Pendulo kann auch düster

Der Fall John Yesterday Test

Benjamin Braun 2. Mai 2012 - 17:43 — vor 11 Jahren aktualisiert
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Pendulo setzt auf den Stil einer Graphic Novel, bei dem Details in separaten Bildkästen dargestellt werden.
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Von Artefakten und FadeoutsEiner der wichtigsten Gründe für die Beliebtheit der Pendulo-Adventures war immer schon die Grafik. Die Cel-Shading-Technik des Entwicklers zeigte sich schon beim ersten Runaway von ihrer besten Seite. Mit butterweichen Animationen sorgten die Spiele nicht selten für offene Münder unter Comic-Fans. In Der Fall John Yesterday gibt es ebenfalls solche Momente, allerdings bilden sie eher die Ausnahme als die Regel. Dass in den hübsch gezeichneten Hintergründen meist wenig passiert, ist nichts Neues. Dass aber auch die Charakteranimationen teils stark reduziert im Vergleich mit den letzten Spielen des Entwicklers wirken, ist überaus schade. Ähnlich wie in A Twist of Fate oder The Next Big Thing nutzen die Entwickler häufiger Fadeouts, bei denen die Spielfigur mehr oder weniger von einem Punkt zu einem anderen teleportiert wird. Während das in den etwas größeren Arealen des letzten Spiels der Iberer aber nur ab zu mal der Fall war, passiert das in Der Fall John Yesterday ständig, was trotz der (teils minimalen) Zeitersparnis auf die Atmosphäre durchschlägt.

Ein ähnliches Bild zeigt sich während der Dialoge: Da das Spiel durchgehend im Stil eines Comics mit Fenstereinblendungen abläuft, sehen wir die Gesprächspartner ausschließlich in Porträt-Form. Eine große Vielfalt bei der Mimik bringen sie aber nicht mit, sondern bewegen meist nur ihre Münder synchron zum Text. Meistens liegen diese Porträts über den Charakteren in der aktuellen Szene, wodurch normalerweise nicht auffallen würde, dass sie dann wohl bloß stocksteif in der letzten Position verharren. Manchmal gibt das Spiel aber den Blick auf sie frei, was gewisse Zweifel daran lässt, dass der Aufwand bei der grafischen Umsetzung vergleichbar hoch war wie in früheren Zeiten.

Das fällt auch bei Aktionen auf, die eine der vielen Zwischensequenzen auslösen. Fast jedes Mal, wenn das passiert, ist nach Abschluss der Videos noch mal kurz die Szene zuvor zu sehen. Etwa, wenn John vor einem Turm steht, den er in der Cutscene gerade hochgeklettert ist. Die Videos selbst sind meist sehr schön animiert, wenngleich sie nicht ganz das Niveau der letzten beiden Spiele der Spanier erreichen. Für Unverständnis sorgt aber, dass fast jede Zwischensequenz mit Kompressionsartefakten überladen ist.
Die Anstalt Happy Dale kennen Spieler des dritten Runaway-Teils bereits in- und auswendig.

Fazit: Mehr Mut als Lohn Mit Der Fall John Yesterday haben die Pendulo Studios zweifellos einen mutigen Schritt getan. Immerhin kennen wir die Madrilenen bisher vor allem aus kurzweiligen Comic-Adventures mit Hang zum Skurrilen. Allein auf den neuen Ansatz bezogen, eine düstere Erwachsenengeschichte über eine Sekte und Obdachlosenmorde zu erzählen, ist John Yesterday gelungen. Die Story spielt geschickt mit dem Wissen und dem Nichtwissen des Spielers und der Spielfigur. Gleichzeitig ist sie spannend und wartet mit mehreren überraschenden Wendungen auf. Vom Grundaufbau ist es vielleicht sogar eines der besten Adventures von Pendulo bisher. Bei der Auflösung muss man zwar etwas aus rein rationaler Sicht Unmögliches als Tatsache akzeptieren können, aber das wollen wir dem Spiel nicht zum Vorwurf machen. Erzählerisch ergeben sich dennoch ein paar Mängel, da Dialoge und Spielszenen in vielen Punkten auf das Nötigste reduziert wirken.

Im Vergleich…
Der Fall John Yesterday bietet überwiegend Rätselkost auf Standard-Niveau. Ihre Machart in am ehesten mit der eines Lost Horizon (GG-Test: 9.0) vergleichbar, da sich die Aufgaben ähnlich im „Vorbeigehen“ lösen lassen. Die Verbindung mit der Story ist aber generell deutlich besser gelungen, weshalb die Aufgaben selten wie eine künstliche Hürde wirken. Der Komfort ist hoch und die mehrstufige Hilfsfunktion macht das Abenteuer auch für Einsteiger sehr gut lösbar. Inhaltlich gibt es nur wenige ähnlich gelagerte Adventures. Am ehesten ist die Stimmung mit der Mörderjagd in Still Life vergleichbar, wenngleich der Entwickler nicht gänzlich auf Humor verzichtet. Beim oft sarkastischen Erzähler gibt es gewisse Ähnlichkeiten zu dem aus Harveys neue Augen (GG-Test: 9.0). Optisch war das letzte Spiel der Pendulos, The Next Big Thing, etwas hochwertiger. Der konsequent durchgezogenen Graphic-Novel-Stil und die vielen Zwischensequenzen verleihen dem Abenteuer eine besondere Note, die in manchen Momenten Erinnerungen an Max Payne aufkeimen lässt. Alternativen im Genre, die wirklich in eine ähnliche Kerbe schlagen, existieren nicht.
 
Spielerisch und technisch bleibt das Abenteuer von John aber ein merkliches Stück hinter Pendulos bisherigen Spielen zurück. Wir wollen nicht erneut die teils massiven Gameplay-Macken der vorherigen Spiele der Runaway-Macher aufzählen, zumal Pendulo sie fast alle vermeidet. Aber ob durchgehende Standardrätsel wirklich besser sind als vereinzelte Logikaussetzer wie früher (bei denen etwa Batterien durch Kälte aufgeladen wurden), wollen wir ernsthaft bezweifeln. Wir hätten uns jedenfalls deutlich mehr clevere Aufgaben gewünscht, als sie Der Fall John Yesterday zu bieten hat. Zudem fällt die hohe Linearität und teils arge Konstruiertheit der Aufgaben auf. Ein bisschen enttäuscht sind wir von der Grafik, stärker enttäuscht sind wir vom Umfang. Spiele werden gefühlt allgemein hin kürzer, aber weniger als fünf Stunden sind für ein storybasiertes Genre mit entsprechend geringem Wiederspielwert schon arg knapp. Und gerade wegen der Kürze fragen wir uns schon, weshalb die Animationen meist nicht das Niveau der Vorgänger erreicht.

Sei's drum: Wenn ihr die bisherigen Pendulo-Adventures mochtet, dann werdet ihr auch Der Fall John Yesterday mögen und euch gleichsam positiv überrascht fühlen, dass die Entwickler auch was anderes können als "bunt und witzig". Einsteiger erfreuen sich zudem einmal mehr am hohen Spielkomfort durch die stufenweise Hilfsfunktion. Das ändert aber nichts daran, dass es insbesondere spielerisch bessere Alternativen gibt – und längere.

Autor: Benjamin Braun (GamersGlobal)

 Der Fall John Yesterday
Einstieg/Bedienung
  • Umfangreiche (mehrstufige) Tippfunktion
  • Komfortables automatisches Speicherpunktesystem
  • Touchpad-artige Bedienung mit Maus oft fummelig
Spieltiefe/Balance
  • Spannender Verwirrkrimi
  • Kaum Leerlauf in der Handlung
  • Rätsel stets logisch nachvollziehbar
  • Dialoge auf den Punkt,...
  • Der Humor kommt nicht zu kurz...
  • Charismatische Charaktere
  • Sarkastischer Erzähler sorgt durchgehend für Stimmung
  • Ziemlich kurz (maximal fünf Stunden)
  • Finale zwiespältig
  • ... aber überwiegend Schema F
  • … wirken mitunter aber zu knapp
  • ... ist aber stellenweise deplatziert
Grafik/Technik
  • Diverse schön animierte Cutscenes
  • Ansprechender Graphic-Novel-Stil mit Bildeinblendungen
  • Viele, butterweiche Animationen...
  • Düstere Umgebungen
  • Videos mit Kompressionsartefakten durchsetzt
  • Wenig Hintergrundanimationen
  • … die aber nicht ganz das Niveau früherer Pendulo-Spiele erreichen
Sound/Sprache
  • Sehr gute deutsche Sprecher
  • Atmosphärische Musik- und Soundeffekte
  • Teils unsaubere Soundübergänge
Multiplayer
Nicht vorhanden  
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Userwertung
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Adventure
12
Pendulo Studios
Crimson Cow
20.06.2012
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Benjamin Braun 2. Mai 2012 - 17:43 — vor 11 Jahren aktualisiert
Benjamin Braun Freier Redakteur - 440299 - 2. Mai 2012 - 17:46 #

Viel Spaß beim Lesen!

BruderSamedi 19 Megatalent - P - 13636 - 2. Mai 2012 - 18:23 #

Also kann ich als Logikfanatiker noch den einen oder anderen Punkt abziehen? Wenn man Ende eines Spiels oder Films mit irgendwelchen irrealen Sachverhalten konfontriert wird, nur damit der wirre Handlungsfaden irgendwie zusammenläuft, dann verzichte ich lieber auf die vielen Wirrungen.

Gute Adventures spiele ich ja ganz gerne, aber ich denke das wird für mich eher ein Fall für die Budget-Schiene.

Valiant (unregistriert) 2. Mai 2012 - 18:37 #

Ich habe es vor vier Wochen schon durchgespielt, fand es unterm Strich gelungen, musste aber zwischendurch ordentlich schlucken, weil die Auflösung ganz gehörig auf übersinnliche Elemente setzt. Wenn man mit einer ordentlichen Dosis Mystery leben kann, ist das Ende aber für meinen Geschmack befriedigend aufgelöst, wenn es auch ein paar Erklärungen mehr hätten sein dürfen und zumindest meiner Auffassung nach wenigstens ein kapitaler Logik-Bock geschossen wurde.

Benjamin Braun Freier Redakteur - 440299 - 2. Mai 2012 - 20:13 #

Wie Valiant sagte, fusst die Erklärung auf Dingen, die wissenschaftlich nicht möglich sind. Wenn das für Dich ein Grund ist, noch ein bisschen was abzuziehen, dann kannst Du das so für Dich verbuchen. Unlogisch im Sinne von "passt nicht zusammen" würde ich aber nicht unterschreiben.

Olphas 26 Spiele-Kenner - - 66900 - 2. Mai 2012 - 18:42 #

Ich habe es ja schon vor eine Weile gespielt, als die internationale Fassung bei Steam erschienen ist. Und ich kann dem Test nur zustimmen. Insgesamt hat es mir eigentlich gut gefallen, aber es gibt doch so einige Dinge, die mich gestört haben.

Ich war geradezu entsetzt, als ich nach 4,5 Stunden fertig war. Inklusive dem Anschauen mehrerer Endsequenzen! Als ich beim Gamestar-Test was von ca. 8 Stunden Spieldauer gelesen habe, hab ich mich wirklich gefragt, wie die das geschafft haben wollen. Ich hab zwar durchaus Adventure-Erfahrung, aber ich brauche meist eher länger als andere Spieler.

Und der Tipp-Button ist mir auch etwas zu nah. Ich hatte teils doch Schwierigkeiten, dem zu widerstehen - vor allem da einige Aktionen sehr seltsam sind. Ich sag nur: Telefon reparieren.
Und dann war die Art der Tipps doch sehr inkonsistent. Manchmal gab es einen dezenten Hinweis. Das ist okay, mehr will ich ja gar nicht. Aber manchmal wird einem da auch direkt gesagt, was man tun soll - das ist dann eindeutig zu viel.

Die Bedienung ist wirklich seltsam und unkomfortabel, zumindest für die klassische Point&Click-Steuerung mit der Maus. Und die Teleportiererei fand ich irritierend. Einerseits ist es ja schön, dass der jeweilige Charakter nicht immer durch das Bild schlurft, aber es fühlt sich einfach merkwürdig an.

Trotz aller Kritik: Ich bin eigentlich kein Freund der Pendulo-Adventures aber dieses hier hat mir insgesamt ganz gut gefallen. Denn die Story ist zwar etwas verworren, aber durchgängig spannend und interessant - wenn auch auf Grund der mystischen Thematik nicht zwingend logisch.

Ramireza (unregistriert) 2. Mai 2012 - 23:09 #

"Und der Tipp-Button ist mir auch etwas zu nah."

Warum werden diese "das Spiel spielt sich alleine" Mechanismen nicht Grundsätzlich aus Spielen entfernt? Ich versteh das alles wirklich nicht mehr :S

MMKING 17 Shapeshifter - 6725 - 2. Mai 2012 - 20:00 #

Klingt eigentlich interessant das spiel. mal schauen ^^

Green Yoshi 22 Motivator - P - 36249 - 3. Mai 2012 - 1:25 #

Hätte ich ein iPad, würd ich das Spiel wohl kaufen. Auf PC hab ich noch genug andere Adventures, die darauf warten durchgespielt zu werden.

Ganon 27 Spiele-Experte - - 83897 - 4. Mai 2012 - 21:20 #

Die Kritikpunkte klingen allesamt so, als wären sie der (geplanten) Tablet-Umsetzung geschuldet. Schwächere Technik als bei den Vorgängern, durchgehend leichte Rätsel, kurze Spielzeit, komische Steuerung. Die Story klingt ja interessant, aber unter diesen Bedingugen zahle ich dafür maximal 10 €.