Angetestet: Paradox legt nach

Victoria 2 Preview

Beim Thema Schweden und Victoria horchen derzeit ja eher monarchie-affine Goldene-Blatt-Leserinnen auf als Strategiefans. Doch Paradox ist mit seinem Globalstrategiespiel Victoria 2 wohl weiter von dieser Zielgruppe entfernt, als Königin Sylvia von der GamersGlobal-Redaktion. Wir sind mit einer Beta-Version auf Zeitreise gegangen.
Mick Schnelle 20. Juli 2010 - 20:54 — vor 13 Jahren aktualisiert
PC
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Wenn ein Firmenchef sagt, er glaube nicht an den Erfolg eines Spiels und würde sich, wenn er mehr als 70.000 Exemplare weltweit verkauft bekäme, eine Glatze schneiden lassen, dann zeugt das entweder von wenig Durchsetzungskraft im eigenen Unternehmen, oder von einem verzweifelten Marketinggag. Letzteres scheint Frederik Wester, der Chef des Entwicklers Paradox, eigentlich nicht nötig zu haben, verkaufen sich die Globalstrategiespiele seines Teams doch glänzend. Die Europa-Universalis-Reihe und vor allem Hearts of Iron in all seinen Inkarnationen sprechen zwar nur eine vermeintlich kleine Gruppe von Spielern an, gingen aber locker 300.000 Mal weltweit über die Ladentheke. Warum sollte Victoria 2 da eine Ausnahme bilden? Weil der Vorgänger praktisch niemandem bekannt ist? Weil das victorianische Zeitalter derzeit keine Hochkonjunktur bei Strategiefans zu haben scheint? Oder ist der Herr Wester einfach nur ein cleverer Marketingstratege?

Das imperiale Empire: nur die wenigsten der rund 150 spielbaren Nationen haben wie England das Zeug zur Weltmacht.

Victoria ohne Viktoria

Nach dem Start von Victoria 2 wollten wir seine Ansicht spontan teilen: Diese unzugängliche Ansammlung von Icons, Balken und nackten Zahlen wird ihm kein Mensch abkaufen! Das aktuelle Office-2010-Paket wirkt auf den ersten Blick zugänglicher und auch sympathischer. Doch halt, dasselbe könnte man auch über die beiden Studio-Flagschiffe Europa Universalis 3 oder Hearts of Iron 3 behaupten. Zugänglichkeit scheint wie dort auch bei der Entwicklung von Victoria 2 nicht das Hauptkriterium gewesen zu sein. 

Es geht darum, mit einem von 150 Ländern die politischen, wirtschaftlichen und letztlich auch militärischen Geschicke zu Zeiten des 19. Jahrhunderts zu leiten. Im Fall von Victoria 2 erstreckt sich der Zeitraum von 1836 (kurz vor Viktorias Krönung) bis kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, also gut 38 Jahre nach ihrem Tod. Was manchem als verstaubte Historie erscheint, ist eine hochgradig interessante Epoche der menschlichen Geschichte: Napoleon war gerade erst geschlagen, England begann seinen Aufstieg zur Weltmacht. In ganz Europa sortierten sich die Staaten neu, gefangen in dem Streben, die "alte Ordnung" aus vornapoleonischen Tagen wieder herzustellen und neuen Ideen wie Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit Raum zu geben. Und spätestens mit dem Einsetzen der Industriellen Revolution begannen Veränderungen, die letztlich in unserer modernen Gesellschaft mündeten.

Kanonenboot und Mikromanagement
Handel statt Heiraten: Anders als in der echten Historie gibt es keinerlei Taktieren durch politische Hochzeiten. Stattdessen verbleibt es beim Handeltreiben.

Eine derartige Bandbreite von politischen und wirtschaftlichen Ereignissen in ein einziges Spiel zu fassen (vom Kolonialismus und dem Ersten Weltkrieg haben wir noch gar nicht gesprochen) scheiterte schon in Victoria 1 -- zu sehr war die Engine auf das doch beschaulichere Mittelalter mit seiner langatmigeren Politik in Europa Universalis ausgelegt. Das Herz von Victoria 2 bildet aber die aktuelle und weitgehend fehlerfrei gemachte Hearts-of-Iron-3-Engine, weshalb 150 Länder gleichzeitig verwaltet werden können. Der Spieler übernimmt eines davon, allerdings nicht, wie der Name des Spiels vermuten lässt, als Herrscher, sondern als "virtuelle Macht im Hintergrund", die eher generelle Vorgaben macht, als sich im Mikromanagement zu verlieren. Wer mag, der kann sich aber natürlich auch darum kümmern.

Etwas schade finden wir, dass ein wesentlicher Punkt der Politik zu kurz kommt, der im 19. Jahrhundert gerade von der namensgebenden Königin Viktoria so geschickt eingesetzt wurde: das vorteilhafte Verheiraten der zahlreichen Nachkommenschaft mit anderen Adelshäusern. Viktoria hatte neun Kinder, 40 Enkel und 88 Urenkel. Einer ihrer Enkel war unser aller Kaiser Wilhelm. Durch diese Politik war das englische Königshaus zu Beginn des 20. Jahrhunderts praktisch mit dem gesamten europäischen Hochadel auf komplexeste Art mehrfach verwandt.  Anders als in Crusader Kings, wo diesem Vorgehen Rechnung getragen wurde, ist man in Victoria 2 dagegen auf klassische Diplomatie, wie Verbesserung der Beziehungen oder Friedensabkommen per Mausklick angewiesen. Immerhin: Völlig neu ist die Kanonenbootpolitik, bei der wir mit unserer eigenen Flotte einfach vor den gegnerischen Hafen fahren, um mal ein wenig die Säbel rasseln zu lassen. Das klappt aber nur bei deutlich unterlegenen Nationen.

Munteres Suchen in den Tiefen der Menüs

Neben den globalen Einstellungen wie Politikausrichtung, Forschung und Diplomatie kann man sich allerdings auch ein wenig in Details verlieren. Vor allem Freunde verschiedenster Zahlen mit Hang zum Excel-Masochismus überlassen das Mikromanagement natürlich nicht der recht ordentlich arbeitenden KI, sondern kümmern sich auch darum höchstpersönlich. Es gibt eine neue Bahntechnologie? Und die soll in Sussex gleich eingesetzt werden? Kein Problem! Wenn man das richtige Untermenü gefunden hat, geht’s binnen Sekunden mit der Bahn in Sussex voran. Oder warum nicht den Kohleüberschuss in Manchester effektiv nutzen, indem wir dort eine Eisenverhüttung errichten? Auch hier braucht man ein wenig Zeit, bis das Baumenü gefunden ist, dann ist die neue Manufaktur aber nur noch einen Mausklick (und einige Minuten beschleunigter Spielzeit) weit entfernt.

Die Grafik ist in Victoria 2, wie in so vielen anderen Paradox-Spielen, eher zweckmäßig. Im Vordergrund stehen aber ohnehin die zahlreichen Menüs mit ihren Statistiken, Übersichten und Informationen.
Vaedian (unregistriert) 20. Juli 2010 - 21:10 #

Hahaha... der vorletzte Screenshot mit der Kirche: "God is dead".

Das ist ein Spiel für mich :D.

Shigawire 11 Forenversteher - 663 - 20. Juli 2010 - 23:24 #

Teil 1 hatte ich - trotz Macken - eigentlich recht gern gespielt. Evtl schau ich mir den Nachfolger sofern ich Zeit hab mal an

Siak 15 Kenner - 3565 - 21. Juli 2010 - 0:07 #

Einmal mehr ein Artikel den ich sehr gerne gelesen habe und zu einem Spiel, über das man anderswo leider kaum und viel zu wenig lesen wird...

Olphas 26 Spiele-Kenner - - 66879 - 21. Juli 2010 - 7:55 #

Schöner Artikel. Sieht durchaus interessant aus, aber bisher hab ich immer noch ein bisschen Angst vor Paradox-Spielen. Vielleicht sollte ich endlich mal den Einstieg wagen.

Porter 05 Spieler - 2981 - 21. Juli 2010 - 8:53 #

dass ihr nicht zuerst "Rise of Prussia" getestet habt...?!

The Eidolon (unregistriert) 21. Juli 2010 - 11:12 #

Angst vor Paradox Spielen? Ich kaufe die meisten Paradox Spiele schon fast blind. So viele charmante Spiele hat kaum ein anderer im Programm. Victoria 2 wird sicherlich auch keine Ausnahme bilden.
Prima Artikel Mick.

Olphas 26 Spiele-Kenner - - 66879 - 21. Juli 2010 - 11:13 #

Angst im Sinne von "Oh je, das braucht sicher ne Menge Einarbeitungszeit, die ich nicht wirklich habe."

Ganesh 16 Übertalent - 5116 - 21. Juli 2010 - 11:30 #

Die sich aber sicherlich mehr rentiert als die meisten Mainstream-Blockbuster... ich werde in den letzten Tagen immer mehr zum Paradox-Fan... ^^

Siak 15 Kenner - 3565 - 21. Juli 2010 - 13:55 #

Insbesondere beim ersten Paradox-Spiel, ist es sicher so das man einiges in die Einarbeitung investieren muss. Hat man das "System" hinter Paradox-Spielen aber einmal durchschaut, ist der Aufwand bei allen folgenden Spielen schon deutlich geringer.

Da es eben sehr viel zu steuern und zu beeinflussen gibt und vieles voneinander abhängt, muss man eben auch viel wissen.

Am leichtesten lernen sich diese Art Spiele meiner Ansicht nach indem man zunächst mit einem ganz kleinen Staat ein Probespiel macht. Wer in einem HOI zum Beispiel gleich mit Deutschland beginnt, verzweifelt zwangsläufig schon in den ersten Stunden.

Olphas 26 Spiele-Kenner - - 66879 - 21. Juli 2010 - 15:22 #

Ich hab hier noch Hearts of Iron 2 - Doomsday von einer Gamestar-DVD rumliegen, dass probier ich einfach mal aus.

Calmon 14 Komm-Experte - P - 2388 - 21. Juli 2010 - 12:58 #

Ich spiele die Paradox Titel immer mal wieder, allerdings bin ich als Strategiespieler doch ziemlich enttäuscht das die AI noch immer so schlecht ist.

Es ist leider nach wie vor viel zu einfach aus einem 1 Provinz Nest ein Weltreich zu schaffen. Vor allem wenn man erstmal 5-10 Provinzen zusammen hat ist das Spiel für mich eigentlich schon immer gelaufen.

Auch diverse Mods helfen da nur begrenzt.

Schade!

Anonymous2 (unregistriert) 21. Juli 2010 - 14:34 #

Ist doch relativ real schau einfach mal wie schnell aus England,Holland,Portugal,Spanien etc Weltreiche geworden sind.

fragpad 14 Komm-Experte - P - 2613 - 21. Juli 2010 - 12:07 #

Guter Artikel. Aber das is nix für mich, vielleicht wenn ich mal Arbeitlos werde :D

Masu 10 Kommunikator - 471 - 21. Juli 2010 - 16:18 #

Sehr schöner Artikel! Mick, bleib GG bitte als Tester noch längere Zeit erhalten. (Dein Black&White-Testurteil in der GS bleibt weiterhin unvergessen ;))

j-d-s 07 Dual-Talent - 146 - 21. Juli 2010 - 21:55 #

Ricky und Vicky (also Teil 1 + Addon) sind die besten Games von Paradox ever, und ich bin sicher, dass Twicky (Nickname dieses Games') mindestens genauso gut wird.

Rabenschnabel 12 Trollwächter - 984 - 21. Juli 2010 - 23:26 #

In Victoria England zu spielen kann einen auch überwältigen. Gerade als Neuling/Anfänger ist das nicht zu empfehlen. Da gehört einem zu Spielbeginn ja schon die halbe Karte...

Montesquieu (unregistriert) 23. Juli 2010 - 17:54 #

Herr Schnelle muss leider ein wenig seine Hausaufgaben machen - Zur Spielmechanik so wie zur Historie.

:Eine derartige Bandbreite von politischen und wirtschaftlichen Ereignissen in ein einziges Spiel zu fassen (vom Kolonialismus und dem Ersten Weltkrieg haben wir noch gar nicht gesprochen) scheiterte schon in Victoria 1 -- zu sehr war die Engine auf das doch beschaulichere Mittelalter mit seiner langatmigeren Politik in Europa Universalis ausgelegt.:

Vicky 1 unterschied sich doch arg von EU2, was Interface, Grundmechaniken und Prinzipien anging. Alleine die Pops machten Vicky 1 zu einem wirklich unterschiedlichem Spiel und unterstrich klar den Charakter des 19. Jahrhunderts. Wie man zu einer solchen Schlussfolgerung kommen kann, erschließt sich mir nicht.

:Das Herz von Victoria 2 bildet aber die aktuelle und weitgehend fehlerfrei gemachte Hearts-of-Iron-3-Engine, weshalb 150 Länder gleichzeitig verwaltet werden können.:

Weitgehend fehlerfrei? Nun ja, das stimmt so nicht, wenn man sich HOI3 mal wirklich anschaut. Zudem: Die Anzahl an Ländern war auch im Vorgänger da.

:Etwas schade finden wir, dass ein wesentlicher Punkt der Politik zu kurz kommt, der im 19. Jahrhundert gerade von der namensgebenden Königin Viktoria so geschickt eingesetzt wurde: das vorteilhafte Verheiraten der zahlreichen Nachkommenschaft mit anderen Adelshäusern. Viktoria hatte neun Kinder, 40 Enkel und 88 Urenkel. Einer ihrer Enkel war unser aller Kaiser Wilhelm. Durch diese Politik war das englische Königshaus zu Beginn des 20. Jahrhunderts praktisch mit dem gesamten europäischen Hochadel auf komplexeste Art mehrfach verwandt.:

Ja und weiter? Die Heiratspolitik hatte so gut wie keine Auswirkungen mehr auf das Tagesgeschäft, dass unter Victoria von den Premiers übernommen worden ist. Heiraten führten in der Periode nicht mehr zu Allianzen etc. Wenn Herr Schnelle recht hätte, warum gab es dann Krimkrieg und ersten Weltkrieg? Ich fände es eher gesagt verwerflich, wenn diese Feature den Weg aus CK und EU zu Vicky geschafft hätte.

Montesquieu (unregistriert) 23. Juli 2010 - 17:58 #

:Nach wie vor sehr nervig sind die teilweise wirklich im Sekundentakt aufpoppenden Meldungen über irgendwelche Ereignisse, die der sofortigen Entscheidung bedürfen. Vor allem, wenn man das britische Empire leitet, bleibt oft kaum Zeit für etwas anderes. Hier hat Paradox es deutlich übertrieben. Es muss doch nicht immer wieder dieselbe Cholerameldung erscheinen und auch nicht unbedingt jeder Gold- und Diamantenfund in Wasweißichwo dokumentiert werden. Und ehrlich gesagt interessiert uns ein Religionskrieg in Tibet absolut nicht, wen wir gerade Belgien gegen die Franzosen aufzuwiegeln versuchen. Weniger wäre hier eindeutig mehr.:

Konnte man damals abstellen und vollkommen individuell gestalten und das wird heute auch so sein. Wer sich den Informationsoverflow geben will, kann dies tun und wer nicht, kann es sein lassen.

Gibt da so ein Optionsmenü, ja, da kann man auch speichern. Dort einfach auf Nachrichteneinstellungen klicken. ;)

Anonymous (unregistriert) 23. Juli 2010 - 19:22 #

Ich muss auch sagen, dass mir dieser Artikel ganz und gar nicht gefällt. Ich bin natürlich nicht subjektiv sondern ein sehr großer Victoria-fan, allerdings hat dieses Spiel natürlich einige Macken, z.b. das viele Mikromanagement. Soweit ich das sehen konnte, wurde hier bei Vici2 einiges geändert um das spiel sowohl übersichtlicher als auch weniger mikromanagement lastiger zu gestalten....dies wird in dem Artikel allerdings gar nicht sichtbar.
Nun zugegeben Victoria 1 ist sehr komplex und sein Nachfolger wird dies auch werden, allerdings kann ich viele der Negativpunkte nicht nachvollziehen. Im Gegensatz zu einigen Spielen braucht man definitiv etwas Zeit sich hineinzuarbeiten, aber es wird aufjedenfall belohnt. Ich kenne kein Spiel, bei dem man soviel entscheiden kann und Einfluß hat wie bei Vici1. Da hätte ich mir eher etwas Feedback anhand Vici2 erwartet.
Dieser Artikel ist leider durchsetzt von Halbwahrheiten. Der größte Schnitzer ist sicherlich die Informationsschwemme der Popups...dies kann man sicherlich einstellen, wie im ersten Teil und bei Eu3 und Hoi3 auch. Wenn man mehrere Spiele pro Woche untersuchen muss, mag es natürlich schwer sein, solch ein Schwergewicht wie Victoria vor der Nase zu haben...aber die gebrachten Kritikpunkte sind einfach ungerechtfertigt.
Bei den negativ-Punkten lasse ich eigentlich nur den schwierigen Einstieg gelten. Der Rest ist Mumpitz. Solch ein Spiel kann grafisch schlecht besser aufgearbeitet werden...Zahlenreihen müssen sein, sonst kann das Spiel seinem Anspruch nicht gerecht werden. Im Gegenteil sieht vieles viel übersichtlicher aus als im ersten Teil...
Grüße