GDC2021: So entstand das Samurai-Epos

Making of: Ghost of Tsushima Report

Dennis Hilla 24. Juli 2021 - 10:00 — vor 2 Jahren aktualisiert
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Wer brav den Torii-Toren folgt, findet Schreine und andere Belohnungen. Dazu belohnt oft genug auch der Blick in die Ferne...
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Dopamin als Antrieb

Wie Parker weiter ausführt, sei es für die Spielermotivation unabdingbar, den Erkundungsdrang stets zu belohnen. Das kann in Form neuer Quests erfolgen, durch weitere Hintergrundinfos, aber auch einfach mit einem schönen Aussichtspunkt. Auch spielerische Vorteile können als Belohnung eingesetzt werden: Mit einem Bad in einem Natur-Onsen erhöht ihr eure maximale Gesundheit, das Bambus-Minispiel steigert, wenn ihr es schafft, eure Entschlossenheit, und mit der dürft ihr wiederum weitere von Jins Fähigkeiten einsetzen. Die Seltenheit der gefundenen Ressourcen, Rüstungen und Waffen ist  aber nicht willkürlich – schwerer zugängliche Orte bergen grundsätzlich wertvollere Beute.
 

Vom Wind leiten lassen

Das wohl markanteste Feature von Ghost of Tsushima ist der Wind, der gleichzeitig als Atmosphäre-Plus und als Navigationssystem dient. Er führt euch entweder zum nächsten Questpunkt oder zu Orten, die ihr selbst auf der Karte markiert habt. Herumfliegende Partikel, Böen und das wippende Gras zeigen auf stimmungsvolle Weise, wo es lang geht.

Doch bis dieses Feature gefunden war, zog einige Entwicklungszeit ins Land. Zunächst hatte Sucker Punch mit einem klassischen Kompass am oberen Bildschirmrand experimentiert. Allerdings brachte dieser den typischen Effekt mit, dass sich die Testspieler nur noch nach ihm richteten, statt die Welt zu betrachten. Brachen sie zum Beispiel in ein Camp ein, um Geiseln zu befreien, liefen sie schnurstracks zu ihnen, ohne sich groß umzusehen. Dadurch wurde der Erkundungsdrang fast vollständig eliminiert – deswegen modifizierte man den Kompass.
In dieser frühen Szene aus der Pre-Alpha ist der Kompass am oberen Bildschirmrand noch enthalten.


Und zwar zu einer Funktionalität ähnlich wie bei Breath of the Wild: Der Spieler konnte sich in der Welt umsehen, interessante Punkte markieren und sie so direkt aufsuchen oder für später merken. Doch noch immer wurde der Kompass von den Playtestern zu stark genutzt. Daher entschied man sich kurz darauf, ihn komplett in die Bambustonne zu treten.

Das Team rund um Parker erdachte den Orientierungssinn 2.0, der etwas mächtiger war, dazu gesellte sich eine Minimap. Allerdings wurde dadurch zum einen das HUD aufgebläht – und zum anderen zeigte die kleine Karte die eigene Position nicht an, um zum Erkunden aufzufordern. Dieser Pfadfinder-Ansatz fand unter den Testern keine Freunde. Doch bevor das Team verzweifeln konnte, hatte jemand eine gute Idee: "Es wäre doch super, wenn wir etwas wie das Schwert in Shadow of the Colossus hätten." Dieses sendet bekanntlich einen Lichtstrahl in Richtung Ziel aus.

Sucker Punch spielte mit dieser Idee herum; zunächst waren Sonnenstrahlen als Wegweiser im Gespräch. Schnell neigte das Team aber dazu, den Wind zu nutzen,  zumal dieser bereits als stilistisches Spielelement gesetzt war. Inspirieren ließ man sich dabei vom Akira Kurosawa-Film Yojimbo. Bereits der erste Prototyp des "Windikators" kam im Team so gut an, dass man eigentlich nur noch Nuancen wie die Intensität der herumfliegenden Partikel und Böen anpassen musste. Und fertig war der geniale "Navigationspfeil", der sich als Böe in die Spielwelt einpasst und doch deutlich genug ist, um zum Ziel zu finden.

Zu stark werdet ihr vom Wind nie geleitet, und das ist Absicht, wie Parkter ausführt: "Unserer Erfahrung nach macht es den Spielern mehr Spaß, wenn sie noch ein klein wenig erkunden müssen, wenn sie dem Wind folgten."

Im Nachgang überarbeitete das Team sogar Cutscenes, um die Bedeutung des Windes weiter hervorzuheben, auch für den Hauptcharakter Jin Sakai. Denn wie Jason Connell im Zuge der Recherchephase herausfand, spielte der Wind auch bei der echten Invasion 1274 eine wichtige Rolle. Ein mächtiger Sturm, der als Kamikaze ("göttlicher Wind") bekannt wurde, zerstörte einen großen Teil der mongolischen Flotte, rund ein Drittel der Invasionsstreitkräfte kam ums Leben. Allerdings geschah das nicht vor Tsushima, das in Wahrheit schnell von den Mongolen überrannt worden war und als Basis für die eigentliche Invasion auf die japanische Hauptinsel Kyushu diente. Sondern in der Hakata-Bucht nahe der heutigen Hauptstadt Kyushus, Fukuoka.
 

Nicht nur Kurosawa

Auch wenn die Filme von Akira Kurosawa die offensichtlichsten Einflüsse auf den Stil von Ghost of Tushima hatten (es gibt bekanntlich sogar einen Kurosawa-Grafikmodus), führt Jason noch einige weitere Inspirationen an. Demnach legten die Team-Daimyos ihren Gefolgsleuten drei Werke ans Herz: Breath of the Wild, den Film 13 Assassins und den schon erwähnten Kurosawa-Streifen Yojimbo. Aber auch die Zeichnungen von Hasui Kawase stellten eine maßgebliche Inspirationsquelle dar. Sie zeichnen sich durch wenige Details, aber kräftige, satte Farben aus. Diesen Stil wollte man mit dem grundsätzlich realistischen Open-World-Ansatz verschmelzen.

Um den besonderen Stil von Ghost of Tsushima zu erreichen wurde sogar ein eigenes Tool geschaffen, das unnötige Details aus Szenen entfernt. Als Beispiel führt Jason eine Felswand an, die mit vielen Furchen, Details und grünen Überwucherungen sehr realistisch wirkt. Das Tool entfernt davon einiges, wodurch ein klareres Bild entsteht, ohne dadurch die Wand unkenntlich zu machen.

Natürlich achtete das Team bei aller Liebe zu dem stilisierten Look weiterhin darauf, dass ihnen die Details des Spiels historisch möglichst akkurat gerieten. Gab es die Familienwappen wirklich, exisitieren sie vielleicht noch im heutigen Japan? Stimmt die Architektur mit der zeitgenössischen überein? Welcher Dialekt wurde damals auf der Insel gesprochen? Gab es die gezeigten Waffen überhaupt zu jener Zeit? "Solche Details sind das A und O", bekräftigt Jason.

Als besonders gutes Beispiel nennt er das Tsuba. Dabei handelt es sich eigentlich bloß um den Handschutz eines Katana-Schwerts. Doch der Ring, der Griff und Klinge trennt, ist noch weit mehr. Er ist eine Kunsthandwerk-Pretiose, die nicht selten mit einer bestimmten Familien assoziiert wurde und besondere Leistungen aus dem Leben des Schwertträgers aufzeigte.
Hasui Kawases Gemälde (hier "Pond at Benten shrine in Shiba", Quelle: Wikipedia unter Public-Domain-Lizenz) waren ein Vorbild.
Jörg Langer Chefredakteur - P - 469343 - 24. Juli 2021 - 10:02 #

Viel Spaß beim Lesen!

Maverick 34 GG-Veteran - - 1327807 - 24. Juli 2021 - 10:18 #

Ein sehr gelungener Report, war interessant zu lesen. :)

Rene 16 Übertalent - - 4193 - 24. Juli 2021 - 10:25 #

Sehr interessanter Blick hinter die Kulissen. Hat mir gefallen.

Sven Gellersen 23 Langzeituser - - 45111 - 24. Juli 2021 - 10:52 #

Ein toller Report, den habe ich sehr gerne gelesen.
Für mich gehört Ghost of Tsushima zu den Highlights der letzten Generation, ein durch und durch fantastisches Spiel. Mit dem Kampfsystem war ich zwar nicht immer best friend, aber auch dieses Element hat mich letztlich überzeugen können durch seine vielen Einzelelemente. Dazu sieht die Spielwelt einfach grandios aus, Sound und Musik sind auch sehr gut um- und eingesetzt und die Story ist richtig gut in meinen Augen.
Viel Verbesserungspotential sehe ich bei einem Nachfolger nicht. Lediglich einige Elemente wie diese Mini-Schreine, zu denen man von Füchsen geleitet wurde, waren insgesamt einfach zu zahlreich. Aber selbst bei diesen Sammelelementen haben die Entwickler fast immer eine gute Balance gefunden.

Golmo (unregistriert) 24. Juli 2021 - 13:49 #

Für mich ist die Geschichte erzählt, ein Nachfolger brauche ich gar nicht. Von mir aus kann Sucker Punch direkt die nächste neue IP angehen. Würde mir besser gefallen als ein GoT 2. Open World können Sie und ich würde gerne weitere coole Welten und Zeitepochen von denen sehen.

Jörg Langer Chefredakteur - P - 469343 - 24. Juli 2021 - 13:55 #

Welche Geschichte genau? Ghost of Tsushima ist ein fiktives Spektakel mit entfernten Anleihen bei der historischen Realität. Ein Nachfolger, der aufs japanische Festland wechselt (wo es tatsächlich einen Landkrieg zwischen Mongolen und Japanern gab), kann eine ganz andere Geschichte erzählen.

Oder meinst du das Japan-Szenario an sich? Das wäre natürlich nachvollziehbar. Andererseits haben sie sich da jetzt eingearbeitet – wenn sie statt darauf aufzubauen was komplett Neues machen, und zum Beispiel in den 30jährigen Krieg wechseln (ein unterschätztes Szenario aus meiner Sicht), warten wir vermutlich wieder 5 bis 6 Jahre.

Golmo (unregistriert) 24. Juli 2021 - 14:48 #

Die Geschichte von Jin, dem Helden. Die ist für mich eigentlich abgeschlossen. Weiss nicht ob es so cool wäre, wenn Sie aus der IP jetzt sowas wie Assassins Creed machen... Ghost of Tokyo....Ghost of New York....Ghost of London...

Jörg Langer Chefredakteur - P - 469343 - 24. Juli 2021 - 15:44 #

Da bringst du gleich die nächste Idee rein :-) Also ein Ghost of New York würde mich nicht interessieren, aber ein Ghost of Kyushu? Wieso nicht! Und wenn man dann wieder Jin spielt, überlebe ich das auch, aber lieber wäre mir ein neuer Protagonist. Vielleicht sogar einer, der sich wirklich zwiwchen "schmutziger" und "ehrenvoller" Kriegsführung entscheiden kann – in Ghost of Tsushima wird das ja nur vorgetäuscht.

direx 22 Motivator - - 37039 - 25. Juli 2021 - 12:03 #

Echt? Klar, es gibt ein paar Storypunkte, bei denen man keine Wahl hat, aber in der Open World ist es dem Spieler doch komplett frei gestellt, wie er/sie den Mongolen entgegen tritt. Man hat also durchaus die Entscheidung, auch wenn es am Ende in der Story keinen Unterschied macht.

Danywilde 30 Pro-Gamer - P - 163008 - 25. Juli 2021 - 13:42 #

Ja, es macht aber keine Unterschied, ob man ehrenvoll kämpft oder ob man die Gegner hinterrücks erledigt.

Das fand ich schade, da darauf ja in den Gesprächen einigen Wert gelegt wird.

Sven Gellersen 23 Langzeituser - - 45111 - 25. Juli 2021 - 0:51 #

Muss doch nicht mit Jin weitergehen.

xan 18 Doppel-Voter - P - 11649 - 24. Juli 2021 - 11:07 #

Sehr schöner Report! Konnte das Spiel leider bisher noch nicht spielen.

rammmses 22 Motivator - P - 32633 - 24. Juli 2021 - 11:57 #

Tolles Spiel, dem man anmerkt, dass da viel Herzblut reingeflossen ist, obgleich oberflächlich betrachtet das ganze doch recht formalhaft war. Werde es auf jeden Fall nochmal im Director's Cut auf PS5 angehen, allein diese Stimmung und Ästhetik ist super.

Danywilde 30 Pro-Gamer - P - 163008 - 24. Juli 2021 - 11:59 #

Mir hat Ghost of Tushima sehr gut gefallen. Die schicke Optik und Reduktion der Anzeigen hat im Zusammenarbeit mit den Sounds eine ganz eigene Atmosphäre geschaffen. Es macht einfach Freude, die Insel zu erkunden und die Natur zu genießen.

Der Report spiegelt das sehr schön wieder.

Player One 16 Übertalent - 4429 - 24. Juli 2021 - 15:14 #

Solche Beiträge holen mich total ab, sehr schön. Es ist doch immer wieder interessant solche Hintergründe zu erfahren. In Retro Gamer findet man glücklicherweise auch immer so tolle Geschichten. Ich freue mich schon auf den DLC.

Noodles 26 Spiele-Kenner - P - 75314 - 24. Juli 2021 - 16:30 #

Schöner Text. :) Falls irgendwann eine PC-Version kommt, spiel ich das Spiel auch mal. ;)

thoohl 20 Gold-Gamer - - 23457 - 24. Juli 2021 - 21:18 #

Schöner Bericht.
Ich dacht schon bei der ersten Wahrnehmung des Spielenamens in der Überschrift, jetzt kommt die PC Ankündigung...

BruderSamedi 19 Megatalent - P - 13630 - 24. Juli 2021 - 22:30 #

Schöner Bericht. Das Spiel werde ich nachholen, sobald die PC-Version erschienen sein wird.

Sh4p3r 16 Übertalent - 4994 - 25. Juli 2021 - 13:07 #

Sehr schöner und informativer Bericht! GoT ist für mich ein großatiger Titel, den ich zwei Mal durchgespielt habe. Freue mich schon auf das Addon :)

Wuslon 20 Gold-Gamer - - 21567 - 25. Juli 2021 - 15:15 #

KLasse Report!

schlammonster 31 Gamer-Veteran - P - 277636 - 28. Juli 2021 - 10:21 #

Ein fantastischer Report, gerne mehr von diesen Inhalten auch außerhalb von Veranstaltungen wie der GDC (auch wenn sie dann wahrscheinlich schwieriger umzusetzen sein dürften). :)

Tasmanius 21 AAA-Gamer - - 28800 - 28. Juli 2021 - 20:33 #

Ja unbedingt! Oder wie wäre es mal mit einem Report zur Entstehungsgeschichte der GDC, man könnte Zeitzeugen und Verantwortliche interviewen, mit Branchengrößen über die GDC sprechen, am besten aufwändig gefilmt. Ich... bin ja schon still.

Simulacrum 21 AAA-Gamer - - 26141 - 3. August 2021 - 23:00 #

Sehr guter Report. Die Doku zum Spiel fand ich auch sehr sehenswert. Außerdem freue ich mich darauf, demnächst den Director´s Cut auf der PS5 zu spielen. Dafür lege ich auch nochmals etwas Geld hin. Das ist es mir wert.
Komplett anderes Thema, aber mit Japan-Bezug:
Ein vor kurzem erst entdeckter, skurriler Serien-Tipp - „Getränk nach dem Bad am Mittag“. ;)