Gast-Kolumne: Steffen Itterheim

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Unser Gast-Kolumnist Steffen Itterheim arbeitet seit 10 Jahren als Spieleentwickler, 7 davon bei EA Phenomic. Aufgewachsen mit Decathlon, ist er heute alles andere als ein Fan von “Rüttelspielen” und “Pseudo-Interaktion”. Für GamersGlobal erklärt er, warum er sich bei Quicktime-Events wie ein Zombie-Spieler im Zombie-Shooter fühlt.
GamingHorror 18. Juli 2009 - 11:11 — vor 14 Jahren aktualisiert
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Es ist für mich eines der größten Übel der Videospielgeschichte, bekannt seit Space Ace in den 80ern und populär geworden durch Shen Mue in 2000. Ich kann es nicht mehr sehen, es macht keinen Spaß und in vielen Fällen ist es zudem überflüssig wie warmes Bier. Die Rede ist von "Quick Time Events", die als eine Beleidigung empfinde und die oft nur eine Ausrede für schwaches Design ist.
 
Resident Evil 5: Der Frust überwiegt
 
Ich soll also während einer Cutscene bei Resident Evil 5 möglicht zügig auf eine unbekannte Situation reagieren, weil urplötzlich eine Taste meines Controllers auf dem Bildschirm eingeblendet wird. Aber vielleicht lehne ich mich gerade zurück und will die Cutscene in aller Ruhe geniessen? Nein, plötzlich bin ich tot, weil mich ein grosser, roter "B" Knopf für eine Sekunde nötigen wollte, mich an der Sache zu beteiligen -- und ich nicht schnell genug war. Dass ich in den meisten Fällen auch bei voller Konzentration auf das Quick Time Event nicht rechtzeitig den richtigen Knopf finde, liegt zum Teil auch daran ,dass die Cutscenes in Resident Evil 5 wirklich beeindruckend gut sind, aber man nie wirklich vorher wissen kann, wann man wieder eingreifen muss. Viele Szenen kommen derart überraschend, das das "You Are Dead" beim ersten Mal schlicht nicht zu verhindern ist. Beim zweiten Mal aber ist die Cutscene schon ein alter Hut, und man ist frustriert darüber, sich die Sache nochmal ansehen zu müssen.
 
Spaß macht das auf keinen Fall, ich empfindes es schlicht als unfair.
Die eigentliche Frage ist, warum muss ich mitten in einer meist schön in Szene gesetzten Cutscene einen bestimmten Knopf drücken, um das Game Over zu verhindern? Wenn meine einzige Eingriffsmöglichkeit darin besteht, eben nicht zu verlieren, überwiegt der Frust. Noch härter wird es dann im Koop-Modus von RE 5, denn da müssen beide Spieler rechtzeitig auf das Quick Time Event reagieren, um nicht zu sterben. Spaß macht das auf keinen Fall, ich empfinde es schlicht als unfair.
 
Fahrenheit: Notwendiges Übel
 
In Fahrenheit waren die Quick Time Events aus meiner Sicht immer nur ein notwendiges Übel um die hervorragende Geschichte voranzutreiben. Aber wenigstens hatte das Spiel die Güte, kurz vorher ein "Sei bereit!" einzublenden, um meine Aufmerksamkeit zu erlangen. Immerhin war ich nun vorgewarnt. Dass die Verwendung der beiden Analogsticks die Sache gleichzeitig anspruchsvoller werden liess, aber nicht jeder Fehler sofort bestraft wurde, ließ mich zum ersten mal eine Spur Berechtigung für Quick Time Events erkennen. Doch Fahrenheit hat auch diese Rüttel-Sequenzen, bei denen man die Tasten extrem schnell hintereinander drücken muss. Das habe ich selbst im einfachsten Schwierigkeitsgrad kaum geschafft! Jedenfalls nicht, ohne den Controller auf den Tisch zu legen und furchtbar zu malträtieren. Und dann gleich nochmal! Sowas in einem Produkt, das als strahlendes Beispiel für "Emotionen im Spiel" gilt? Für mich waren es vielmehr Schmerzen in den Fingern.
 

God of War und Heavenly Sword machen ebenfalls exzessiv von Quick Time Events Gebrauch, und da ist es noch halbwegs vertretbar -- weil meine Erwartungshaltung ist, möglichst coole Aktionen durch vergleichsweise hektisches Tastendrücken auszulösen. Doch in den letzten Jahren haben sich Quick Time Events leider wie eine Seuche über viele Spiele ausgebreitet, mal hier, mal da, und zumeist aus dubiosen Gründen. Wenn mich in Call of Duty: Modern Warfare ein Hund beißt und dies die einzige Situation im gesamten Spiel ist, in der ich relativ überraschend mit dem korrekten Timing und dem passenden Druck auf eine bestimmte Taste reagieren muss, dann empfinde ich das als Zumutung. Sehr störend fand ich auch das Nachladen bei Gears of War. Indem ich also auf einen winzigen Balken achte und im richtigen Augenblick eine Taste drücke, kann ich das nachladen optimieren. Wahnsinn, ich bin begeistert! Ich hoffe inständig das dieses System keine Schule macht, denn es trennt die Spieler noch mehr in zwei Klassen. Die mit dem richtigen Timing und guten Reflexen sind noch stärker bevorteilt, als sie es ohnehin schon in Shootern sind.
 
Mass Effect: Buttons drücken, Container öffnen
 
Bei Mass Effect darf ich mir selbst erklären, warum in aller Welt das Nachdrücken der aufleuchtenden Buttons in der Lage sein soll, computertechnisch verschlossene Container zu öffnen. So etwas zeigt, wie wenig Gedanken sich selbst Designer von Toptiteln beim Einsatz der Quick Time Events machen: Auf den Kontext wird nicht mehr eingangen, sondern einfach nur eine Button-drück-Einlage oben draufgeklatscht. Da finde ich doch das Hacken der Computersysteme bei Bioshock weitaus besser gelungen, immerhin ist das ein richtiges Minigame, das zum Kontext des Spiels passt. Das gleiche gilt für das Schlossknacken und Passwortcracken in Fallout 3. Nicht überwältigend innovativ, aber prima in die Spielwelt integriert.
 
Mit einem geistlosen Taka-taka-taka-taka-taka-taka-taka-tak.
Am anstrengendsten finde ich jedoch Sequenzen, die mir abverlangen dieselbe Taste möglichst schnell hintereinander zu drücken. In Dead Space beispielsweise, wenn ich mich von der Umklammerung eines Gegners lösen muss. Mit einem geistlosen Taka-taka-taka-taka-taka-taka-taka-tak. Oder in den Cutscenes von Silent Hill: Homecoming -- die kombinieren kunstlos ziemlich brutale Unterhaltung für Erwachsene und fiesestes Buttonsmashing, das nach den Reflexen eines Zwölfjährigen verlangt. Was, um Himmels Willen, hat das noch mit Interaktion zu tun? Das ist ein Belastungstest, nichts weiter. Was vor über 25 Jahren bei Decathlon noch halbwegs reizvoll war, reizt heute nur noch meine Muskulatur. Warum darf ich nicht einfach die Viecher oder den Bohrer abschütteln durch geschickte Bewegungen? Oder einfach nur zusehen. Da wäre mehr drin gewesen!
 
Packungssticker als Warnung?
 
Vielleicht sollten die Publisher in Zukunft Spiele mit Quick Time Events durch einen plakativen Sticker auf der Packung markieren?
"Achtung: Spiel enthält Quick Time Events. Nur für Anspruchslose geeignet. Kann zu dauerhaften Schäden wie RSI und Frusterlebnissen führen."
Lieber wäre mir aber, wenn sich die Designer mal Gedanken machen würden, bevor sie sich für Hastig-Buttons-drücken in einem Spiel entscheiden. Denn nur, weil es einfach zu produzieren und zu programmieren ist, darf es nicht dazu führen, dass unangemessene Spielelemente Verwendung finden. Einfach nur den richtigen Button rechtzeitig, oder denselben Button schnellstmöglich hintereinander zu drücken ist weder eine Herausforderung noch eine Möglichkeit mich am Spielablauf auf eine befriedigende Art und Weise zu beteiligen. Auch nicht in Cutscenes, weil ich diese dann nicht mehr unbeschwert genießen kann und dennoch nur minimalsten Einfluss nehme. Wenn es noch dazu in einem Spiel nur ganz wenige Situationen gibt, in denen Quick Time Events eingesetzt werden, dann lasst sie doch um Himmels Willen lieber ganz weg! Meine Hände (und übrigens auch meine Haare) werden es euch danken.
 
Euer Steffen Itterheim alias GamingHorror
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