Mick Schnelle testet:

East India Company Test

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Schwerer Schnitzer: Kapstadt, im Spiel von Anfang an eine Metropole, gab es 1619 noch gar nicht.
 
Eigner Hafen ist Goldes wert

Und irgendwann ist es dann so weit: Wir scheffeln Goldstücke ohne Ende, doch die Krone ist nicht so recht zufrieden und fordert, dass wir unbedingt einen weiteren indischen Hafen erobern – und auch halten. Zugegeben, so ganz ungelegen kommt uns dieses Ziel nicht. Denn unsere sieben Konkurrenten, die ihrerseits fleißig Handel mit denselben Häfen treiben, sorgen mittlerweile dafür, dass sich die Haupthandelsgüter oft verknappen und wir mit den weniger lukrativen generischen Waren vorlieb nehmen müssen. Wenn wir doch nur das Handelskontor im indischen Hafen erweitern könnten, ließe sich die Produktion von Gewürzen & Co. erhöhen. Doch das geht nur, wenn uns der Hafen auch gehört. Also bauen wir ein paar kampftaugliche Schiffe, heuern für teures Geld Soldaten an, schippern gen Bombay – und haben Glück! Der Hafen ist schlecht bewacht, unsere Leute haben leichtes Spiel. Zu sehen gibt es von den Kämpfen aber nach wie vor nichts: Anders als die Seeschlachten werden die Landgefechte immer nur ausgewürfelt. Dabei sind die Ergebnisse nicht immer ganz nachvollziehbar. Probehalber haben wir denselben Angriff mehrere Male auswürfeln lassen und festgestellt, dass jeweils in 50 Prozent der Fälle das Ergebnis ein anderes war. Zugegeben, unsere Übermacht war in diesem Beispiel nicht erdrückend, dennoch hätten wir mit gut 20 Prozent stärkeren Truppen eigentlich häufiger gewinnen müssen.

Doch zurück zum Hafenausbau. Dazu benötigen wir Werkzeuge, die aber in ausreichender Zahl im Heimathafen von Amsterdam vorhanden sind. Und wo wir schon mal dabei sind, das Kontor auszubauen, befestigen wir gleich noch das Fort und die Kaserne mit. Nicht dass einer unserer Konkurrenten auf dieselbe Idee kommt wie wir. Denn wer als erster zwölf indische Häfen erobert und zehn Spieljahre lang hält, hat das Spiel gewonnen. Auch das Erobern von afrikanischen Häfen lohnt sich. Denn so kann man der Konkurrenz die Möglichkeit nehmen unterwegs die Vorräte aufzufüllen und so den Expansionsdrang der lieben Mitbewerber zügeln.
 
Diplomatischer Balanceakt

Generell ist es aber stets eine gute Idee, mit den sieben Konkurrenten brav diplomatischen Kontakt zu halten. Entweder bieten wir ihnen Bündnisse an und erhalten von ihnen immer wieder mal lukrative Warenangebote, die so manches Goldstück extra einbringen. Oder wir drohen den Burschen mit einem Krieg, um so Gold und Waren zu erpressen. Das solltet ihr allerdings erst dann wagen, wenn eure Flotten  zahlreich und gut bewaffnet sind. Denn wenn die Verhandlungen eskalieren, greift dieser Konkurrent eine Zeit lang alle eure Schiffe an. Bewährt hat sich bei unseren Testpartien ein Mix aus friedlichem Miteinander und gelegentlichen Drohungen, ohne es tatsächlich zum Krieg kommen zu lassen. Denn der ist durch den drohenden Totalverlust von Schiff und Ladung ziemlich teuer, im Extremfall gar runinös.

Diplomatie schadet nicht: Dringend benötigte Güter können auch von den Rivalen erschachert werden.

 
Ebenfalls sehr wichtig sind die Kapitäne, die jeweils eine Flotte aus fünf Schiffen befehligen. Sie lernen genau wie die Mannschaft im Laufe der Zeit dazu und steigen im Rang auf. Dadurch erhalten sie Sonderfähigkeiten, die vom schnelleren Segeln über erhöhte Treffsicherheit bin hin zum effektiveren Reparieren der Schiffe reicht. Also alles Kenntnisse, die euch auf lange Sicht große Vorteile bringen. Umso unangenehmer, wenn ihr eine komplette Flotte und damit den Kapitän verliert...
 
Schneller ohne Qualitätsverlust

Die in 3D animierten Häfen müssen erst immer umständlich geladen werden. Die statische Ansicht (unten) lädt sofort.
Die meiste Zeit als Chef der East India Company verbringt ihr vor der nett animierten Karte und beobachtet, wie euer Vermögen anwächst. Wechselt ihr in einen Hafen, um Ausbauten vorzunehmen, neue Waren einzukaufen oder Schiffe in Auftrag zu geben, macht ihr mit den teilweise recht langen Ladezeiten Bekanntschaft. Denn die Häfen sind allesamt in 3D gerendert und animiert und brauchen wohl ihre Zeit, bis sie in den Speicher geschaufelt werden. Abhilfe hierbei schafft ein Blick in die Grafikoptionen, wo man auf eine simplere, aber nicht hässlichere Ansicht umschalten kann. Fortan gibt es so gut wie gar keine Ladezeiten mehr, was dem Spielfluss deutlich zugute kommt.

Generell ist die Grafik eher nützlich als opulent geraten: Sämtliche Menüs sind sehr schlicht aufgebaut, dafür stets übersichtlich. Auch sonst hat der Entwickler auf wichtige Details geachtet. So wird praktischerweise vor dem Einkauf ausgerechnet, wie groß der Profit ist, den euch die angewählte Ware zurück in der Heimat bringen wird. Fehlkäufe sind so ausgeschlossen.
 
Wo kommt Kapstadt denn her?

So nett die Grafik, so zugänglich das eigentliche Handeln, so sehr schmerzen uns die historischen Schnitzer, die sich das finnische Nitro-Team erlaubt hat. Beispielsweise verändert sich die Karte überhaupt nicht im Laufe von rund 150 Jahren Spielzeit. Kapstadt, das aus einer erst 1652 gegründeten Versorgungsstation hervorging, existiert etwa im Spiel bereits 1600 als Metropole. Zudem hat keine der Handelsgesellschaften den richtigen Namen. Und die Schiffahrtsroute führte im 17. und 18. Jahrhundert nicht wie im Spiel dicht an der Küste Afrikas entlang. Stattdessen fuhren die Schiffe zuerst über die Kanaren bis fast nach Brasilien, um »Schwung« zu holen, und umrundeten dann erst das Kap der guten Hoffnung. Es gibt auch keinerlei historische Ereignisse, die den Spielverlauf auflockern würden.
Neben der Hauptkampagne, die zwischen 1600 und 1750 spielt, finden sich zwei Kurzkampagnen, in deren Verlauf binnen 50 Spieljahren die Vorherrschaft errungen werden muss. Dazu kommt noch ein Szenario ganz ohne Zielvorgaben. Sehr enttäuschend ist der Mehrspielermodus, in dem man nur Schiffgefechte via LAN oder Internet gegen maximal elf Gegner bestreiten kann.

Fazit: Abflauende Begeisterung

Nach den ersten paar Stunden mit East India Company waren wir uns sicher, einen potenziellen 9.0er Kandidaten vor uns zu haben! Der Einstieg war kinderleicht, das Handeln fluppte ganz hervorragend und gebannt guckten wir unseren Schiffchen zu, wie sie fleißig Goldstücke sammelten. Doch trotz der regelmäßigen Aufgaben fällt der Spaß nach einer Weile ab: Es gibt eigentlich nur zwei Warengruppen, und die Karte ändert sich nie. Außerdem hättem wir uns viel mehr historische Bezüge und geschichtliche Akkuratesse gewünscht. Dazu echte Ereignisse und deutlich unterschiedlichere Gesellschaften. Mit Patrizier 2 kann es East India Company nicht aufnehmen, obwohl ersteres doch soviel älter ist. Wer aber noch nie ein Handelsspiel auf der Festplatte hatte, wird an East India Company viel Freude haben -- sie trifft nicht das Schicksal gestandener Veteranen, sich nach kurzer Zeit unterfordert zu fühlen. Vielleicht schafft es der Hersteller ja, per Add-on die fehlende Historie sowie knackigere Aufgaben nachzuliefern. Dann segelt auch Kapitän Mick unter GamersGlobal-Flagge wieder gern nach Osten!

Hinweis: Unsere Testversion war noch auf Englisch, deshalb auch die englischen Texte in den Screenshots. Die Verkaufsversion wird für den hiesigen Markt jedoch komplett lokalisiert.

Autor: Mick Schnelle (GamersGlobal)


Einstieg/Bedienung Selbsterklärende Steuerung Klare Vorgaben erleichtern Einstieg Automatische Handelsrouten Schwaches Texttutorial
Spieltiefe/Balance   Schnelle Einstiegserfolge Immer neue Aufgaben halten den Spieler bei der Stange Kaum historische Bezüge Nur zwei Warenklassen Statische Seegefechte
Grafik/Technik Schöne, übersichtliche Weltkarte Aufgeräumte Menüs helfen bei der Orientierung 3D-Grafik sowohl in den Hafenansichten als auch in Seeschlachten langweilig
Sound/Sprache Atmosphärischer Soundtrack Kaum Sprachausgabe
Singleplayer Das alte Prinzip vom "nur noch ein Goldstückchen mehr" funktioniert gut Sieben Computergegner... ... die sich kaum unterscheiden und keine große Herausforderung darstellen
Multiplayer Weltrangliste Nur Seegefechte spielbar
 

Jörg Langer 7. August 2009 - 20:10 — vor 14 Jahren aktualisiert
bolle 17 Shapeshifter - 7789 - 7. August 2009 - 22:42 #

Schönes Review. Ich werd aber bei Empire bleiben.

Kleines Detail, das mir nicht gefallen hat
"Probehalber haben wir denselben Angriff mehrere Male auswürfeln lassen und festgestellt, dass jeweils in 50 Prozent der Fälle das Ergebnis ein anderes war."
Es wird suggeriert, das Spiel würfle die Schlachten unfair aus, was aber nicht belegt werden kann. Das ist meiner Meinung nach eine ungerechte Unterstellung, die der Qualität des Artikels schadet. Das kann auch Zufall gewesen sein. (Was anderes glaube ich erst nach einer dokumentierten Messreihe über ausreichend viele Einzelfälle. Meldet sich jemand freiwillig?)
;)

Jörg Langer Chefredakteur - P - 469820 - 11. August 2009 - 18:09 #

Wenn die eine Seite um 20% überlegen ist, wie Mick schreibt, und dann ist die Chance dennoch 50:50, ist das sehr wohl ein Kritikpunkt. Nach 10 Versuchen kann man das sagen, da ändert sich nicht viel zu 100 Versuchen.

Hemingway91 12 Trollwächter - 1141 - 7. Januar 2020 - 0:53 #

Der Kritikpunkt ist natürlich Valide - sofern er halt angebracht ist, denn rein von der Statisik kommend ist eine 10er Testreihe eben keinesfalls ausreichend um sowas zu überprüfen. Wenn ichzehnmal würfel habe ich auch nicht zwingend eine Normalverteilung.

Appian 15 Kenner - P - 2735 - 8. August 2009 - 0:01 #

In dem Einleitungstext steht was von Italien. Auf dem Diplomatie Screenie existiert stattdessen ein Empire mit Adler in der Flagge(=Heilige Römisch Reich deutscher Nation ?).

Inko Gnito (unregistriert) 8. August 2009 - 9:53 #

Hört sich nett an! Aber wenn das Spiel schon nicht an Patrizier 2 herankommt, dann bleibe ich wohl besser bei Port Royale 2.

Mick Schnelle Freier Redakteur - 7940 - 8. August 2009 - 14:32 #

@Bolle: Klar kann ich das. Zehn Versuche sind ja wohl mehr als ausreichend! Da braucht man keine statistischen Erhebungen mehr.

Eldest 13 Koop-Gamer - 1718 - 9. August 2009 - 17:36 #

Ich bleibe auch bei Empire. Die Seeschlachten haben mich einfach verzaubert^^.
Guter Test!

Earl iGrey 16 Übertalent - 5093 - 9. August 2009 - 17:59 #

Hey das sieht gut aus. Ich sollte wohl auch mal die anderen genannten Titel anschauen. :)

Porter 05 Spieler - 2981 - 10. August 2009 - 10:19 #

Die Seegefechte wären mir nicht detailiert genug, das ist ja noch schlimmer als ein ein Rennspiel ohne Schadensmodell zu spielen.
das selbe Problem wie das letzte Total War, Seegefechte mit schwachen Schadensdetails...

wenn schon Geschossen wird dann bitte mit mehr Liebe zum Detail, sonst kann ich gleich ANNO Spielen...

Gabriel Engelhardt 06 Bewerter - 72 - 10. August 2009 - 20:15 #

Also ich gehe lieber auf festem Boden in die Schlacht als auf schwankenden Nussschalen.

Oberpanda 09 Triple-Talent - 305 - 16. September 2009 - 8:53 #

Ein schöner Test. Die fehlende Langzeitmotivation ist natürlich ein grober Makel und Ausschlusskriterium. Werde also weiter Empire treu bleiben. Dennoch scheint dieses Spiel auch Potenzial und seinen Reiz zu haben.

Steffi Wegener 21 AAA-Gamer - 26937 - 16. Februar 2017 - 1:00 #

Das als Rundenstrategie und ich hätte meinen inoffiziellen Nachfolger zu "Herrscher der Meere" von 1997...