„Weissu, bissu näch der Erste, der das sagt heut“, Mario zündet sich eine Nazionali an und kippt den neunten Ramazotti. Nach den leeren Gläsern zu urteilen. „Setz' disch.“

M pflanzt sich auf den Barhocker neben Mario und bestellt ein Crystal Weizen. Sowas wie ein klares Weißbier, für Nichtschwaben. „Dachte, du bist im Training.“

„Näh du, is noch hinne“, Mario wedelt mit der Hand, „Ende des Jahres. Weihn*chtsg*schäft und so. Aber was machso nen alter Sack wie du hier?“ Mario vernichtet den zehnten Rama, flankiert von zwei Grappa. Er stößt auf.

M stößt mit Mario an: „Bin auf Urlaub.“

„Wovon?“

„Alltagskampf. Ideologentheater. Gemeinplätze. Maybrit Illner. So Sachen.“

„Hassu schon nen Seelenklempdner probiert?“

M bestellt sich noch ein Kristall, dazu zwei Williams. Flankenschutz. „Drei bis fünf Tankstellensechser und ne WiiU sind billiger.“

„Hassu recht. Ausserdem-iss-ma satt.“ Mario steht auf. Wankt. Klammert sich an die Tischkante und entlässt ein stummes 2-Promille-Bäuerchen. „Also legenma loos?!“

„Immer. Sobald ich weiß, wohin's geht.“

„Na, zocken. Sch*ldkr*tensuppe machen unnsso. Klingelsss?“
 

Die Schildkröte steht beispielhaft für Gelassenheit und Genügsamkeit. Oder für eine ziemlich ausgewachsene Depression. Unterstützt von einem kapitalen Minderwertigkeitskomplex. Sagt sich jedenfalls M, wenn er an Schildkröten denkt.

Besonders an die eine namens Bowser.

Bowser, mutmaßlich männlich, gefühlte hundertzwanzigplusx Jahre, Festanstellung als Prinzessinnendieb. Und in seinem Job recht nachhaltig und ausdauernd. Also wird Prinzesschen Peach-Schreikrampf auch hier mal wieder von Bowser entführt.

Und Mario mal wieder rausgeschmissen aus dem Schloss.

Eine Situation, in der M und Mario erneut als Helden gefragt sind. Wie schon annoduzumal. Also flugs den Controller angeworfen, Steuerkreuz und paar Knöpfe genügen.

Doch schon nach den ersten Levels streift sowas wie Erkenntnis Ms Hirn. Irgendwo zwischen der fünften Ladung Pilze, Feuerblumen und seltsam gestreifter Flughamster-Eicheln kapiert M, warum Bowser ständig so angepisst ist. Woher der Minderwertigkeitskomplex vermutlich kommt. Und warum Bowser, vermutlich, seine Peach-Obsession bis heute nicht in den Griff kriegt.

Bowser ist nämlich gar nicht der Hauptgegner. Er wärs gern gewesen, all die Jahre, doch er war es nie. Nein, er ist bestenfalls der schmierige Sidekick.

Der echte Oberboss des Ganzen ist die Schwerkraft. 9.81 allgegenwärtige Newton pro Kilogramm, in Marios Märchenland genauso humorlos und pedantisch wie in der Wirklichkeit. Es ist der Lockruf der Gravitation, der hypnotisch aus jedem Abgrund säuselt, wie es Dschungelbuch-Schlange KAA nicht besser könnte. Ein steter kalter Hauch aus den Untiefen des Abyssus. Und die schwebenden, rotierenden, pendelnden und gleitenden Plattformen sind die rettenden Ufer.

Sorry Bowser. Du bist nur die Marionette.

Apropos Mario.

An ihm liegt's ja nicht, dass er oft, sehr oft, im Abgrund landet. Er ist der Parcours-Spezialist wie eh und je. Jeder Hüpfer ein sauberer Fabian Hambüchen. Und felsbrechende Arschbomben gibt’s auf Knopfdruck dazu. Das Problem ist M. Die Erkenntnis über den wahren Hauptgegner hilft nicht: M und Pro-Controller, das wächst sich Level für Level zum echten Paradoxon aus.

M muss es sich eingestehen. Seine nicht eben gut gealterten Reflexe lassen Mario wiederholt fallen wie die sprichwörtliche heiße Kartoffel. Gerne auch an den gleichen Stellen. Gerne auch, bis so ziemlich jeder grüne 1UP-Pilz vertilgt ist und Nachschub gebraucht wird.

Aber hey, denkt sich M zwischen seinen Flüchen, ich bin grad erst zurück.

Und genießt das ausgeklügelte Wechselspiel aus Physik und Timing, Strategie und Glück, Level für Level immer ein wenig fordernder. In bunten, zuckrigen Farben, noch dazu mit netter Dudelmusik, zu der selbst die Gegner tanzen. Doch die Gummibärchengrafik ist die reinste Heuchelei, eine einzige große Täuschung.

Denn das Game kann bockschwer sein.

Und Mario, sorry, du bist ein Lügner.

Der Spieler M hat dich durchschaut! Du gibst vor, eine Prinzessin retten zu wollen. Doch in Wahrheit geht es dir nur darum Geld zu sammeln.

Shame on you!