Jörg Langer meint:

Altertümliche Alterseinstufungen Meinung

Jugendschutz ist ein in der Verfassung fest verankertes Gut, an dem in Deutschland niemand rütteln will. Aber im Namen des Jugendschutzes macht die Poltik Vorgaben, die für USK, BPjM oder auch Spielehersteller schwer umzusetzen sind. Und die nicht unbedingt ihren Zweck erfülllen, nämlich Jugendliche zu schützen. Meint Jörg Langer.
Jörg Langer 4. September 2009 - 22:33 — vor 14 Jahren aktualisiert
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Wer nach kurzem Blick auf das Foto oben die Familienministerin der letzten (und bald: vorletzten) Legislaturperiode erkennt und daraus haarscharf folgert, dass die Aufnahme bereits ziemlich alt ist, hat völlig recht. Und dieser Uralt-Status passt dann doch ganz gut zu dieser Kolumne: In Sachen Jugendschutz hat sich in Deutschland nämlich seit gefühlt 50 Jahren nichts getan. Zumindest nichts Positives. Das beziehe ich nicht auf die Bundesprüfstelle für Jugendgefährdende Medien oder die Unterhaltungssoftware-Selbstkontrolle. Sondern auf den Glauben, mit Zahlen und Verboten Jugendliche schützen zu können.

Die Unendliche Geschichte

Vor einiger Zeit wollte ich mit meinen Töchtern (4 und 5,5 Jahre) einen Film anschauen. In Ausübung meines elterlichen Privilegs (ich dürfte auch z.B. ein USK-16-Spiel mit meinem imaginären 12jährigen Sohn spielen, wenn ich das für richtig halte) hatte ich mich für Die Unendliche Geschichte, FSK 6, entschieden. Ein in meiner Erinnerung harmloser Film, bei dem dieser nette Plüschdrache Fuchur herumfliegt, und Atreju die Prinzessin rettet. Relativ früh im Film ziehen Atreju und sein treues Ross Artax durch die Sümpfe der Traurigkeit. Wer keinen starken Willen hat, egal ob Mensch oder Tier, versinkt in ihnen. Als Artax schon bis zum Leib im Sumpf eingesackt ist, wendet sich meine Ältere ängstlich an mich: "Stirbt das Pferd jetzt?". Und ich, voller Überzeugung: "Nein, das Pferd überlebt, wirst schon sehen." Was sie dann sah, war, dass dieser blöde Gaul versank. Blupp. Während sich meine jüngere Tochter danach erkundigte, ob Artax jetzt da unten mit anderen toten Pferden sprechen kann, verwandelte sich meine Ältere in einen fünfeinhalbjährigen menschlichen Rasensprenger. Sie war völlig fertig, und die Unendliche Geschichte für uns vorzeitig zu Ende.

War es jetzt das knappe halbe Jahr Unterschied zur Altersempfehlung "ab 6 Jahren" der FSK? Hätte sie in einem halben Jahr anders reagiert? Ich glaube nicht. Wie ein FIlm oder ein Spiel wahrgenommen wird, hat mindestens so viel mit der Reife, der Empathie, der Stimmung (und zig anderen Faktoren) des Kinds oder Jugendlichen zu tun, mit den Erklärungen und gegebenenfalls der Auswahl von Szenen durch einen Erziehungsberechtigten, wie mit dem eigentlichen Film oder Spiel. Während ich meinen Töchtern schon GTA 4 vorgespielt habe (Autofahren und Herumlaufen, ohne jede Gewalt) und sie das toll fanden, vor allem im simulierten Regen, waren sie völlig bestürzt darüber, als ich bei Race Driver GRID die Karosserie meines Rennwagens verbeult habe: "Ist dem Autofahrer was passiert?"

Sieg für den gesunden Menschenverstand?

Die aktuelle Gesetzeslage unterstellt, mit der Ziffernfolge "ab 18" würde Jugend geschützt.
Die aktuelle Gesetzeslage aber unterstellt, mit der Ziffernfolge "ab 18" würde Jugend geschützt. Die USK müht sich redlich, diese Gesetzeslage mit der modernen Medienwirklichkeit halbwegs zu versöhnen, und kommt zu durchaus überraschenden Urteilen: Bei GTA 4 geruhten die USK-Gutachter, auch die Populärkulturpersiflage, die Gesellschaftskritik, den kaputten Helden in dem Spiel zu sehen, und klebten am Ende eine "18" drauf. Und eben nicht "Keine Kennzeichnung", wie man es hätte befürchten können. Ein Sieg für den gesunden Menschenverstand.

Ich möchte noch weiter gehen: Viele 16- oder 17-jährige, ich würde einfach mal annehmen, die allermeisten, sind psychisch so gefestigt, dass sie von einem GTA 4 nicht in ihrer Seele beschädigt werden oder auf dumme Gedanken kommen. Ihnen das Spiel vorzuenthalten, erscheint mir unnötig, ja sogar ein Verlust: GTA 4 kann nämlich durchaus zum Nachdenken anregen, etwa über den Mist, der uns tagtäglich im Fernsehen vorgesetzt wird. Oder darüber, dass Gewalt auf Dauer eben doch keine Probleme löst, sondern neue schafft.

Davon mal ganz abgesehen: Jugendliche, die es wollen, spielen ein ihnen wichtiges 18er Spiel auch, auf welchem Weg auch immer: Raubkopie, beim Freund oder einer "netten" Videothek ausgeliehen, meist aber schlicht durch Kauf und Duldung der Eltern. Interessant ist nun, was das für eine Duldung ist. Eine aktive, die sich mit dem Spiel X auseinandersetzt, die gar das gemeinsame Spielen mit dem eigenen Töchterlein oder Sohnemann umschließt? Oder die passive Duldung nach dem Motto: "Hauptsache, der quengelt nicht rum"? 

Jugendschutz ist auch Elternsache


Auf die USK- oder FSK-Kennzeichen achten doch eh nur diejenigen Eltern, die auch die Warnhinweise auf Zigarettenschachteln mental umsetzen können oder mit ihren Kindern frühzeitig darüber sprechen, wieso sie sich von harten Spirituosen fernhalten sollten: Eltern mit einer gewissen Mindestbildung, die sich um ihre Zöglinge aktiv kümmern. Eltern hingegen, denen ich im PEP in München zusehen kann, wie sie Zigarettenqualm in Richtung ihres Babys exhalieren, sind ein paar Jahre später auch nicht für Jugendschutz der Marke "Verboten unter 12" empfänglich.

Für Eltern jedoch, die sich nicht kümmern, haben USK-Kennzeichen keine Bewandnis. Und nun können wir uns ewig im Kreis drehen und bei jeder Umdrehung die Auflagen für die Spielehersteller noch weiter hochschrauben oder die USK-Kennzeichen solange vergrößern, bis der Spielename nur noch auf die Rückseite passt. Oder wir könnten als Gesellschaft anders mit dem Thema Jugendschutz umgehen. Weniger verkrampft. Wirklichkeitsnäher. Eher fördernd als verbietend. Herrgott, bin ich der Einzige, der überzeugt ist, dass heutige Jugendliche in vielen Dingen (und dazu gehört die Mediennutzung) reifer sind als ihre Großeltern im selben Alter?  Kann man sich bitteschön dieser Wirklichkeit mal anpassen und weniger verbiestert auf alles reagieren, was a) Computerspiel ist und b) Gewaltdarstellungen enthält?

Mit der Einstellung gewisser Humptata-Politiker und fortpflanzungswütiger Familienministerinnen könnte man sich auch den Kinderfasching ansehen und würde darin statt "Cowboy und Indianer" etwas anderes sehen, nämlich den nachgespielten Genozid an den amerikanischen Ureinwohnern. Zeigt dieses Beispiel, wie abstrus die Diskussion um virtuelle Gewaltdarstellung teilweise verläuft? Selbst Lego bietet mittlerweile Kampfroboter für die Kleinen an, mit "echt feuernden Raketen" und anderen Highlights -- aber in elektronischer Form ist sowas böse und erst ab einem viel späteren Alter geeignet? In "Heute" um 19:00 Uhr, in der Tagesschau um 20:00 Uhr sind unsägliche Szenen zu sehen sind, bei den Privaten noch früher und noch unsäglicher. Das scheint die 17jährigen doch auch nicht zu verrohen.

Schützen kann nur, wer weiß, wovor er schützt

Eine Gesellschaft muss auch Grenzen ziehen.
Ich will nicht, dass Alterskennzeichnungen abgeschafft werden. Es gibt ja Eltern, die sich kümmern, und eine Gesellschaft muss auch Grenzen ziehen, muss sagen: "Das wollen wir nicht in Kinderhand sehen". Aber die Glaubwürdigkeit solcher Grenzen wäre höher, wenn sie sich an der Wirklichkeit, an den deutlich höher liegenden Messlatten anderer Medienbereiche orientieren würden. Aber auch dann reicht eine Zahl allein nicht. Die Eltern brauchen Medienkompetenz. Wer selber spielt, und wenn es nur ab und zu ist, kann sich sehr viel besser in das eigene Kind hineinversetzen und entscheiden, ob ein bestimmtes Spiel geeignet ist oder nicht. So wie auch ein Nichtschwimmer größere Probleme dabei haben wird, seinem Kind das Schwimmen beizubringen. Wenn er überhaupt ein Interesse daran hat.

Doch was wird Eltern, die sich nicht selbst mit Computerspielen beschäftigen, tagtäglich eingeredet? Dass Spiele etwas potenziell gefährliches sind, dass es darunter "Killerspiele" gibt. Sie hören, dass sich die Politik ständig damit beschäftigt, wie gegen diese Spiele noch härter vorgegangen werden kann. Das fördert sicher nicht die Bereitschaft, sich aktiv mit der Thematik auseinanderzusetzen und Kompetenz aufzubauen. Um dann ein ernstzunehmender Gesprächspartner für den eigenen Sohnemann zu sein, wenn der mit 13 glaubt, GTA 5 spielen zu müssen.

Computerspiele als Schul-Pflichtfach?


Die Themen Internet und Computer und Videospiele müssten in Deutschland viel stärker als etwas ganz Normales dargestellt und gefördert werden, vielleicht schon im Kindergarten, spätestens aber in der Grundschule. Denn nur, wer etwas kennen lernen kann und die positiven Seiten gezeigt bekommt, kann auch einen Schutz (im eigenen Kopf!) gegen die negativen Seiten entwickeln. Früher oder später werden die Kinder sowieso mit all dem konfrontiert, was wir ihnen lieber ersparen würden -- eine im YouTube-Video sterbende Iranerin. Verblutende Bürgerkriegsopfer. Und abgetrennte Gliedmaßen in Fallout 3 uncut. Diese Konfrontation erfolgt vermutlich eher früher denn später, vor allem aber in einem anderen Umfeld, als das prohibitiven Eltern Recht wäre. Deshalb plädiere ich dafür, nun ja, vielleicht nicht gleich Computerspiele, aber doch zumindest Computernutzung und Internet zu einem sehr frühen Zeitpunkt tatsächlich als Pflichtfach in die Schulbildung aufzunehmen. Und nicht erst als weltfremde "Informatik" in den oberen Klassenstufen.

Jugendschutz muss aber vor allem im sozialen Umfeld und in der Familie stattfinden, und er muss -- innerhalb der Möglichkeiten -- auch für die "Geschützten" nachvollziehbar sein.Jugendliche können sehr wohl erkennen, wenn etwas sinnvollerweise für sie verboten ist. Sie werden sich zwar dennoch nicht immer um das Verbot scheren, aber immerhin bleibt eines aus: der Spott und Hohn über Gesetze, die offensichtlich an der Wirklichkeit vorbeizielen. Andernfalls fällt ihnen nur auf, dass diese Grenzen von Leuten gezogen und vertreten werden, die sich an ihre eigene Jugend meist nur noch erinnern, wenn sie alte Familienalben mit ihren Enkeln durchblättern.

In der Konsequenz braucht es für einen wirkungsvollen Jugendschutz deswegen neben den Formalien (Alterskennzeichnung) und der aktiven Mitwirkung der Eltern noch etwas ganz Wichtiges: Medien- und Spielekompetenz bei den Politikern, Gutachtern und sonstigen Involvierten -- zumindest, wenn sie wollen, dass Jugendschutz der Jugend auch etwas bringt -- statt nur eine Worthülse zu sein, über die man sich jederzeit billig in Wahlkampfauftritten profilieren zu können glaubt. Der Jugendschutz in seiner jetzigen Form ist systemisch antiquiert, mal ganz abgesehen davon, dass auch die Alterseinstufungen an sich eher altertümlich anmuten, wenn man sie mit denen für das restliche Europa geltenden vergleicht.

Euer Jörg Langer
Abfuehrung
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