Die SED wollte die westliche "Hottentotten-Musik" des Rock'n'Roll nicht in ihrem sozialistischen Staat haben. Die Bürger setzten sich durch und etablierten Mitte der Siebziger den Ostrock, mit unpolitischen Texten und ohne den kapitalistischen Kommerz drumherum. Den kriegerischen Computerspielmarkt des Westens verpöhnen Honeckers Sozis später ebenfalls. Doch die DDR-Spitze registriert durchaus die Faszination junger Menschen für Computerspiele, die als ein probates Mittel gesehen werden, junge Menschen an den Rechner zu holen und so die Elite von morgen auszubilden. Kurze Zeit später fällt bereits die Mauer und die bis dahin überschaubare Spieleszene, die sich mit einer ebenso überschaubaren Zahl an in der DDR entwickelten Spielen zufrieden geben musste, deckt sich im Westen mit Amigas und Ataris ein.
Die Technik
Auf der sechsten Tagung des Zentralkomitees der SED im Jahr 1977 wird der Beschluss zur Entwicklung der Mikroelektronik verabschiedet. Während in den Industrieländern des Westens Computerelektronik in Medien sowie der maschinellen Produktion und Forschung bereits unabdingbar ist, läuft in der DDR noch alles analog. An die Technik des Klassenfeindes zu kommen, ist sowohl für Bürger, als auch für die Regierung nahezu unmöglich.
Da für die Produktion von elektronischen Teilen nicht nur Rohstoffe, sondern auch Wissen und Fachpersonal fehlen, dauert es bis 1984, als mit dem KC 85/3 der erste Minicomputer erscheint, der die nötigen Hardwareanforderungen für Spiele mit sich bringt. Zuvor waren bereits der Lerncomputer LC80 und der Selbstbau-Rechner Z 1013 erschienen. Da diese spartanisch ausgestatteten Computer keinen Sound wiedergeben und nur eine schwarz-weiße Blockgrafik darstellen können, ist ans Spielen nicht einmal zu denken.
Die Kombinate Robotron und Mikroelektronik sind die Produzenten der technologischen Zukunft made in Germany East. 150 Arbeiter fertigen pro Tag sechs Computer, die für 3.600 Mark verkauft werden. Für die meisten DDR-Bürger ist das zu teuer. Interessenten, die sich den Spaß leisten können, müssen – wie auf einen eigenen Trabant – sehr lange Wartezeiten in Kauf nehmen.
Die Spiele aus der DDR
Ostdeutsche Computerspiele entstehen in den Achtzigern im Do-it-yourself-Verfahren. Zu kaufen gibt es sie nicht. Glücklich ist, wer Verwandte im Ausland hat, die einen mit C64 samt Spielesammlung versorgen. Selbst programmierte Spiele für KC-Computer, etwa eine Pac Man-Variante, der Boulder Dash-Klon Pengo oder das Geschicklichkeitsspiel Jungle werden auf Kassetten in Computerkabinetten, Schulen und Clubs untereinander getauscht. Die Hobbyentwickler schreiben in den Startbildschirm jedes ihrer Programme Name und Adresse. Nach einer gerichtlichen Grundsatzentscheidung gilt Software weder als wissenschaftliches Werk noch als gestalterische Leistung. Strafbare Raubkopien kann es daher nicht geben.
1986 wird an ausgewählten Orten und auf der Leipziger Frühjahrs- und Herbstmesse – der inoffiziellen gamescom der DDR – der von der Stasi mitentwickelte Arcade-Automat Poly-Spiel aufgestellt. Das aus Pressspan gestaltete Gehäuse bietet nur simpelste elektronische Unterhaltung, die der Westkonkurrenz technisch Jahre hinterherhängt.
Die Spiele über die DDR
Versoftungen von geschichtlichen Ereignissen wie den beiden Weltkriegen, der Eroberung Amerikas oder dem Kalten Krieg als Ganzes gibt es zuhauf. Doch mit der Teilung Deutschlands und der Existenz der DDR beschäftigen sich nur wenige Spiele, und dann weit abseits des Mainstreams. Eines davon ist der Multiplayer-Titel 1378 Kilometer. Hier verkörpert ihr wahlweise einen Soldaten oder Flüchtling an der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Als DDR-Flüchtling müsst ihr den Todesstreifen überwinden, als Soldat müsst ihr den gegnerischen Spieler aufhalten, mit Handschellen oder dem Gewehr. Ein schwer verdauliches Spielkonzept, das der Medienwissenschaftler und Entwickler von 1378 Kilometer, Martin Thiele-Schwez, dem Deutschlandfunk gegenüber einst relativierte:
Die große Chance von Spielen ist es, ein System abzubilden und uns als Spielerinnen und Spieler in dieses System zu versetzen, uns darin zu Handlungen zu zwingen und uns unter anderem darin Dilemmata aufzulegen, zu schauen, wie würde ich mich in Konfliktsituationen verhalten.
Etwas gesitteter, aber durchaus moralinschwer geht es in Papers, Please zu. Hier kontrolliert ihr als Grenzbeamter an der Staatsgrenze des fiktiven Ostblockstaates Arstotzka Pässe. Ihr werdet auf der einen Seite dafür bezahlt, falsche Pässe zu entlarven und die vermeintlichen Flüchtlinge am Verlassen des sozialistischen Staates zu hindern, könnt sie aber nach Gewissen auch durchwinken. Dafür gibt es dann kein Geld, worunter ihr selbst und eure Familie leidet.
Seit 2018 findet ihr auf Steam den Titel Jalopy von Minskworks. Das Abenteuer-Rennspiel ist weniger politisch als die oben genannten Beispiele, erzählt es doch vom Jahr nach dem Mauerfall, 1990. Ihr baut oder repariert einen Kaika 601 Deluxe, eine fiktive, dem Trabbi nachempfundene Dreckschleuder, mit der ihr durch die sich auflösenden Ostblockstaaten bis in die Türkei fahrt. Ein Stück Freiheit, das nach dem Mauerfall heute vor genau 30 Jahren Millionen Deutsche endlich genießen konnten.
Abschließend ein kurzer Videobeitrag über Computerspiele in der DDR, in dem der damalige Spieleentwickler André Weißflog über die widrigen Umstände berichtet, unter denen in der Deutschen Demokratischen Republik Spiele programmiert und verteilt wurden.
Interessanter Bericht...
Haust Du kurze User-Artikel jetzt schon als News raus?
War eine spontane Idee heute Morgen. Und bevor die bis 9.12. in der Matrix rumgammelt, mach ich das lieber so. Ist ja nur ein ganz kleines Bonbon.
Lass doch bitte mal diese dissenden Bemerkungen in Richtung "in der Matrix rumgammelt". Wir haben zwei sehr engagierte User-Artikel-Zuständige, die aber nicht den Auftrag haben, Steffi-Wegener-Artikel in Rekordzeit auf die Website zu bringen, sondern die a) alle User-Artikel pflegen und b) für eine sinnvolle Veröffentlichung sorgen, in Abstimmung mit der Redaktion. Bringt doch nichts, wenn mehrere User-Artikel gleichzeitig um Aufmerksamkeit heischen oder in Konkurrenz zu großen Redaktionsartikeln stehen, und an anderen Tagen/Wochen gibt es dann gar keine.
Having said that, in diesem Fall ist es natürlich sinnvoll aus Timing-Gründen, und da ich deinen Beitrag sehr gut finde, mache ich ihn jetzt auch zum Highlight.
Ich wollte niemanden dissen, nur meine schlimme Ungeduld unterstreichen.
Danke fürs Highlight, auch wenn es dafür keine EXP gibt. Aber sind ja nur Zahlen...
Wobei die DDR-Führung auch massiv Computer-Technik aus den Westen gekauft hat. Außerdem durften Heimcomputer eingeführt werden, wenn der Opa mal West-Urlaub macht, dann wurde halt einer mitgebracht, auf der Zollerklärung hat man es angeben. Die Reisefreiheit war für Kinder und Werktätige beschnitten, Rentner bzw. die dem Produktionsprozess nicht mehr zur Verfügung stehende Bürger durften das Land verlassen. West-Software und West-Bücher waren auch erlaubt.
http://www.ddr.center/artikel/waren_in_der_ddr_west_computer_verboten-aid_126.html
https://www.deutschlandfunkkultur.de/ddr-digital-die-stasi-und-die-computer.976.de.html?dram:article_id=373393
Da ich als Schüler bei VOBIS in Berlin-West gejobbt hab, kurz vor der Wende, sag ich dir... jeden Morgen schon eine Stunde vor Öffnung des Ladens stand eine lange Schlange an Rentnern mit übertrieben dicken Brillengläsern, komischen braun-grauen Klamotten und einem vergilbten Zettel in der Hand vor der Ladentür. Sowas kannte man im Westen sonst nur beim Sommerschlussverkauf bei C&A!
Kaum wurden die Tore geöffnet, strömte der Seniorenclub in die Verkaufsräume und mit ihnen ein ganz spezieller Geruch (Ost-Berlin hatte einen komplett anderen Geruch als West-Berlin). Und dann standen die vor den Stapeln an C64er, Ataris, Amigas, Röhrenmonitoren und versuchten, die bunten Packungen mit dem Gekritzel auf ihren Zetteln in Einklang zu bringen. STERNSTUNDEN der Völkerverständigung sage ich dir!
Allein das gute Gefühl, einen kleinen DDR-Jungen vor den ausschusswertigen, blauen 5,25" Multischleifdisketten bewahrt zu haben, weil ich Opa überzeugen konnte, doch 3 Westmark mehr in ein 10er-Pack der braunen oder schwarzen Disks zu investieren! Unbezahlbar.
"Farming Simulator DDR" wäre doch mal ne Idee... da muss man dann seinen Traktor vor sich herschieben. Und wie im echten Arbeiter- und Bauernstaat züchtet man Hühner, die man dann für 50 Mark ans VEB Kombinat Landwirtschaft verkauft, um für 20 Mark dasselbe Hühnchen im HO-Markt zurückzukaufen.
Hervorragende Idee. Zuerst "darf" man der LPG beitreten oder auch nicht, dann steht da aber Game Over ;) Dann darf man später auch mal die Getreideernte aufm Feld stehen lassen, obwohl Dauerregen angekündigt ist. Später gibt man dann die Meldung weiter, der Plan: wurde zu 50 % erfüllt. Später meldet dann das ZK im TV, der Plan wurde zu 110 % überfüllt :D
In der Gamestar gab es mal einen sehr umfangreichen und interessanten Artikel über das Spielen in der DDR. Online aber nur mit Plus abrufbar.
Gab auch in Retro Gamer vor einigen Jahren einen sehr schönen DDR-Spiele-Artikel :-)
In der aktuellen c´t Retro 2019 gibt´s so ca. 12 Seiten über DDR-Computer, da geht es allerdings nur am Rande um Spiele (trotzdem interessant).
Oder das neue Buch von René Meyer. ;)
https://www.gamersglobal.de/news/161509/computer-in-der-ddr-neues-buch-von-rene-meyer-gratis-erhaeltlich
Edit:
Und zu "1378" hatten wir hier auf GG auch ein paar schöne Artikel:
https://www.gamersglobal.de/news/27926/1378km-ddr-grenzer-spiel-auf-eis-gelegt-update
https://www.gamersglobal.de/news/30257/1378km-umstrittenes-ddr-grenzer-spiel-erscheint-am-freitag
Sehr schönes Buch von Rene Meyer, sollten sich interessierte besorgen.
Ist es. Ich hab es auf der Gamescom bekommen.
Da hab ich es auch mitgenommen.
Ach der Andre... Habe mal in der gleichen Firma wie er gearbeitet. Nicht da ich viel mit ihm zu tun hatte.
Er hat auch die ganzen Emulatoren für die Ost Rechner programmiert.
Der Behauptung, Ostrock sei unpolitisch gewesen, möchte ich doch widersprechen und das sogar als Wessi. ;)
PS: Super Artikel! Danke!
Schöner Artikel. Kudos dafür.
Also dieses Autorennspiel auf dem Poly-Play war schon ziemlich lustig, der Rest konnte mich nicht so begeistern (Wasser schöpfen anyone?). Aber trotzdem ein netter Automat für die damalige Zeit.
so ein PolyPlay-Automat steht doch im Computerspielemuseum Berlin, da hab ich den mal in echt gesehen... ja das Wasserschöpfen war irgendwie komisch ^^
übrigens gibt es unter
http://polyplay.de/
ein Flash Game, das den PolyPlay simuliert...
Ich hab auch ausgerechnet "Wasserrohrbruch" ausprobiert, als ich in dem Museum war. Schönes Kuriosum. ;-)
Schöner Beitrag und sehr interessant!
Mein erster Westfilm in der Wendezeit war 1998 oder 1990 "Das Boot", noch in der DDR und heimlich. Leider nur schwarz-weiß, vergrieselt und mit Empfangunterbrechungen, aber für mich als Kind ein Erlebnis. Vorher gab es bei uns kein Westfernsehen.
"Das Boot" als Kind? Also ich hab den Film als Erwachsener gesehen, und der ging mir echt an die Nieren... hat man als Kind überhaupt verstanden, worum es eigentlich ging? Oder war das Gefühl, "mal was aus dem Westen zu sehen" so dominant, dass du das ausgeblendet hast? :p
Nun ja, ich war ja bereits ein junger Teenager und solche Art von Filmen kannte ich nicht. Ich habe ihn bereits damals für ein Meisterwerk gehalten und der Soundtrack war großartig. Aber warum sollte der Film an die Nieren gehen? War doch kein Gore- oder Gewaltfilm, eher ne Geschichtsstunde.
Film und Soundtrack SIND Meisterwerke ;) na ja an die Nieren ging mir der Film in den Szenen, wo die beispielsweise gezwungen sind, britische Seeleute ihrem Schicksal zu überlassen (= höchstwahrscheinlich sterben zu lassen) oder wenn Ende ein Großteil der Besatzung fällt, nachdem man zwei Stunden (je nach Filmfassung) mitfiebert und hofft, dass sie es heil nach Hause schaffen, weil's am Ende auch nur Menschen sind... vielleicht bin ich aber auch nur bei solchen Sachen zu empathisch, wer weiß...
aber es gab doch auch Filme/Filmreihen wie "Befreiung" und sowas, und wenn man mal die Propaganda ausblendet ist es auch ein Film der den Krieg auf ernste Art und Weise zeigt, oder?
Ich habe damals als Grundschüler auch das Boot auf Video2000 bei Nachbarn gesehen, fand ich super. Daraufhin habe ich dann das Buch gelesen (da war ich glaube ich der einzige aus meiner Klasse).
Das Buch dürfte deinen Grundschulwortschatz erheblich erweitert haben ;)
Absolut, neben dem schon imposanten Wortschatz an englischen Hieb-/Stichwaffen und Rüstungsvarianten. ;)
Oh, Video2000. Unsere Nachbarn hatten Betamax - Das Boot hab ich allerdings als Jugendlicher im Fernsehen gesehen.
Mein erster Computer schlüpfte 1984 aus dem Weihnachtswestpaket des Schulfreunds meines Vaters: ein MSX! Von Sony! Ostcomputer waren kaum zu kriegen und unglaublich teuer. Was mich bis heute wundert: Ich habe per Brief 3,5"-Disketten in den Westen geschickt und auf diese Weise Software "getauscht". Und das nicht nur einmal. Wir haben die Disketten in Alufolie eingewickelt, damit die Röntgenstrahlen den Daten nichts anhaben können (wohlmöglich ein hübscher Aberglaube, aber Lesefehler hatte ich trotzdem nie). Verwundert bin ich, weil die DDR extreme Angst vor Vervielfältigung hatte. Es gab keine Kopierer und die nach Essig stinkenden Ormig-Maschinen waren gut kontrolliert. Den Omas wurden beim Grenzübertritt die Mickey-Mouse-Hefte abgenommen (jugendgefährdende Schriften), aber meine Disketten, die gingen über die Grenze...
Supercool! Danke Steffi! Ich komme von drüben aber wir hatten ein Westprodukt zum spielen :)
Interessant. Danke für den kleinen Einblick :)
Jetzt überlege ich ernst, ob ich Jalopy mal ne Chance gebe! Das hört sich nach einem interessanten Spieleerlebnis an... :-)
Tja, und Papers, please! ist ein ganz besonderes Stück Software, wirklich gut gemacht und umgesetzt. Ich habe es mehrere Stunden auf der Vita gespielt und dank Touchsteuerung ist da eine weitere "immersive" Komponente dabei. AAAber müssen viele Indie-Spiele denn immer gleich so unerbittlich sein? Ok, ich erinnere mich vielleicht nur nicht mehr an die Option eines leichten Schwierigkeitsgrades ("Den gibt es nicht!", schreit die Erinnerung.) und klar, man kann sich taggenau in die Vergangenheit zurückladen, aber das ist irgendwie auch doof, bzw. fühlt sich wie cheaten an.
Zu Jalopy gab's in der GameStar einen Test von Harald Fränkel, wenn ich mich recht erinnere.
Du erinnerst dich richtig:
https://www.gamestar.de/artikel/jalopy-highway-to-shell,3328412.html
Joa, den habe ich auch gelesen und wollte mal in die Patch-Chronik bei Steam gucken. Vielleicht hat sich da ja was getan.
Ich habe Jalopy bei Steam gekauft und, da bereits im Tutorial der erste dicke Fehler aufgetreten ist, habe ich es refundet.
Es sieht wirklich ganz scheußlich aus! Und es wirkt so unglaublich dilettantisch. Und es soll für die Xbox One erscheinen, unglaublich...