Danke an Claus für den MAME-Screenshot von Q*Bert im Teaser.
Warren Davis hat diverse Spiele gemacht in seiner Karriere, er war in leitender oder unterstütztender Rolle unter anderem an Us vs Them, Joust 2, Lotto Fun, Exterminator, Terminator 2 und Revolution X beteiligt. Außerdem programmierte er das System, mit dem Sportler und Schauspieler für die Bally-Midway-Automatenspiele der 90er digitalisiert wurden. Er war kurz bei Disney Interactive, er arbeitete an Spyro: Enter the Dragonfly und Lunar Explorer, er war bei Industrial Light and Magic angestellt. Heute ist er Consultant, auch in der Spielebranche.
Doch das Spiel, mit dem die meisten Retrofans seinen Namen in Verbindung bringen dürften, ist Q*Bert – nur echt in dieser Schreibweise, obwohl Warren den Asterix statt eines Bindestrichs längst bereut, weil "*" unter anderem ein Platzhalter in Suchmaschinen-Strings ist. Unter welchen Umständen Q*Bert – so heißt auch die Hauptfigur des Spiels – zum Leben erwachte, rekapitulierte Warren Davis in einem launigen Classic-Post-Mortem-Vortrag auf der GDC 2022.
Die Entwicklung von Q*Bert dauerte von Frühling 1982 bis Herbst 1982, im Oktober begann dann bereits die Produktion der Automaten. Um die 25.000 seien wohl verkauft worden, meint Warren, schränkt aber gleich ein: "Ich habe das von Wikipedia, also ist es verdächtig."
Es war sein Gesellenstück für seinen neuen Arbeitgeber, Gottlieb Amusement Games. Das war ein Flipper-Hersteller, den es bereits seit 1927 gab, und der 1976 von Columbia Pictures gekauft worden war. Im Gegensatz zu anderen Pinball-Produzenten sprang Gottlieb erst spät auf den Digital-Zug auf; Warren erinnert sich daran, dass er mit einigen wenigen anderen in einem relativ neuen Bürogebäude einer Midway-Zweigstelle wirkte, das an eine riesige Maschinenhalle angeschlossen war. Die aber war leer – es gab ja noch keinen Spielautomaten, der produziert hätte werden können –, und wurde teils für Football-Spiele genutzt. Auf Befehl ihres Chefs Ron Waxman, erinnert sich Warren: "Wir wollten lieber arbeiten!"
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Warren Davis zeigte natürlich auch seine Mitstreiter Jeff Lee und Dave Thiel. |
Ron Waxman hatte Warren bereits bei seinem Job-Interview getroffen: Als er an der Eingangstür der Gottlieb-Zweigstelle ankam, sei ein großer, bulliger, zigarrerauchender Mann herausgekommen und habe ihn gefragt, ob er für ein Bewerbungsgespräch hier sei. Als Warren bejahte, habe der Mann gesagt: "Hüte dich vor Ron Waxman, das ist ein fieses Arschloch!" Wenig später saß dann derselbe Mann beim Job-Interview mit am Tisch. Es war Ron Waxman, Vice President of Engineering. "Wenn man ihn kannte, war er wirklich ein netter Typ, seine Raubeinigkeit war nur Scharade."
Die Technik, mit denen Warren und seine Kollegen arbeiteten, mutet 40 Jahre später steinzeitlich an: Ein Mainboard mit dem bewährten Intel-8088-Prozessor, das über ein Kabel mit dem eigentlichen Entwicklungssystem, einer "Blue Box" (von denen es drei bei Gottlieb gab) verbunden war. 64 KB RAM standen fürs Programm zur Verfügung, 64 Vordergrund-Sprites mit je 16x16 Pixel. Dazu kam ein Hintergrundgitter von 32x30 Blocks (je 8x8 Pixel groß), woraus sich die Bildschirmauflösung von 256x240 ablesen lässt. Die Soundplatine entsprach jener der Gottlieb-Pinball-Automaten.
DIP-Schalter auf dem Mainboard sollten den Spielhallenbetreibern erlauben, bestimmte Funktionen voreinzustellen, etwa um Freispiele zu ermöglichen, den Sound im "Attract Mode" (der Demo-Modus, wenn seit einiger Zeit niemand mehr gespielt hat) abzuschalten oder den Screen vertikal zu drehen (für die Cocktail-Tisch-Version des Spiels).
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Rechts das "Blue Box Development System", linksoben die Automaten-Platine. |
"Das Ding war einfach zu programmieren", erinnert sich Warren, "natürlich in Assembler". Ein Betriebssystem gab es nicht, nur einen Main Loop, in dem man Befehle abarbeiten ließ und dann auf das nächste "vblank" (den Neuaufbau des Bildschirms, also den nächsten Frame) wartete. "Eine komische Funktion war hardwaremäßig eingebaut", erzählt Warren, "man konnte Vorder- und Hintergrund tauschen. Keine Ahnung, wieso oder wofür, aber es war halt drin." Diese Funktion sollte sich für Q*Bert noch als nützlich erweisen...
Das erste Projekt von Warren war, bei einem nie offiziell veröffentlichten Superhelden-Automaten auszuhelfen. Es sollte erst Protector, dann Videoman, dann Guardian, dann Argus und schließlich Waxman heißen. Warren programmierte den grafischen Effekt, dass sich Gemäuer aus den Hochhäusern löste, wenn man Feinde in sie schleuderte. Und außerdem den gelben Bulldozer, der den Schutt dann wegräumte. "Der Schutt fiel immer mit gleichbleibender Geschwindigkeit, was total seltsam aussah. Ich wusste schlicht nicht, wie ich Schwerkraft simulieren sollte."
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So eine Würfelgrafik von Kan Yabumoto war laut Warren Davis seine Inspiration. |
Eines Tages habe dann Ron Waxman zu ihm gesagt: "Mach' ein Spiel!" Woher genau die Idee kam, ist ein wenig umstritten, aber Warren nennt als Initialzündung eine räumlich anmutende Grafik aus Pseudo-3D-Würfeln, die der Gottlieb-Kollege Kan Yabumoto (Mad Planets) geschaffen habe. Kinder der 70er erinnern sich vielleicht noch an ähnliche Muster, die man damals als Poster bekommen und mit Titeln wie "Cubic" bekommen konnte. (Die andere Origin Story ist, dass Grafiker Jeff Lee eine Pyramide aus Würfeln gezeichnet hatte). In elf evolutionären Schritten sei daraus Q*Bert geworden, so Warren:
Doch etwas ganz Wichtiges fehlte: ein Name für die Spielfigur, und damit auch der Name des Spiels. Außerdem gab es diverse Herausforderungen beim Programmieren, darunter vor allem das Tempo und die Kollisionsroutinen. Obwohl Q-Bert eine isometrische Fake-3D-Grafik nutzt, ist es in Wahrheit ein 2D-Spiel, die Sprites nur zweidimensional. "Wie sollte ich die Entfernung checken, ohne die Quadratwurzel ziehen zu können?" Warren behalf sich mit einfachen Koordinaten-Rechnungen, wobei er aber auch das Tempo der Figuren einberechnen musste, die sich ja auf den Würfeln diagonal bewegten.
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Im Zuge der Namensfindung wurde ernsthaft erwogen, das Spiel nur mit der "Schimpf-Sprechblase" zu betiteln, die hier auf der Seite des Automaten zu sehen ist. |
Der Sound von Q*Bert stammte von Dave Thiel, berühmt geworden ist aber die "Pseudesprache" der Spielfigur, die ständig zu fluchen scheint. In einem Foto seines Vortrags hatte Warren Davies per Pfeil einen Chip markiert: "Das ist der Vox-Chip, der menschliche Phoneme produzieren konnte. Dave hasste diesen Chip, die resultierende Sprache hörte sich extrem monoton und roboterhaft an." Doch dann kam dem Audio-Künstler eine geniale Idee: Er schickte einfach Zufallszahlen an den Chip, der entsprechend sinnlose Worte ausgab. "Die einzigen echten englischen Worte, die Q*Bert sagt, sind 'Danke, ich bin angeschaltet' am Anfang und 'Bye-bye' nach dem Highscore-Screen", schmunzelt Warren.
Aber wo kam nun der Name her? Intern hieß das Spiel deskriptiv einfach "Cubes", also Würfel. Die Gegner hatten Namen wie CHSR (Chaser, für Coiley). Aber eben nicht die Hauptfigur. Wo kam der Name Q-Bert her? "Es wurden bestimmt 50 Namen vorgeschlagen von den Kollegen, aber ich hasste sie alle." Schließlich gab es ein Namenfindungs-Meeting mit rund zehn Leuten, das bereits zwei Stunden gedauert hatte. Warren Davis' Erinnerung daran: Irgendwer schrieb "HUBERT" auf das Whiteboard, konnte aber auch nicht erklären, wieso. Jemand anderes habe dann das "H" durch ein "C" ersetzt, wegen "Cubes". Und aus "CUBERT" sei dann erst "Q-BERT" (das "U" klingt ja schon beim "Q" mit) und schließlich "Q*Bert" geworden. "Alle waren begeistert, wie kleine Kinder", erinnert sich Warren. Vielleicht wollten sie auch einfach endlich das Meeting beenden...
Auch auf den "Knocker", für den es auf dem Mainboard übrigens einen DIP-Schalter gab, kommt Warren noch zu sprechen: Der pressluftgetriebene "Klopfer" Feature stammt von Flipper-Automaten und erzeugt ein klopfendes Geräusch. Er wurde auch in den Q*Bert-Automaten eingebaut, aber das Geräusch gefiel Warren nicht: "So klang es nicht, wenn jemand von einer Pyramide runterfiel!" Mittels eines kleinen Stückchens Schaumstoff hätten sie den Klang sehr viel passender hinbekommen. "Jetzt klang es befriedigend so: 'Thud!' – aber das bisschen Zusatzmaterial, das manuell hätte in den Knocker eingebaut werden müssen, war dem Management zu teuer.", bedauert Warren.
Gegen Ende der Entwicklung wurde der Automat getestet (teils auch in einer Variante, die als Namen eine Schimpf-Sprechblase trug). Die Tests verliefen zufriedenstellend, aber gerade die Kollegen sagten nach internen Tests, das Spiel sei zu schwer. Deshalb vereinfachte Warren das Spiel, was er bald bereute. Er verrät außerdem, dass sich die Schwierigkeit der neun Levels (die sich u.a. darin äußert, wie schnell sich die Würfel umfärben lassen, und ob sie danach in der Zielfarbe bleiben, oder durch erneutes Besuchen wechseln) nach dem fünften Level nicht mehr veränderte – er habe nicht erwartet, dass jemand so weit kommen würde.
Zum ersten Mal einer breiteren Öffentlichkeit wurde Q*Bert auf einer Amusement-Game-Fachmesse gezeigt, und kurz darauf kamen die ersten regulären Geräte in die Spielhallen. Die Probleme, die sich bald zeigten aus Warrens Sicht: "Q*Bert war zu langsam. Zu leicht. Und nicht anspruchsvoll genug."
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Der nicht veröffentlichte Nachfolger hieß wirklich so. |
Was also tat er? Er programmierte direkt im Anschluss den Nachfolger namens Faster, Harder, More Challenging Q*Bert. "Doch der wurde nie veröffentlicht. Gottlieb hat ihn zwar ausgetestet, aber direkt neben dem regulären Q*Bert, zu einem Zeitpunkt, als der noch neu war und die Leute noch nicht gelernt hatten, wie man ihn spielt."
Dem Erfolg von Q*Bert tat die aus Sicht seines Schöpfers zu leichte Schwierigkeit keinen Abbruch. Der Automat stand in sehr vielen Spielhallen (und oft nicht nur einmal), bald erwähnten große Magazine und selbst renommierte Publikationen wie The New Yorker den Spielautomaten. Es gab sogar eine Cartoon-TV-Serie und einen Pinball-Tisch, dazu viele Konvertierungen auf Heimkonsolen und -Computer. Auch in den Filmen Ralph reicht's und Pixels taucht Q*Bert auf. Und wer unbedingt wollte, konnte auch eine Mischung aus Schlaf- und Faschingsanzug erwerben, samt herabhängendem Q*Bert-Rüssel.
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Mir fehlen die Worte. |
Viel Spaß beim Lesen!
Q*Bert for President! :)
Sehr schöner Artikel :)
das sich q*bert hier noch nicht selbst zu wort gemeldet hat.. pff
Ich bin ein entfernter Q-sin 4. Grades (mütterlicherseits). :]
So sei dir verziehen :D
Soviel Q*Bert habe ich früher gar nicht gespielt, informativ was das Postmortem aber sehr wohl.
Ich fand das Spiel damals als Kind sehr seltsam. Habs auch kaum gespielt.
Seltsam trifft es sehr gut. ;)
Ob der Artikel dem hier stattfindenden Q-bert gefällt?!?
und dann auch noch als Classic Post Mortem Artikel...
Der Artikel gefällt mir sehr gut! ^^
Das Spiel konnte ich nie besonders leiden, zumindest auf dem C64 fand ich die Steuerung extrem hakelig und unpräzise. Vielleicht war es auf dem Automaten besser, aber ich denke, ohne den "sympatischen Hüpfball mit großen Nase" wäre das Spiel vielleicht gefloppt.
Q-Bert ist auf jeden Fall ein (eloquenter) Sympathieträger, ob mit oder ohne *
Das Sternchen im Namen ist ein Asterisk, kein Asterix ;)
Auch dieses post mortem war wieder sehr interessant. Bei dem Kostüm wird mir aber ganz anders und muss an den Gamersglobal eigenen Christmaster denken. ;)
Sehr schöner Artikel, Danke.
Habe den Knocker erlebt als ich den Q*Bert Automaten im FAMS gespielt habe. Da habe ich mir auch gedacht, man merkt das Gottlieb aus der Pinball Ecke kommen. :)
Bin ich de Einzige, der sich beim Vorschaubild links (ziemlich klein auf dem Handy) erschrocken hat, wie alt Jörg plötzlich geworden ist?
Erinnert mich an einen GG User, heißt glaub auch Q Bert:0
Q*Bert war eines meiner ersten Spiele überhaupt auf dem Atari 2600. Ist mir wegen der ungewöhnlichen Soundeffekte besonders im Gedächtnis geblieben.
Interessanter Artikel, der Bezug Q*Bert -> Cube hat sich mir bislang nicht erschlossen ("Schuppen von den Augen").
Korrektur:
Asterix => Asterisk
Pseudesprache => Pseudosprache
Schöner Artikel, Danke dafür
Interessanter und informativer Bericht zum Q*Bert-Postmortem. Das Spiel hatte ich früher zuerst mal am Automaten und später auch auf meinem VCS 2600 ein wenig gedaddelt, war für die Atari-Konsole aber nur ausgeliehen. :)
Q*Bert Rebooted hatte ich mir 2016 für die Xbox One-Konsole dann gekauft in einem Nostalgie-Anfall. Allzulange habe ich es aber auch nicht gespielt, weder den neuen Modus, noch den Classic-Mode.
Dieses "Blue Box Development System" ... Das fühlt sich für mich ja maximal Retro an.