Report: Die media control

Die Zahlensammler Report

Im schönen Baden-Baden residiert in einem prunkvollen Bau die media control. Sie versorgt Deutschland mit Marktdaten zu allen Entertainment-Bereichen, darunter Spielen. Doch können die Zahlen im Zeitalter von Grauimporten, Online-Händlern und Download-Portalen überhaupt noch stimmen? Wie erfasst die Firma all die Daten? Lest selbst.
Jörg Langer 6. November 2010 - 17:17 — vor 13 Jahren aktualisiert
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Wer in Deutschland Marktzahlen sucht, sei es über das Kaufverhalten von Staubsauger-Kunden oder Absatzzahlen von HD-Fernsehern, hat sich daran gewöhnt, dass diese Zahlen fast immer von derselben Firma kommen: der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) nämlich, die monatlich rund 20.000 Käufer zu allem Möglichen befragt und daraus für diverse Produktgruppen Marktdaten erstellt.

Verlässliche Spiele-Verkaufszahlen aber, wie sie in vielen Zeitschriften als Top-10-Listen veröffentlicht werden und wie sie die Spielehersteller für ihre Planung und Kontrolle verwenden, kommen von der media control. An der hält übrigens die GfK einen Mehrheitsanteil von etwa 70 Prozent. Während die GfK-Panels rein auf Kundenbefragungen basieren, entstehen die Zahlen der media control völlig anders: Es handelt sich um die Addition von Zahlen, die direkt aus den Warenwirtschaftssystemen von über  2.500 Verkaufsstellen in Deutschland einfließen. Also von Spielehändlern, Media-Märkten und Co.

Kostenpunkt? Die Angebote der media control beginnen bei etwa 500 Euro im Monat, können aber auch um die 50.000 Euro jährlich für Großkunden erreichen. Die erhalten dafür zeitnah Informationen über die eigenen Produkte und die der Mitbewerber, können nachsteuern oder frühzeitig Schadensbegrenzung betreiben (auch als frühe Preissenkung bekannt). Knapp 50 nationale Kunden hat die media control in Deutschland, die jede Woche (meist am Mittwoch der Folgewoche) begierig auf die neuesten Wochenpanel-Zahlen warten  oder bereits am Montag eine erste Übersicht erhalten. Doch es gibt mehrere Ungenauigkeiten, die die so fleißig addierten Zahlen betreffen. Um die zu verstehen, müssen wir uns aber erst einmal die generelle Arbeitsweise der media control ansehen.

Das spartanische Frontend des media-control-Webprogramms täuscht über die Datentiefe hinweg.

Wie funktioniert media control überhaupt?

Ohne aktive Mitarbeit des Herstellers geht bei media control nichts. Zwar melden zahlreiche Händler, darunter MediaMarkt, Saturn, Karstadt/Kaufhof, Amazon, Drogeriemarkt Müller, Berlet, ProMarkt und GameStop wöchentlich an die GfK ihre Zahlen, und viele weitere wie Vedes, Neckermann, Otto und Quelle zumindest monatlich. Die Zuordnung der gemeldeten Zahlen zu tatsächlichen Produkten erfolgt bei der GfK über deren EAN-Code, der auf der Rückseite jedes Spiels zu finden ist. Im Tages- und Wochenpanel werden ausschließlich Händler berücksichtigt, die mit allen Filialen zu 100 Prozent die Daten liefern. Sollte ein Händler anstelle von sechs Tagen nur fünf melden, wird aber einfach der Schnitt der vorangegangenen fünf Tage auch für den sechsten angenommen. Das sei aber nur sehr selten notwendig, beteuert Tanja Eisen, Director Multimedia bei der media control: "Alle Retailer liefern direkt täglich." Bezahlt wird ein Händler übrigens nicht fürs Melden, dafür erhält er eine Gegenleistung in Naturalien, nach dem Prinzip "Daten gegen Daten". Auf Deutsch: Er zahlt nichts dafür, seinerseits Zugriff auf die Marktdaten zu haben.

Der PC-Blockbuster des Jahres, Starcraft 2, ist bei Zavatar.de nicht zu finden.
Um EAN-Code und Produkt zusammenzubringen, verlässt sich die media control erstaunlicherweise nicht etwa auf eine eigene Produktdatenbank, sondern auf die Website Zavatar.de, einer Spieledatenbank mit fast 19.000 Einträgen. Sie wird von Helliwood media & education in Berlin sowie vom Förderverein für Jugend und Sozialarbeit e.V. verantwortet. Jeder Spiele-Publisher muss selbst zavatar.de rechtzeitig und richtig mit seinen Releases füttern. So trägt zumeist der zuständige Product Manager Spieletitel, Genre, USK-Freigabe und andere Angaben, vor allem aber den EAN-Code ein. Vertut er sich hier, trägt er also die Daten zu spät oder fehlerhaft ein – so werden auch die resultierenden GfK-Zahlen fehlerhaft. Das Spiel verschwindet mit seien Zahlen dann unter "Sonstiges", statt mit Titel genannt zu werden – sofern die media control nicht manuell nachkorrigiert.

Einen "Graubereich", so ein Publisher zu uns, gäbe es dabei: Wie meldet man Special Editions und Co.? Werden diese Produkte wirklich anders betitelt, oder verweisen mehrere EAN-Codes auf denselben Produktnamen, ganz ohne "Special Edition"?  In unserem Kontrollversuch für diesen Artikel stellte sich heraus, dass viele Titel erst gar nicht ihren Weg in die Datenbank finden. So konnten wir nicht einmal den PC-Blockbuster des Jahres, Starcraft 2, in der Datenbank finden – nur dessen Vorgänger. Klar, in solchen Fällen wird der Fehler mit Sicherheit erkannt und manuell korrigiert, aber gerade bei kleineren Titeln kann es offensichtlich zu Abweichungen dadurch kommen. Schließlich werden die Verkaufszahlen jeder Woche immer weiter aufaddiert, ergeben Monats- und Jahreszahlen. Das ist aber nur ein Problem, dessen sich Nutzer der media-control-Auswertungen (oder Leser beim Anblick von Charts) bewusst sein sollten.

Wie die Zahlen gewichten?

Die von der media control hochgerechneten Zahlen differieren je nach Produktklasse von den tatsächlichen Verkäufen – schließlich deckt die media control nur etwa 70 Prozent der relevanten Spiele-Outlets in Deutschland ab. Wieso also nicht von vornherein die Spielezahlen mit einem Gewichtungsfaktor versehen? Tanja Eisen sagt dazu: "Die Hersteller wollen überhaupt nicht, dass wir hochrechnen, da sie selbst viel besser ihre Shipments und jeweiligen Vertriebskanäle kennen. Würden wir die Zahlen gewichten, könnten das die Ergebnisse sehr verzerren." Allerdings gibt die media control eine Empfehlung für einen Hochrechnungsfaktor auf den Gesamtmarkt ab. Dieser wird zusammen mit dem Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) ermittelt, zudem erfolgt ein Abgleich mit den Daten der Einkaufsstellenverteilung aus dem GfK-Konsumentenpanel.

Stärker aber will sie nicht eingreifen. Denn ob bei Spiel X die 70 Prozent der eingespeisten Outlets tatsächlich 70 Prozent der Verkäufe entsprechen, oder beispielsweise 60% oder 80%, das ist nicht gesagt: Je ungewöhnlicher der Vertriebsweg oder die Produktkategorie, desto mehr müssen die Hersteller hinzurechnen, indem sie mit einem Gewichtungsfaktor multiplizieren. Bei Konsolentiteln scheint sich ein Faktor von etwa 1,6 bewährt zu haben, bei Casual Games und Lowprice-Produkten hingegen setzen Hersteller wie Rondomedia durchaus den Faktor 2 oder sogar 2,5 an. Will heißen: Wenn die media control 10.000 verkaufte Einheiten meldet, macht der Hersteller intern beispielsweise 20.000 daraus. Schließlich weiß er für seine eigenen Produkte irgendwann, wie viel davon er tatsächlich verkauft hat, generiert oder optimiert daraus den Hochrechnungsfaktor – und kann mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass auch ähnliche Konkurrenzprodukte so gewichtet werden können.

Bei Spielen wie Braid (von Rondomedia vom Download-Spiel in ein Packungsprodukt verwandelt) kann die media control aktuell nicht alle Verkäufe messen – sondern eben nur die, die im Handel beziehungsweise bei Gamesload stattfinden.

flow7 (unregistriert) 6. November 2010 - 17:31 #

sehr guter artikel!!!!

flow7 (unregistriert) 6. November 2010 - 17:36 #

wie ermittel eigentlich eine seite wie vgchartz.com die verkaufszahlen weltweit???

Anym 16 Übertalent - 4962 - 6. November 2010 - 19:21 #

Sie raten einfach. ;-) VG Chartz arbeitet vor allem mit Schätzungen und muss diese nach der Veröffentlichung verlässlicherer Zahlen oft auch nachträglich korrigieren, teilweise signifikant.

Freizeitrebell (unregistriert) 6. November 2010 - 18:09 #

Zitat: "So werden wohl nach wie vor nur die Spezialhändler eingerechnet, die wiederum von "eingespeisten" Zwischenhändlern wie TMI hre Ware erhalten."

Wie geht das, wenn TMI vor 2 Jahren Pleite gegangen ist?

Jörg Langer Chefredakteur - P - 469800 - 6. November 2010 - 21:23 #

Das geht dadurch, dass ich ein falsches Beispiel hingeschrieben habe. Hab's durch Expert ersetzt.

anonymer Onkel (unregistriert) 6. November 2010 - 18:52 #

Interessanter Artikel!
Ich frage mich, warum Valve und andere digitalen Distributoren mit media control zusammen arbeiten sollten.
Angebotsknappheit sollte bei z.B. Steam nicht das Problem sein und auch die Publisher können doch viel genauere Zahlen direkt von Valve erhalten, wieviel und, durch die Auswertung der IPs, wohin verkauft wurde. Zudem gäbe man ohne Not Informationen an die Konkurrenz weiter.
Sollte sich digitaler Vertrieb langfristig durchsetzen, sehe ich keinen Nutzen der Datenerhebung über media control für Produzenten und Verkauf.

mph-94 10 Kommunikator - 401 - 6. November 2010 - 20:36 #

Sehr interessanter und schöner Artikel, der - genau wie der Artikel über Crytek - einen seltenen Einblick gewährt!

bananenboot256 13 Koop-Gamer - 1241 - 7. November 2010 - 0:21 #

Dafür liebt man Gamersglobal :-)

Toller Artikel.

JakillSlavik 17 Shapeshifter - 7253 - 7. November 2010 - 2:14 #

Vielen Dank für den Artikel. Meistens bin ich froh, dass ich, wenn sie denn irgendwo abgedruckt sind oder mir über den Weg laufen, Charts gewissentlich ignoriere.

Achja auf der ersten Seite im zweiten Absatz bei "Wie die Zahlen gewichten?" ist da folgender Teil vermutlich fehlerhaft: "Schließlich weiß er für seine eigenen Produkte irgendwann weiß, wie viel davon er tatsächlich verkauft hat,[...]" ~

Earl iGrey 16 Übertalent - 5093 - 7. November 2010 - 5:38 #

Jeppjeppjeppjepp... Rrrradio! :) Vielen Dank, schöner Artikel.

Vaedian (unregistriert) 7. November 2010 - 11:03 #

Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast ;).

Schöner Artikel!

Asto 15 Kenner - 2904 - 20. Juli 2011 - 23:27 #

True Words. Beide Zeilen :)

Hyperbolic 21 AAA-Gamer - P - 25234 - 7. November 2010 - 11:08 #

Wie kann es sein das in der Datenbank auf die Media Control zugreift Starcraft II nicht zu finden ist und es dennoch Wochenlang auf Platz Eins der Charts stand?
Hat Media Control einfach den grössten Posten ungenannter Software zu Starcraft II erklärt?

Im Grunde bleibt am Ende nur der alte Spruch:
Traue keiner Statistik die du nicht selbst gefälscht hast!

Jörg Langer Chefredakteur - P - 469800 - 7. November 2010 - 13:43 #

Das steht doch im Text. Die Media Control prüft eigenen Angaben nach die Daten wöchentlich, und wird das dann schon richtig zugeordnet haben.

Hyperbolic 21 AAA-Gamer - P - 25234 - 7. November 2010 - 18:16 #

Naja, das ganze wirkt auf mich trotzdem sehr beliebig.
Starcraft II erscheint, Media Control werden sehr hohe Verkäufe eines Programms gemeldet das nicht in der Datenbank steht und Media Control ordnet diese Verkäufe dann Starcraft II zu.

Green Yoshi 22 Motivator - P - 36257 - 7. November 2010 - 14:59 #

Warum sollte Media Control Downloadverkäufe miteinbeziehen? Ob Kirby's Fun Park im Virtual-Console-Shop ein Renner ist, kann Nintendo doch problemlos selber rausfinden. Und ob sich ein Spiel in Steam verkauft oder nicht, könne die Publisher ebenfalls leicht selber ermitteln.

Dennis Ziesecke 21 AAA-Gamer - 30866 - 7. November 2010 - 15:21 #

Ich könnte mir vorstellen, dass Hardwarehersteller da auch ein Interesse haben könnten. Ob ich einen neuen Flugjoystick entwickeln lasse mache ich davon abhängig, wie viele Flugsimulationen verkauft werden. Wenn jetzt aber die beiden besten Flugsimulationen nur per Downloadplattform verkauft werden (da aber besser als meinetwegen CoD oder MoH) verfälscht das doch etwas meine Marktforschung. Wer sich da nur nach MediaControl richtet würde die Entwicklung sein lassen, obwohl der Markt vorhanden wäre.

Flugsimulationen und Joysticks sind übrigens nur ein wahllos herausgepicktes Beispiel.. Nur für die Nörgler ;) .

Jörg Langer Chefredakteur - P - 469800 - 8. November 2010 - 11:01 #

Die eigenen Verkäufe kann jeder Hersteller leicht selber ermitteln, darum geht es ja nicht.

John of Gaunt 27 Spiele-Experte - 78508 - 10. November 2010 - 0:44 #

Und wieder mal zeigt sich: die derzeit interessantesten Reporte, die Themen behandeln, die man nicht schon dreimal vorgekaut bekommen hat, gibt es auf GamersGlobal. Sehr schön!

jguillemont 25 Platin-Gamer - - 63401 - 23. Januar 2013 - 22:32 #

Alt, aber gut, gerade auf den Artikel gestoßen, immer noch lesenswert!