Mick Schnelle beklagt:

Wunderkinder gesucht! Meinung

Mick Schnelle ist ein alter Hase des deutschen Spielejournalisums, aber er ist mit den Jahren nicht etwa milder geworden. Wenn ihn etwas stört, dann sagt oder tippt er es. Für GamersGlobal schreibt er neben zahlreichen Spieletests auch eine regelmäßige Kolumne.
Mick Schnelle 15. September 2009 - 21:17 — vor 14 Jahren aktualisiert
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Die Buchbranche kennt sie, die Filmbranche erst recht, nur im Bereich der PC- und Videospiele scheint es sie nicht zu geben. Ich rede von den sogenannten Wunderkindern. Keine Panik, ich meine nicht irgendwelche pausbäckigen Kinderstars in Bikerhosen, sondern Menschen, die die jeweilige Branche meist im Handstreich revolutioniert haben. Regisseure wie Quentin Tarantino, Peter Jackson die Gebrüder Coen oder Wachowski oder ein Robert Rodriguez, Autoren wie J.R.R. Tolkien, John Irving, David Wallace Foster. Sie alle haben oft mit nur einem einzigen Werk ein ganzes Genre revolutioniert und ganze Nachfolgergenerationen geprägt. Man denke nur an den Herrn der Ringe, Die Matrix, From Dusk Till Dawn oder Bücher wie Garp und wie er die Welt sah oder Infinite Jest. Ja, zugegeben, einige von ihnen haben danach nie wieder etwas Vergleichbares geschaffen, doch ihr eines Werk hat Standards neu geschaffen und damit dem jeweiligen Genre neues Leben eingehaucht oder es gar ganz aus der Versenkung geholt.
 
Früher war alles besser
 
Sid Meier krempelte praktisch jedes Genre um, vom Flugsimulator bis zur Wirtschafts-Simulation
Und bei den Spielen? Ja, da gab es auch mal ein paar Vertreter dieses Typus. Einen Richard Garriott, der mit Ultima praktisch ein eigenes Genre wenn schon nicht schuf, so doch perfektionierte und massentauglich machte. Oder Peter Molyneux, der gleich mehrfach wichtige Impulse aussandte. Sid Meier krempelte eine Zeitlang praktisch jedes Genre um, vom Flugsimulator bis zur Wirtschaftssimulation. Volker Wertich machte das erste Siedlerspiel komplett alleine im elterlichen Keller. Doch das alles ist oft schon über 20 Jahre her, mittlerweile ist dieser Entwicklertypus irgendwie ausgestorben. Die alten Recken sind müde, ihre aktuellen Spiele praktisch bedeutungslos. Zwischenzeitlich gab es zwar mal die Cliff Blezinskys dieser Welt und das id-Soft-Konglomerat, doch so richtig revolutionär war keiner von denen, heute sitzen sie allesamt irgendwo auf wichtigen Posten oder sind wieder völlig verschwunden.
 
Die Franchise-Connection
 
Wenn man mittlerweile mit Entwicklern zu tun hat, sind das eher Vertreter von großen oder kleinen Studios, meist der Produktmanager oder nur der Pressesprecher. Und diese Menschen sind für mich viel mehr mit einem Restaurantleiter bei McDonald’s vergleichbar, als mit Kreativlingen, die das Genre weiterentwickeln oder mit Innovationen auf sich aufmerksam machen.

Nichts gegen diese Leute, sie sind meist hochgradig professionell (etwas, was den Wunderkindern wie Will Wright oft abzugehen scheint), sie sind zuverlässig und effektiv, fleißige Arbeiter, konzentrierte Teamplayer und was weiß ich noch alles. Doch auf die Dauer sind sie eben oft auch hochgradig langweilig, und langweilige Leute produzieren eben langweilige Spiele. Manchmal erkennt das sogar der Publisher und versucht, kleine Stars künstlich zu generieren. Beispiel Jade Raymond, hinter derem blendenden Aussehen Ubisoft den wahren (aber deutlich weniger fotogenen) Entwicklungschef Patrice Desilets quasi verstecken wollte. Zumindest bei Assassin's Creed 1, bei Teil 2 scheint man dazugelernt zu haben.
 
Die anderen sind (nicht) schuld

Ich frage mich, warum gibt es heute diese Wunderkinder nicht mehr? Haben wir Journalisten diesen Bereich zu wenig beachtet? Haben wir zu selten über innovative Entwickler berichtet? Nein, eigentlich nicht. Denn wir sind von Natur aus neugierig, wenn irgendwo was Tolles gemacht wird, berichten wir auch darüber. Beispiele wie Portal oder der Überraschungshit Puzzle Quest belegen das. Oder sind es die Publisher? Sind die zu bequem, zu groß, zu träge? Nein, auch das stimmt nicht. Publisher wollen vor allem eins: Geld verdienen. Und ein gutes Spiel, oder auch nur eine gute Idee wird immer ihren Weg machen. Sind es denn die Spieler, die ungewöhnliche Spiele nicht haben wollen? Stimmt es, dass „der Kunde nur das kauft, was er kennt“, wie gern behauptet wird? Auch das ist nicht richtig, man denke nur an die vielen kleinen Javaspiele, an Perlen wie Braid oder World of Goo oder eben auch das bereits erwähnte Portal, das ja in etlichen Inkarnationen mittlerweile zum Portfolio einer jeden Java-Spielschmiede gehört.
 
Generation „Auf Nummer sicher“

Etliche Menschen da draußen hätten durchaus das Zeug zum Wunderkind.
Ich glaube ja: Etliche Menschen da draußen hätten durchaus das Zeug zum Wunderkind in der Spielebranche. Nur scheint bei vielen jungen Leuten heutzutage wenig Pioniergeist zu herrschen. Wenn ich erleben muss, dass wirklich kreative Geister, die auch technisch gut drauf sind, in Gesprächen sagen, dass sie sich lieber von einem Praktikum zum nächsten hangeln, in der Hoffnung, irgendwann bei einem großen Softwarehaus wie SAP unterzukommen, statt ihrer Leidenschaft freien Lauf zu lassen, dann schwant mir, dass wir es da wohl mit der Generation "Sicheres Auskommen" zu tun haben. Mit satten Leuten statt mit Pionieren, die sich auch in jungen Jahren trauen, eine kleine Firma zu gründen, oder sich für ihr Projekt die Nächte um die Ohren zu schlagen, als gäbe es keinen Morgen. Aber vielleicht täusche ich mich auch, und es sind doch die Spielefirmen, die die "jungen Wilden" gar nicht erst zu Prominenten werden lassen, damit diese nicht zuviel Einfluss gewinnen.
 
App-le hilft
 
Hoffnung gibt mir ausgerechnet ein US-Konzern, der normalerweise nicht für die Unterstützung von freiem Entwicklertum bekannt ist: Apple. Für läppische 100 Dollar bekommt man das Entwicklerkit fürs iPhone, der Vertrieb läuft recht fair über den Appstore und der Entwicklungsaufwand hält sich in Grenzen, Ein-Mann-Projekte sind keine Seltenheit. Ich bin mir sicher, aus dieser Ecke wird mal etwas Revolutionäres kommen, auch wenn momentan noch oft alte Ideen kopiert und nur leicht modifiziert werden. Doch genau das ist der Weg zu etwas Neuem: Durch das Covern bekannter Songs lernen seit Generationen Jazzmusiker das Jazzen, Rockbands das Rocken, Rapper das Rappen und Pop-Bands das ... Musizieren. Und durch das Kopieren von Spielideen lernen Neulinge eben den Einstieg ins Spieledesignen. Und wer weiß, in zwei, drei Jahren kommt vielleicht ein 20-jähriger Hobbyentwickler mit einer tollen Idee, bei der sich jede fragt: "Wieso ist da nicht schon vor 20 Jahren einer draufgekommen?" Und wird zum nächsten Wunderkind.

Ich jedenfalls hoffe sehr darauf, denn irgendwann wird auch einem Peter Molyneux die Stimme versagen, wird ein John Carmack seine letzte Programmzeile schreiben, ein Hideo Kojima sein "perfektes Schleichspiel" realisieren, ein Shigeru Miyamoto nicht mehr länger den genialen Zwölfjährigen-im-Herzen geben. Wer füllt dann die Hallen auf Messen, wer hat dann den Mut -- und das interne Standing in den Spielekonzernen --, auch mal gegen Widerstände etwas Neues auszuprobieren? Vor einer wunderkindlosen Zukunft jedenfalls, in denen nur noch zahlenorientierte Manager entscheiden, was ihre talentierten No-name-Entwickler zu entwickeln haben, wäre mir sehr bange.


Euer Mick Schnelle
 

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