Making of: Ghost of Tsushima

Making of: Ghost of Tsushima Report

GDC2021: So entstand das Samurai-Epos

Dennis Hilla / 24. Juli 2021 - 10:00 — vor 2 Jahren aktualisiert

Teaser

Das Open-World-Spiel war nicht nur das bisher größte Projekt von Sucker Punch, sondern stellte sie auch vor große Probleme: Wie kann ein westlicher Entwickler die japanische Kultur akkurat abbilden?
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Wir schreiben den August 2014. Nach dem erfolgreichen Release von Infamous - First Light (seinerseits ein Standalone-Addon zu Infamous - Second Son, siehe GG-Test) war das Team von Sucker Punch erschöpft, aber glücklich. Doch zum Verschnaufen blieb keine Zeit, 150 Mitarbeiter wollen schließlich beschäftigt werden. Bei so vielen kreativen Köpfen gab es viele Ideen, wie das nächste Projekt des Studios aussehen könnte – zu viele. Doch wie Jason Connell, Creative Director und Art Director, sich erinnert, hatte man ein übergeordnetes Ziel vor Augen: Man wolle einmal mehr die "geheimsten Phantasien" der Spieler erfüllen. Bereits mit der Infamous-Serie habe man ermöglicht, dass jeder Gamepad-Akrobat zum Superhelden werden könne. Also wurden Ansätze gesammelt, viele davon auch gleich wieder verworfen. Letztlich blieb man an drei potenziellen Szenarios hängen:
  • Ritterzeit
  • Dieb in der Neuzeit
  • Samurai
Wir alle wissen, welches den Kampf gewonnen hat. Umso kurioser ist aber, dass Sucker Punch die Samurai-Idee zunächst wieder strich, aus einem ebenso simplen wie einleuchtenden Grund: Das Team kannte sich in der japanischen Kultur zu wenig aus. Zwei Wochen wurde mit möglichen Kernelementen für sowohl ein Ritter-Spiel als auch ein Langfinger-Abenteuer jongliert, ehe man innehielt.

Große Teile des Studios, darunter auch der Creative Director Nate Fox, waren so große Fans des Samurai-Ansatzes, dass man sich entschied, doch ins kalte Wasser zu springen – der Grundstein für Ghost of Tsushima war gelegt. Wenige Tage später hatte man sich auch für ein Szenario entschieden: Die Mongolen-Invasion der Insel Tsushima im Jahr 1274.

Doch das brachte weitere Probleme für die Entwickler mit sich, die sich in der japanischen Kultur ohnehin nur beschränkt auskannten, wie sich Jason erinnert: "Das Jahr 1274 liegt nicht gerade in der näheren Vergangenheit. Wir sahen es aber als unsere Pflicht, dieses Szenario mit viel Sorgfalt umzusetzen." Es begann eine sechsjährige Reise, die zwar anstrengend war, sich am Ende aber auszahlte. Nicht nur in kommerziellem Erfolg, auch durch zahlreiche neue Bekanntschaften und Lebenserfahrungen. Und eine der größten Ehren, die Jason in seiner Entwickler-Karriere bisher erhalten durfte: Eine 40/40-Wertung des angesehenen japanischen Magazins Famitsu, als erst drittes westliches Spiel überhaupt.
 

Zurück auf die Schulbank

Der Ausflug nach Tsushima war laut Jason Connell essentiell für die korrekte Abbildung der japanischen Kultur.
Sucker Punch musste zunächst das eigene Team massiv erweitern. Aber nicht etwa um weitere Entwickler oder Designer, davon hatte man genug. Vielmehr waren laut Jason Berater gesucht, die bei Fragen wie Religion, Bräuchen und auch der Geschichte der Insel Tsushima helfen konnten. Zwar hatte man durch die jahrelange Zusammenarbeit mit Sony viele Geschäftskontakte in Japan, darunter auch der damalige President der SIE Worlwide Studios, Shuhei Yoshida. Und der soll von der Grundidee für Ghost of Tsushima regelrecht begeistert gewesen sein. Doch ohne Inhouse-Support konnte man ein auf Authentizität getrimmtes Projekt nicht stemmen. Neben vielen Experten, auch für Fragen bezüglich der mongolischen Kultur, stach besonders Ryuhei Katami heraus. Jason nennt den Producer ein "wandelndes Lexikon". Außerdem habe er immer jemanden gewusst, den man fragen konnte, wenn er selbst nicht mehr weiter wusste.

Doch bei trockenem Schulbankdrücken blieb es für Sucker Punch nicht, mehrere Teammitglieder reisten in der Entwicklungszeit zwei mal selbst nach Tsushima, darunter natürlich auch Jason. "Beim ersten Besuch waren die kreativen Leute und Studioführung dabei, beim zweiten die Leiter der Umgebungsdesigner, die vor Ort haufenweise Referenz-Fotos gemacht haben", erinnert er sich. Dabei wurden tausende Bilder geschossen, dazu gesellten sich zahlreiche Drohnen-Videos und auch Audio-Aufnahmen. Man nahm einheimische Vögel auf, nicht zuletzt aber auch den Wind, wie er durch die Bäume und über die Felder rauscht. Auch nach diesen beiden großen Expeditionen schickte Sucker Punch immer wieder einzelne Mitarbeiter von Sony Japan auf die Insel, um noch weitere Eindrücke und Ressourcen zu sammeln.

Besonders verdient hat sich laut Jason, der zuvor nie in Japan gewesen war, der lokale Führer Jonah Nagai gemacht. Sein Hintergrundwissen stellte sich als enorm hilfreich heraus. Besonders im Gedächtnis ist dem Team der Ausflug zu einem Schrein am Strand von Komoda geblieben. Gewidmet war dieser spezielle Ort einem japanischen Krieger, der 1274 tatsächlich gegen die Mongolen kämpfte und den Überlieferungen nach massiv beim Zurücktreiben der Invasoren half.
 

Balance zwischen Realität und Unterhaltung

Aber nur weil das Team sich langsam zum Expertengremium für Tsushima und die Mongoleninvasion mauserte, wollte man keine Simulation der Insel schaffen. Sie sollte natürlich erkennbar sein, aber keine 1:1-Abbildung. Bereits bei Infamous hatte man diesen Ansatz mit der Stadt Seattle verfolgt. Parker Hamilton, Lead Systems Designer, verrät uns beispielhaft, wie man diese Vorgabe umgesetzt hat: Es gab ein eigenes Team bei Sucker Punch, das die Vegetation der Insel reduziert hat – mit dem Zweck der besseren Übersichtlichkeit. So können Spieler wichtige Objekte in weiterer Entfernung besser wahrnehmen oder haben bessere Übersicht über ein Mongolencamp – können im Gegenzug aber natürlich auch leichter entdeckt werden.

Ganz allgemein hatte man beim Design der Spielwelt viel Wert darauf gelegt, die Neugier und den Erkundungsdrang der Spieler zu wecken. Aus diesem Zweck wurde auch so weit wie möglich auf HUD-Elemente verzichtet, um die Immersion zu fördern. Die drei Präfekturen von Ghost of Tsushima fungieren als einzelne Biome und heben sich optisch deutlich voneinander ab. Man behandelte Orte mehr wie Charaktere, beispielsweise das Dorf Akashima: Dieses ist voller Moos und Nebel, im Hintergrund könnt ihr leise Frösche quaken hören. Durch teilweise verfallene Gebäude sollt ihr mehr involviert werden: Was ist hier geschehen? Warum sieht der Ort so aus, wie er es tut? Was passiert, wenn ich als Spieler das Dorf betrete? Wie verändert sich beispielsweise Yarikawa, nachdem es von den Mongolen besetzt wurde?
 

Fünf Elemente zur Orientierung

Damit ihr als Spieler immer wisst, wo ihr in der Spielwelt seid, und wo spannende Orte sind, hat Sucker Punch mit fünf Elementen gearbeitet. Diese sollen die Orientierung erleichtern und auf bestimmte Orte hinweisen, ohne aber die überdeutlichen Quest-Marker anderer Spiele zu verwenden. Zu diesem Zweck sind sie unterschiedlich gut sichtbar:
  • Große Banner: Rauchsignale und Gebäude sind aus weiter Ferne zu sehen
  • Brotkrumen: Torii-Tore, die euch den Weg zu einem Schrein weisen
  • Kleine Banner: Flaggen kennzeichnen Minispiele und sind nur auf kurze Distanz sichtbar
  • Partikel: Feuer und Glühwürmchen sind bei  Tag und Nacht auf weite Ferne erkennbar
  • Soundeffekte: Gesänge oder Trommeln in der Nähe von Mongolencamps warnen euch
Diese Art der Spielerführung nennt Parker "Spieler-Safari". Zwar gehen die Spieler auf Erkundungstour, sie wissen aber durch die obigen Hinweise nach kurzer Lernphase aber meist doch in etwa, was sie erwartet. Zum eigentlichen GPS-Ersatz, dem Wind, kommen wir natürlich noch.

Nachdem der Erkundungsdrang geweckt ist, kann man dem Spieler aber nicht kontextlos Aufgaben vorsetzen, so das Credo von Sucker Punch. "Die Welt war bereit, entdeckt zu werden, jetzt musste sie mit Geschichten gefüllt werden", erklärt Parker die Designphilosophie. So gibt es etwa eine Nebenquest, bei der ihr den Weg eines legendären Samurai verfolgt. Während der Mission erfahrt ihr immer wieder kleine Happen über sein Leben – und als Belohnung erhaltet ihr nach dem Abschluss der Quest eine besondere Attacke.

Ein weiterer Kniff sei, eine Quest nie dort enden zu lassen, wo eine andere startet. Sonst laufe man in Gefahr, dass die Spieler zu lange an einem Ort verweilen und das Interesse verlieren.
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Rauchschwaden in der Ferne deuten auf wichtige Orte und Ereignisse hin, etwa auf ein von den Mongolen besetztes Dorf.
Jörg Langer Chefredakteur - P - 469800 - 24. Juli 2021 - 10:02 #

Viel Spaß beim Lesen!

Maverick 34 GG-Veteran - - 1330138 - 24. Juli 2021 - 10:18 #

Ein sehr gelungener Report, war interessant zu lesen. :)

Rene 16 Übertalent - - 4193 - 24. Juli 2021 - 10:25 #

Sehr interessanter Blick hinter die Kulissen. Hat mir gefallen.

Sven Gellersen 23 Langzeituser - - 45115 - 24. Juli 2021 - 10:52 #

Ein toller Report, den habe ich sehr gerne gelesen.
Für mich gehört Ghost of Tsushima zu den Highlights der letzten Generation, ein durch und durch fantastisches Spiel. Mit dem Kampfsystem war ich zwar nicht immer best friend, aber auch dieses Element hat mich letztlich überzeugen können durch seine vielen Einzelelemente. Dazu sieht die Spielwelt einfach grandios aus, Sound und Musik sind auch sehr gut um- und eingesetzt und die Story ist richtig gut in meinen Augen.
Viel Verbesserungspotential sehe ich bei einem Nachfolger nicht. Lediglich einige Elemente wie diese Mini-Schreine, zu denen man von Füchsen geleitet wurde, waren insgesamt einfach zu zahlreich. Aber selbst bei diesen Sammelelementen haben die Entwickler fast immer eine gute Balance gefunden.

Golmo (unregistriert) 24. Juli 2021 - 13:49 #

Für mich ist die Geschichte erzählt, ein Nachfolger brauche ich gar nicht. Von mir aus kann Sucker Punch direkt die nächste neue IP angehen. Würde mir besser gefallen als ein GoT 2. Open World können Sie und ich würde gerne weitere coole Welten und Zeitepochen von denen sehen.

Jörg Langer Chefredakteur - P - 469800 - 24. Juli 2021 - 13:55 #

Welche Geschichte genau? Ghost of Tsushima ist ein fiktives Spektakel mit entfernten Anleihen bei der historischen Realität. Ein Nachfolger, der aufs japanische Festland wechselt (wo es tatsächlich einen Landkrieg zwischen Mongolen und Japanern gab), kann eine ganz andere Geschichte erzählen.

Oder meinst du das Japan-Szenario an sich? Das wäre natürlich nachvollziehbar. Andererseits haben sie sich da jetzt eingearbeitet – wenn sie statt darauf aufzubauen was komplett Neues machen, und zum Beispiel in den 30jährigen Krieg wechseln (ein unterschätztes Szenario aus meiner Sicht), warten wir vermutlich wieder 5 bis 6 Jahre.

Golmo (unregistriert) 24. Juli 2021 - 14:48 #

Die Geschichte von Jin, dem Helden. Die ist für mich eigentlich abgeschlossen. Weiss nicht ob es so cool wäre, wenn Sie aus der IP jetzt sowas wie Assassins Creed machen... Ghost of Tokyo....Ghost of New York....Ghost of London...

Jörg Langer Chefredakteur - P - 469800 - 24. Juli 2021 - 15:44 #

Da bringst du gleich die nächste Idee rein :-) Also ein Ghost of New York würde mich nicht interessieren, aber ein Ghost of Kyushu? Wieso nicht! Und wenn man dann wieder Jin spielt, überlebe ich das auch, aber lieber wäre mir ein neuer Protagonist. Vielleicht sogar einer, der sich wirklich zwiwchen "schmutziger" und "ehrenvoller" Kriegsführung entscheiden kann – in Ghost of Tsushima wird das ja nur vorgetäuscht.

direx 22 Motivator - - 37041 - 25. Juli 2021 - 12:03 #

Echt? Klar, es gibt ein paar Storypunkte, bei denen man keine Wahl hat, aber in der Open World ist es dem Spieler doch komplett frei gestellt, wie er/sie den Mongolen entgegen tritt. Man hat also durchaus die Entscheidung, auch wenn es am Ende in der Story keinen Unterschied macht.

Danywilde 30 Pro-Gamer - P - 163008 - 25. Juli 2021 - 13:42 #

Ja, es macht aber keine Unterschied, ob man ehrenvoll kämpft oder ob man die Gegner hinterrücks erledigt.

Das fand ich schade, da darauf ja in den Gesprächen einigen Wert gelegt wird.

Sven Gellersen 23 Langzeituser - - 45115 - 25. Juli 2021 - 0:51 #

Muss doch nicht mit Jin weitergehen.

xan 18 Doppel-Voter - P - 11651 - 24. Juli 2021 - 11:07 #

Sehr schöner Report! Konnte das Spiel leider bisher noch nicht spielen.

rammmses 22 Motivator - P - 32643 - 24. Juli 2021 - 11:57 #

Tolles Spiel, dem man anmerkt, dass da viel Herzblut reingeflossen ist, obgleich oberflächlich betrachtet das ganze doch recht formalhaft war. Werde es auf jeden Fall nochmal im Director's Cut auf PS5 angehen, allein diese Stimmung und Ästhetik ist super.

Danywilde 30 Pro-Gamer - P - 163008 - 24. Juli 2021 - 11:59 #

Mir hat Ghost of Tushima sehr gut gefallen. Die schicke Optik und Reduktion der Anzeigen hat im Zusammenarbeit mit den Sounds eine ganz eigene Atmosphäre geschaffen. Es macht einfach Freude, die Insel zu erkunden und die Natur zu genießen.

Der Report spiegelt das sehr schön wieder.

Player One 16 Übertalent - 4429 - 24. Juli 2021 - 15:14 #

Solche Beiträge holen mich total ab, sehr schön. Es ist doch immer wieder interessant solche Hintergründe zu erfahren. In Retro Gamer findet man glücklicherweise auch immer so tolle Geschichten. Ich freue mich schon auf den DLC.

Noodles 26 Spiele-Kenner - P - 75366 - 24. Juli 2021 - 16:30 #

Schöner Text. :) Falls irgendwann eine PC-Version kommt, spiel ich das Spiel auch mal. ;)

thoohl 20 Gold-Gamer - - 23473 - 24. Juli 2021 - 21:18 #

Schöner Bericht.
Ich dacht schon bei der ersten Wahrnehmung des Spielenamens in der Überschrift, jetzt kommt die PC Ankündigung...

BruderSamedi 19 Megatalent - P - 13654 - 24. Juli 2021 - 22:30 #

Schöner Bericht. Das Spiel werde ich nachholen, sobald die PC-Version erschienen sein wird.

Sh4p3r 16 Übertalent - 4995 - 25. Juli 2021 - 13:07 #

Sehr schöner und informativer Bericht! GoT ist für mich ein großatiger Titel, den ich zwei Mal durchgespielt habe. Freue mich schon auf das Addon :)

Wuslon 20 Gold-Gamer - - 21567 - 25. Juli 2021 - 15:15 #

KLasse Report!

schlammonster 31 Gamer-Veteran - P - 277636 - 28. Juli 2021 - 10:21 #

Ein fantastischer Report, gerne mehr von diesen Inhalten auch außerhalb von Veranstaltungen wie der GDC (auch wenn sie dann wahrscheinlich schwieriger umzusetzen sein dürften). :)

Tasmanius 21 AAA-Gamer - - 28819 - 28. Juli 2021 - 20:33 #

Ja unbedingt! Oder wie wäre es mal mit einem Report zur Entstehungsgeschichte der GDC, man könnte Zeitzeugen und Verantwortliche interviewen, mit Branchengrößen über die GDC sprechen, am besten aufwändig gefilmt. Ich... bin ja schon still.

Simulacrum 21 AAA-Gamer - - 26141 - 3. August 2021 - 23:00 #

Sehr guter Report. Die Doku zum Spiel fand ich auch sehr sehenswert. Außerdem freue ich mich darauf, demnächst den Director´s Cut auf der PS5 zu spielen. Dafür lege ich auch nochmals etwas Geld hin. Das ist es mir wert.
Komplett anderes Thema, aber mit Japan-Bezug:
Ein vor kurzem erst entdeckter, skurriler Serien-Tipp - „Getränk nach dem Bad am Mittag“. ;)