Anatol Locker spielt ohne PC

"Tschüss, Spiele-PC!" Meinung

"Auch auf die Gefahr hin, verbal geschlachtet zu werden: Liebe PC-Spieler, es sieht nicht so doll aus für Eure Kiste. Genauer gesagt: Ziemlich schlimm. Denn alles deutet darauf hin, dass der Spiele-PC zum Auslaufmodell wird." Meint Anatol Locker, der schon zu seligen Happy-Computer- und PowerPlay-Zeiten Spieleredakteur war.
Anatol Locker 14. März 2012 - 18:00 — vor 12 Jahren aktualisiert
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Zugegeben: Was nun folgt, klingt dreist. Aber ich behaupte, dass der Gaming-PC in den nächsten drei Jahren massiv an Bedeutung verlieren wird. Wenn er nicht gar zu einem der unwichtigsten Spielesysteme wird, knapp vor der PSP. Meine Argumentation geht so: Jeder hatte einen ersten PC. Meiner stand in der Happy-Computer-Redaktion. Das Ding war für Normalverdiener unerschwinglich: Ein 2000-Mark-IBM-PC mit einer Tastatur, die so mechanisch klang, als würde man ein MG abfeuern. Zwei klackernde 5¼-Zoll-Laufwerke, eines für MS-DOS 3.2, das andere für die Datendiskette. Zum Spielen war das Teil ungeeignet, allein die Farbpalette der CGA-Grafikkarte löste massiven Brechreiz aus. Sound: Fehlanzeige. Wenigstens tippen konnte man damit, das ging. Mit Ohrenschützern.
 
Die gute alte PC-Spiele-ZeitMit der VGA-Grafikkarte und ihren 256 Farben (welch Wohltat für die Augen!) kamen die ersten LucasArts-Adventures – damit war der Damm gebrochen. Es begann eine lange, schöne, reichhaltige PC-Spiele-Zeit. Ich habe in 20 Jahren sicher mehr Zeit vor Spiele-PCs verbracht als vor jedem anderen System. Die Ultima-Serie, Duke Nukem, Doom, Quake, Descent, System Shock, Age of Empires, Diablo, Die Sims, Knights of the Old Republic, Call of Duty, Half-Life, die GTA-Serie, Morrowind, World of Warcraft – alles PC-Spiele, die ich nicht missen möchte. Ganz großes Kino.
 
Ständig war der PC zu lahm, dann ruckelte es am Schirm...
Für die tollen Spiele mussten PC-Besitzer allerdings einiges in Kauf nehmen. Ständig war der PC zu lahm, dann ruckelte es am Schirm. Grafikkartentreiber funktionierten erst mal nicht, die Auflösung verstellte sich gerne auf Briefmarkengröße, und wer irgendwann in seiner Spielerkarriere einmal den DOS-Treiber HIMEM.SYS konfiguriert hat, um Wing Commander zu spielen, weiß heute noch, wie die Hölle auf Erden aussieht. Aber das Schöne am PC war: Wurde die Mühle zu langsam für aktuelle Spiele, knallte man eine neue Grafikkarte oder einen neuen Prozessor rein, und fertig! Ein wenig wie beim alten VW Golf, den man mit ein paar Ersatzteilen, gutem Willen und etwas Spucke immer wieder flott bekam. Zwanzig Jahre lang habe ich meine Knie an einem Stand-PCs unter meinem Schreibtisch angehauen – und das recht gerne. Später kam ein Laptop dazu, um unterwegs schreiben zu können. Auf allen Geräten lief Windows, bis eines Tages ein Mac den PC ablöste (aber das ist eine andere Geschichte). Drei Sargnägel sind es, die aus meiner Sicht unweigerlich zum Ende des PCs als maßgebliche Spieleplattform führen werden.
 
Erster Sargnagel: Laptop killt Standgerät
Der Mac wäre gar nicht das Problem… doch PCs sind seit drei Jahren massiv auf dem absteigenden Ast. Ein paar aktuelle Zahlen vom US-Markt 2011: Acer verkaufte im letzten Jahr 22 Prozent weniger, Dell verliert 9 Prozent, Hewlett Packard 1,2 Prozent. Nur Toshiba kann zulegen, verhaltene 2 Prozent. Apple verkauft inzwischen mehr Macbook Pros als Acer Windows-PCs, und Englands PC-Händler beklagen das mieseste Jahr seit einem Jahrzehnt. Anscheinend will niemand mehr einen PC. Klar, hier geht es um die Neukäufe, die bestehenden PCs werden nicht gleich weggeworfen. Aber besser werden sie auch nicht mehr, und auch wenn sich das Technikwettrüsten der PC-Spiele deutlich verlangsamt hat in den letzten Jahren: Auf fünf Jahre alten Rechnern laufen dann doch nicht mehr allzu viele neue Spiele gut.
 
Was passiert als Nächstes? Irgendwie muss die Industrie ihre Verluste kompensieren. Die Hersteller sind gezwungen, auf Nischen auszuweichen. Auf CES und CeBIT waren Ultrabooks der letzte Schrei: Superdünne Laptops, meist im Macbook-Air-Design, von Intel mit einem dubiosen Gütesiegel gebrandet und durch Werbung unterstützt, sofern sie nur einen Intel-Chip besitzen. Große Mischkonzerne wie Samsung und Sony haben hier die Nase vorne. Sie können Verluste verkraften und auch mal ein Ladenhüter-Modell produzieren, ohne dass ihnen die Luft ausgeht. Bei IT-Konzernen wie Dell, Asus und Acer sieht das ganz anders aus.
 
Was hat das nun mit Spielern zu tun? Ganz einfach: Ultrabooks sind für die meisten Spiele schlicht zu lahm. Außerdem sind sie kaum erweiterbar. Gleichzeitig werden kaum noch Standgeräte produziert. Sprich: Die Auswahl an Spiele-PCs wird kleiner.
 
Zweiter Sargnagel: Tablets als Brandbeschleuniger
Die großen, schweren Laptops sind unter Beschuss
Aber auch aus einer anderen Ecke bekommt der klassische PC Feuer. Der Verkaufsgarant der letzten Jahre, die großen, schweren Laptops, sind unter Beschuss. Laptops versprachen eine Mobilität sowie auch im Betrieb eine Kompaktheit, die Desktop-PCs und Maxitowers einfach nicht erreichen können. Doch einmal angefixt, wird für viele Menschen die Mobilität (und sei es nur in den eigenen vier Wänden) ihrer Technik immer wichtiger: Die Leute gehen weg vom Laptop und wollen stattdessen Tablet-PCs. Erst vor einem Jahr wurden iPad & Co. von vielen noch als Exoten belächelt. Aber nun nimmt der Tablet-Trend massiv Fahrt auf: Allein im zurückliegenden Quartal verkaufte Apple 15,43 Millionen iPads, 111 Prozent mehr als im Vergleich zum Vorjahresquartal. Das „neue iPad“ dürfte sich dank deutlich besserem Bildschirm sogar noch besser verkaufen. Derzeit hält Apple einen Marktanteil von unglaublichen 58 Prozent.
 
Auch die Konkurrenz wächst stark: Android-Geräte, derzeit 39 Prozent Marktanteil, finden Gefallen bei den Käufern. Das Marktforschungsinstitut Gartner schätzt, dass die Verkäufe von Tablets und Smartphones im Jahr 2012 den PC-Markt um satte 44 Prozent übersteigen werden. Wohlgemerkt, darin enthalten sind alle Arten von PCs, vom Ultrabook über die Notebooks bis zum schweren Tischgerät.
 
Bis 2014 sollen dann mehr mobile Geräte zum Einsatz kommen als Standgeräte. Sprich: Die Tablets graben den Laptops das Wasser ab. Der PC-Markt wird also nochmals kleiner, denn Windows als Tablet-Betriebssystem spielt noch keine Rolle. Windows 8 ist die vermutlich letzte Chance für Microsoft, in dem von iOS und Android dominierten Segment Fuß zu fassen. Bei Smartphones hat es Microsoft nicht geschafft...
 
Dritter Sargnagel: Die Spieleindustrie
Für die Spielehersteller stellt das kein Problem dar.
Für die Spielehersteller stellt das alles kein Problem dar. Sie entwickeln seit Jahr und Tag für alle Systeme, mit denen sie Geld verdienen können. Seit Jahren begrenzen Xbox 360 und PS3 mit ihrer veralteten Technik den technischen Fortschritt der Games – und unterbinden damit den zyklischen Vorteil des PCs, der ja fast beliebig auftrüstbar ist. Aber wenn die Spielefirmen nicht genug mit Exklusivtiteln verkaufen können, gibt es sie eben nicht mehr, und statt liebevoll auf die Power moderner PCs ausgerichteter Parallelversionen gibt es lieblose 1:1-Portierungen, bei denen man froh sein muss, dass zumindest an eine Maussteuerung gedacht wurde. Schrumpfende Märkte werden mit weniger Geld bedacht, das ist einfach so. Während es immer weniger Entwicklungen und Exklusiv-Spiele für den PC gibt, steht immer mehr Geld für Apps und kleine, massentaugliche Spielchen zur Verfügung, die auf Tablets laufen.
 
Fassen wir nochmal zusammen: Schrumpfende Märkte, ungünstige Modellpolitik, starke Konkurrenz, Auswe
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ichbewegungen der Spieleindustrie. Der klassische Stand-PC wird also zu etwas, was vor drei, vier Jahren absolut undenkbar war: zur Nische. Um so mehr, als mit Cloud-Diensten und virtualisierten Betriebssystemen auch Geschäftsleute dem PC immer öfter die kalte Schulter zeigen.
 
An sich wäre das nicht problematisch: Noch gibt es keinen Mangel an Spiele-PCs. Und natürlich gibt es auch die Spezialisten wie Alienware oder Ultraforce, die High-End-Systeme für Gamer zusammenschrauben. Gerade E-Sportler brauchen solche PCs. Aber nicht jeder mag einen PC, der aussieht, als sei er einer B-Movie-Produktion entsprungen (Aliengesichter, die grün leuchten, finde ich grottig). Auch 18-Zoll-Laptops im "Stealth-Design", die soviel wiegen wie zwei alte PCs zusammen, finde ich etwas affig. Da hole ich mir lieber ein neues Macbook. Und spiele auf der Konsole. Oder zwischendrin auf dem iPad.
 
Lieber PC, es war schön mit Dir. Aber ich befürchte, Du bist ein Auslaufmodell. Hoffentlich bleibst Du uns dennoch ein paar weitere Jahre erhalten – wäre ja schade, wenn Du ganz verschwändest.

Dein Anatol Locker

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Anatol Locker 14. März 2012 - 18:00 — vor 12 Jahren aktualisiert
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