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Notopfer für Bobby Meinung

Mick Schnelle schreibt seit erinnerungsverklärten Amiga- und PC-Joker-Zeiten über Computerspiele, war bei PC Player und GameStar mit an Bord, übersetzt heute außerdem WoW-Romane (und andere) ins Deutsche -- und hat sich über all die Jahre eines bewahrt: eine eigene Meinung. Heute beschäftigt er sich mit Activisions Bobby Kotick.
Mick Schnelle 10. Januar 2011 - 21:31 — vor 13 Jahren aktualisiert
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Die Zeitungen haben ihre 76fache Dioxin-Grenzwertüberschreitung, aber wir haben Bobby Kotick
Der Jahresanfang ist nachrichtentechnisch naturgemäß eine eher beschauliche Zeit. Der Silvesterkater ist noch nicht so ganz weg, Schnee und Eis legen den Verkehr lahm, und nur die Bahn kommt an. Haha! Auf jeden Fall ist es nicht weiter verwunderlich, dass es schon ein paar polychlorierte Dibenzofurane im Federvieh und seinen Eiern braucht, damit wenigstens ein bisschen Panikmache möglich ist. Damit die Medien nicht aus Verzweiflung Christian Wulffs Sylvesteransprache erneut in allen Einzelheiten sezieren müssen! Wie viel besser geht es da uns Fachjournalisten mit Spezialisierung auf digitales Entertainment. Die Nachrichtenmagazine und Tageszeitungen haben ihre 76fache Dioxin-Grenzwertüberschreitung, aber wir haben Bobby Kotick! Den immer so nett lächelnden Activision-CEO und Springteufel, der mit einer einzigen Bemerkung die Kolumnen der nächsten Wochen zu füllen weiß.
 
Oh, wie schön ist Kanada
 
Was ist dieses Mal passiert? Nun, England muss sparen und streicht deshalb irgendwann mal angekündigte Steuererleichterungen für die dortig ansässige Spielebranche. Und schwupps meldet sich Mister Kotick zu Wort. Rund 600 Menschen arbeiten für ihn und seine Firma Activision Blizzard in England. Und die durften nun aus der Presse erfahren, dass ihr Oberboss diese Entscheidung für einen riesigen Fehler hält. Gut, das ist nicht weiter schlimm, würde ich an seiner Stelle auch. Wer freut sich schon über gestrichene Subventionen? Doch so richtig die Hutkrempe geht einem beim Lesen erst hoch, wenn Kotick in derselben Verlautbarung gleich die wenig verhohlene Drohung hinterhersetzt, dass China, Singapur oder Kanada „deutlich umfangreichere Incentive-Programme“ anböten -- und er sich schließlich zu einem „Es gibt so viele andere Orte, die unsere Branche unterstützen“ versteigt. Auf gut Deutsch: "Gebt uns durch Steuererleichterungen Kohle, oder wir schmeißen hier jeden raus und machen‘s woanders billiger!“
 
So ist’s Business eben
 
Jetzt kommen gleich die ersten Mahner, Besserwisser und VWL-Studenten...
Ja, ja, ich weiß, jetzt kommen gleich die ersten Mahner, Besserwisser und VWL-Studenten, die voller Verständnis gleich darauf verweisen, so gehe es in einer globalisierten Welt eben zu. Das müsse so sein, freie Märkte, Wirtschaftsförderung, Hightech-Cluster und so weiter. Und es sei ja eben leider so im Big Business, dass jeder eben alles immer zum günstigsten Preis bekommen wolle. Klar, auch menschliche Arbeitskraft ist ja nur ein Ware. Sicher, sicher, der brave Programmiersklave in Shanghai arbeitet eben deutlich billiger als der überbezahlte englische Spieleexperte. Diese Argumentation kenne ich, tausend Mal schon gehört und leider auch mindestens genauso oft schon erlebt, wie sie gnadenlos umgesetzt wurde. Aaaber: Diese Tür schwingt bekanntlich in zwei Richtungen..
 
Notopfer für Milliardäre?
 
Sie wollen Globalisierung mit dem günstigsten Preis, Mister Kotick? Sie glauben wirklich, ein zig Milliarden Dollar schweres Unternehmen, das, wie Sie gern und oft verkünden, Rekordumsätze macht, bräuchte staatliche Förderung? Müssen englische Hausfrauen ihr Tafelsilber versetzen und ihre Männer auf den abendlichen Umtrunk verzichten, damit ein Notopfer für Activision gebracht werden kann? Ach, lassen wir die armen Engländer einmal auf ihrer Insel: Wollen Sie letztlich unser aller (Steuer-) Geld, damit Sie in Ihrer Großzügigkeit eine Handvoll Arbeitsplätze spendieren und nicht irgendwelche unterbezahlten Fernostler ausbeuten? Soll es so sein?
 
Dann hätte ich einen Vorschlag: Wie wäre es, wenn Sie tatsächlich Ihre Produktion abziehen, wir uns die überflüssige Förderung extrem gut florierender Unternehmen sparen und dafür eine schicke Sondersteuer einführen, die all jene Spieleproduzenten betrifft, die hiesige Arbeitsplätze nach Billigstan verlegen? Pi mal Daumen 25 Prozent Strafzoll fände ich passend. Dann könnten Sie ja mal sehen, wie sich Ihre Bilanzen entwickeln. Dieses Geld könnte dann wiederum ins hiesige soziale Netz fließen. Mehr Hartz-4-Kohle, damit Computerspiele erschwinglich bleiben, zum Beispiel. Ein fairer Tausch, oder? Arbeitsplätze gegen Geld. Denn letztlich ist es doch genau das, was Sie selber gerade fordern. Nur diesmal in umgekehrter Richtung. Blöd nur, dass Ihre dann teureren Spiele weniger oft gekauft werden dürften als diejenigen, die brav im Westen produziert wurden. Und dass ein Call of Duty 8 aus Sicht einer chinesischen Spezialeinheit und mit einer ein ganz klein wenig in den Manga-Stil changierenden Grafik vielleicht nicht ganz so gut ankommt bei den westlichen Spielern wie eines aus US-Produktion?
 
... den Koticks dieser Welt die Lust auf Verlagerungen ins Weit-entfernt-und-billig-Land zu verhageln
Okay, es wäre ein deutlich unfreierer Handel. Und man muss ja nicht gleich wegen ein paar Raffgeiern aus Übersee den Welt-Sozialismus ausrufen. Doch die ernsthafte Bereitschaft der Industriestaaten, solche Steuern einzuführen (und natürlich nicht nur im Spielebereich) würde voll und ganz ausreichen, um den Koticks dieser Welt die Lust auf Kostenoptimierungen durch Verlagerungen ins gerade angesagte Weit-entfernt-und-billig-Land zu verhageln. Jeder Firmenchef, der rechnen kann, würde es sich genau überlegen, ob er Schutzzölle im einen Markt riskiert, um anderswo vier Cent in der Produktion einzusparen.  

Oder bin ich einfach zu naiv mit meiner simplen Sicht des Gebens und Nehmens? Sagt es mir!

Euer Mick Schnelle
 
 

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