Knut Gollert meint:

NERF mich nicht! Meinung

Knut Gollert gibt zu, ein Süchtling zu sein. Schon seit 1984. Seit seinem ZX81. 1991 hat er die Computerspielsucht zum Beruf gemacht. Aktuell ist er von World of Warcraft abhängig und ist Teil der ewig meckernden Riesen-Community. Für GamersGlobal versucht er zu klären, warum Blizzard so viel nachbessert.
Jörg Langer 9. Juli 2009 - 21:31 — vor 14 Jahren aktualisiert
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„Wat de Buer nich kennt, dat frät hei nich!“ Plattdeutsch, uralt und mittlerweile eingedeutscht gültig: Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht. Der Mensch ist also ein Gewohnheitstier. Ist alles gut, soll alles gut bleiben. Besser ist OK, anders wird schwierig. Schlechter geht gar nicht.
 
Das gilt fürs Essen wie für Spiele, insbesondere MMOs. Ein Widerspruch, denn Gewohnheit ist nichts weiter als ein nettes Wort für Langeweile. Wir wollen in Spielen Neues entdecken, weiter kommen, mehr sehen. Wenn wir ein Spiel gewohnt sind, verliert es an Reiz. Es sei denn, es heißt Tetris. Oder Bejeweled. Oder es ist ein MMO.
 
Die Spieler wollen mehr, immer mehr, mehr mehr.
Online-Spiele leben nämlich länger. Da erzähle ich keinem etwas Neues. Hier spielt Gewohnheit eine große Rolle. Langeweile kommt erst dann auf, wenn es nichts mehr zu spielen gibt, was sich lohnt. Allerdings darf man unterscheiden: Spielbare Inhalte, rotzige Bosse und muffige Dungeons, um hier den Dreh zu Fantasy-MMOs zu kriegen, dürfen gerne in die „Gewöhnungsphase“ eintreten. Müssen aber schnellstmöglich erweitert werden. Denn die Spieler wollen mehr, immer mehr, mehr, mehr. Schließlich zahlen sie monatlich gutes Geld dafür.
 
Patches bringen neue Fehler
 
Blizzard erfüllt dieses Spieler-Verlangen mit ihrem MMO-Marktführer World of Warcraft konsequent und recht gut. Patches, die neue Inhalte einführen, kommen alle drei bis sechs Monate. Immer dann, wenn die Community am stärksten hungert, aber noch nicht so abgemagert ist, um das Spiel an den Nagel zu hängen. Die neuen Dungeons werden dann natürlich regelrecht aufgefressen. Hier greift das plattdeutsche Sprichwort aus Zeile 1 noch nicht, an anderer Stelle aber umso stärker.
 
Die Patches bringen nicht nur Spielstoff oder Bug-Fixes. Sie verändern auch gern die Fähigkeiten der spielbaren Klassen. Das hat Blizzard von Anfang an gemacht. Neue Skills, Zauber oder Attacken wurden eingeführt. Und genau hier steckt der Teufel im Detail: Mit solchen Aktionen bringen die Kalifornier das Spielsystem immer wieder ins Ungleichgewicht. Spieler fangen an zu schimpfen. Weil ihr Held im Vergleich mit anderen Klassen weniger effektiv ist, weil sie sich plötzlich umgewöhnen müssen, weil ihre gewohnte Spielweise nicht mehr gefragt ist. Sie sehnen sich zu den alten Tagen zurück, als sie mit X noch Y besiegen konnten, ohne das Z etwas dagegen tun konnte. Das waren noch Zeiten! Damals! Ach! Wat de Buer nich kennt, dat frät hei nich.
 
Am Allerschlimmsten sind aber die NERFs. Andere Spielmechaniken und Anforderungen lassen sich überleben, da kann/muss man sich dran gewöhnen. Aber NERFs gehen gar nicht. Das Verfahren ist - kurz erklärt - eine Abschwächung von Fähigkeiten. Hasbro vertreibt Schaumstoff-Waffen namens NERF. Sehen cool aus, machen aber kein Aua. Der Markenname wurde von der Community schon vor Ewigkeiten als negativ beleidigtes Subjektiv und schließlich Verb übernommen. Und im Deutschen hat es perfekter Weise noch die Konnotation von "nerven". NERF, das ist das Sinnbild für das Schlimmste, was einer Klasse passieren kann. Auch oder gerade wegen der Schadenfreude anderer Spieler.
 
NERF-Flut mit Patch 3.2

Kaum noch gute 'Oh Shit'-Notfallfähigkeiten!
Aktuell steht in World of Warcraft Patch 3.2 an. Mit schickem neuen Content. Und einer ganzen Latte von NERFs. Am schlimmsten erwischt es mal wieder die junge Klasse der Todesritter. Das ist die einzige Heldenklasse im Spiel. Sehr mächtig als Tank oder Schadensverursacher. Nur leidet der Todesritter seit Einführung im letzten November unter der NERF-Krankheit. Mit jedem Patch ist er weniger Held geworden. Die Totenritter-Tanks – einstmals echte Brecher im Kampf gegen die schwierigsten Raid-Bosse – verkümmern nun zu schlechteren Kriegern. Kaum noch gute „Oh Shit!“-Notfallfähigkeiten! Kaum noch Alleinstellungsmerkmale!
 
Anderen Klassen geht es übrigens auch nicht besser, nur sind sie schon häufiger ge-NERFT worden. Aber auch sie werden verändert. Die Community nimmt diese Neuerungen murrend hin, um einige Wochen später erneut das Maximum aus ihren Helden heraus zu holen. Blizzard ist schockiert über die Fähigkeit der zahlenden Kunden, so viel Schaden oder was auch immer aus den neuen Skills heraus zu kitzeln und... bringt einen NERF. Das ist Wasser auf die Mühlen der „Wat de Buer nich kennt, dat frät hei nich!“-Fraktion. Die auf Vanilla-WoW stehen (so von geschätzt 1995) und jede Klassenänderung verdammen.

Die Mehrzahl der Spieler meckert

Nur: Längst nicht mehr nur diese vom Retro-Charme des alten WoW verklärten Prediger schimpfen, sondern mittlerweile die Mehrzahl der Spieler. Denn mit regelmäßigen NERFs quer durch den Gemüsegarten, teilweise sogar nur wenig berechtigt, macht sicher Blizzard einfach keine Freunde. Etwas mehr Weitsicht und weniger Experimentier-Freudigkeit der Klassendesigner sowie eine größere Testabteilung würden die Verärgerung der Spielergemeinde möglicherweise verhindern.
 
Bitte, Blizzard, wenn es um Klassendesign geht, ändert ganz wenig, und ganz behutsam. Steckt Eure Energie vielleicht in eine ganze neue Klasse. Aber hört endlich mit dem ewigen NERF-Ping-Pong auf. Das macht wirklich niemandem Spaß, sondern bringt die Leute nur aus dem Konzept.
 
Ich persönlich freue mich übrigens über Neuerungen – auch bei den Klassen. Das macht das Spiel wieder „fresh“. Ich esse übrigens auch gern Dinge, die ich noch nicht kenne. Da bin ich vielleicht anders als viele andere. Aber einen NERF brauche ich persönlich auch nicht. Wenn ich gut bin, will ich auch gut bleiben! Egal ob das fair ist oder nicht. Liebe Blizzard-Verantwortliche, macht die anderen Spieler halt genauso gut. Oder bringt denen das Spielen bei. Eröffnet eine Blizzard-Academy, die Nachwuchsspieler ausbildet oder Profikurse für Leute mit wenig Zeit, aber hohem Geltungsdrang anbietet.. Damit lassen sich sicher noch einige Extra-Milliönchen verdienen. Falls ihr die denn wirklich noch braucht.
 
Euer Knut Gollert

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