Interview: Prof. Jürgen Fritz

"Herr Pfeiffer ist Politiker!" Interview

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"Es gibt Gewaltvideos, sensationsgeile Zeitschriften, eklige TV-Serien, Abzock-Gewinnspiele und vieles mehr..."

GamersGlobal: Es gibt Gewaltvideos, sensationsgeile Zeitschriften, eklige TV-Serien, Abzock-Gewinnspiele und vieles mehr. Doch drakonische Maßnahmen scheinen vor allem gegen Videospiele getroffen zu werden.

Prof. Jürgen Fritz: Jedes Mal, wenn ein neues Medium erscheint, setzt sich die Gesellschaft damit kritisch auseinander. Es bedarf einer bestimmten Zeit und Prozessen der gesellschaftlichen Auseinandersetzung, bis das neue Medium als "Kulturgut" akzeptiert wird. 

GamersGlobal: Spielen Sie denn überhaupt selbst?

Auch Professor Fritz kam an Pac-Man nicht vorbei.
Prof. Jürgen Fritz: Ich habe, soweit es mir zeitlich möglich war, selbst gespielt: Vor 20 Jahren Pac-Man, und heute Onlinespiele. Es wäre für mich nicht vertretbar, wenn ich Seminare zu Sachverhalten anböte, zu denen ich aus eigener Anschauung nichts sagen könnte. Die virtuellen Spielwelten sind Teil der Lebenswelt von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen geworden. Über die Möglichkeiten, Grenzen, Probleme und Gefahren müssen unsere Studierenden Bescheid wissen, wenn sie in einem späteren Berufsleben pädagogisch wirkungsvoll werden wollen. Das können sie aber nur, wenn sie selber spielen. Wir bilden Sozialpädagogikstudenten aus, die später mit den Jugendlichen arbeiten sollen. Dazu müssen sie verstehen, wieso Kinder und Jugendliche am Computer spielen statt draußen. Sie müssten die Faszinationskraft der Spiele selbst spüren, um eine angemessene Verständnisbrücke zu Kindern und Jugendlichen herstellen zu können.

GamersGlobal: Was ist aus gelehrter Sicht das Faszinierende am "Daddeln"?

Prof. Jürgen Fritz: Jugendliche wollen Belohnungen, sie wollen sich als handelnd und selbstwirksam erleben – das kann man in einem Computerspiel recht einfach. Es ist abwechslungsreich und spannend. Spiele bieten Anknüpfungspunkte zu den Interessen, die sowieso vorhanden sind – seien es Autorennen oder Fußball. Aber das Entscheidende ist die eigene Wirksamkeit, bei Onlinespielen noch verstärkt durch die Anerkennung von anderen. Ob jemand dick ist oder hässlich, zählt nicht, wohl aber, wenn sein WoW-Avatar auf Stufe 80 ist. Oder wenn er zuverlässig ist, die anderen unterstützt. Die Gefahren von Online-Spielen sind uns durchaus bewusst. Menschen, die in der realen Welt zu wenig Bestätigung erfahren, wandern in diese virtuelle Welt aus. Das exzessive Spielen kann bei bestimmten Jugendlichen – und Erwachsenen – bis zur Abhängigkeit führen. Aber wir können auch herausfinden, wie das zu verhindern ist: Was ist den Jugendlichen wichtig? Gemeinschaft? Erfolg? Anerkennung? Und wo können die Jugendlichen das ebenfalls erleben? Wir entwickeln an der Hochschule mit den Studierenden Projekte, die in der pädagogischen Praxis Bestand haben. Und die helfen können, eine für die Lebensentfaltung von Kindern und Jugendlichen wichtige Balance zu finden: von Spielprojekten in der Natur bis hin zur Erlebnispädagogik.

Das Browserspiel Ogame (von Gameforge): daran und darin forschten 50 Studenten der FH Köln ein Jahr lang.

GamersGlobal: Sie klingen fast wie Herr Pfeiffer: Computerspiele scheinen ein gemeingefährliches Hobby zu sein...

Prof. Jürgen Fritz: Natürlich ist ein Utensil gefährlich, wenn man keinen angemessenen Gebrauch von ihm macht. Aber wie wollen Sie denn beispielsweise Browser-Spiele verbieten? Sie können im Grunde nur durch Beratung und Alternativangebote dabei helfen, dass anfällige Jugendliche nicht aus der Balance geraten. In den virtuellen Spielwelten spiegeln sich Entwicklungstendenzen unserer Gesellschaft. Die Arbeitsprozesse spielen sich zunehmend auch in virtuellen Räumen ab, vor allem in qualifizierten Berufen. Wir werden immer stärker mit virtuellen Räumen konfrontiert, und wir müssen lernen, damit angemessen umzugehen. Gleichwohl ist es wichtig, eine Balance zwischen den virtuellen Räumen und den virtuellen Spielwelten und den Anforderungen der realen Welt zu finden. Dabei bringen uns restriktive Verbote und weitere Einschränkungen nicht sehr weit.

Es ist klar, dass Computerspiele zu unserer Gesellschaft gehören.
GamersGlobal: Demnach wäre es hilfreicher, weniger Schulsportstunden ausfallen zu lassen, als weitere Spiele zu verbieten?

Prof. Jürgen Fritz: Ja, und insofern stimme ich auch Herrn Pfeiffer zu, der mehr Ganztagsschulen fordert. Ich denke, dass Menschen von anderen Menschen lernen, durch Anregungen, durch ein förderliches Umfeld, durch sinnvolle pädagogische Projekte, durch Alternativangebote, die die Interessen und Wünsche von Kindern und Jugendlichen angemessen aufgreifen und fortführen.

GamersGlobal: Stimmen Sie Herrn Pfeiffer auch darin zu, dass die USK zu lasch sei?

Prof. Jürgen Fritz: Es ist meines Wissens das mit Abstand beste Altersfreigabesystem für Computerspiele in Europa. Aber natürlich macht es für jemanden, der öffentliche Wirkung erzielen will, Sinn, die USK anzugreifen. Ich denke aber, dass die Politik mittlerweile über eine reine Verbotsmentalität hinaus gekommen ist. Deutlich wird dies durch die Bundestagsinitiative "Computerspiel des Jahres". Es ist allen klar, dass Computerspiele zu unserer Gesellschaft gehören. Und es ist eine sinnvolle Aufgabe der Politik – und auch der Software-Industrie – deutlich zu machen, wo die Möglichkeiten und Chancen bestehen. Aber eben auch, wo Probleme, Risiken und Gefahren vorhanden sind. Die problematischen Wirkungen, die manche Computerspiele auf bestimmte Kinder und Jugendliche haben können, darf man nicht verharmlosen, aber auch nicht dramatisieren. Im Grunde müssten Eltern, solange sie noch Einfluss auf ihre Kinder haben, versuchen, diese Spiele zu verstehen. Sie sollten mit ihren Kindern über die Spiele reden, ihre Bedenken äußern – und vernünftige Regeln für die Nutzung der Spiele aufstellen.

Das Interview führte Jörg Langer (GamersGlobal)
Jörg Langer 16. Juni 2009 - 13:57 — vor 14 Jahren aktualisiert
Gadeiros 15 Kenner - 3562 - 17. Juni 2009 - 7:05 #

na, das ist natürlich zusammen mit dem pfeiffer-interview ein gelungener rundumschlag.
und ich muss sagen, daß (nicht nur weil er nicht gegen games ist) dieser herr mir sympathischer und informierter erscheint.

besonders sinnvoll sehe ich seine aussagen hier: "Herr Pfeiffer ist Politiker", hier: "Jedes Mal, wenn ein neues Medium erscheint, setzt sich die Gesellschaft damit kritisch auseinander." und ganz besonders diese hier: "Es wäre für mich nicht vertretbar, wenn ich Seminare zu Sachverhalten anböte, zu denen ich aus eigener Anschauung nichts sagen könnte" (da wird gerne geschlampt imho).

etwas auszusetzen habe ich mit der aussage, man müsse den ab 16-jährigen mehr spiele verwehren.- denn einerseits gibt es seit jahren die diskussion, ob 16jährige reif genug sind um zu wählen und andererseits gesteht man ihnen bei soetwas keine eigene entscheidungsfähigkeit zu, wenn man ihnen mehr verbietet. ich meine.. ab dem alter ist man also reif genug um bei einer sehr wichtigen entscheidung für ein ganzes land dabei zu sein aber zu unreif um entscheidungen für sich selbst zu treffen. denn wenn ein jugendlicher schon nen kleinen knacks hat, dann ist das mit 16 eh schon im grunde gelaufen imho. sogar autofahren wollen viele für die 16jährigen freigeben. also ihnen einerseits ne art waffe geben und andererseits sie nicht für intelligent genug zum spielen halten. find ich merkwürdig.

aber insgesamt.. großartig. schönes interview. zusammen mit dem pfeiffer'schen ein gutes double geworden. vielleicht die beiden miteinander verlinken wäre ganz nett.

LEiCHENBERG 14 Komm-Experte - 1967 - 17. Juni 2009 - 7:16 #

Ich schließe mich meinem Vorredner voll und ganz an. Der Herr ist einfach sympathischer - auch wenn das voreingenommen klingt, da hier eine andere Haltung, weniger kritisch, deutlich wird. Mir gefällt auch der von |Gadeiros| genannte Vergleich zum Wahlrecht und "Führerschein ab 16".

Als besonders gut empfinde ich, dass es in gewisser Hinsicht Zugeständnisse gibt (Spiele können junge Menschen durchaus in eine Abhängigkeit treiben; es gibt u.U. zu wenig Alternativen für gefährdete Jugendliche) und gleichfalls auch darauf hingewiesen wird, dass es eben nicht die Mehrheit der Jugendlichen sind, welche dieses Bild abgeben. Denn immerhin gibt es viele Arten und Gründe zu spielen (eSport / Waffeninteresse / abreagieren / Bestätigung durch Erfolge / Agressionsauslebung).

Gefällt mir sehr gut. Stellt eine ausgewogene Betrachtungsweise dar - anders als die des Herrn Pfeiffers.

peo 08 Versteher - 188 - 17. Juni 2009 - 8:20 #

Es ist schön das es auch Menschen gibt die sich mal Sinvoll mit der ganzen Thematik beschäftigen. Ob der Herr sympatisch ist kann ich nicht beurteilen, aber seine Aussagen sind auf besser auf Fakten gestützt und haben meiner Ansicht mehr Hand und Fuss. Man merkt einfach das er sich damit beschäftigt hat, den er macht einfach klare Aussagen und nicht wie Herr Pfeifer - der einfach nur Statistiken und Zahlen um sich schmeißt.

Bitte mehr!

Christoph 18 Doppel-Voter - P - 10233 - 17. Juni 2009 - 8:36 #

Erfrischend viel gesunder Menschenverstand und Differenziertheit. Ich fand schon immer, daß jegliches Bestreiten oder Verschweigen der offensichtlichen Problematik nicht zielführend ist, weil zu viele Eltern Kinder haben, die ganz offensichtlich ein großes Problem mit dem Spielen haben.

Aber im Prinzip ist es wie früher mit Fernsehen und Video, auch davon mußten meine Eltern uns kleine Kinder wegscheuchen und "draußen spielen" lassen, damit es nicht zu viel wurde. Natürlich guckt (spielt) man dann, sobald es die Eltern nicht mehr verhindern können, erst mal viel zu viel; aber daß sich alles später auf ein normales Maß einpendelt, liegt in erster Linie am *ansonsten* "normalen" Umfeld mit Familie, Freunden und geregeltem und betreuten Alltagsleben und nicht an dem evtl. ausartenden Hobby selbst, egal welches das sein mag.

Hhaller 04 Talent - 33 - 17. Juni 2009 - 9:14 #

Trotz der Beschäftigung mit Thematik und Zusatzmaterie darf man nicht vergessen, dass die Sätze die auch hier unser Professor als Argumente mit in seine Spezialistenbegabung einführt alle schon diskutiert und abgegrast sind.

Symphatie, da besser Informiert ist zwar eine edle Geste, aber hier scheint die Problematik von vor 3 Jahren verarbeitet zu werden (So erscheint es in manchen Textabschnitten, vorallem im letzten).

Ich will nun weder Interview, Interviewer noch den Befragten herunterspielen, denn sich mit der Opposition einer Meinung auseinanderzusetzen ist der beste Weg der gegangen werden kann (hier die Gegenseite zu Dr. Pfeiffer).

Aber wie er schon selbst gesagt hat ist Politik eine Meinungsmache und dem Volk verschrieben, dazu natürlich auch voreingenommen. Jetzt zu allem Ja und Amen geben was wir Spieler eigentlich durchgesetzt bekommen wollen ist genauso wenig eine Lösung wie sie Dr. Pfeiffer uns vorspielen wollte. Es liest sich fast so als würde man auch hier gezwungene Einstellungen und Ansichten erhalten.

Aber, es ist einen Schritt weiter und vielleicht, mit mehr Forschung und Hochschulanalysen kann sich in geraumer Zeit ein Ergebnis beider Parteien zusammenpuzzlen. Dafür wird aber zuerst die Politik aus der Debatte hinwegreduziert werden oder man wird sie davon überzeugen müssen neutraler auf Spieler und Medienwissenschaftler einzugehen.

Was die Jugendlichen angeht die mit Spielen und Außerschulischen Akitivitäten an eigene Entscheidungsfreiheit herangeführt werden sollen, die können nur eine Anleitung "verlesen" bekommen, sich selbst erkennen liegt im Sinn des Heranwachsens, dafür wird kein Pädagoge oder Betreuer einstehen können.

PS: Hier wird natürlich das andere Geschlecht wie vorher ausgelassen ;) Wenn man schon eine Erklärung zu Gesellschaft + Spiele abgeben will sollte man doch alle Facetten und Ursachen erkennen und beleuchten.

LEiCHENBERG 14 Komm-Experte - 1967 - 17. Juni 2009 - 13:31 #

"Symphatie, da besser Informiert ist zwar eine edle Geste, aber"
Es war die Rede von sympathischer UND besser informiert. Das ist ein wichtiger unterschied.

"Jetzt zu allem Ja und Amen geben was wir Spieler eigentlich durchgesetzt bekommen wollen ist [..]"
Ich habe nicht das Gefühl, dass uns hier etwas vorgesetzt wird, was später tatsächlich zu einem entscheidenden Ergebnis führt, weswegen man sich jetzt für |eine Seite| entscheiden müsste. Handelt es sich nicht eher um sinnvolle Gedanken aus den Nichtspielerreihen, die zur Diskussion um Spiele und Umgang mit ihnen beitragen?

"[..]Dafür wird aber zuerst die Politik aus der Debatte hinwegreduziert werden oder man wird sie davon überzeugen müssen neutraler auf Spieler und Medienwissenschaftler einzugehen.[..]"
Bevor die Politik neutral auf Dinge zu geht, muss sie merken, dass man mit Hilfe von voreingenommenen Einstellungen keine Wähler mehr anzieht. Das hingegen geschieht erst, wenn Spiele in der Gesellschaft angekommen sind und deswegen ist diese Diskussion in meinen Augen enorm wichtig - erreicht nur leider nicht zu viele Menschen. Deswegen sollte man hier nicht von |einer Seite| ausgehen, der man angehört oder nicht; es ist viel wichtiger die sinnvollen Elemente zu erkennen und in die Diskussion einfließen zu lassen.

Anonymous (unregistriert) 17. Juni 2009 - 16:24 #

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