Live aus Vancouver für GamersGlobal: Während Deutschland friedlich schläft, grummelt Heinrich Lenhardt an der fernen Westküste in seine Tastatur und kommentiert aktuelle Spielegeschehnisse. "Lenhardts Nachtwache" erscheint (fast) jeden Samstagmorgen und ist die heitere Gute-Nacht-Geschichte für Rotaugen beziehungsweise der Muntermacher für Frühaufsteher.
Abt. „Statistik“:
Das Tarnen und Täuschen der Zahlenkünstler
Manch einer mag nur den Statistiken glauben, die er selbst gefälscht hat. Für eine solche zynische Einstellung kann man angesichts der selektiven Daten in Spiele-Infografiken vollstes Verständnis haben. Die Games-Branche hat die Tatsachenverschleierung unter Einsatz des höchstmöglichen Zahlenaufwands zu einer regelrechten Kunstform entwickelt – da könnte sogar das griechische Finanzministerium noch etwas lernen.
Im Zeitalter der Dauer-Logins lässt sich der aberwitzigste Mumpitz statistisch erfassen und optisch hübsch aufbereiten. Das ist lustig und wird gerne von nach Klickfutter gierenden Redaktionen als „News“ weiter verbreitet. Nur zu dumm, dass dabei die wirklich wichtigen Daten, wie Anzahl der Käufer oder aktiven Spieler, gerne verheimlicht werden.
So ließen uns die Schöpfer von Mittelerde – Mordors Schatten diese Woche wissen, dass dessen Spieler in rund vier Monaten 5,65 Milliarden Uruks abservierten. Und das mit der sportlichen Schlagzahl von 76 Uruks pro Spielstunde. Wir wurden durch die Information erhellt, dass 95,6 Millionen „einmalige“ Uruks mit dem Nemesis-System generiert und am häufigsten per Schwert (62%) massakriert wurden. Was wir nicht wissen: Wie häufig sich das Spiel auf den einzelnen Plattformen verkauft hat. Das wäre für mich minimal aufschlussreicher, als zu erfahren, wie viele Warchiefs von ihren eigenen Leibwächtern betrogen wurden (23,1 Millionen).
Der Haken an diesen Zahlen-Augenwischereien ist, dass sie zu mehr oder weniger fundierten Hochrechnungs-Ratespielen einladen. Wie erfolgreich ist der im Vorfeld hoch gehandelte Online-Shooter Evolve denn nun wirklich? Die am 20. Februar veröffentlichten Daten sagen uns nicht, wie häufig das Spiel abgesetzt wurde und wie viele aktive Spieler sich auf seinen Servern tummeln. Dafür erfahren wir, dass in der ersten Woche nach dem Verkaufsstart 5.989.905 Partien gespielt wurden. Wahnsinn!
Aber ist das wirklich so imposant, wie es klingt? Da es keine Story-Kampagne gibt, kann man bei Evolve nichts anderes machen, als Online-Matches zu absolvieren. Wenn ich nun (völlig aus der Luft greifend) annehme, dass der Durchschnittsspieler 20 Partien binnen der ersten Woche bestritten hat, kommt man eine Division später auf rund 300.000 Käufer. Zu hoch gegriffen, zu tief gestapelt? Wir wissen es nicht, weil uns die wirklich wichtigen Zahlen von den geheimniskrämernden Publishern vorenthalten werden.
Zu den Meistern der Zahlenverschleierung darf man auch Activision zählen. Destiny wurde positiv, wenn auch nicht euphorisch bewertet, scheint sich aber gut verkauft zu haben. Wie gut, das sagt uns keiner. Womöglich nicht gut genug, um auf das Verbreiten von missverständlichen Zahlen verzichten zu können?
Bei der Bekanntgabe der letzten Quartalsergebnisse sprach Activision von „16 Millionen registrierten Spielern“, was nur auf den ersten Blick nach einem sensationellen Erfolg aussieht. „Registriert“ sind auch alle Leute, die sich mal für eine kostenlose Beta angemeldet, das fertige Produkt aber nie gekauft haben. Dann gibt es sicher auch User, die sich mehrmals registrierten (zum Beispiel ich, um an der Beta sowohl in Europa als auch Nordamerika teilzunehmen). Selbst bei Umsatzangaben für Aktionäre müht man sich um Unklarheit: Destiny sei im Geschäftsjahr 2014 zusammen mit Hearthstone für 850 Millionen Dollar Umsatz verantwortlich gewesen. Entweder ist der Finanzvorstand ein zwanghafter Addierer oder man hat andere Gründe, warum keine harten puren Destiny-Zahlen verraten werden. Zum Trost gibt’s ja immer noch ne Infografik…
Abt. „Wetter“:
Temperatur- und Spielpreis-Sturz
Ambitionierte Spiele-Schnäppchenjäger studieren in diesen Tagen mit erhöhtem Interesse die Wettervorhersage für London. Denn bis zum 10. März bestimmt die Nachmittagstemperatur in der englischen Hauptstadt den $-Preis für das neue Puzzlespiel A Good Snowman Is Hard To Build. Das kostet regulär 12 Dollar, und wenn das Thermometer weniger als 12 Grad anzeigt, hat man dadurch richtig Geld gespart.
Freitagnachmittag waren’s zum Beispiel 7 Grad, macht 7 Dollar. Das kommt sogar günstiger als der temperaturunabhängige Steam-Rabatt von 20% – unterhalb von 10 Grad ist der Wetterpreis besser. In den nächsten Tagen ist mit leichter Erwärmung zu rechnen, also jetzt zuschlagen – oder kommt’s vor dem 10. März doch noch zu einem Kälteeinbruch? Ein Gratisspiel dank Dauerfrost in London ist eher unwahrscheinlich, und man möchte es den Entwicklern ja auch nicht zumuten, dass sie bei Minusgraden draufzahlen müssen.
Die Aktion ist amüsant und überaus passend. Schließlich dreht sich das Spiel um den wohlüberlegten Bau eines Schneemanns – eine Tätigkeit, die gemeinhin von niedrigeren Temperaturen begünstigt wird. Vielleicht macht das Beispiel Schule und dynamische Preisgestaltung weckt auch bei anderen Verkaufsaktionen erhöhte Aufmerksamkeit. Ein Rennspiel könnte sich an A1-Staulänge oder Benzinpreis orientieren, der Wert einer Wirtschaftssimulation mit dem DAX steigen und fallen. Und in der Redaktion GamersGlobal ließen sich Gehälter und Honorare an Jörg Langers Blutdruck koppeln, der bekanntlich durch Fleiß, Pünktlichkeit und schnurrende Kätzchen gesenkt werden kann.
Ob es Benjamin und Christoph so cool fänden, wenn ich mit einem Troll-Kommentar ihre Tageslöhne abstürzen lassen würde... wer weiß. Aber ich bin da auch bestechlich. :P
Ab und an gibt es einen Marketing Gag, den man noch nicht kennt und der einen tatsächlich zum Kaufen animieren kann. So bei mir bspw., wenn man den Preis eines mir unbekanntes Spiels, an die Temperatur in einer Großstadt koppelt. Ich konnte gerade so widerstehen und werde lieber noch eine Nacht darüber schlafen. Morgen werden dann die Temperaturstatistiken der letzten Jahre ausgewertet ;) Schöner Fund.
Wir müssten mal anfangen auf allen Kanälen zu verbreiten Evolve hätte sich nur 300.000 mal verkauft, mal sehen wie Leute es glauben.
Ist es denn so unrealistisch? So sehr ich die Spielerzahlennews auch nicht mag, aber diese Zahlen sprechen nunmal auch eine Sprache.
Ich wüsste zu gerne, wieviele Bots Evolve gespielt haben...^^
Ist Evolve denn ein Spiel, in dem Bots überhaupt in nennenswerter Zahl zu erwarten sind? Ist ja nicht so, dass man da Ressourcen grinden muss oder ähnlich stupide Aufgaben über einen längeren Zeitraum zu erfüllen hat.
Die Zahl der Bots richtet sich offenbar nach der Zahl der vorhandenen Spieler - je weniger Spieler, desto mehr Bots. Ich könnte schwören, wir werden die Gesamtzahl der eingesetzten Bots nie erfahren ;-)
Ach so, Du meinst Bots, die von den Entwicklern eingesetzt werden?
Ja genau - die Dinger, die fehlende Spieler ersetzen.
Alles klar. Ich dachte zuerst an diese Cheater-Bots, die von faulen Spielern verwendet werden :)
Die Zahl ist genauso reallistisch wie jede andere die man sich aus den Finger saugt. Aber nach heutigen Standards wäre es sehr wenig für einen AAA-Titel. Wenn also genügend Leute eine kleine Zahl immer wiederholen kann man damit vmtl. einige Aktionären Angst machen und um dem gegen zu steuern könnte der Publisher echte Zahlen veröffentlichen.
Ich bin nicht zynisch, na gut, meistens nicht. Aber ich glaub auch nur meinen Statistiken. Das was studierte Betriebswirtschaftler oder Volkswirte von mir haben wollen ist ... mangelaft :D
Danke für den schönen Kolumnenbeitrag!
Wieder eine schöne Nachtwache, auch wenn mir jetzt die Augen von den Statistiken verschleiert wurden. ;)
Wieder mal sehr kurzweilig zu lesen.
das mit den verschleierten verkaufszahlen nervt mich gerade als pc-spieler auch sehr, da man in entsprechenden diskussionen beim vergleich verschiedener plattformen somit immer wieder auf spekulationen oder unseriöse quellen wie vgchartz zurückgegriffen wird.
denn wenn überhaupt mal zahlen genannt werden, sind das üblicherweise nur retail-zahlen. wie oft sich der jeweilige titel etwa über steam verkauft hat, bleibt in der regel weiterhin ein mysterium.
yes, neue nachtwache :)
Eine kleine Anmerkungen zu den Evolve-Zahlen:
Da ja pro Partie 5Spieler beteiligt sind und sie in ihrem Artikel von 20 Partien pro Spieler ausgehen käme man ja bei ca. 6mio. Gesamtpartien auf 1.5mio Spieler. Aber ansonsten sehr lesenswerter Artikel.
Da man auch offline mit Bots spielen kann, müsste man noch wissen, ob die 6 Millionen nur Online-Partien sind oder alle Partien.
Außerdem steht oben in den Kommentaren ja schon, dass fehlende Spieler auch durch Bots aufgefüllt werden.
Solange ich nicht für die Steuer arbeite, interessieren mich die genauen Verkaufzahlen wenig. Die Hauptsache für mich ist, dass es immer genug aktive Mit- und Gegenspieler gibt
"5.989.905 Millionen Partien gespielt wurden"
Ich denke man sollte/muss hier "Millionen" rauslöschen, oder es einfach durch "6 Millionen" ersetzten (oder 5,99 Millionen).
Wieviel wären 5 Millionen Millionen eigentlich?
5.000.000.000.000 = 5 Billionen
Danke für die Nachtwache! Lese die Texte der Helden meiner Kindheit immer gerne, egal zu welchem Thema ;)
Wann kommt der nächste VeteranenPodcast?
Sehr schön, vielen Dank :)
Sehr kurzweilig zu lesen. Vielen Dank.
Für Evolve und Steam ist es recht einfach:
http://steamcharts.com/app/273350
....
Danke für den Link: Nach dem 10.02.2015 täglich unter 25.000 Spieler, abfallend, am 28.02.2015 sind es nur noch 6.000 Spieler.
Äh, der 28.2. ist heute, und hat in USA gerade erst begonnen...
Das ist ja nicht Schlimm. Dafür ist ja der 24 H Peak der Ebenfalls bei "nur" knapp 7000 Spielern lag.
Das Maximum ist 27,403 . Also deutlich weniger die es zumindest auf Steam Spielen. Dazurechen muss man allerdings noch die Konsolen Versionen.
Im Vergleich Dota2 hatte am 24 Feburar einen Peak von 1,25 mio Spielern.
Guten Morgen, bei mir sind es gerade 3 Grad Celsius... also für 3 Euro würde ich mir jetzt gern ein Spiel kaufen - nur welches? ;0)
Schöner Beitrag von Heinrich.
Meiner Ansicht nach werden es Publisher zukünftig nicht leichter haben, reine Multiplayer-Online-Titel ohne Singleplayerkampagne einer ausreichend großen Nutzerschaft schmackhaft zu machen. Die Auswahl ist einfach zu groß. Wenn der Publisher dann mit offenen Karten spielt und nach einer Verkaufswoche die wirkliche Anzahl aktiver Spieler präsentiert und diese, weil so sensationell schlecht, medial rasant verbreitet werden,dann läutet er das Ende seines Titels in Kamikazemanier doch selbst ein.
Aber die Publisher labern doch immer rum, dass jeder Spieler heutzutage Multiplayer-Erfahrungen in Spielen haben will und alles muss voll social sein und Singleplayer braucht kein Schwein, so wird auch weniger kopiert, blablabla. :D
Genau, und wer das nicht einsieht, muss eben zu seinem Glück gezwungen werden :-(
Verdammte Axt, ich bin wohl kein Spieler!
Aber das wissen wir doch längst :-)))
Nur muss das Spiel dann auch F2P sein, das vergessen einige Publisher, denn solche Spiele sind in der Regel nun einmal kostenlos spielbar. Wer dann sogar noch Vollpreis verlangt, der muss sich nicht wundern, wenn keiner seinen "eigentlich ist so etwas kostenlos"-Titel haben will.
Ich denke, es ist doch in keiner großen Branche üblich, sensible, interne Zahlen wie exakte Budgets und Verkaufszahlen zu veröffentlichen. Das analysiert man lieber selbst, statt der Konkurrenz sowas vorzulegen. Warum sollten sie das tun? Ihr legt doch hier auch nicht jeden Monat euren Finanzplan offen^^
Jörg, wo bleibt die Auswertung? Dieser Beitrag hat zusammen mit Hearthstone bereits 5.096 Millionen User/Spieler. :-)
Sehr schöne Nachtwache, wie immer.
Schöner Beitrag, danke an Lenhardt.
Ich würde eher die folgende Vermutung zu Evolve machen:
Pro Spiel fünf Spieler?
Macht dann ca. 25Mio.
Nun wie geschrieben geteilt durch 20,
macht ca. 1.2Mio.
Das halte ich für realistischer gerechnet :D
Die optimale Sonntagslektüre, bevor es zur Arbeit geht :)