Mick Schnelles Jahrzehntausblick

Neue Spielegenres braucht das Land Meinung

Mick Schnelle ist seit erinnerungsverklärten "Joker"-Zeiten ein schreibendes Mitglied der deutschen Spieleszene, danach folgten Stationen bei PC Player, GameStar und anderen Heften. In der ersten GamersGlobal-Kolumne des Jahres 2010 ruft er die Entwickler (und euch!) dazu auf, neue Spielegenres zu erfinden. Also, macht mit!
Mick Schnelle 22. Dezember 2009 - 18:04 — vor 14 Jahren aktualisiert
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Ich liebe ja den Satz "Früher war alles besser". Dazu setze ich gern mein grimmigstes "Mick ist böse"-Gesicht auf und erschrecke so ganze Generationen von frischgebackenen Pressesprechern zu Tode. Dabei ist der Satz völlig falsch. Denn richtig müsste er heißen "Früher war alles noch neu!" Denn die Computer- und Videospielbranche gibt es ja erst so richtig seit gut 30 Jahren. Deshalb war zu den Anfangszeiten tatsächlich alles neu. Praktisch alle Spielegenres mussten ja erst erfunden werden.

Doch nach stürmischen Anfangstagen hat sich mittlerweile Behäbigkeit breit gemacht. Irgendetwas Neues kommt so gut wie nicht mehr vor. Selbst die Guitar-Heroes-Inkarnationen sind, wenn man ehrlich ist, ja nur Klone fast zehn Jahre alter Japano-Musikspiele. Deshalb rufe ich am ersten Tag des neuen Jahres einen Kreativitätswettbewerb aus. Entwickler aller Genres, verteidigt euren Ruf! Macht mal was anderes. Und damit ihr nicht sagen könnt, mach's doch selber, biete ich euch schon mal ein paar Steilvorlagen für neue oder neu kombinierte Spielegenres, die ich in 2010 (okay, ihr dürft euch auch bis 2011 Zeit lassen) gern auf meiner Festplatte oder Konsole oder zumindest im iTunes-Store hätte.
 
Sing was Martialisches
 
Doch zu Beginn wollen wir erstmal ein Genre zu Grabe tragen, das wir der Einfachheit halber nach dem omnipräsentesten Vertreter benennen: Sing Star. Hier wurde von Abba bis Zappa tatsächlich schon alles zur Mitgröhlnummer verwurstet, die PS2 zur Karaoke-Abspielstation degradiert. Um endlich zum Schluss zu kommen, schlage ich Sing Star: Despoten-Hits vor. Die schönsten Lieder der größten Diktatoren aller Zeiten. Was wäre das für ein furioses Finale mit Stalins Orgelwerken, Erich Honeckers Schalmeienklängen oder Gadaffis Versen aus dem Grünen Buch diesem Karaokeschrecken ein Ende mit selbigem zu setzen? Wer hier mitsingt, weiß, wie man sich als Herrscher der Massen fühlt. Und wer beim Bonustrack gemeinsam mit dem Chor der Schwarzmeerflotte die Internationale schmettert, dem fällt der Abschied vom Playstation-Diktator Sing Star nur noch halb so schwer.
 
Der lange Weg zum Raid
 
... und auch den Rest von uns Keller-Nerds vom Monitor weglockt
Doch ich hatte ja etwas Neues versprochen. Und dazu bemühe ich trotzdem etwas Bewährtes. Und was hat sich im letzten Jahr am meisten bewährt? Genau, das Wii-Balance-Board. Nintendos Mischung aus Bewegungsmelder und Waage brachte die Jugend der Welt zurück auf den Trim-Pfad der Tugend. Wie wäre es, wenn man diesen Trend ausnutzt, und auch den Rest von uns Keller-Nerds vom Monitor weglockt, die wir so gern Chips mampfend davor sitzen? Mittel zum Zweck ist ein Online-Rollenspiel der besonderen Art. In Run-Quest muss jeder Spieler erst die tatsächliche Strecke zu Fuß zurücklegen, bevor er eine Instanz betreten darf. (Dieses Echt-laufen-Konzept gibt es übrigens schon auf Smartphones für simple Detektiv-Adventures). Kämpfe werden mit den Fuchtelkontrollern ausgetragen. Und nach getaner Arbeit muss man die Beute (hier verkörpert von Gewichten mit digitalem Zählwerk) wiederum per Pedes nach Hause tragen. Und da es kein Wii-Spiel ohne NintendoDS-Verknüpfung gibt, kann man alternativ auch den Schrittzähler von Laufrhythmus DS verwenden, und die benötigte Strecke tatsächlich draußen (das ist da, wo die Sonne scheint und noch angeblich echter Sauerstoff zu finden ist) zurücklegen. Als Mount ist nur ein Heimtrainer erlaubt, den es für 8000 Golstücke ähh Mii-Punkte im Nintendo-Store gibt.
 
Flasche voll für Fidel
 
Wie, das ist euch noch nicht revolutionär genug? Nun gut, wie wäre es dann mit Speech Star. In dem von der Bundesregierung geförderten Programm muss der Spieler mehr oder weniger bedeutende Statements und Reden von Promis und Politikern möglichst bis auf die letzte Betonung genau nachmachen, ganz so, wie echte Politiker und Promis es vor den Kameras mit Hilfe des Teleprompters ja eh machen. Es beginnt leicht mit ein paar Boris-Becker-Sprüchen (»Ähhh… Laimen?«), setzte sich über spannende Haushaltsdebatten zwischen Angela Merkel und Frank Walter Steinmeier fort (wobei es am schwierigsten sein dürfte, mittendrin nicht wegzunicken) und findet seinen furiosen Höhepunkt in einer achtstündigen Originalrede Fidel Castros zum Tage der »RRRRRRRevoltssssion«. Strategiefans hingegen halten packende Prä-Schlacht-Motivationsreden (einen ersten Vorgeschmack darauf boten die selbstablaufenden Battle Speeches bei Rome Total War), und auch für Fußballmanager-Spiele bietet das neue Genre-Crossover ungeahnte Möglichkeiten: Labere Kleinkind-Psychologie-Quatsch à la Klinsmann! Hänge den Arrogantling raus wie Louis van Gaal. Und als Bonustrack lockt Giovanni Trapatonis berühmte Flasche-voll-Ansage.
 
Wer brüllt, gewinnt
 
Der Pavarotti-Shoout-Out wird die 3D-Ballereien aus dem Dornröschen-schlaf erwecken.
Und es wird noch innovativer. Derzeit scheint das 3D-Shootergenre in einer massiven Falle zu sitzen. Modern Warfare das Nonplusultra, der einsame Gipfel dieses Genres? Ogottogottogott! Doch der Pavarotti-Shoot-Out wird die 3D-Ballereien aus dem Dornröschenschlaf erwecken. Denn als Waffen dienen hier nicht Flinten, Gewehre, Handgrananten oder Hello-Kitty-Figuren. Stattdessen brüllt man die Gegner mittels Mikro nieder. Dabei muss der Ton der gewählten Waffe exakt getroffen werden. Ein Paul-Potts-Tremolo-Slash ist noch leicht nachmachbar, richtet aber auch nur wenig Schaden an. Doch die ultimative Waffe, mit der sich jeder Level in Nullkommanix von heranstürmenden Musikbanausen reinigen lässt, ist der namensgebende Ultimate-Pavarotti-Battle-Cry. Nur wer es schafft das hohe C in Pavarotti-Lautstärke eine Minute lang ohne Pause einzusetzen, kann einen Nuklearschlag auslösen, der die Gegner von der Platte putzt. Bonusspielchen wie das zunächst geplante Sing Star La Bohéme oder Sing Star La Traviata wurden verworfen, weil das Genre ja mittlerweile von mir verboten wurde. Und weil öfter Mikros kaputtgebrüllt werden, kann man die im Zehnerpack für teuer Geld nachkaufen.
 
Ihr seht, es gibt sie noch, die Killerspiele … ähhh -Applikationen, die Spiele, die die Charts der nächsten Jahre dominieren werden und selbst Activisions Chef Bobby Kotick zufriedenstellen würde. Was, ihr findet meine Ideen mau und wisst viel besser, wie man mit neuen Genres zu neuen Ufern aufbricht? Dann man los. Ich bin schon auf eure Vorschläge gespannt!

Euer Mick Schnelle

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