Die Schwierigkeit mit der Schwierigkeit

Die Schwierigkeit mit der Schwierigkeit Meinung
Teil der Exklusiv-Serie Burtchens Bewusstseinsstrom

Burtchens Bewusstseinsstrom #17

Burtchen / 6. Oktober 2023 - 16:00 — vor 3 Tagen aktualisiert

Teaser

Was ist eigentlich so schwer daran, einen Schwierigkeitsgrad zu zimmern, der anfangs ohne Frust einführt und mit dem richtigen Grad an Herausfoderungen bei der Stange hält? Eine Menge.
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Jeder Gamedesign-Grundkurs behandelt das Thema, idealerweise noch vor der ersten Morgens-halb-zehn-in-der-Bundesrepublik-Pause: ein essenzielles Merkmal guten Spieldesigns ist ein sinnvoll ausbalancierter Schwierigkeitsgrad. Ein Produkt, das stur beim Klick auf einen riesigen grünen Button virtuelle Punkte und Feuerwerksanimationen verteilt, wird nur homöopathischste Dopaminausschüttungen hervorrufen, weil keine echte Rückkopplung zwischen Anstrengung und Ergebnis besteht. Umgekehrt ist ein schier oder tatsächlich unbesiegbarer Spielabschnitt pure Frustration.

  Zeit für eine persönliche Anekdote (diesmal ganz ohne Banknachbarn): das dritte Spiel für den eigenen GameBoy, das sich der achtjährige Christian aussuchen durfte, war R-Type. Im Versandhauskatalog aus Mülheim klang es noch phantastisch: Ein mächtiges Raumschiff mit zahlreichen Waffen und Power-Ups, das sich durch Alien-Horden fräst. Und dann das Packungsmotiv erst! Da lockten den Betrachter Laserstrahlen, Explosionen und Action, wie ich sie mir in Krieg der Sterne vorstellte, das ich damals doch nur aus Erzählungen kannte.

Dann die große Ernüchterung: Das ach-so-tolle Raumschiff schien in Zwickau aus Duroplast-Restbeständen der ehemaligen Trabant-Produktion zusammengenietet worden zu sein, anders ließ sich dessen Bröseligkeit nicht erklären. Ein Schuss, egal welchen Projektils: Brösel-Animation (die ein ganz klein wenig an Feuerwerk erinnert, nur in gehässig). Berührung eines Gegners: Brösel Brösel Brösel. Flug gegen eine Wand oder selbst auf eine Ebene: ein Kessel Bröseln. Sowohl im Kontext des Spiels (schnelles Weltraumvehikel verträgt Kollisionen eben schlecht) als auch in dessen Entstehungsgeschichte (Arcade, durchschnittliche Spieldauer gering halten und so) ergibt beides Sinn, doch Grundschulburtchen war auf Jahre hinweg von dieser Taschengeld-Fehlinvestition verstört. Wie konnte jemand nur so etwas auf den Markt werfen? Wo doch selbst Mario zumindest die Option hat, Feindkontakt nach einer Pilzmahlzeit zu überleben?!

 
Bröselburtchen wählt den leichten Modus, Arcade-gestählte Piloten den schwierigen.
Bauch- und Haaransatz des Autoren offenbaren mit ihren gegensätzlichen Wachstumsrichtungen, dass seit der tragischen Bertelsmann-Lieferung einige Zeit ins Land gegangen ist, in der die Industrie sich entsprechend weiterentwickelt hat. Die Klaviatur an Mitteln für weniger frustrationsintensive Erlebnisse ist… breit? Tastenreich? Deckt viele Töne ab? Also, jedenfalls gibt es etliche Möglichkeiten, angefangen bei bereits zu R-Type-Zeiten existenten Möglichkeiten wie einstellbaren Schwierigkeitsgraden. Die naheliegendste Option: schwierig, mittel, leicht. Die gute Nachricht: das löst das zugrundelegende Problem … eigentlich. Bröselburtchen wählt den leichten Modus, Arcade-gestählte Piloten den schwierigen. Und noch dazu eröffnen sich hierdurch Möglichkeiten, den Wiederspielwert zu erhöhen.


Eine Frage der Einstellungsehre

Mehrere Schwierigkeitsgrade sind, das möchte ich an dieser Stelle in aller Unzweifelhaftigkeit an die Haustür zimmern, richtig und gut. Gerne mit einem praktisch reinen Story-Modus, der Menschen mit weniger Zeit und Nerven nicht unnötig aufhält. Auch aus Accessibility-Gesichtspunkten kann ich es nur loben, wenn insgesamt die Zugänglichkeit des Mediums verbessert wird, ohne den offensichtlichen Sonderfall „Die Schwierigkeit ist aber Essenzmerkmal des Spiels“ der Marke Super Meat Boy beiseite zu schieben. Umgekehrt sind auch alle New-Game-Plus-Optionen sicherlich ein Segen für all jene, die fehlerfrei zehn Stunden am Stück durch Gotham segeln.

Vollständig gelöst haben wir das Schwierigkeitsproblem damit natürlich nicht, das wäre ja zu einfach. Denn die durchschnittliche Auswahl-Möglichkeit im Menü ist eben, genau – der „normale“ Modus in der Mitte, wie bei einer typischen Gauss’schen Verteilungskurve (Gamersglobal wird dem eigenen Bildungsanspruch wieder gerecht!). Und der muss folglich sinnvoll ausbalanciert sein mit genau der richtigen Menge Herausforderung und Belohnung, um die Botenstoffe richtig dosiert durch Burtchens Bewusstsein strömen zu lassen.

Bei so manchem Titel ändern sich mit der Anpassung des Schwierigkeitsgrades nicht nur stumpf Lebensenergie und im Level verteilte Helferlein, sondern sogar Atmosphäre-relevante Aspekte. Diese Art Modus wünsche ich mir immer – und gerne mit losgelösten Einstellungen, damit etwa in Crysis die Gegner nicht nur im kniffligsten Modus koreanisch sprechen. Wenn wir schon dabei sind: Wäre es nicht eine prima Idee, wenn die eigenen Einstellungen in einen berechneten Schwierigkeitswert einzahlen? Ich bekomme also fürs Abschalten des Fadenkreuzes 5 Punkte, für nordkoreanisch sprechende Gegner 7, für langsamere Regeneration 10, für fehlende Luftunterstützung 20… und lande dann zum Beispiel bei 65/100 Punkten beim Schwierigkeitsgrad. Gab es das schonmal in einem Titel? Andernfalls muss ich kurz beim Patentamt anrufen...
 

Aller Anfang ist… so ein bisschen von Allem?

Erste Herausforderung: Das Tutorial. Ähnlich den Sicherheitshinweisen in Flugzeugen, die davon ausgehen, dass ein Teil der Bevölkerung sich im Leben noch nie angeschnallt hat, muss die Spieleinführung Shooter-Novizen über die Tasten D,S,A und W aufklären, ohne Expertinnen zu sehr im x-ten „Willkommen zum Training“-Zehnminüter zu langweilen. Auf meiner Abschussliste der es besonders zu gut meinenden Anfänge: Anno online. Bei bonbonbunter Barocklebensfreude-Optik nach Art des Hauptspiels 1701 weisen allerorten hüpfende Pfeile auf den nächsten zu klickenden Button. Nachdem es für die erste Klick-Klick-Fischerhütte 500 Punkte und Begeisterungsstürme regnete, fühlte ich mich einfach nicht mehr ernstgenommen. Ebenfalls kein Tutorial braucht natürlich ihr für das Verfassen ähnlicher Erinnerungen an besonders gelungene oder missratene Einführungen in die Kommentarfelder!

  Und selbst wenn der Spielbeginn minutiös mit Fokusgruppen abgeklopft wird, ergeben sich aus dem Spannungsfeld „Anfang muss beherrschbar sein“ und eben seit knapp zwei Jahrzehnten auch „Anfang muss so richtig reinhauen“ gewisse Konflikte. Das erste Company of Heroes etwa beginnt wie so viele Spiele im Zweiten Weltkrieg mit der Hollywood-Version der Landung in der Normandie. Ich möchte meine militärische Möchtegernclausewitzigkeit an dieser Stelle nicht überstrapazieren, aber dennoch erlaube ich mir die kühne These, dass eine amphibische Landung am Nordatlantikwall eher in den höheren Anforderungsklassen spielt, auch unter Berücksichtigung der cleveren Täuschungsmanöver. Im Nachfolger setzt sich dieses Missverhältnis fort, was insbesondere in der finalen Mission in Berlin offensichtlich wird – auch hier möchte ich keineswegs den tatsächlichen militärischen Einsatz kleinreden, aber dennoch anmerken, dass die Schlacht um den Reichstag eher nicht das herausforderndste Unterfangen der Roten Armee war.

Nach der Premierenviertelstunde bleibt das Spieldesign weiter gefordert, um den Schwierigkeitsgrad langsam ansteigen zu lassen und passend zur Dramatik oder spielmechanischen Elementen wie Bosskämpfen gezielt Spitzen oder Erholungspausen zu setzen – ohne aber völlig aus dem Ruder zu laufen. Das (bekanntermaßen vertraglich mindestens einmal je Bewusstseinsstromquartal erwähnte) Command & Conquer 3 - Tiberium Wars beispielsweise bietet, ganz im Gegensatz zu den Vorgängern, in den Kampagnen mitunter fordernde, aber fast immer faire Missionen – mit einem Trio an Ausnahmen mittendrin, die ohne Glück oder besondere Kniffe kaum zu erledigen sind. Adventures sind gerade im Mittelteil oft am herausforderndsten, weil sich Erzählung, Spielwelt und Rätselmöglichkeit hier öffnen – genug Raum, damit einem allerhand Lösungsmöglichkeiten einfallen,
die etwas weniger absurder sind, als die vom Entwickler ersponnene.
 

Der Schwierigkeitsgrad ist eine Lüge

Seit jeher haben uns Spiele jenseits des Adventure-Genres dabei mit einem ganzen Werkzeugkoffer an Mitteln auch einmal Herausforderungen vorgegaukelt. Wohl das bekannteste Beispiel sind Absprungmomente in klempnerlastigen Hüpfspielen, die bei weitem nicht so präzise sein müssen, wie es auf den ersten Blick aussieht. Ein vergebensfreudiges Interface, das Reflexe oder Zielgenauigkeit mit etwas Mildtätigkeit bewertet, kann dabei erheblich Frustrationen abmildern, ohne gleichzeitig einem wirklich schwierigen Spiel entgegenzustehen.

 
Max Payne 3 ändert beim zunehmenden Scheitern an Checkpoints die Voraussetzungen
Etwas zwiegespaltener stehe ich weniger subtilen Methoden gegenüber, mit denen Spiele ihren Herausforderungsgrad anpassen möchten. Max Payne 3 etwa ändert beim zunehmenden Scheitern an Checkpoints die Voraussetzungen, mit jedem zweiten Neubeginn erhöhen sich Schmerzmittel- oder Munitionsvorrat. Klingt auf den ersten Blick vernünftig, aber kommt mit Nachteilen. Zum einen bildet sich so eine prima Ausrede, um auch die absurdesten Frustrationsausschläge wegzuwischen – das Leveldesign lagert das Problem einfach auf die andere Bildschirmseite aus. Zum anderen weiß ich immer noch nicht, ob ich nun wirklich stolz aufs Durchspielen sein kann – wieviel davon geht auf mich, wieviel auf gutmütige Ausstattung bei Checkpoint-Wiederholungen? Ein wesentliches Element des Spieldesigns, nämlich das tatsächliche Bezwingen von Herausforderungen, wird damit in Abrede gestellt. Und ja, ich weiß, dass das in den höheren Schwierigkeitsgraden anders aussieht, aber über die reden wir ja nicht.

Wie sieht es bei euch aus? Gleich am Anfang alle Schieberegler auf maximalen Leidensdruck geschubst? Habt ihr besonders traumatisierende Erinnerungen an Konsole oder Spielautomaten aus der kaum-mehr-als-grauen Vorzeit? Oder an besondere Diskrepanzen einer im Intro angekündigten epischen Wir-werden-alle-Sterben-Dramatik, die in der Anfangsmission durch die Aufgabe „bitte drei Soldaten trainieren“ unterminiert wurde?

Auf eure Erfahrungen freut sich
Euer Burtchen
Abfuehrung
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Burtchen 6. Oktober 2023 - 16:00 — vor 3 Tagen aktualisiert
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