Michael Schnelle forscht:

KI, wo bist du? Meinung

In welch goldenen Zeiten leben wir Spieler doch! Mittlerweile ist die Grafik meist fotorealistisch, die Physiksimulation beinahe, der Sound top und die Musik auf Film-Niveau. Und die Bedienung schlägt Büroanwendungen um Längen. Nur eines ist heute nicht wirklich besser als vor zehn oder 15 Jahren: die Künstliche Intelligenz.
Mick Schnelle 8. April 2010 - 18:01 — vor 14 Jahren aktualisiert
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Neulich in einem aktuellen Echtzeit-Strategiespiel, nennen wir es der Einfachheit halber Command & Conquer 4 - Tiberian Twilight: Unsere Einheiten zuckeln brav über den Bildschirm in Richtung Feind. Per Tastendruck habe ich ihnen befohlen, ein vom Gegner gehaltenes Plateau zu stürmen und auf dem Weg dahin alle Gegner anzugreifen, die ihnen begegnen.

Doch was machen die hirnlosen Polygonpanzerchen stattdessen? Nummer eins und zwei fahren noch tapfer voran, während Nummer drei einen Gegner unter Feuer nimmt, den Nummer vier konsequent ignoriert, obwohl er in Reichweite ist. Nummer fünf und sechs sind sich noch nicht ganz sicher, welchen Weg sie nehmen sollen. Weshalb der eine links um einen Felsen herum fährt, während der andere sich für rechts entscheidet. Dabei nimmt er einen derart großen Umweg in Kauf, dass der immer noch kämpfende Panzer Numero drei mangels Unterstützung bereits zerstört ist, als Panzerchen sechs endlich dort eintrifft und ebenso von der gegnerischen Übermacht aufgerieben wird. Der die Gruppe begleitende Ingenieur hat sich einfach schon nach wenigen Metern niedergelassen und den Befehl zum Besetzen eines der belagerten Gebäude komplett ignoriert. Ob das an mangelnder KI liegt oder ob er derart klug war, dass er das Gefecht aus reinem Selbsterhaltungstrieb gemieden hat, ließ sich nicht abschließend klären.
 
Doofe Panzer ruinieren den Sieg
 
Die durch die Feindbasis schleichenden Ernter sind legendär.
Kommt Euch diese Szene irgendwie bekannt vor, auch wenn ihr nie C&C 4 gespielt habt? Ich vermute schon, auch wenn gerade die C&C-Reihe ein Paradebeispiel für mangelhafte KI ist. Die todesverachtend mit Vorliebe mitten durch die Feindbasis schleichenden Erntemaschinen sind legendär. Aber mir ist bislang auch kein einziges anderes Echtzeitstrategiespiel bekannt, in dem ich meine Einheiten nicht wie einen Sack Flöhe hüten musste, um nicht schnurstracks in die Katastrophe zu rasseln. Selbst schlauere Vertreter wie Supreme Commander 2 oder Dawn of War 2 sind letztlich doch sehr beschränkt im Verhalten der Truppen. Dieser Mangel an Selbstständigkeit ist aber nicht nur auf Strategiespiele beschränkt. Wer Mass Effect 2, Drakensang oder Dragon Age spielt, trifft auf ähnliche Probleme. Letzteres macht aus der Unfähigkeit der Programmierer, lebensecht agierende Partymitglieder zu designen, sogar ein Feature und lässt die Spieler "Taktiken" für sie programmieren. Und bei FIFA laufen immer die Spieler noch eine wie Horde Hühner hinter dem ballführenden Spieler her oder stehen auf dämlichen Positionen. Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen. Denn eins steht fest: Obwohl auf so ziemlicher jeder Featureliste und in jedem Patch-Readme von einer "verbesserten KI" die Rede ist, findet sich doch in keinem einzigen Spiel mehr als die schüchterne Andeutung von Intelligenz.
 
Ich weiß schon, in einem Spiel echte Intelligenz zu simulieren, dürfte nach wie vor praktisch unmöglich sein. Ehrlich gesagt erwarte ich das auch gar nicht. Denn letztlich werden in Spielen beim Gegnerverhalten ja nur Skripte abgearbeitet, die über eine "Wenn Situation X eintritt, dann führe Aktion Y aus" nicht hinausgehen. Dann noch etwas Gewichtung mehrerer Faktoren, und vielleicht sogar eine Portion Zufall, fertig ist die KI. Das ist auch weiter nicht schlimm, wenn, ja wenn diese Skripte nur endlich mal etwas ausgefeilter und aufeinander aufbauen würden. Mir kann kein Entwickler erzählen, dass es unmöglich sein soll, einer Einheit in einem Strategiespiel den Befehl "Rücke vor bis zur Position X, kämpfe gegen Gegner Y -- und wenn du zu stark beschädigt wirst, dann kehre zurück zur Basis" zu geben. Das ist reines Abarbeiten von starren Vorgaben, die jede CPU heute mit Leichtigkeit ausführen kann, auch wenn es statt einer Einheit vielleicht 20 oder gar 100 sind. Oder warum kann ich keine Unterstützung anfordern, die selbstständig beschädigte Verbände aufstöbert und sie repariert?
 
Mehr Taktik in der Strategie

Der wahre Spaß ist der stete Wechsel von Taktik zu Strategie und wieder zurück.
Zugegeben, das klingt jetzt arg nach "PC spielt gegen sich selbst und braucht den Spieler gar nicht mehr." Doch das stimmt nur, solange das Missionsdesign ähnlich starr wie heute aufgebaut ist und nur auf das Erobern vorgegebener Punkte wartet. Der wahre Spaß aber ist doch der stete Wechsel von Taktik zu Strategie und wieder zurück. Wenn ich gleichzeitig als globaler Oberbefehlshaber großangelegte Angriffe befehlen kann, ohne im Detail jeden Popelpanzer höchstpersönlich zum Ziel dirigieren zu müssen. Denn dann hätte ich genügend Zeit, mich um wirklich strategisches und taktisches Vorgehen zu kümmern. Etwa koordinierte Angriffe unterschiedlicher Waffengattungen zu veranlassen. Oder mit trickreichen Rückzügen den Gegner in einen zuvor gelegten Hinterhalt zu locken. Mal Hand aufs Herz: In welchem Spiel war das schon mal möglich, so nicht die Entwickler so eine Situation fest geskriptet eingebaut hatte? Dieses Mehr an Möglichkeiten ließe sich leicht auf andere Genres übertragen. Clevere Kicker, die etwa Standardsituationen vorausahnen? Sicherlich leicht machbar, wenn die CPU analysiert, wie Heim- und Gastteam gerade stehen. Oder Kämpfe in Rollenspielen, in denen Magier von hinten aus der Deckung heraus Feinde mit schlau kombinierten Attacken angreifen, während gleichzeitig die Heiler die Truppe am Leben halten und der Spieler sich dem Schwertkampf widmet? Letzteres zeigt ansatzweise die Konsolenfassung von Dragon Age bereits. Immerhin.
 
Clevere Skripte

Nur auf Skripte sollte die KI natürlich auch nicht setzen -- zu beobachten beispielsweise beim aktuellen Strategic Command Global Conflict. Dass die KI darin recht spielstark wirkt, verdankt sie Myriaden von festgezurrten Verhaltensweisen, die der Programmierer für bestimmte Situationen antizipiert hat. Nur, was ist, wenn sich die Bedingungen ein wenig ändern? Gegen einen guten Spieler hat auch die Strategic-Command-KI, wenn man sie nicht mit Vorteilen bei Einheitenstärke und Ressourcen ausstattet, keine Chance.

Ich glaube, dass der eigentliche Grund, warum die KI nicht wirklich weitergekommen ist in den letzten Jahren, nicht eine vermutete Unfähigkeit der Programmierer ist. Es sind ja Verbesserungen möglich, wenn man etwa Empire: Total War mit dem Nachfolger Napoleon vergleicht. Aber da hatte es schließlich auch massive Beschwerden eingefleischter Fans gegeben. Und das passt zu meiner Theorie: Während man Fortschritte bei Grafik, Sound, Bedienung und auch Physik leicht sehen und hören kann, fällt einem eine gute agierende KI nicht so leicht auf, solange man die Spiele nicht selber spielt. Ein Investor oder Publisher setzt häufig lieber auf bunte Bilder als durchdachtes KI-Design, weil es sich leichter bewerben und verkaufen lässt. Deshalb nimmt die Künstliche Intelligenz im Budget und damit in der Entwicklung nach wie vor nur eine untergeordnete Position ein. Zudem ist sie natürlich einer der aufwändigsten Entwicklungsbereiche und am stärksten anfällig für Fehler. Wer schnell fertig werden will, begrenzt die KI und die Möglichkeiten deshalb gern.

Ein weiterer Grund könnte sein (Sid Meier deutet das in einem aktuellen GamersGlobal-Report an), dass die Spielehersteller Angst haben, mit einer zu starken KI die Spieler zu verschrecken, also um ihre Erfolgserlebnisse zu bringen. Also bitte! Man kann ja gerne die KI künstlich verdummen, mittels Schwierigkeitsstufen. Bislang aber erhöhen letztere kaum die Fähigkeiten des Computergegners, sondern fast immer nur seine Hitpoints und ähnliches.
 
Erlöst sie aus dem Schattendasein

Es wird höchste Zeit, die KI als Stiefkind der Spieleentwicklung aus ihrem Schattendasein zu erlösen. Denn seinen wir ehrlich: So ziemlich alle Spiele sehen heute gut aus, alle haben tollen Sound. Die meisten Genres entwickeln sich spielerisch nur noch in kleinen Schritten weiter. Wer heute ein Spiel an den Mann bringen will, muss schon ordentlich klappern und Reklame machen, um wahrgenommen zu werden. In der verbesserten und aufwändiger gestalteten KI aber liegt genau die Chance, abwechslungsreichere, und damit interessantere Spiele zu machen. Spiele, die man gar nicht aufwändig bewerben muss, einfach schon, weil sie etwas Neues, Unwiderstehliches bieten, fern vom 1000sten WoW-Klon, dem zigsten C&C oder der neuesten Facebook-Social-Gaming-Kürbisanbau-Gurke. Ein Spiel, das zumindest so tut, als denke es mit. So eine KI zu besiegen oder als Unterstützung an seiner Seite zu haben, das Gefühl, nicht mehr Flöhe zu hüten, sondern mit einem klugen Partner zu spielen -- das wäre mal ein echter Schritt nach vorn.
 
Meint euer Mick Schnelle. Und was meint ihr?
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