Einsatz in vier Wänden?

Die herbstliche Sehnsucht nach dem eigenen Adventure User-Artikel

Mario Donick 7. November 2013 - 13:26 — vor 10 Jahren zuletzt aktualisiert
Es ist Herbst. Draußen regnet es, es ist kalt und grau, und die Blätter sind schon lange gelb. Wie jedes Jahr seit 1999 (seit dem ersten Kontakt mit Silent Hill 1 auf der ersten Playstation) habe ich auch dieses Jahr wieder dieses seltsame Bedürfnis, mein eigenes Adventure zu erstellen. Ob es wohl diesmal etwas wird?
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Ich weiß nicht, wie viele verschiedene Wege ich seit damals ausprobiert habe, mein ganz persönliches Adventure zu schreiben. Ob komplett selbst programmiert oder mit speziellen Tools, ob Textadventure oder Point and Click -- an Ideen und technischem Verständnis mangelt es nicht, doch umso mehr an Geduld (um viele ansprechende Texte zu schreiben), an Talent (um Orte und Menschen grafisch darzustellen) oder an Geld (um talentiertere Personen zu beauftragen). Dann geht der Herbst vorbei, der Winter ist da, und ich habe zwar Tage und Wochen an meiner Geschichte gearbeitet, aber am Ende bleibt sie liegen. Ein Adventure ist eben kein Roguelike ...

Doch genug des Jammerns. Denn wie es scheint, bin ich auf zwei Programme gestoßen, die mir die Arbeit erleichtern können. Das eine ist Visionaire, ein kostenloser Adventure-Editor, mit dem auch schon The Whispered World, Satinavs Ketten und Deponia entwickelt wurden. Das andere nennt sich Sweet Home 3D -- und ist ein Open-Source-Einrichtungsprogramm, mit dem normalerweise Raumpläne für die Innenausstattung erstellt werden. Tine Wittler lässt grüßen!

Die Idee: Alle Kulissen des Spiels werden in Sweet Home 3D erstellt und als Grafiken in den benötigten Kameraperspektiven gerendert. Die Bilder werden anschließend in Visionaire importiert, wo dann die Programmlogik für ein einfaches 2D-First-Person-Adventure zusammengeklickt wird. Gesagt, getan ...
 
Home Sweet Home

Was könnte es Schöneres für ein herbstliches, mysteriöses, durchaus auch gruseliges und auch sonst eher düsteres Adventure geben als ein verlassenes Einfamilienhaus in einer noch verlasseneren amerikanischen Kleinstadt? Irgendwo zwischen Diner und Krankenhaus, neben Grundschule und Museum finde ich die ideale Immobilie und beginne, sie einzurichten ...

Wer der Ansicht ist, dass Hausbauen mit den Sims einfach ist, hat Sweet Home 3D noch nicht benutzt. In nicht einmal einer Minute ist der Grundriss erstellt und sind die Wände hochgezogen. Dann können aus der leicht erweiterbaren Bibliothek im linken oberen Bereich des Programms alle möglichen Gegenstände in den Grundriss gezogen werden. Dort können sie beliebig platziert, gedreht und skaliert werden. Auch Texturen und Oberflächenbeschaffenheit lassen sich anpassen. Türen und Fenster richten sich automatisch an Wänden aus. Kleinere Gegenstände, etwa Handys, Geschirr oder Zahnputzbecher, "erkennen" praktischerweise, wenn man sie auf einen Tisch, eine Kommode oder ähnliches ablegen will. Falls nicht, lässt sich die Höhe durch Ziehen verändern.

So geht die Einrichtung Zimmer für Zimmer voran. Für eine glaubhafte Wohnung, die im späteren Spiel nicht steril aussieht, kommt es vor allem auf kleine Details an. Gegenstände sollten "natürlich" abgelegt werden, nicht in 45- oder 90-Grad-Winkeln. Es lohnt sich auch, bewusst etwas Unordnung zu schaffen. Und natürlich sollte man Feinheiten wie Steckdosen und Mülleimer nicht vergessen.

Jede Änderung wird in Echtzeit in der 3D-Ansicht angezeigt. Diese befindet sich rechts unten im Programmfenster (kann bei Bedarf aber in einem eigenen Fenster angezeigt werden). Im "virtueller Besucher"-Modus kann man sich mit gedrückter linker Maustaste und mit den Cursortasten durch die Räume bewegen.

So kann man sich die Wohnung aus der Egoperspektive anschauen. Für die Nutzung der Räume in einem 2D-First-Person-Adventure ist dies das wichtigste Feature: Wenn wir einmal die Kulissen fertig haben, dann müssen nur noch Fotos aus den richtigen Blickwinkeln geschossen werden. Dazu genügt ein Klick auf das "Fotoapparat"-Symbol. Es öffnet sich ein Dialog, in dem die Rendering-Einstellungen festgelegt werden, unter anderem die Auflösung und die Qualität. Nur in der höchsten Qualitätsstufe werden Licht und Schatten korrekt berechnet. Die Einstellung von Datum und Uhrzeit wirkt sich ebenfalls auf die Beleuchtung aus.

Das Erstellen jedes Bildes dauert etwas. Je mehr Objekte und je komplexer die Lichtverhältnisse, umso länger muss man warten. Insgesamt aber ist Sweet Home 3D eine kostengünstige (weil kostenlose) und effiziente Möglichkeit, Kulissen für Adventure-Spiele zu erstellen. Insbesondere die erweiterbare Bibliothek erlaubt auch ganz andere Verwendungsmöglichkeiten ... erwähnte ich schon amerikanische Kleinstädte?
 
Dennis Kemna 16 Übertalent - 4121 - 7. November 2013 - 13:49 #

Cooles Thema, Danke für den Artikel!

Mclane 22 Motivator - P - 33113 - 7. November 2013 - 15:45 #

Schöner Artikel!

immerwütend 22 Motivator - 31893 - 7. November 2013 - 16:00 #

Interessant und gut geschrieben.
Jetzt bin ich mal gespannt, ob auch etwas zum strukturellen Aufbau der Geschichte kommt - Adventures neigen ja dazu, eher an der Geschichte als an der Technik zu scheitern...

Mario Donick 15 Kenner - 3219 - 7. November 2013 - 16:07 #

Bei mir ist es tatsächlich immer an der Technik gescheitert. Nicht am Programmieren, sondern an der Herstellung von Hintergrundgrafiken für die Standorte und an den Figuren, ODER am Schreiben ansprechender Texte für Textadventures (d.h. Texte, die man trotz Bildschirm gerne lesen mag. Die werden bei mir entweder schön, aber ausschweifend, oder kurz, aber nüchtern.)

Ich hab aber tatsächlich vor, auch was über Storytelling zu schreiben.

Ich will aber vermeiden, dass es wie ein "How To" daherkommt (das darf ich ja rangmäßig noch nicht schreiben hier; sobald ich darf, mache ich evtl. noch ein kurzes Tutorial zu Visionaire), und es soll auch kein Development Blog sein.

Wird also eher theoretischer Natur sein (damit ggf. auch einen Kontrapunkt zu Nachtfischers Artikeln setzen) und daher noch eine Weile dauern.

immerwütend 22 Motivator - 31893 - 7. November 2013 - 16:58 #

Gut, ich bin gespannt ;)
Und damit wir uns recht verstehen - mit den Adventures, die "an der Geschichte scheitern", meinte ich durchaus die Profi-Adventures, die für teures Geld im Laden stehen...

Mario Donick 15 Kenner - 3219 - 7. November 2013 - 18:09 #

Das dachte ich mir schon ;)

Mittlerweile bin ich sehr vorsichtig, wenn in einem Review eine Story als "sehr gut" gelobt wird. Meistens ist sie dann doch voller Klischees und würde, wäre es kein Computerspiel, bestenfalls als B-Movie durchgehen.

Aber natürlich ist kritisieren immer schwieriger als selbst besser machen. Und man ist leicht beeinflussbar und orientiert sich an Vorbildern.

Noodles 26 Spiele-Kenner - P - 75314 - 7. November 2013 - 16:03 #

Eine schöne Idee, danke für den Artikel! :)

MyNameIST (unregistriert) 7. November 2013 - 16:50 #

Anstelle Photoshop sei an dieser Stelle auf GIMP verwiesen. Dann hat der User für die Grafik zusammen mit Sweet Home 3D alles zur Hand.

Und unter Linux läuft beides auch noch :-)

Mario Donick 15 Kenner - 3219 - 7. November 2013 - 18:11 #

Da hast du vollkommen Recht ;) Aber "Photoshop-Visionen" klingt besser als Überschrift.

Als Dritter im OSS-Bunde wäre dann noch Blender zu nennen. Für jeden, der die Zeit hat, sich darin einzuarbeiten und noch mehr Zeit, eigene 3D-Objekte zu gestalten. (Wobei ... wenn man Blender kann, dann braucht man die Lösung mit Sweet Home nicht mehr :D )

COFzDeep 23 Langzeituser - - 41400 - 7. November 2013 - 20:14 #

Oh ja, Blender... hab mal angefangen und war schon (auf Anfängerniveau) ganz gut eingearbeitet, dann hab ich mir dummerweise vorgenommen ein Auto nachzubauen. Als die Karo zu etwa 70% fertig war hat mich die Geduld verlassen, seitdem liegen die ganzen Dateien auf der Platte rum. Zu wertvoll um sie einfach zu löschen, aber viel zu aufwändig sich da jetzt nochmal einzuarbeiten und es fertig zu machen. Also... wenn ich mal Rentner bin, früher wird das nix ^^
Aber macht schon Spaß, so was virtuelles zu erschaffen.

timeagent 19 Megatalent - - 18398 - 7. November 2013 - 22:27 #

Auch von mir ein Dankeschön für diesen etwas anderen Artikel. Ist ein guter Ansatz.

Praktischerweise habe ich sowas wie Sweet Home 3D eh gesucht. Ausnahmesweise für den eigentlichen Zweck des Programms.

Dennis Hilla 30 Pro-Gamer - P - 172474 - 8. November 2013 - 10:29 #

Super Artikel, sehr interessant! Ein eigenes Adventure werde ich nicht machen aber schön zu sehen, dass es ambitionierte Leute gibt ;)

Zum Layout: ist es Absicht, dass die drei Versionen einer Szene auf der letzten Seite sich beim Anklicken in einem eigenen Fenster öffnen?

Mario Donick 15 Kenner - 3219 - 8. November 2013 - 11:59 #

Ich verstehe das auch nicht. Ich habe bei jedem der drei Screenshots den Stylesheet "thickbox" eingestellt, das ja normalerweise dafür sorgt, dass die größere Version in einem Overlay über der Seite erscheint. Warum das hier nicht funktioniert, weiß ich nicht. :(

Labrador Nelson 31 Gamer-Veteran - P - 266509 - 8. November 2013 - 19:42 #

Sehr schön. Auf die Idee wär ich nie gekommen.

DéGonzo (unregistriert) 10. November 2013 - 6:20 #

Photoshop wird vollkommen überbewertet.
Auch ein "pixeliges" oder nicht "grafisch" "überbewertetes" Spiel kann spass machen.
Ich versuche alles zu daddeln, gerade das, was von uns "normalen Fussvolk" kommt. Ein Spiel macht man nicht häufig. Teilweise sind die Kritiken einfach zu hart. Es ist ein non-commercial!

Sicherlich nicht vergleichbar mit AAA Games. Aber EA und co hat auch schon viele gute Entwickler, von denen wir uns wünschen würden, dass Sie ein spiel machen auf den gewissen.
Ich denke, die Kritik ist mittlerweile einfach zu krass :D Ob ein spiel spass macht oder nicht, das entscheiden wir Player :)

Mario Donick 15 Kenner - 3219 - 10. November 2013 - 11:33 #

In dem Artikel geht's ja auch nicht darum, grafisch möglichst perfekte Umgebungen zu erstellen, sondern _überhaupt_ erstmal was zu haben, was gleichzeitig aber nicht absolut dilettantisch aussieht.

Wichtig ist auf jeden Fall, dass man _vorher_ weiß, welche Geschichte man mit welchen Charakteren erzählen will. Also das Drehbuch. Erst dann wird klar, welche Örtlichkeiten benötigt werden, welche Objekte an den Orten vorhanden und welche anderen Personen zugegen sein müssen. Mit dem Bauen von Städten und Wohnungen anzufangen, bevor man weiß, was man machen will, kann zwar auch Spaß machen und für das Schreiben des Drehbuchs Inspiration liefern, aber wenn man beginnt, die eigentlichen Grafiken zu erstellen, sollte man m.M.n. nicht mehr ins Blaue hinein arbeiten, sondern einen roten Faden haben. Sonst wird man -- gerade bei Hobby-/Feierabend-Projekten -- nie fertig ;)

Auch der Grafikstil richtet sich danach aus: vielleicht reichen ja die gerenderten Bilder von Sweet Home, ohne Nachbearbeitung. Die sehen dann sehr "klinisch" aus, aber das kann ja gewünscht sein. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass es Verwendungsmöglichkeiten für Bilder in der nur zweithöchsten, sehr "krisselig" aussehenden Renderingqualitäts-Stufe gibt.

Ganon 27 Spiele-Experte - - 83902 - 20. November 2013 - 22:37 #

Wirklich schöner Artikel. ich würde mich freuen, mehr von dem Projekt zu lesen. Und es dann vielleicht irgendwann mal zu spielen. ;-)

McTimMen 08 Versteher - 159 - 27. November 2013 - 15:29 #

Sehr cooles Thema und sehr gut und "phoetisch" geschrieben

Meik 06 Bewerter - 58 - 1. Dezember 2013 - 14:30 #

Finde dass Thema sehr cool,da es eine sehr gute idee ist.Bleibt an der idee dran sodass wir es irgendwann mal spielen können.:)