Von der Walking Sim zum Survival-Hit

GDC21: Die Irrwege von The Walking Dead - Saints & Sinners

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Hagen Gehritz 175540 EXP - Redakteur,R9,S10,A9,J10
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20. Juli 2021 - 12:25 — vor 2 Jahren zuletzt aktualisiert

Teaser

Zwei leitende Entwickler führen durch die wechselhafte Geschichte des VR-Hits: Vom misslungenen ersten Konzept über das Hadern mit Gewicht in VR bis hin zu den Auswirkungen des gestrichenen MP-Modus.
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In unserem Test überzeugte The Walking Dead - Saints & Sinners (Note 8.0) von Skydance Interactive durch sein befriedigend haptisches Nahkampf-System, das immersiv integrierte Inventar und seinen motivierenden Gameplay-Loop aus Looten und Craften gepaart mit  Story-Zielen. All das machte Saints & Sinners zu einem Vorzeige-Survival-Titel für VR, doch tatsächlich stand nicht eines dieser Features im ursprünglichen Design-Dokument. Die schwierige Entwicklungsgeschichte des VR-Titels im bekannten The Walking Dead-Universum zeichneten Chief Technologist Peter Akemann und Game Director Todd Adamson von Entwickler Skydance Interactive in ihrem Vortrag auf der GDC21  nach.

Als der Deal mit Lizenzinhaber Skybound eingefädelt wurde, arbeitete ein Großteil des Studios noch am DLC Hellfire für den VR-Mech-Shooter Archangel, dem Debüt von Skydance Interactive. Kaum gab es einen Story-Entwurf und ein erstes Konzeptpapier, wurde das geplante The Walking Dead VR schon angekündigt. Das ursprüngliche Konzept nahm aber das mittlere Wort im Markennamen wörtlich: Es sollte ein Walking Simulator werden, inspiriert von Titeln wie Firewatch und Oxenfree solltet ihr vor allem mit NPCs reden und viele Entscheidungen treffen. Kernelement waren daher die Auswirkungen von Entscheidungen und die verschiedenen Enden der Geschichte.

Ein großer Fokus auf Dialoge klingt nicht unbedingt danach, als würde er viel aus der Kernkompetenz des Mittendrin-Gefühls in VR machen und tatsächlich musste das Team nach 9 von ursprünglich geplanten 14 Monaten Entwicklungszeit einsehen, dass der Prototyp vorn und hinten nicht funktionierte. Zudem hatte das Team keine Erfahrungen mit Walking Sims und spielte damit auch gegen seine eigenen Stärken. Es kam zum ersten zentralen Moment der Reflexion. "Der Punkt des Versagens", wie Akemann ihn nennt.

Wäre die IP nicht so bekannt gewesen und wäre es nicht bereits angekündigt worden, hätte das Studio das Projekt vermutlich eingestampft, malt Akemann aus. Stattdessen gab es einen Reboot. Die Basis dafür war Project X, ein mehr auf Gameplay fokussierter Prototyp, den ein kleines internes Team um Todd Adamson entwickelt hatte. Außerdem wurden Kapazitäten frei, nachdem 2018 Archangel: Hellfire launchte. Nun arbeitete jedoch ein Team von 50 Personen an einem Titel ohne klares Konzept und der Deal sah explizit einen Multiplayer-Modus vor, während gleichzeitig nur noch fünf Monate Entwicklungszeit übrig blieben. Die richtige Entscheidung für Skydance Interactive war an dieser Stelle, Gespräche mit dem Lizenzpartner aufzunehmen und die Bedingungen zu ändern. So war der alte Launchtermin abgehakt und das Team nahm sich drei Monate Zeit, The Walking Dead VR basierend auf Project X grundlegend auf das Gameplay auszurichten.
Um Gewicht in VR zu simulieren, entschied das Team, dass die Hände der Spielfigur träger sein mussten als die getrackten Bewegungen der Spielerhände.

Es kristallierte sich heraus, dass in dem Titel Nahkampf eine große Rolle spielen würde. Das Team haderte dabei mit dem Problem, wie für ein haptisches Spielgefühl das Gewicht von verschiedenen Gegenständen simuliert werden soll, wenn die Spieler das Gewicht nicht in den Händen spüren können. Die Inspiration für die Lösung fand Game Director Adamson im  Puzzle-Spiel Windosill aus dem Jahr 2009. Darin wurde der Mauszeiger langsamer und träger, wenn der Spieler damit Objekte über den Bildschirm zog. Adamson selbst hatte im Bereich Animation angefangen und war deshalb sehr angetan von der Idee, Gewicht optisch durch die Animationen zu vermitteln. Dafür musste das Konzept aufgebrochen werden, dass die Hände der VR-Spielfigur sich exakt so bewegen, wie die getrackten Hände der Spieler. Stattdessen brauchen die Hände der Spielfigur je nach Gewicht der Gegenstände länger, um die Bewegung der Spieler nachzuahmen.

Das Konzept ging auf, sorgte jedoch für einen ganzen Rattenschwanz an Physik-Bugs. Geschlagene Figuren drehten sich wie Helikopter und hoben in die Luft ab. Wenn ein Walker den Spieler packte, muss der seinen Arm schütteln, um den Untoten abzuschütteln. Gleichzeitig könnte der Spieler aber mit der freien Hand auf diesen animierten Gegner einstechen, der sich in seinen virtuellen Arm krallt – eine Herausforderung für die Programmierung von Animation und Physik. Und dann gab es Stolpersteine wie Möbelteile, die Spieler als Waffen aufheben konnten, die jedoch lange Zeit  NPCs töteten, wenn diese dagegen liefen, was natürlich nicht so sein sollte.

Schließlich folgte der zweite zentrale Reflexionsmoment in der Entwicklungsgeschichte mit der Erkenntnis, dass der Multiplayer zu viel des Guten war und gestrichen werden sollte. Eine folgerichtige Entscheidung, so Akemann und daher kein zweiter Moment des Versagens. Tatsächlich hatte die bisherige Entwicklung mit Multiplayer im Hinterkopf den Vorteil, dass geskriptete Events ausgeschlossen wurden und stattdessen der Fokus auf emergent Gameplay lag, in dem sich Situationen dynamisch aus dem Aufeinandertreffen der Figuren ergeben sollten: Ein anderer Spieler konnte die Interaktion eines Mitspielers mit einem NPC unterbrechen, jeder NPC konnte potentiell sterben, außerdem reagierten Walker und NPCs nicht nur auf Spieler, sondern auch untereinander. Auch entstand aus dem Multiplayer-Konzept heraus die Basis als Solo-Hub, über die der Spieler einzelne Stadtteile ansteuert, die dann Multiplayer-Instanzen hätten sein sollen. Stattdessen wurde das persistente Hub nach der Umorientierung auf eine Einzelspieler-Erfahrung nun zum Punkt, in dem der Spieler über das Radio neue Story-Aufträger erhält, seine Beute und Deko-Objekte verstaut und seine Aurüstung durch Crafting verbessert. Die Stadteile wurden dagegen kleine Sandbox-Spielplätze, in denen Objekte und Gegner beim erneuten Besuch teils neu ausgewürfelt wurden.
Akemann fasst die Portierungsarbeiten für Oculus Quest mit WTF und OMG zusammen.

An diesem Punkt war Saints & Sinners nun auf dem richtigen Weg. Ein neues Release-Datum wurde festgelegt, doch dann musste das Team feststellen, dass Testspieler sich in dem Kampfsystem nicht annähernd so gut zurechtfanden, wie die Entwickler. Das führte dazu, dass eine eigene Abteilung wieder und wieder die ersten zwei Spielstunden neu gestaltete, um die Startschwierigkeiten auszubügeln. Akemann und Adamson sagen es nicht explizit, doch das dürfte der Punkt sein, an dem die Trainingshalle als Tutorial aufgebaut wurde, in der sich Spieler wiederfinden, bevor es weiter zum Story-Intro und in die eigentliche Spielwelt geht.

Die letzte Hürde des Teams war die Entwicklung für verschiedene Plattformen. So sollte der VR-Survival-Titel eigentlich parallel auf PC und PSVR erscheinen. Für die letztere Version wurde wegen mangelnder eigener Kapazitäten ein externer Entwickler angeheuert, dennoch scheiterte der parallele Release. The Walking Dead - Saints & Sinners erschien im Januar 2020. Nach dem Launch arbeitete das externe Studio gemeinsam mit Skydance Interactive bis Mai 2020 an der PSVR-Version. Die Quest-Variante erschien erst im Oktober 2020 und bereitete Skydance Interactive noch mehr kopfzerbrechen. Denn auch wenn auf dem Papier Details entsprechend der geringeren Leistung heruntergerechnet wurden, bei der Umsetzung wurde das Team stets aufs neue böse überrascht, wie anders zum Beispiel der Chipsatz bei der PSVR funktioniert. Bei der Entwicklung für Quest wiederum nennt Akemann die Schockmomente dramatisch "Nahtoderfahrungen". Er warnt eindringlich davor, die Portierung auf Oculus Quest zu unterschätzen. Allerdings hat das Team die Erfahrung überlebt.

Die wechselhafte Geschichte von The Walking Dead - Saints & Sinners zeigt, wie iterativ der Prozess hin zu einem funktionierenden Gameplay sein kann und wie dadurch Zeitpläne komplett über den Haufen geworfen werden. Diese Geschichte endet mit einem Hit: Laut Akemann konnten auch die mühsamen Portierungen auf PSVR und Quest große Erfolge verbuchen, sodass Skydance Interactive nun gut aufgestellt sei, um weitere VR-Spiele in Angriff zu nehmen.
Hagen Gehritz Redakteur - P - 175540 - 20. Juli 2021 - 12:12 #

Viel Spaß heim Lesen!

Golmo (unregistriert) 20. Juli 2021 - 13:02 #

GDC gibts einige interessante Videos. Ich empfehle z.B. die Spider-Man Talks von Insomanic, die sind ganz grosse Klasse und trotz viel Technik versteht man auch einiges und es ist humorvoll: https://www.youtube.com/watch?v=KDhKyIZd3O8&t

Das Video zu Saints and Sinners könnte man ja auch verlinken?
https://www.youtube.com/watch?v=w57jiPSdKXs

TheRaffer 23 Langzeituser - P - 40317 - 20. Juli 2021 - 13:53 #

Interessant ist ja, dass die offenbar noch ganz gut neu verhandeln konnten und man ihnen das Projekt dann nicht weggenommen hat. :)

rammmses 22 Motivator - P - 32652 - 20. Juli 2021 - 20:26 #

Spannend, ist auch ein tolles Spiel auf der Quest 2, müsste ich mal beenden.

Jürgen (unregistriert) 21. Juli 2021 - 13:31 #

Spannend, wie sich so ein Projekt komplett um-entwickeln kann und tatsächlich noch auf die Zielgerade kommen kann.

paschalis 31 Gamer-Veteran - P - 446546 - 21. Juli 2021 - 18:04 #

Interessanter Einblick. Ich überlege allerdings gerade, wie sich ein fest vereinbarter Multiplayer-Modus mit dem zunächst entwickelten Walking Simulator verträgt.

Jürgen (unregistriert) 22. Juli 2021 - 9:14 #

Was spricht denn gegen gemeinsame Spaziergänge? ;)

Maverick 34 GG-Veteran - - 1330824 - 24. Juli 2021 - 21:10 #

Danke für den lesenswerten Bericht zum doch noch zustande gekommenen Projekt. ;)