Die Illusion einer grünen Welt

User-Test: Öko Simulator - Projekt Grün User-Artikel

Sven 5. Juli 2010 - 23:21 — vor 13 Jahren zuletzt aktualisiert
Es ist ein Kampf gegen eine unnahbare Bedrohung: Die Wissenschaft sagt voraus, dass der unkontrollierte Ausstoß von Treibhausgasen die globale Erwärmung empfindlich beeinflusse. Gegenmaßnahmen werden jedoch kontrovers diskutiert. Kann ein Videospiel Verständis zu einem Thema aufbauen, das sich sonst nur mühsam vermitteln lässt?
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Traurige Realität: Lasst uns wenigstens das Klima schützen.
Die internationale Koordination des Klima- und Umweltschutzes blickt auf eine noch junge Geschichte zurück: Erst seit 1992 veranstalten die Vereinten Nationen regelmäßige Konferenzen über Umwelt und Entwicklung – diese sind gemeinhin auch als Klimagipfel bekannt. Ein zentrales Ergebnis dieser Treffen stellt das weltbekannte Kyoto-Protokoll dar: Hierin verpflichten sich mittlerweile insgesamt 188 Staaten rechtskräftig dazu, ihren Beitrag zu leisten, um Ökologie und Ökonomie in Einklang zu bringen. Hinter dieser frommen Formulierung verbirgt sich jedoch gewaltiges Konfliktpotenzial: Ein großer Teil der Treibhausgase, die das weltweite Klima belasten, wird von den jeweils national angesiedelten Industrien ausgestoßen. Diese sollen allerdings auf einem möglichst hohen Niveau produzieren, da dies einen entscheidender Faktor zur Mehrung des inländischen Wohlstands darstellt. Durch eine verbindliche Zusage zur Reduktion des nationalen Ausstoßes von Treibhausgasen gefährden die jeweiligen Politiker folglich in erster Linie das mittelfristige Wohlergehen des eigenen Volkes.

Der Öko-Simulator - Projekt Grün bietet die Möglichkeit, sich selbst als für die Klimapolitik verantwortlicher Volksvertreter zu betätigen und sein Geschick auf Klimagipfeln unter Beweis zu stellen – nur von dem dargestellten, politischen Zielkonflikt zwischen Umwelt und Wirtschaft möchte das Spiel herzlich wenig wissen! Es konzentriert sich stattdessen auf ein Szenario, in dem der technologische Fortschritt und eine alternative Lebensweise die bestehenden Probleme praktisch im Alleingang lösen: Erneuerbare Energien, umweltschonende Müllentsorgung und ein Volk lauter Vegetarier bilden die Grundpfeiler für eine grünere Zukunft.
Der Motor des Fortschritts: Investitionen in die Forschung.

Stark mit Kohlekraft

Aus sieben zu Beginn einer Partie zur Wahl stehenden Kontinenten entscheiden wir uns für Europa und folgen zunächst den Anweisungen unseres Beraters, der uns im Sinne eines Tutorials den Einstieg etwas erleichtert. So lernen wir, dass sich der Planet sowohl direkt mit der Maus als auch über die linksbündige Schaltfläche um die eigene Achse rotieren und näher betrachten lässt – gestandene Spieler dürften sich an X-Com - Ufo Unknown erinnert fühlen. Statt allerdings Raumschiffe voller Aliens zu jagen, bauen wir hier zunächst ein Kohlekraftwerk, um die dicht bevölkerten Hauptstädte mit Energie zu versorgen. Die Leistungsstärke des Kraftwerks ist beachtlich, die daraus resultierende Umweltverschmutzung allerdings ebenso: Die Kohle muss in einem Bergwerk gewonnen werden, das wie auch das Kraftwerk eine üppige Menge an Kohlendioxid in die Atmosphäre pustet. Da allerdings noch keine Technologien zur sauberen Gewinnung von Enerige zur Verfügung stehen, haben wir erstmal keine andere Wahl.

Um dies möglichst schnell zu ändern, errichten wir als nächstes eine nicht weniger umweltbelastende Chemieanlage, die uns dafür allerdings, neben den Steuereinnahmen, zusätzliche Mittel erwirtschaftet. Diese stecken wir postwendend in die Forschung: Unsere Wissenschaftler bieten unter anderem an, Solarzellen zu entwickeln, damit wir zukünftig so genannte Photovotailkanlagen, umgangssprachlich Solaranlagen genannt, nutzen können. Aber auch zu unseren anderen Problemen wissen die Herrschaften in den Laboren sinnvolle Lösungsansätze: Sie werten das Bergwerk auf, so dass es saubere Kohle gewinnt, stellen uns eine effiziente Müllverbrennungsanlage in Aussicht und fördern den ökologischen Anbau von Getreide. Für den Moment ist das alles jedoch noch Zukunftsmusik: Wir geben uns mit einer Farm und einem Müllberg zufrieden und beenden die erste Bauphase.
Die Bauphase ist beendet, eine Statistik zieht Bilanz.

Alle Jahre wieder

Daraufhin wird die Jahresbilanz angezeigt, die uns einen Blick auf die weltweiten Entwicklungen gewährt: Vor allen Dingen Amerika und China haben ihren Ausstoß von Treibhausgasen stark erhöht, aber auch wir haben uns nicht gerade mit Ruhm bekleckert – kein Wunder, dass unsere Popularität beim Volk gesunken ist. Dem wirken wir nun durch die Festlegung der Politik entgegen: Wie schon bei der Forschung stehen hier mehrere Gesetzesentwürfe und Kampagnen zur Auswahl, die von Steuersenkungen bis Stromsparprogrammen reichen und wiederum jeweils an einem Teil unseres Finanzhaushaltes zehren. Damit wir uns die Umsetzung auch tatsächlich leisten können, verkaufen wir unsere überschüssige Energie und handeln zudem mit ein wenig Getreide, dass unser Volk nicht verbraucht hat. Nun sind unsere Handlungsoptionen aber endgültig erschöpft – wir beenden unsere erste Spielrunde. Maximal 99 weitere werden folgen und allesamt sehr ähnlich ablaufen, denn viel mehr gibt es im Öko Simulator - Projekt Grün schlicht nicht zu tun.

Friede, Freude, Klimagipfel: Auf der international besetzten Konferenz überwiegt die gute Laune.
ganga` (unregistriert) 6. Juli 2010 - 9:53 #

Schöner Test, schade dass das Programm anscheinend so anspruchslos ist und auch als Edutainment nicht taugt.
Das klimaneutrale Kraftwerk im Jahr 2056 finde ich aber ehrlich gesagt nicht so schlimm. Wer weiß wie weit die Technologie in 50 Jahren ist, ob das realistisch ist oder nicht lässt sich in meinen Augen kaum beurteilen.

Flo_the_G 14 Komm-Experte - 2098 - 6. Juli 2010 - 12:03 #

"Klimaneutrale" Kraftwerke gibts doch heute schon. Aber Atomstrom ist ja nicht "grün" genug...

icezolation 19 Megatalent - 19280 - 6. Juli 2010 - 10:40 #

Das Spiel schreckte mich ja schon vom Titel ab, aber der Test ließ sich sehr unterhaltsam lesen - fein gemacht, cujamara!

Shouwaronin (unregistriert) 6. Juli 2010 - 12:17 #

Schade, das dieses Spiel so oberflächlich bleibt. Ich muss ehrlich sagen, das ich die 90er Jahre vermisse. Es gab dort soviele unabhängige Spieleschmieden, die unterschiedlichste Genres bedient hatten (Maxis, Microprose, SSI, Mindscape, Accolade, uvm.). Das waren meiner Meinung nach die Goldenen Zeiten der Spieleindustrie. Leider gab es auch in dieser Branche wie in jeder anderen auch eine Konsolidierung und damit eine Verarmung der Vielfalt. Spiele heutzutage sind nur noch einfach teuer in der Entwicklung und müssen daher immer auf einen Mainstream abzielen, um genug Kunden anlocken zu können, die die Kosten einspielen. Eigentlich ganz ähnlich wie Hollywood - Meisterwerke sind nur noch die Ausnahmen.
Mir bleibt zu hoffen, das sich Nischen bilden, die durch kleinere Firmen besetzt werden, wie z.B. Paradox Interactive mit ihren Strategiereihen.

Shouwaronin (unregistriert) 6. Juli 2010 - 12:27 #

@ Flo_the_G

nur ganz kurz. Zum Mythos grüne Atomkraft:

Die Stromproduktion ist tatsächlich grün im ökologischen Sinne, dorch der Abbau des Rohstoffes (Uranerz) und die WEiterverarbeitung (Uran) ist unglaublich schmutzig, umweltbelastend und die Stoffe die dabei entstehen für den Menschen auf Jahrhunderte absolut tödlich. Das bekommen wir in Deutschland nicht mit, da wir unser Uran aus dem Ausland beziehen. Die französische Wiederaufbereitungsanlage in LeHavre, die abgebrannte Brennelemente wieder aufbereiten soll, stösst trotz höchster technischer Standards kontinuierlich radioaktive Emissionen in die Luft und versteckt über Kühlmittel die durch kilometerlange Rohre in den Ärmelkanal geleitet werden, aus. Sieh dir mal die Dokumentation Albtraum Atommüll an. Sehr informativ. Ist auf Youtube zu finden.

Zu dem klimaneutralen Kraftwerk das 2056 zu haben ist, kann ich mir nur vorstellen, das damit evtl. ein Fusionskraftwerk gemeint. Derzeit laufen in Frankreich und in Dtschld. mit dem Stellarator (besondere Anordnung wie z.B. Tokamak Reaktoren) ein vielversprechendes Projekt, die sogar bald mehr Energie liefern sollen als sie verbrauchen, um die komplizierten Plasmaströme zu kontrollieren. Doch diese Technik wird, wenn überhaubt erst gegen 2050 einsatzbereit sein.

Flo_the_G 14 Komm-Experte - 2098 - 6. Juli 2010 - 17:08 #

Klar geben Atomkraftwerke "radioaktive Strahlung" ab. Das tust du aber auch, durch ein Windrad muss man dich aber dennoch nicht ersetzen. Dokus auf Youtube in allen Ehren, aber ich hab schon genug über Reichsflugscheiben und ganz sicher echte Alienautopsien gelernt.

Shouwaronin (unregistriert) 6. Juli 2010 - 12:35 #

@cujamara

schöner Artikel, aber ein kleiner Fehler hat sich meiner Meinung trotzdem eingeschlichen. Du schreibst gleich am Anfang, Zitat: "Die Wissenschaft sagt voraus, dass der unkontrollierte Ausstoß von Treibhausgasen die globale Erwärmung empfindlich beeinflusse." Zitatende. Es müsste eigentlich das globale Klima heissen. Denn wenn man sagt: "es beeinflusse die globale Erwärmung." dann würde man ja davon ausgehen, das die Erwärmung ein natürlicher Prozess sei, den die Menschen entweder abschwächen oder verstärken mit ihren Emissionen. Natürlich wird es auch Zeiten natürlicher Erwärmung und auch Kaltphasen (z.B. Eiszeit) geben, aber das ist wissenschaftlich seriös bisher noch nicht vorhersagbar. Daher beschränkt man sich auf die Aussage, das der Mensch das Klima beeinflusst.

RICK (unregistriert) 7. Juli 2010 - 0:58 #

Verstehe ich es richtig? Man soll sich mit einem Spiel zum Thema Klimaverbesserung (am PC!) beschäftigen, während man im gleichen Atemzug (höchstwahrscheinlich) durch die Nutzung des Computers ja zichfach Co2 verbraucht (durch die Herstellung der Computerhardware, den laufenden Energiebedarf etc.).

Paradoxer gehts nicht oder? Wenn ein Klimagipfel (Kopenhagen) und die Menschen (ja auch Politiker) nicht zu der Vielzahl an Menschen in ihren Ländern durchdringen, ist es nicht zu erwarten, dass ein Computertitel diese Stimulation hervorrufen könnte.

Aber die Idee an sich ist natürlich putzig.

Prinzipiell könnte man die Entwicklung des Titels auch als Trittbrettfahrer-Syndrom einschätzen. Das wäre in der Konsequenz der Sache natürlich etwas überspitzt ausgedrückt, wahrscheinlich aber nicht minder falsch.

Zumindest Kreativlosigkeit darf man den Entwicklern nicht unterstellen.

Mum Mumov (unregistriert) 2. September 2010 - 15:16 #

Man sollte mal die Kirche im Dorf lassen! Es handelt sich hierbei um ein Computerspiel, und ein Spiel sollte zuallererst Spaß machen! Um energiepolitische Themen ernsthaft und seriös zu diskutieren, ist dies sicherlich nicht der richtige Ort.

Was es in 50 Jahren für energetische Optionen gibt, weiß heute niemand sicher. Insofern finde ich die Idee mit dem o.a. "grünen" Kraftwerk nicht so schlimm. Um den Spielspaß aufrechterhalten zu können, müssen ja schließlich Entwicklungen aufgezeigt werden. Wie realistisch das ist, steht auf einem anderen Blatt. Es dauert im Spiel ja auch viele Jahre, bis überhaupt einmal die Kerntechnik entwickelt ist; bekanntermaßen gibt es die natürlich schon heute.

Zustimmen muss ich dem Testbericht allerdings schon; der Schwierigkeitsgrad ist ziemlich nahe bei Null. Im Prinzip spricht mir der Tester aus der Seele, deshalb möchte ich hier auch nicht alles wiederholen.

Mein Fazit lautet: Das Spiel ist eine tolle Idee, im Prinzip auch nett gemacht, aber viel zu einfach. Ich habe es innerhalb weniger Stunden durchgespielt und verspüre - und das ist mein Hauptkritikpunkt - keinerlei Motivation, nochmals von vorn zu beginnen, da man eben schon alles gesehen hat. Das ist sehr schade, denn hier wäre mit relativ wenig Aufwand deutlich mehr drin gewesen!

Sharagon 10 Kommunikator - 423 - 6. September 2010 - 15:07 #

Also, als ich den Spieletitel gelesen habe musste ich ja schon schmunzeln.

Dann beim lesen des Tests jedoch wurde ich schon etwas weniger gut gelaunt. Nicht wegen der Thematik etc, sonder weils mal wieder eine miese Gurke von Spiel ist.

Schade eigendlich, denn bei der Thematik hätte man da ne sehr schöne Simulation draus machen können, allerdings sollte dann der erhobene Klimefinger wegbleiben und die Möglichkeit bestehen auch mal zu testen was denn passiert, wenn man einen auf "Böse" macht und gezielt gegen Grüne Energien und (wies in wirklichkeit leider ist) nur auf maximalen Profit und kostengünstigste Plünderung der Ressourcen geht.

So wie ich schon in Civilisation ab Spielstart spasseshalber mit Atomwaffen rumgeschmissen habe was die cheats hergaben nur um zu schauen ob man die Welt überfluten kann (Polkappen weggeschmolzen) oder ob es einen nuklearen Winter im Spiel geben kann usw.

Solche Spiele wie dieser "Ökosimulator" "hätten" ja eben das Potential sowas mal ausprobieren zu können, aber wiedereinmal Pustekuchen und nur kinderkram abgeliefert. Schade!