Test: Pulp Fiction

No More Heroes 2 Test

Unser Held heißt Travis Touchdown, unser Spielfeld Santa Destroy und unser Auftrag: "Kämpfe dich an die Spitze der Attentäter-Charts". Und zwar mit scheinbar direkt von Luke Skywalker geklauten Beam Katanas (vulgo: Lichtschwertern). Doch so abgedreht No More Heroes 2 ist -- seine zahlreichen Fehler können wir euch nicht verschweigen.
Philipp Spilker 7. Juni 2010 - 21:06 — vor 13 Jahren aktualisiert
Wii
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Wenn ein Bossgegner kurzerhand Tänzerinnen Marke "Jackie Brown" als Geschosse gegen uns verwendet und uns danach mit Schallwellen aus seinem überdimensionalen Ghettoblaster zu Fall bringen möchte, wenn wir in unserem Apartment zum Zeitvertreib unsere viel zu fette Katze als Hantel zweckentfremden dürfen und wenn der Hauptprotagonist mit schöner Regelmäßigkeit die so genannte "vierte Wand" durchbricht und sich aus dem Spiel heraus direkt an den Spieler wendet: Dann hat Goichi Suda alias Suda 51 wieder einmal zugeschlagen. Der kreative Kopf hinter dem Entwicklerstudio Grasshopper Manufacture ist spätestens seit Killer 7 auf dem Gamecube für seine teils bis zur Lächerlichkeit skurrilen Projekte bekannt, in denen ihr mit schöner Regelmäßigkeit einen Attentäter verkörpert. Vergleiche mit Ezio Auditore aus Assassin's Creed 2 solltet ihr allerdings lieber erst gar nicht anstellen. Denn Travis Touchdown, in dessen Haut wir schon 2007 im ersten No More Heroes geschlüpft sind, kennt weder einen Ehrenkodex noch ein ehrenhaftes Ziel. Und seine Abenteuer sind auch weit davon entfernt, in einer einigermaßen glaubwürdigen und geschichtsträchtigen Welt stattzufinden. Ganz im Gegenteil: Er ist einfach nur ein Schürzenjäger und Proll. Und seine Heimatstadt ist ein einziges, großes Sammelsurium unzusammenhängender, wirrer Ideen.

Kein Open World mehr

Travis kann sich gelegentlich in einen Tiger verwandeln. Das ist genauso gefährlich, wie es sich anhört.
Auch das erste No More Heroes fand bereits in Santa Destroy statt, jedoch konntet (und musstet) ihr die Stadt zwischen euren Missionen per pedes oder mit eurem Motorrad erkunden, um so an neue Missionen, an Geld oder einfach nur an versteckte Bonusgegenstände zu gelangen. Dieses eindeutig von GTA inspirierte Open-World-Prinzip wirkte allerdings erzwungen, die Steuerung eures fahrbaren Untersatzes konnte man freundlich als katastrophal bezeichnen. Auch die absichtlich stumpfen Nebenmissionen, in denen ihr euch durch das Einsammeln von Kokosnüssen oder durch Rasenmähen ein wenig Zubrot verdienen konntet, waren dem Spielspaß nicht zuträglich.

No More Heroes 2 macht hingegen eine absolute Kehrtwende: Sämtliche Reisen finden nur noch anhand einer Weltkarte statt. Die ungeliebten Fahrsequenzen entfallen komplett. Diese Entschlackung tut dem Sequel sehr gut und sorgt dafür, dass das Spieltempo zwischen den Missionen nicht in Minusbereiche abfällt. Wollt ihr euch nun in diversen Shops etwas kaufen, reicht ein einziger Klick auf der Karte -- schon seid ihr da.

Weniger ist mehr

Die Maxime "Weniger ist mehr" hat Suda 51 bei den Nebenmissionen von No More Heroes 2 kurzerhand auch auf die Grafik angewandt. Zwischen insgesamt acht Nebenmissionen könnt ihr wählen, und sieben davon finden in einem 8-Bit-Gerüst statt. Im ziemlich kniffligen "Kacheln mit Stil" müsst ihr unter Zeitdruck eine Fläche mit einer vorgegebenen Anzahl von Tetris-Steinen komplett ausfüllen, in "Käfer-Killer" nutzt ihr einen Staubsauger, um in vier Stages Ungeziefer den Garaus zu machen. In "Pizza mit Rache" müsst ihr in einem 8-Bit-Rennspiel a la Rad Racer (NES) als Pizzabote ans Ziel gelangen und dabei Ölpfützen und Gegenverkehr ausweichen. Mit einer etwas trägen Steuerung (die Suda 51 sicherlich als Schikane absichtlich 1:1 aus der 8-Bit-Ära übernommen hat) müsst ihr euch zwar abfinden, aber insgesamt sind die meisten Nebenmissionen für zwischendurch gut zu gebrauchen. Wohlgemerkt: für zwischendurch. Nach drei Durchgängen wird euch selbst die schönste Nebenmission aus dem Hals heraushängen. Vor "Müll im All"  und "Kokosnuss-Grabscher" müssen wir sogar ausdrücklich warnen: Erstere Nebenmission hat eine Steuerung direkt aus der Hölle, letztere wird in den beiden finalen Stages einfach nur unfair schwer.


Sechs mal 8-Bit, bitte!
 
Mit diversen Nebenmissionen könnt ihr in No More Heroes 2 Geld verdienen: 1 In "Käfer-Killer" müsst ihr in vier Stages Ungeziefer mit einem Staubsauger aufsaugen; in den späteren Abschnitten richtig herausfordernd. 2 In "Rohrverleger" müsst ihr eine Wasserleitung fertigstellen, bevor das Wasser ausläuft. Je länger eure Konstruktion, desto mehr Punkte gibt es. 3 In "Fleischmann" betätigt ihr euch als Grillmeister und müsst Fleisch so lange braten, bis es genau so aussieht, wie euer Kunde es zu Beginn von euch verlangt. 4 In "Kokosnuss-Grabscher" tretet ihr gegen Bäume, um dann die fallenden Kokosnüsse im Sprung aufzusammeln. 5 "Pizza mit Rache" ist ein Oldschool-Rennspiel -- ihr weicht Hindernissen aus. 6 "Müll im All" ist wirklich Müll, die Steuerung missraten.
Alanar 14 Komm-Experte - 1982 - 7. Juni 2010 - 21:43 #

Sehr schöner und durchweg gelungener Testbericht! Erfasst auch schön die zahlreichen Mängel des Spiels, die es immer wieder auf's neue schwer machen, Titel aus dem Hause Grasshopper Manufacture zu lieben.

Wobei, was mache ich mir da vor. Mir persönlich hat "No More Heroes 2" hervorragend gefallen und es zählt trotz seiner Probleme schon mal definitiv zu meinen persönlichen Spielen des Jahres 2010. Charlie MacDonald allein ist die Erfahrung wert. Die ganzen anderen Bosse sind noch das Sahnehäubchen, der durchgedrehte Humor die Kirsche auf der Torte.

Was den Schwierigkeitsgrad und das Katana-Laden betrifft: Damit hatte ich selbst eigentlich nicht so große Schwierigkeiten. Süß empfand ich als viel zu anspruchslos (vor allem die Bosskämpfe) und in einen Batterienotstand bin ich dank häufigem Darkside-Einsatz (wo als Bonus stets die Batterie voll aufgeladen wird) bis auf ein einziges Mal nie gekommen. Also auf Süß und Mild. Bitter muss ich mir demnächst noch mal antun. Dann wiederum ist das auch nur mein Empfinden und ich bin eigentlich kein wirklich guter Maßstab für sowas.^^"

*nitpick mode on* Aber noch ein kleiner, eigentlich alles andere als bedeutender Detailfehler, die mir beim Lesen aufgefallen ist: Die Dame auf dem untersten Screenshot auf Seite 3 heißt Shinobu Jacobs, nicht Shinobi - wobei man das durchaus schon mal verwechseln kann. *nitpick mode off*

Philipp Spilker 21 AAA-Gamer - P - 25137 - 7. Juni 2010 - 21:57 #

Shinobu IST aber auch ein komischer Name. Danke für den Hinweis. Und freut mich, dass dir der Testbericht so zusagt. Charlie MacDonald wird auch im Testvideo noch eine große Rolle spielen - wie sollte es anders sein, er ist ja wirklich ein Paradebeispiel.

Zum Schwierigkeitsgrad: Natürlich ist "Mild" machbar. Und es geht völlig gegen meine Angewohnheit, in Spielen den leichtesten Schwierigkeitsgrad zu wählen. Normalerweise gehe ich inzwischen alle Spiele auf "Schwer" an. Aber bei so ziemlich jedem meiner Tode auf "Mild" hatte ich das Gefühl, dass das jetzt nicht wirklich mein Fehler war, sondern Fehler des Spiels. Und bevor ich mich damit weiter rumärgere, wähle ich doch lieber "Süß" und mache mir das Spiel nicht zusätzlich zu den eh vorhandenen Aufregern selbst zur Hölle.

Aber Junge, glaub mir: "Bitter?" Das willst du einfach nicht. Wirklich nicht. ;)

Anonymous2.0 (unregistriert) 7. Juni 2010 - 21:51 #

Super, danke, dass ihr noch nen Test nachgeschoben habt:) Eure Kritik kann ich voll nachvollziehen auch wenn das Spiel, trotz schlechter Kamera etwas an Charm verliert, rangiert es doch unter meinen absoluten Favoriten. Leider muss ich aber sagen, dass der erste Teil, trotz schlechterer Grafik und Open World besser war. Das liegt vorallem an der Story und daran dass es irgendwie noch anarchistischer war. (Wort passt jetzt nicht so ganz, wisst aber was ich meine) Trozdem auch Teil 2 ist super und ich kann jedem empfehlen ihn zumindest einmal anzuspielen, wenn nicht sogar zu kaufen. Wenn ihr den ersten noch nicht kennt nehmt ihn gleich für 17€ dazu und lasst euch nicht von der Grafik bzw den Minigames abschrecken. Suda 51 ist und bleibt einfach der Tarantino der Spielebranche, ich freu mich schon auf sein nächstes Projekt!

Faerwynn 20 Gold-Gamer - P - 20222 - 7. Juni 2010 - 22:45 #

"Ihr werdet es abgrundtief hassen, aber zwischendrin auch immer mal wieder lieben."

Das ist es, was ich an Tests nicht mag, dass sie den Anspruch erheben den Geschmack eines jeden zu treffen. ;) Ich habe schon mit vielen Spielen, die nicht so gut bewertet wurden mehr Spaß gehabt als mit manchen super bewerteten "Hits". Momentan mit Lost Planet 2, was hier auch nicht gut bewertet wurde, aber mich länger fesselt als Assassin's Creed oder Anno... Spiele sind halt Geschmackssache. Und ich finde NMH 2 einfach durch seine Abgefahrenheit millionenmal toller als das x. Call of Duty.

Philipp Spilker 21 AAA-Gamer - P - 25137 - 8. Juni 2010 - 10:52 #

Wir versuchen mit diesem Test, den Geschmack eines jeden zu treffen? Nö, da muss ich widersprechen. Aber wir wollen eine gute Kaufberatung bieten. Und da ist es dann nun einmal so, dass wir die großen Macken nicht unter den Tisch kehren können. Außerdem: Haben wir denn NMH2 und LP2 wirklich schlecht bewertet? I don't think so. 7.0 ist schließlich immer noch das obere Drittel einer nach unten hin noch weit offenen Wertungsskala. Nur hat sich in den letzten Jahren irgendwie die Meinung verbreitet, dass unter 8.0 Spiele schon nichts mehr taugen. Was ein großer Trugschluß ist, wie du ja auch selber sagst.

Eins meiner absoluten Lieblingsadventures ist Syberia. Das wurde nach Erscheinen von den meisten Magazinen ziemlich abgestraft, aber für mich gehört es dennoch zu den All-Time-Greats. Das ging sicher jedem schon mal so - aber nochmals: Was das damit zu tun haben soll, dass wir es allen recht machen wollen, musst du mir mal erklären. :)

General_Kolenga 15 Kenner - 2869 - 7. Juni 2010 - 23:03 #

Schöner Test, muss man sich eine Anschaffung wohl mal überlegen, aber zuerst kommt auf jeden Fall Red Steel 2!

PS: "Sämtliche Reisen finden nur noch anhand dner Weltkarte statt"
Da hat sich wohl ein 'n' eingeschlichen ;)

Ganon 27 Spiele-Experte - - 83744 - 8. Juni 2010 - 10:38 #

Der Test liest sich sehr gut. NMH2 hab ich noch nicht gespielt, aber die Erfahrungen mit Teil 1 waren ähnlich wie das hier Beschriebene. Der Open-World-Teil mit den spaßfreien Nebenjobs war wirklich die große Schwäöche des ersten Teils, die Bosskämpfe das Highlight. Obwohl die teilweise auch ziemlich frustrierend waren. Trotzdem cool, dass es diesmal mehr Endgegner gibt. Kritik an den Zwischensequenzen erübrigt sich eh. Wäre NMH nicht so abgefahren, übertrieben schräg und völlig sinnlos, wäre es ein ganz anderes (und schlechteres) Spiel. Und wenn Travis' Charakter es verlangt, ständig primäre Merkmale des weiblichen Körpers zu fokussieren, dann muss das eben so sein. :D

GonFreaks1988 (unregistriert) 8. Juni 2010 - 12:41 #

Ich hab es gerade erst Teil 1 durchgespielt und muss sagen, dass ich Teil 2 auf jeden Fall spielen werde. Ich finde Teil 1 war einfach cool, auch wenn ich mich manchmal zwingen musste weiterzuspielen, weil mich die Nebenmissionen und Minispielchen gestört haben. Aber die Bosse waren richtig gut.
Aber das Spiel hat sich auch nicht so ernst genommen. Zum Beispiel beim letzten Endgegner als das Spiel eine Videosequenz "vorspult", da das, was die Gegnerin sagt, die "Altersbeschränkung höher setzen würde". Einfach nur geil , da musste ich richtig doll lachen.
Wenn NMH 2 genau den gleichen Humor hat und die Bosskämpfe immer noch so cool ist, werde ich das auf jeden Fall spielen.
Bei den Minispielen interessiere ich mich vor allem für das Manga- Mädchen- Spiel.
Ich werde es mir bald zulegen. Genauso wie Killer 7 auch noch gekauft wird.

Sven 18 Doppel-Voter - 9221 - 8. Juni 2010 - 13:48 #

"No More Heroes 2 ist nicht planbar, nicht durchschaubar und wir wissen auch nach dem Durchspielen noch nicht wirklich, was das alles soll."

Der Test und auch das Video ist eine ziemlich akkurate Beschreibung dessen, was auf dem Bildschirm zu sehen ist - dafür ein großes Lob!

Schade aber, dass gerade der kulturelle Aspekt des Spiels nicht zum Tragen kommt: No More Heroes 2 bestreitet einen ganz schmalen Grad zwischen Verballhornung und Hommage der Otaku-Szene. Ganz grob: Ein Otaku ist ein japanischer Nerd, vorrangig interessiert in Manga, Anime und natürlich Videospiele. Im Gegensatz zum europäischen Pendant lebt die Szene allerdings von ihren teils völlig überdrehten Mitgliedern - eben solchen, die wie Travis überproportionierte Frauen auf dem T-Shirt tragen und dir das Ohr mit ihren imaginären, stets spektakulären Heldentaten blutig quatschen. So erfüllt auch die Gewalt im Spiel keinen Selbstzweck, sondern dient eher dazu, die Story so abstrakt wirken zu lassen, wie es die Erzählungen der Okatu sind. Haut mal Gerjet an - der dürfte dazu sicherlich noch mehr wissen. :-)

Die eigentliche Ironie an der Sache ist aber, dass das Spiel (zumindest noch) nicht in Japan selbst erschienen ist.

Philipp Spilker 21 AAA-Gamer - P - 25137 - 8. Juni 2010 - 14:04 #

So verwunderlich ist das gar nicht, wenn man bedenkt, wie schlecht sich der erste Teil damals in Japan verkauft hat. Was den kulturellen Aspekt Otaku-Szene angeht: ich habe ihn ganz bewusst aus dem Test herausgelassen. Aufgabe des Artikels sollte es ja schließlich nicht sein, die japanische Nerd-Kultur zu beschreiben. Aber du hast völlig recht: No More Heroes 2 parodiert da schon äußerst gezielt und vor allem von Anfang an "volles Brett".

Freut mich, dass dir Test und Video zusagen. Und schönen Dank auch für die Otaku-Erläuterungen - für einige Mitleser ist das Thema ja vielleicht noch ganz neu.

Henke 15 Kenner - 3636 - 21. Juli 2010 - 23:27 #

Vielen Dank, lieber Philipp,

ich fand Deinen Test sehr gut geschrieben und äußerst informativ, sowohl Pro als auch Contra Travis wurden mehr als großzügig behandelt und auch dem Fazit am Schluß bleibt nichts mehr hinzuzufügen.

Bisher war die Wii von Nintendo ja eher als kinderfreundlich verschrien und Spiele für Erwachsene dann doch eher Mangelware! Das und der Umstand, nur bei zugezogenen Gardinen vor einem (immer zu kleinem) Fernseher den Hampelmann zu geben, haben mich bisher davon abgehalten, mein sauer Erspartes für eine Wii auszugeben... No more Heroes 2 wird daran wohl auch (noch) nichts ändern, doch es erscheint mir wie ein weiterer Schritt in die richtige Richtung, nämlich die Wii auch interessant zu machen für ältere Semester.

Sollten also ein paar Spiele mehr herauskommen, die eine ähnliche Richtung einschlagen, so werde ich mir Nintendos Verkaufsschlager wohl doch noch in die Stube stellen...

Philipp Spilker 21 AAA-Gamer - P - 25137 - 22. Juli 2010 - 12:12 #

Henke, was die Entwicklung in Sachen "Erwachsenenmarkt" angeht, hat sich aber auch schon vor No More Heroes Einiges getan. So ist beispielsweise Dead Space: Extraction ein schlicht großartiges Spiel, dass den Brüdern auf der großen Konsole in nichts nachsteht. Und es hat nicht so viele Macken wie dies leider bei NMH2 der Fall ist. Und das ist nur ein Beispiel.