Report: Virtuelles Training

Helfen Spiele töten? Report

Dieser Inhalt wäre ohne die Premium-User nicht finanzierbar. Doch wir brauchen dringend mehr Unterstützer: Hilf auch du mit!


Operation Flashpoint: Dragon Rising könnte ein weiteres für das Militär interessantes Spieleprojekt sein.


Fredericton: Pixel statt Panzer

Projekt Fredericton stellt die gleichnamige kanadische Stadt mit der World in Conflict Engine dar.
Ein anderes Projekt von Major Macdonalds nennt sich schlicht „Fredericton“, nach der kanadischen Stadt, in dem seine Einheit stationiert ist. „Es ist völlig normal, anhand des eigenen Standorts taktische Manöver zu durchdenken. Nur können wir schlecht echte Panzer durch die Straßen schicken.“ Das wäre der Statdbevölkerung sicher nicht recht, außerdem haben  Panzer die Eigenschaft, die von ihnen befahrenen Straßen auf Dauer zu ruinieren.

Deshalb baut eine Projektgruppe die komplette Stadt nach, und zwar mit der Engine des Echtzeit-Strategiespiels World in Conflict. Hierbei geht es aber nicht nur um virtuelles Training, der Ansatz geht viel weiter: „Immer mehr erweist sich in einer modernen Armee nicht das Fehlen von Informationen als Problem, sondern ihr Überangebot.“ Will heißen: Die Truppenführer vor Ort müssen die ganzen Informationen verwalten und gewichten. Dabei könnte es eine große Erleichterung darstellen, wenn das Schlachtfeld detailliert im Computer abgebildet wäre, mit GPS-gestützter Markierung der eigenen Soldaten – so wie das auf Vehikelebene bereits gemacht wird. Der Traum von Major Macdonald: In naher Zukunft sollen Kommandeure (via 3D-Brille) auf einen speziellen Tisch schauen können und dort das Kampfeglände samt eingesetzter Truppen plastisch sehen können – ganz so, wie man es in den Kommandozentralen von Science-Fiction-Filmen heute schon sehen kann.

HAHO: Fernaufklärung im Simulator

„HAHO“ hat weder mit dem Weihnachtsmann zu tun, noch hat jemand Halo falsch geschrieben. Das Kürzel steht für „High Altitude, High Opening“: Moderne Fernaufklärer springen aus großer Höhe von ihrem Transportflugzeug ab und segeln, kaum entdeckbar, tief ins feindliche Gebiet. Dort landen sie, verstecken ihren Fallschirm und versuchen, Truppenbewegungen und Zielkoordinaten durchzugeben,letztere an die eigene Artillerie oder Luftstreitkräfte. Bei typischen Trainingseinsätzen löst der Fernaufklärer etwa 15 Sekunden nach dem Sprung, in rund 8.000 Meter Höhe, seinen Fallschirm aus und gleitet dann, von einem GPS-System unterstützt, für etwa 40 bis 50 weitere Kilometer durch die Luft. Anhand von Geländemerkmalen muss er seine Landezone erreichen, egal, von wo und wie stark der Wind bläst. Um das zu trainieren, ist ein großer Materialaufwand erforderlich, von den realen Gefahren ganz zu schweigen. Zumindest zu Beginn des Trainings wäre es sehr viel besser, die künftigen Fernaufklärer erstmal virtuell springen zu lassen.

Der HAHO-Simulator als Holzgerüst und in der (hier noch gezeichneten) fertigen Fassung.


Deswegen basteln die Kanadischen Streitkräfte an einem HAHO-Simulator, der, einfach gesagt, realistische Landschaftsgrafik á la Flight Simulator auf eine gekrümmte Leinwand projiziert. Der Schüler hängt an einem Harnisch von der Decke und steuert die Simlation fast wie in echt über Handkontrollen. Zusätzlich erhalten sie eine Reihe von Instrumenten, die mit der Simulation verknüpft sind, darunter ein GPS-Gerät, ein Höhenmesser und einen Kompass – die Illusion soll möglichst perfekt sein. In wenigen Monaten soll der Simulator fertig sein.

Simulationen in der Panzerschule


Gleich nach der Luftwaffe kommt die Waffengattung „Panzer“, wenn es um teure Manöver geht. Denn so ein Panzer macht nicht nur so ziemlich jeden Untergrund kaputt, über den er rollt, er benötigt ständig Verschleißteile, verbraucht Unmengen an Treibstoff und feuert teure Hightech-Geschosse ab. Vor allem aber rollen davon immer gleich Dutzende durchs Manövergebiet, was die Kosten multipliziert. Das aus Sicht der Kanadischen Armee aber wohl Unangenehmste ist, dass ein relativ hoher Prozentsatz der auszubildenden Soldaten (etwa 30 Prozent) nicht alle Kursziele erfüllt. Nachdem die Kanadier aber begonnen hätten, so Major Macdonald, neben 5,5 Wochen im Feld auch einen Tag mit VBS zu trainieren, sei die Erfolgsquote auf 83 Prozent angestiegen. Als nächstes habe man 2,5 Wochen VBS mit nur noch 3 Wochen echtem Manöver  kombiniert – hier hätten 100 Prozent der Soldaten das Kursziel erreicht. Auf der Kostenseite ist der Fortschritt ebenso sichtbar: Während die Kosten pro Soldat noch bei der Kombination 1 Tag VBS/5,5 Wochen Manöver etwa 145,000 Dollar betragen hätten (davon über 53.000 Dollar für den anteiligen Treibstoffverbrauch), so sei er mittlerweile auf 96.000 Dollar (Treibstoff: 30.000 Dollar) zurückgegangen.

So sieht das Panzertraining am Simulator aus -- der gute alte Joystick kommt hier zum Einsatz.


Das Fazit von Major Macdonald: Mit virtuellen Trainingsprogrammen lasse sich nicht nur viel Geld sparen („In Zeiten knapper Haushalte ein sehr wichtiger Punkt!“), sondern auch die Effizienz des Trainings verbessern. Und kommerzielle militärische Spiele seien in vielen Fällen Spezialanwendungen vorzuziehen, da sie viel günstiger seien, und sich durch Modding für wenig Geld trotzdem an die tatsächlichen Bedürfnisse der Armee anpassen ließen.

Fazit: Helfen Spiele töten?

Vom "Abbau der Tötungshemmschwellen" darf weiterhin der Personenkreis phantasieren, der auch den "Kölner Aufruf" unterschrieben hat. Diese Gruppe wird auch weiter vom "militär-industriellen Komplex" munkeln -- und dabei gar nicht merken, wie nah solche unbestimmt dräuenden Schlagwort-Ansammlungen an Verschwörungstheorien erinnern, aber nicht als seriöse Argumentation rüberkommen. Doch unsere Recherchen zeigen eben auch: Eine virtuelle Ausbildungsunterstützung auf Grundlage von Computerspielen oder Computerspiele-Engines gibt es sehr wohl -- wer das als Games-Befürworter einfach abstreitet, und das kommt immer wieder vor, weiß nicht Bescheid und sagt somit nicht die Wahrheit.

Muss uns erschrecken, dass Weiterentwicklungen von handelsüblichen Spielen als dollarsparender Ersatz für echte Manöver herhalten? Trainieren wir damit, etwa bei kürzlich erschienenen Arma 2 (Armed Assault 2) von Peter Games, bewusst oder unbewusst den echten Krieg? Um beim Beispiel zu bleiben: Zunächst einmal trainieren wir unsere Leidensfähigkeit, was Bugdichte und mangelhafte KI anbelangt. Zweitens aber ist es wohl die Faszination, etwas Echtes, Gefährliches im sicheren eigenen Zuhause nachzuspielen. Diese Fazination aber ist so alt wie die Menschheit: Man nennt das Spielen. Es ist nicht verwerflich. Wenn aus dem Spiel aber ernst wird -- und das ist bei Soldaten immer eine Möglichkeit --, dann ist das eine Nutzung von Spielen, die wir nicht verhindern können, die aber mit unserer Nutzung von Spielen nichts zu tun hat. Ein Baseballschläger kann zu seinem ursprünglichen Zweck verwendet werden, als Brennholz oder als Knüppel-Ersatz. Der Baseball-Spieler muss sich dennoch nicht dafür entschuldigen, dass er Baseball liebt. Und nur, weil die Bundeswehr auch Fußball spielen lässt, um den Teamgeist und das Konkurrenzdenken zu fördern, ist Fußball kein Tötungstraining. Immerhin: Gefährlicher für die Knochen der Beteiligten ist das Kicken, im Vergleich zu Computerspielen, allemal...

Autor: Jörg Langer (GamersGlobal)


Tim Gross 13. Juni 2009 - 14:05 — vor 14 Jahren aktualisiert
Klausmensch 14 Komm-Experte - 2213 - 13. Juni 2009 - 19:40 #

Sehr gelungenes Fazit, das Beispiel mit dem Baseballspieler ist sehr gut gewählt. :)

GamingHorror Game Designer - 968 - 9. Juli 2009 - 17:45 #

Finde ich auch hervorragend, gerade weil der Baseballschläger einerseits in der Realität nicht selten als Tat- oder Mordwaffe bekannt und berüchtigt ist und gleichermassen harmlos wie bedrohlich wirken kann - und auch entsprechend in Filmen zum Einsatz kommt.

Trotzdem käme niemand auf die Idee Baseball zu verbieten.

Massimo 08 Versteher - 198 - 13. Juni 2009 - 19:45 #

Das Fazit trifft es im Prinzip genau, schade dass nicht jeder so eine vernünftig differenzierte Ansicht hat.

Ansonsten sehr interessant, ich finds schon fanszinierend wie modifizierte(!) Software solche komplexen Trainings ersetzen/erweitern kann.

Tungdil1981 19 Megatalent - 16681 - 13. Juni 2009 - 19:49 #

Es ist doch klar, dass das Militär auf solche Simulation setzt. Sie sind nun mal günstiger. Aber da ich Soldat bin und schon solche Simulation genutzt habe, kann ich sagen, sie bereiten auf keine Falle auf´s "töten" vor! Und nicht umsonst sagt sagen wir den Rekruten, dass man schießen nur durch schießen lernt. An einer richtigen Waffe.

Wolsga 13 Koop-Gamer - 1775 - 13. Juni 2009 - 22:42 #

Naja sie vermitteln Waffenumgang und Taktik und bereiten zum Kampf und letzlich zum Töten vor. Emotional wohl weniger, eher technisch-taktisch, das wird ja wohl niemand bestreiten. Von daher hat nat. der Kritiker idealen Zugang für seine Argmumente das "Killerspiele" Amokläufe vorbereiten. Es liegt im Auge des Betrachters. Pc-Spiele sind cineastisches Entertainment, oftmals mit sehr ernstem Hintergrund. Wenn man das differenzieren kann ok.
Aber es gibt wohl auch Spieler die das offensichtlich nicht können.

BFBeast666 14 Komm-Experte - 2094 - 13. Juni 2009 - 22:55 #

Nur wird man durch Maus-Schubsen und Tastendrücken nicht befähigt, mit einer Schußwaffe genau zu zielen. Das lernt man immer noch am Objekt selbst.

Wolsga 13 Koop-Gamer - 1775 - 14. Juni 2009 - 0:25 #

Das ist köstlich ausgedrückt, am Objekt^^

Jörg Langer Chefredakteur - P - 469386 - 14. Juni 2009 - 1:15 #

Ich gehe mal davon aus, dass sich Objekt auf die Schusswaffe bezieht.

Wolsga 13 Koop-Gamer - 1775 - 14. Juni 2009 - 8:40 #

Es kann sich auf beides beziehen, Objekt kann ein Pappkamerad sein
oder ein Mensch (Übungsmunition, Infrarotgewehre etc.), ein Fahrzeug oder ein Videoabbild wie in "Iret" ein Objekt ist eigentlich immer eher eine eine Sache auf die man projeziert und weniger mit der man ausübt.
Is eigentlich auch egal, wenn ihr eh meint das diese Übungen nicht zur Ausübung millitärischer Gewalt dienen, sondern zum Blümchenpflücken. Schiessübung und Bildung von Phantasien am PC sind innerhalb der Diskussion 2 verschiedene Argumentbereiche, natürlich lernt man nicht am PC schiessen.
Ich habe es nur sehr genau differenziert, ich habe nicht in einer Silbe gesagt das die Tötungshemmschwelle durch diese Simulationen gesengt wird. (Lieblingsargument von Dr.Pfeiffer)

Jörg Langer Chefredakteur - P - 469386 - 14. Juni 2009 - 11:33 #

Wer meint denn, dass diese Übungen nicht zum Trainieren der "Ausübung militärischer Gewalt" dienen? Der ganze Report handelt genau davon.

Meine Argumente sind ganz andere: Erstens sehe ich keinen Ansatz dafür, dass diese virtuellen Manöver "Tötungshemmschwellen herabsetzen", wie es ja der Kölner Aufruf behauptet. Im Gegenteil, auch wenn das nicht im Report steht: Ich persönlich glaube, dass es einem Soldaten, der überwiegend virtuell geprobt hat, schwerer fallen wird, auf echte Menschen zu schießen, als wenn er im Manöver auf echte Menschen getroffen ist.

Zweitens finde ich es unsinnig, Spielen vorzuwerfen, mit ihrer Hilfe würden Soldaten trainieren. Nur, weil das Militär etwas nutzt, um damit zu trainieren (oder auch zu kämpfen), also damit in letzter Konsequenz zu töten, heißt das doch nicht, dass dieses etwas für Zivilisten verboten sein muss. Dafür kannst du selbst mehr Beispiele finden, als auf diese Seite passen. Ich nenn' mal nur eines: GPS.

Wolsga 13 Koop-Gamer - 1775 - 14. Juni 2009 - 16:44 #

Ich beziehe mich hauptsächlich auf Viking der schrieb: "Aber da ich Soldat bin und schon solche Simulation genutzt habe, kann ich sagen, sie bereiten auf keine Falle auf´s "töten" vor!"
Da in der Diskussion ungeheure Polemik herrscht, is es vllt. besser
man schreibt präziser "bereiten auf keine Falle emotional auf´s "töten" vor!".

Nur deswegen habe ich mich überhaupt in die Diskussion eingeschaltet
und da auch gleich nochmal nachgelegt wurde mit dem Maus-PC-Bezug, kam mir der Eindruck auf, das man die einfachste Realität hier nicht beim Namen nennen darf. Ich bin ansonsten völlig Deiner Meinung,
wir schauen Kriegsfilme und "töten" am PC weil es Unterhaltung ist.
Wobei ich den Titel "Helfen Spiele töten" nicht so glücklich empfinde, weil man im Bezug auf auf millitärisch-taktische Übungen am PC die Headline des Artikels mit einem glatten ja beantworten kann und Du möchtest wohl eher das Gegenteil ausdrücken....

Anti 11 Forenversteher - 801 - 14. Juni 2009 - 9:39 #

"Weil das echte Fahrteug 500.000 Dollar gekostet hätte, und unter diesem Preis wollten sie eben drunter bleiben", lästert Macdonalds."

ACHTUNG: Rechtschreibfehler (Fahrteug)

Anti 11 Forenversteher - 801 - 14. Juni 2009 - 9:49 #

Das Fazit ist ganz meine Meinung.

Wi5in 15 Kenner - 3332 - 14. Juni 2009 - 10:11 #

Finde ich auch.

sanhaji 04 Talent - 31 - 14. Juni 2009 - 17:12 #

Als Computerspieler musste ich persönlich bei der Bundeswehr feststellen das Spiele (also die normalen unveränderten) rein gar nichts trainieren.

Mit einem echten Gewehr zu schießen ist etwas ganz anderes als mit der Maus und damit meine ich nicht nur die "Technik". Es existiert auch eine ganz andere Hemmschwelle abzudrücken (auch wenn es nur auf Pappziele ist).

In unserer Kaserne gab es einen Schießsimulator (AGSHP- Infos dazu finden sich in der Wikipedia), dort wurde uns erstmal aus Sicherheits- und wahrscheinlich auch Kostengründen der Umgang mit der Waffe beigebracht bevor wir "scharf" schießen durften.
Solche Militärischen Simulationen haben aber nichts mit den uns bekannten Spielen zu tun.

Aber wie gesagt: Ich als ehemaliger Counterstrike Spieler hatte nirgends Vorteile gegenüber Nicht-Spielern.

GamingHorror Game Designer - 968 - 9. Juli 2009 - 17:53 #

Kollegen von mir waren erst neulich das erste mal auf dem Schießstand, zum "Probeschiessen". Von der automatischen 9mm über den Revolver zum Jagdgewehr war alles dabei.

Reaktionen: viel Überraschung über die gesamte Physik dahinter, gerade Rückstoß und Lautstärke aber auch Gewicht der Waffen und wie schwer oder einfach das zielen fällt.

Und das sind alles gestandene Killerspiel-Spieler!

Ich stelle fest: mit Maus und Tastatur das Schiessen und Zielen zu trainieren ist genauso unglaubwürdig als mit dem Hometrainer das Fahrradfahren zu lernen.

Übrigens, warum verbietet man nicht einfach Killerspiele nur für Schützenvereinsmitglieder, und umgekehrt zum Eintritt muss erst eine Killerspiellosigkeit nachgewiesen werden? Damit könnte ich gut leben. ;)

mean2u 13 Koop-Gamer - 1309 - 14. Juni 2009 - 18:45 #

Sehr interessanter Report, der das Thema ziemlich gut zusammenfasst. Bitte in Zukunft mehr davon ^^

peo 08 Versteher - 188 - 14. Juni 2009 - 21:27 #

Super Bericht...bitte mehr...

Was mich noch weiter brennend interessieren würde - wie diese Programme aussehen, Screenshots von diesem "World in Conflict Mod" oder anderer Mods wäre wirklich echt spannend.

Vor allem wenn man sieht wie die Bundeswehr oder andere Militärinstitutionen solche Programme zu üben benutzen, dann muss man sicher wirklich totlachen, wenn wieder sinnlos Diskussionen kommen das Counterstrike zum töten animiert wird.

Joker 12 Trollwächter - 1189 - 15. Juni 2009 - 12:16 #

großartig...

ich weiß warum ich deine hefte früher gerne gelesen hab ;)