium-Phiole würde ich auch immer mitnehmen.
Natürlich ist da immer ein bisschen Glück dabei, hatte jetzt vor kurzem auch meinen 150 Sekunden Zyklus, weil die erste Geheimtür mich kurzerhand zu ein Duell gegen einen Mini-Boss schickte. Passiert.
Aber in den meisten Fällen gibt es ja wirklich was nützliches. Immer nach Datenwürfeln ausschau halten, wenn man etwas Äther gesammelt hat, auch regelmäßig den Obelisken am Start füttern, damit neue Gegenstände in den Pool sind.

Dazu entwickelt man halt im Laufe der Zeit so seine bevorzugte Waffe heraus, wo es ja manchmal sogar sinnvoll ist eine schwächere Waffe zu behalten anstatt direkt die bessere Version zu nutzen. Ich habe beispielsweise den Großteil von Biom 3 mit einer Level 12 Fauldrüsen-Lobber gespielt, obwohl ich hätte auch eine Level 15 Schrotflinte hätte nehmen können, die grundsätzlich mehr Schaden machte.

Bei Parasiten muss man halt auch schauen was man nimmt... gibt ein Parasit mehr Waffenschaden und hat als Negativeffekt weniger Schutz oder Leistung? Mitnehmen. Artefakte wie Phantomgliedmaße sind dazu eh No-Brainer. Bekommt man in Bosskämpfen sogar Lebensenergie zurück, nur weil man ihn ab und an trifft.

Jeder Durchlauf wo man irgendwas neues dauerhaftes freischaltet wie eine neue Waffenfähigkeit etc. ist immer ein guter Durchlauf. Selbst wenn man gar nicht so weit kommt.
Dazu ja wohl ab Version 2.0 ohnehin ein paar Vereinfachungen, gibt ja auch Artefakte oder Boni die dann direkt mal über mehrere Zyklen hinweg gelten. Beispielsweise in den nächsten 5 Zyklen direkt vom Start weg 10% mehr Waffenschaden, einen Obolit-Bonus etc..
Auch wenn ich die gefühl habe, dass dies vor allem den Anfang des Spiels für Leute attraktiver machen soll. Seit ich den ersten Boss besiegt habe, habe ich sowas nur noch ganz selten gefunden. Im zweiten Akt gar nicht mehr.

1000dinge 17 Shapeshifter - P - 8818 - 7. April 2022 - 10:37 #

Reizt mich extrem, aber mir fehlen die Skills um auch nur den ersten Boss zu schaffen. Ich hoffe ich kann es mir irgendwann mal leihen oder super günstig schießen. Denn anschauen will ich mir das unbedingt mal.

Deepstar 16 Übertalent - 4928 - 8. April 2022 - 15:11 #

Also da ich das gerade erstmals spiele...

Der erste Boss war bisher der schwerste ^^. Und habe jetzt bis auf den letzten Boss alle gesehen.

Aber um sich diesen zu vereinfachen: Gehe in den Nahkampf mit der Klinge.
Phrike hat nämlich das Problem, seine Attacken treffen den Spieler nicht, wenn man quasi unter ihm steht und ihn mit der Klinge bearbeitet. Da muss man eigentlich nur kurz einmal den Schub weg machen, wenn Phrike seine Nahkampfattacke macht... aber um den Rest muss man sich nicht kümmern.

1000dinge 17 Shapeshifter - P - 8818 - 8. April 2022 - 21:06 #

Das ist ein wertvoller Tipp. Danke dir. Ich will es mir unbedingt irgendwann anschauen.

Herb THE berT 10 Kommunikator - 484 - 7. April 2022 - 11:23 #

ein schöner Beitrag. ich lese gerne so eine Entwicklung von einem Spiel

Sokar 24 Trolljäger - - 48144 - 7. April 2022 - 11:47 #

Finde ich eigentlich interessant, aber Shooter auf der Konsole gehen für mich gar nicht. Wenn es in 2-3 Jahren vielleicht auf den PC kommt werde ich einen Blick riskieren ;)

Jamison Wolf 19 Megatalent - P - 14082 - 7. April 2022 - 13:24 #

Schöner Artikel, Klasse Spiel. Einzige Titel den ich je Platiniert habe und das noch zu Zeiten wo man einen Run nicht abbrechen durfte. Ich glaube das muss ich mal wieder Spielen.

Labrador Nelson 31 Gamer-Veteran - P - 266655 - 7. April 2022 - 16:14 #

Schöner Bericht. Danke für die Zusammenfassung. Ich konnte Returnal nur kurz spielen, fand es fantastisch, sicher auch Spiel-des-Jahres-verdächtig. Ich bin sowieso ein großer Fan von Housemarque und gönne ihnen diesen Erfolg nach ihrer Arcade-Sinnkrise. Bin seit The Reap ein Anhänger ihrer Spiele. Ich hoffe sehr, dass Sony sich einen Ruck gibt und Returnal bald für PC ankündigt. Mit den dann möglichen Effekten in 4K und HDR + RT wirds ein Mordsspaß! :)

Epic Fail X 18 Doppel-Voter - P - 10464 - 7. April 2022 - 16:59 #

Toller Bericht!
Ich hoffe ganz feste, dass es eines Tages auf den PC portiert wird.

Maverick 34 GG-Veteran - - 1330384 - 7. April 2022 - 19:15 #

Ein sehr detaillierter Artikel, hat Spaß gemacht zu lesen. :)

Shake_s_beer 19 Megatalent - - 19076 - 9. April 2022 - 9:10 #

Ein schöner und interessanter Report. Die Komplexität der Spielentwicklung wird schön dargestellt. Ich arbeite zwar nicht in dem Bereich und habe dementsprechend keine eigenen Erfahrungen, ich kann mir aber schon vorstellen, wie vielen kreativen und technischen Herausforderungen man im Laufe eines Entwicklungsprozesses gegenüber steht.
Und ein Risiko ist ein solches Projekt auch immer. Man arbeitet da jahrelang an verschiedensten Teilbereichen, ohne genau zu wissen, ob sich die einzelnen Elemente auch wirklich gut zu einem großen Ganzen zusammenfügen. Und wenn es das tut, muss es auch immer noch dem Endkunden gefallen.

Ich selbst habe mich mit Returnal mangels PS5 noch nicht so beschäftigt. Allerdings mache ich um Roguelikes/-lites sowieso eher einen Bogen. Vielleicht schaue ich es mir aber dennoch mal an, wenn ich Gelegenheit dazu habe.

Hagen Gehritz Redakteur - P - 175271 - 9. April 2022 - 13:42 #

Ich habe für den Report wieder ein Stück gespielt, nachdem ich nach der SdK nicht so begeistert war. Stimmung und die Prämisse gefallen, aber ich komme nicht in den Roguelite-Aspekt rein. Ich sterbe glaube zu früh in den Runs und mache daher auf dem Weg zum Scheitern kaum Fortschritte (habe nur den Nahkampf bisher und noch nicht den Greifhaken). Und innerhalb eines Runs finde ich sage und schreibe eine minimal bessere Waffe zum Austauschen, bevor ich ins Gras beiße und wieder mit der Pistole anfange. Da ist Hades im Vergleich so schön freigiebig und süchtigmachend mit den göttlichen Kräften als Belohnung.

Shake_s_beer 19 Megatalent - - 19076 - 9. April 2022 - 15:45 #

Danke für den Erfahrungsbericht. Das ist auch genau meine Befürchtung, dass mich der Roguelite-Aspekt relativ schnell eher nervt als motiviert und sich das Scheitern nach verschwendeter Lebenszeit anfühlt, wenn man kaum Fortschritt ausmachen kann.
Hades habe ich dem Zusammenhang auch noch auf dem Zettel. Das habe ich ebenfalls noch nicht gespielt, will es mir aber auf jeden Fall mal ansehen. Soll ja auch für Leute ohne Roguelike/-lite-Affinität ein guter Einstieg in das Genre sein. :)

Sven Gellersen 23 Langzeituser - - 45115 - 10. April 2022 - 22:43 #

Danke für den sehr interessanten Bericht. Das Setting spricht mich ja weiterhin an, aber bei Roguelikes / -lites bin ich dann doch raus, insbesondere mit dem knackigen Schwierigkeitsgrad.