In der wöchentlichen Rubrik "Die 2. Chance" stellt Sven Ohnstedt gute Spiele vor, die eine eben solche verdient haben aus seiner Sicht -- weil sie etwas älter sind oder ein Nischendasein führen.
In der aktuellen Ausgabe der Gamepro wird Excitebike 64 vorgestellt – als Retrospiel wohlgemerkt. Es ist in der Tat ein gutes Spiel, werte Kollegen, aber euch ist dabei, kann ja mal passieren, ein kleiner, nicht unwesentlicher Fehler unterlaufen: Das Nintendo 64, meine Jugend, gehört doch noch nicht ins Videospielmuseum! Kommt schon, ich bitte euch, das kann nicht euer Ernst sein. Ich saß doch erst kürzlich noch vor meinem Röhrenfernsehr und habe mit der Konsole gespielt. Ich sehe diesen halbwüchsigen Teenager noch immer so lebhaft vor mir, mit seinen blondierten Haaren, Zahnspange und Skaterklamotten. Wie so viele brachte auch er seine Pubertät damit zu, seine Karriere als professioneller Videospieler peinlich genau zu planen. Die Konkurrenz würde groß sein, das war ihm bewusst, Siegprämien und Lorbeerkränze würden nur die Besten erhalten. Alle anderen müssten mit Pokalen vorliebnehmen, aus milchigem Glas, mundgeblasen, Unikate als Trostpreis – die ultimative Arschkarte. Aber, wie gesagt, die Karriere war ja minutiös geplant und eine Vitrine für derartige Pokale darin nicht vorgesehen: Die erste Prämie würde er in ein Strandhaus investieren, die zweite in ein schickes Auto und die dritte in ein Kind...
Zehn Jahre ist das jetzt her. Und soll nun schon "retro" sein. Bin ich denn wirklich so alt geworden?
Alles schon gesehen?
Mittlerweile spiele ich notgedrungen mit dem Gedanken, mich damit abzufinden, dass ich nicht mehr der Jüngste bin. Wie wäre es denn, mit Anstand alt zu werden? Alt und, vor allen Dingen, weise. Altersweisheit stellt nämlich die unausgesprochene Lizenz dar, altkluges Zeug daherzureden, ohne dass sich irgendwer widersetzen könnte. Als hätte man schon alles gesehen. Als würde die Zukunft nichts Neues bringen. Tetris? Ach, was wisst ihr Jungspunde denn schon über Tetris? Meine Mutter hat schon Tetris gespielt, so alt ist das. Damals, auf dem Game Boy. Wusstet ihr, dass Tetris auf dem Mega Drive mehrere tausend Euro kostet, weil nur eine handvoll Module produziert wurden? Oder dass Tetris 64 einen Modus namens Bio Tetris beinhaltet, der über einen Clip am Ohrläppchen euren Puls misst und daran die Geschwindigkeit der fallenden Steine ausrichtet? Kommet und staunet!
Aber unter uns: Tetris in 3D, Tetris mit Disney-Figuren, Tetris mit vier Spielern gleichzeitig – man könnte tatsächlich noch einiges über die Serie berichten. Eine altkluge Beredsamkeit scheint mir dennoch nicht angebracht: Wer hätte gedacht, dass sich Tetris mit Sim City kombinieren lässt? Ich jedenfalls nicht, zumindest bis vor Kurzem. Darf ich euch City Rain vorstellen?
Alles schon erlebt?
Anfangs ist das quadratische Spielfeld noch so gut wie unbesiedelt, ein kleiner Fluss grub sich ein Bett, ein paar Bäume grenzen an, reichlich Bauland außenherum. Erste Einwohner haben bereits ihren Weg hierher gefunden, sie scheinen sich für ein bescheidenes Leben im Einklang mit der Natur entschieden zu haben. Doch die Idylle trügt: Binnen weniger Spielrunden entsteht hier eine pulsierende Metropole. Pro Spielrunde stehen dabei höchstens fünf Gebäude zur Auswahl, für eines muss man sich entscheiden. Dabei ist Eile geboten, denn die Zeit drängt: Wie in Tetris fallen die Gebäude stetig vom Himmel, als würde es regnen – daher der Titel des Spiels. Die Bewohner zahlen Steuergelder und verlangen im Gegenzug, dass sie Arbeit in ihrer Nähe finden sowie Zugang zu öffentlichen Leistungen erhalten. Eine Schule soll es sein, zudem ein Park und ein Krankenhaus, und bitte jeweils nicht weiter als drei Spielfelder entfernt. Polizei und Feuerwehr sorgen für ausreichende Sicherheit. Eine Müllhalde inmitten der Wohngegend ist dagegen unerwünscht, sie kann gar nicht abseits genug liegen.
Dabei geht es in City Rain noch nicht einmal darum, eine möglichst große Stadt aufzubauen. Vielmehr steht der Naturschutz im Vordergrund, denn unter der Urbanisierung leidet das Ökosystem: Müllberge quillen über, Flüsse kippen um, Wälder verdorren. Der Schaden lässt sich durch spezielle Gebäude begrenzen, nur schlagen diese teuer zu Buche und benötigen zudem einige Spielrunden, bis sie ihre positive Wirkung entfalten – Gut Ding will Weile haben. Währenddessen fallen dennoch immerzu Gebäude vom Himmel, auch dann, wenn die Stadt längst ihre optimale Größe erreicht hat. Wohin mit ihnen? Hält die Natur solange dieser weiteren Belastung stand? City Rain ist ein Drahtseilakt.
Fakten: City Rain
Schön, kannte ich überhaupt noch nicht. Schau ich mir mal die kostenlose "Variante" an.
Kleiner Tippfehler im Abschnitt "Alles schon gesehen?": "was wisst wir Jungspunde denn schon über Tetris?"
Immer her mit den quasi Serious Games ^^
Das Spielfeld erinnert mich irgendwie an Utopia für das SNES.