Herr der Ringe Gollum angeschaut: Geschick & Gehör gegen Orks und Warge

Herr der Ringe Gollum (mit geplantem Erscheinen im 3. Quartal 2022 für alle aktuellen Konsolen und PC) ist sicherlich das prestigeträchtigste im Portfolio der kommenden Spiele von Daedalic, und so war ich sehr gespannt auf die Gameplay-Präsentation bei den kürzlich, selbstverständlich über die Pfade der Datenautobahn abgehaltenen Daedalic Days. Wobei, um ehrlich zu sein: Von all den Haupt- und Nebencharakteren, die der Herr-der-Ringe-Kosmos zu bieten hat, wäre mir vermutlich Gollum als Held für ein Computerspiel erst als vorletztes eingefallen, kurz vor einem der neun Ringgeister. Ob nun künstlerische Gedanken der Grund für die Entscheidung waren oder just der Umstand, dass diese Lizenz noch zu haben war (ich würde mir vorstellen, dass Frodo oder Aragorn mehr gekostet hätten), auf den zweiten Blick ist die Wahl gar keine so schlechte. Denn unbestritten ist Gollum eine der ambivalenten Figuren der Vorlage, und sicherlich die wichtigste von diesen. Daraus lässt sich schon was machen.

Was also macht Daedalic aus der Figur? Ein Schleich-Kletterspiel. Ich wollte Action-Adventure schreiben, aber so wahnsinnig viel Action scheint dann doch nicht im Spiel zu stecken: Gollum ist halt Gollum, also ein durch den Ring äußerlich wie innerlich korrumpierter kleiner Ex-Flußanrainer im Hobbit-Format, da erwartet man nun nicht unbedingt, dass er sich mit Wargreitern wilde Duelle liefert. Was Gollum aber schon kann: Sich von hinten an einen abgelenkten Ork anzuschleichen und ihn zu meucheln.
 

Gollum kann sehr behende vierfüßlern oder aber sehr leise schleichen.

Wie Daedalic verriet, soll Gollum eine neue Perspektive auf Gollum ermöglichen, aber treu zur Vorlage bleiben. Es geht um die Flucht des kleinen Ringfinders aus Barad-dûr, was das Spiel auch zeitlich sogleich einordnet. Denn wie jeder Lord-of-the-Rings-Nerd weiß, wurde Barad-dûr am Ende des Zweiten Zeitalters zerstört und von Sauron erst nach dessen Rückkehr nach Mordor wieder aufgebaut – nur, um am Ende des Dritten wieder in sich zusammenzustürzen, das hat man eben davon, wenn man nur mit Ork-Blut und dunkler Magie baut statt nach deutschen DIN-Vorgaben. Meiner exakten Nachrechnung zufolge müsste Gollum, der ja irgendwann nach den Ereignissen von Der Hobbit von Saurons Schergen geschnappt und eingekerkert wurde, zum Zeitpunkt des Spiels so irgendwo zwischen 550 und 600 Jahre alt sein. Auch das spricht nicht dafür, dass man da noch groß einen Charakter formen könnte.

Doch die auch in den Büchern oder den Filmen immer wieder hervorkommende alte Persönlichkeit Gollums, Smeagol, ist auch im Daedalic-Titel enthalten. Und zwar wird man wohl ab und zu die Wahl haben, in Dialogen oder Entscheidungen nach Gollum-Fieslings- oder Smeagols-Pazifisten-Art vorzugehen. Dabei sollen die „guten“ Entscheidungen nicht immer die besten für den Spieler sein. Ob man vielleicht auch mal in die Jugend Smeagols zurückreist, wie es ja die Filmtrilogie in einer langen Auftaktsequenz sich traut, wollte Daedalic mir gegenüber zumindest nicht ausschließen.
 

Also, zum Spiel: Gollum ist erstaunlich gut darin, zu klettern, Geräusche zu „sehen“ und auch den Status von Gegnern zu erahnen, also ob sie ahnungslos, neugierig, aufgeschreckt oder im Alarm-Modus sind. Was ich zumindest von der Idee her cool finde: Die Wachen geben Sichtungen Gollums mit Schreien weiter – wenn das klappt, wird natürlich a) das Spiel schwieriger, b) aber auch das zuletzt etwa in Hitman 3 zu erlebende Problem umgangen, dass eine Wache in Sichtweite nicht reagiert, wenn ich mit der MP ihre Kollegen niedermähe, weil irgendeine künstliche Grenze dazwischen liegt. Ich schrieb übrigens: Wenn das klappt.

 

Durch die Vertikalität seiner Spielwelt erhält Gollum eine besondere Note.

Was auf jeden Fall bereits klappt, ist das Klettern. Gollum kann sich nicht nur irgendwo hochhieven, sondern er kraxelt behände Steilwände hoch, slidet „Rampen“ hinunter, legt 180-Grad-Sprünge von Wand zu Wand hin, kann seitwärts springen und noch einiges mehr, vermute ich. Was er nicht kann, ist aufrecht laufen, vielmehr legt er seinen berühmten Vierfüßler-Gang hin. Und wenn er schleicht? Dann legt er seinen noch nicht so berühmten tiefergesetzten Vierfüßler-Schleichgang ein.

Passend zum ganzen Klettern und passend zu seiner Eigenschaft als Turm ist Barad-dûr, das in den gezeigten Szenen eher einer ausgeprägten Höhle ähnelt als einem furchteinflößenden Phallus-Symbol Saurons – klar, man beginnt unten in den Foltergewölben – eine sehr vertikale Spielwelt. Es geht immer nach oben und unten, man sieht Wachen von weit weg, und es soll oft verschiedene Wege zum nächsten Ziel geben. Im Kampf hat unser kleiner Unsympath (jetzt fällt mir endlich auf, wieso ich etwas mit Gollum fremdle: er ist einfach überhaupt kein Sympathieträger) wie gesagt keine Chance, also muss er indirekt und überlegt vorgehen. Die Lautstärke von Gollums Aktionen und die Geräusche von Wachen sind wichtige Elemente dabei.

In der gezeigten Gameplay-Sequenz trifft Gollum auch auf einen anderen Charakter, Grashnik, der ihm fortan hilft. Grashnik (für die Schreibweise verbürge ich mich nicht) ist ein sehr groß gewachsener Hobbit-Artiger. Er ist stärker als Gollum, aber nicht so beweglich wie er, räumt also eher ein schweres Hindernis aus dem Weg, sodass Gollum durch eine kleine Öffnung kommt um dann eine Tür aufzumachen, durch die wiederum Grashnik durch kann. Wie wichtig dieser Solo-Koopmodus ist, kann ich nicht sagen, und auch nicht, ob es noch andere freundliche NPCs wie ihn geben wird. Natürlich habe ich das gefragt, und bekam zur Antwort, es gebe vielleicht noch einen anderen Charakter wie Grashnik.

Sowohl bei den Spielabschnitten also auch bei den Cutscenes wies Daedalic mehrmals darauf hin, dass es sich um einen älteren Projektstand handele. Das mag sein, dennoch konnte zumindest dieser einen gewissen Plastiklook der Figuren nicht verheimlichen – aber da ist sicher noch Raum nach oben. Was das eigentliche Spiel anbelangt, so macht Daedalic meines Erachtens mit das Beste, was man wohl aus dieser Lizenz machen kann. Wobei ich persönlich wohl eher ein „Best of Gollum-Encounters“ gemacht hätte oder die Fellowship-Reise aus Gollums Sicht begleitet – beides wäre aber wohl massiv out of scope gewesen. Wer Schleich-Spiele mag, in denen auch viel geklettert wird, dürfte auf seine Kosten kommen. Minutenlang Orkwachen zu beobachten und aus dem Witterungsbereich von Bergtrollen (rate ich jetzt einfach mal) zu bleiben, auf Umwegen endlich zu einem Punkt zu kommen, den man von unten schon lange erspäht hatte – das kann schon Spaß machen. Nur Action-Kämpfe dürft ihr halt keine erwarten.