In MMOs wollen viele zeigen, dass sie die Besten sind.

Der Beste sein

Wer Anfang oder Mitte der 1980er Jahre in einer Spielhalle unterwegs war, hatte stets drei Buchstaben im Gepäck. Denn wenn man das große Glück hatte auf einen Pac-Man-Automaten zu stoßen, konnte man sich bei ausreichender Punktzahl in die Highscore-Liste eintragen. In den Zeiten der Arcade-Spiele auf dem C64 oder Amiga war das stetige Verbessern der eigenen Punktzahl einer der Hauptmotivationen. Im Laufe der 1990er wich die Highscore-Liste dann dem Gamedesign. Das Erzählen von Geschichten und das möglichst reale Simulieren von Spielewelten geriet in den Vordergrund, weil die Technik eine akurate Umsetzung möglich machte.

Heute gibt es durchaus Programme, die alle Elemente mit Highscore-Listen vereint. Über Social Games kann man sogar direkt auf seiner Facebook-Seite seinen Freunden zeigen: seht her, was ich geschafft habe! 95 Prozent der Freunde wird das nicht interessieren. Aber die restlichen 5 Prozent werden zeigen wollen, dass sie es besser können. Das reichte aus um das Genre der Social Games zu einem wirtschaftlichen Boom-Markt auszubauen. Bei den MMO-Spielen läuft das nicht anders. Niemand wird sich immer wieder mit Freuden in eine Multiplayer-Session bei Modern Warfare einloggen, wenn er nach einem Schuss am Boden liegt. Oder doch? Vielleicht will er einfach etwas ganz Menschliches: nämlich...
 

Gemeinschaft suchen

TV-Show „Telespiele“ mit dem jungen Thomas Gottschalk: Entdeckung eines Mediums als gemeinschaftliches Erlebnis.

In den frühesten Anfängen der Videospiele begeisterte ein Spiel, das seine volle Faszination erst durch den Wettkampf gegen einen anderen Spieler entfaltete. Pong unterhielt trotz seiner Einfachheit eine ganze sich formierende Generation nach Unterhaltung heischender Jugendlicher. Das gesellschaftliche Randphänomen schaffte es schließlich Ende 1977 ins Fernsehen. Bis 1981 ließ Thomas Gottschalk Anrufer in der SWF/ARD-Show „Telespiele“ gegeneinander antreten. Das gemeinsame Spielen wurde dank des kurz darauf folgenden Booms der Heimcomputer zum neuen Lieblingshobby tausender Kinder und Jugendlicher. Bubble Bobble oder die Summer, Winter und World Games wurden vor allem durch das gemeinsame spielerische Erlebnis an einem Computer zu Verkaufsschlagern.

Mit den 1990er Jahren erklomm mit der Verbreitung des PCs und technischen Weiterentwicklungen das Multiplayer-Vergnügen neue Dimensionen. Auf LAN-Partys lieferten sich Spielebegeisterte mit Titeln wie Command & Conquer oder Doom tage- und nächtelang Duelle. Durch die unaufhaltsam weiterschreitende Verbreitung des Internets konnte man sich fortan sogar die Reise zum nächsten LAN-Event sparen und gemütlich von der Couch aus mit anderen Spielern auf der ganzen Welt dem Lieblingshobby frönen und dabei miteinander kommunizieren. 

Die Entwickler reagierten auf die neuen Möglichkeiten des gemeinschaftlichen Spieleerlebens: Ultima Online, Counterstrike und später World of Warcraft ebneten den Weg für ein heute fest etabliertes und umsatzstarkes Genre. 2014 lag der Anteil der MMOs am Gesamtverkauf aller Spiele bei 22 Prozent (Statistik zum Verkaufsanteil der MMOs am Spielemarkt 2014). Tendenz steigend. Und gerade das große WoW lockte durch einen einfachen Einstieg sogar Nicht-Spieler vor den PC. Der Mensch ist ein Gesellschaftswesen, man könnte auch Herdentier sagen. Und wenn die Möglichkeit besteht, sein Lieblingshobby mit anderen zu teilen, wird diese auch gerne in Gebrauch genommen.
 

Die Sucht

Vor nicht allzu langer Zeit hatte ich mit einem jungen Ehepaar zu tun. Die beiden haben drei kleine Kinder und lebten in einer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung mit finanzieller Unterstützung des Staates. Während die Frau dreimal pro Woche halbtags zu ihrem Mini-Job aufbrach und die Kinder in die Kita oder zu ihrer Freundin brachte, blieb der Mann zu Hause vor dem Rechner. Er war seit einigen Jahren Hardcore-Spieler und widmete sich buchstäblich von morgens bis nachts seinen MMO-Shootern. Für seine Familie oder einen Job war in seiner kleinen virtuellen Welt kein Platz, was seine Frau an den Rand der psychischen Belastbarkeit brachte. Von den Kindern ganz zu schweigen. 

Der Mann lebt mittlerweile getrennt vom Rest der Familie. Er war trotz mehrfacher langer Gespräche nicht zu einer Änderung seines Verhaltens bereit, da er der Ansicht war, neben der ganz gewöhnlichen Ausübung seines Hobbies seinen Teil zum Familienleben ausreichend beizusteuern.

Während in Deutschland die Glücksspielsucht ein auch von der Politik anerkanntes Problem ist, zu dem es umfangreiche Daten und bereits ebenso umfangreiche Präventionen gibt, sieht das bei der Videospielsucht anders aus. Das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), in dessen Zuständigkeitsbereich das Thema "Auswirkung von Internet- und Computerspielverhalten auf die Gesellschaft" fällt, lehnt eine pauschale Suchtbezeichnung ab. Verlässliche Zahlen gibt es keine. Lediglich verschiedene Wissenschaftler sind sich einig, dass bedrohliche Suchttendenzen existieren. Für das Jahr 2010 sprach man etwa von 1,5 Prozent der deutschen Bevölkerung, die starke Anzeichen einer Videospielsucht aufwiesen (Stellungnahme zur Spielesucht des BMFSFJ als pdf).

Als World of Warcraft nach seinem Deutschland-Start 2005 immer mehr Spieler in seinen Bann zog und die Abozahlen die Zehn-Millionen-Marke knackten, wurde auch die Boulevardpresse auf das Phänomen Online-Spiele aufmerksam. Jedoch in vielen Fällen durch die negativen Auswirkungen. So berichtete etwa spiegel.de 2009 von einer Klage gegen Blizzard wegen Darmproblemen, als sich ein Anwalt beschwerte, dass World of Warcraft „finanziell, psychisch und proktologisch schädige und sozial isoliere.”

ARD-Doku „Spielen, spielen, spielen...“: Der Umgang mit dem Thema Spielesucht lässt in Politik und Medien noch zu wünschen übrig.

Wie sich ein großer Sender in einer 45-minütigen-Doku eher bemüht als gekonnt an das Thema Spielesucht macht, zeigt der ARD-Film „Spielen, spielen, spielen... Wenn der Computer süchtig macht“ aus dem Jahr 2009.  Die Reportage bedient sich an Klischees und kratzt lediglich an der Oberfläche des Themas. Das Video könnt ihr euch auf Youtube ansehen. Blizzard reagierte schon früh auf die Gefahren des gezielten Süchtigmachens mit folgendem hin und wieder eingeblendeten Satz auf dem Ladebildschirm: „Bringt eure Freunde nach Azeroth - aber geht auch mal mit ihnen nach draußen!“
 

Fazit: Alles nur Spaß!

Wer nun bis hier gelesen hat, den Kopf schüttelt und meint, „Also ich spiele nur, weil es mir Spaß macht“, hat natürlich recht. Genauso wie jemand, der nur gelegentlich und zum puren Zeitvertreib spielt. Aber wenn wir uns ab und zu fragen, aus welcher Motivation heraus unser Gegenüber spielt, hilft es, dessen eventuell völlig anderen Ansichten zu verstehen. Das gilt vor allem in teils unsinnigen und endlosen Diskussionen in Spieleforen und Ingame-Chats. Der Mensch spielt, weil er spielen muss. Also lasst ihn!