Report: Größere Gelassenheit

Spielemarkt Österreich Report

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Die deutschen Titelschlagzeilen waren nach Winnenden deutlich: die Killerspiele waren schuld. In Österreich wurde das Thema größtenteils differenzierter von den Medien behandelt und die Hysterie im Nachbarland kritisiert.

Winnenden war kein großes Thema

Während in Deutschland nach dem Amoklauf in Winnenden in 2009 die alten Reaktionen hervorkamen, 18er-Titel pauschal als "Killerspiele" zu verurteilen, fielen die Reaktionen in Österreich zu Winnenden "gemäßigter" aus, so Herbert Rosenstingl. Es wurde keine Killerspieldebatte losgetreten, im Gegenteil. Die voreilige Verurteilung von Videospielen in deutschen Medien wurde in Austria als falsche, weil zu einfache Erklärung kommentiert. Ob diese Abgeklärtheit allerdings weiterhin Bestand hätte, gäbe es einen ähnlichen Amoklauf (wir wollen es nicht hoffen!) auf dem Stephansplatz in Wien?

Die Stimmung in der Bevölkerung mag sowieso eine andere sein, dazu Rosenstingl: "Die aktuelle Elterngeneration in Österreich ist überwiegend noch mit Filmen groß geworden. Wenn diese Eltern dann einen Taktik-Shooter wie Counterstrike sehen, erkennen sie nicht das kooperative Spielziel, sondern sehen nur Schießereien. Solche Unkenntnis lässt sich nicht über Altersfreigaben oder andere Wege, die uns im Ministerium offen stehen, bewältigen. Vielmehr versuchen wir, langfristig zu arbeiten und etwa im Wege der Erwachsenenweiterbildung Eltern zum Besuch von LAN-Partys zu ermuntern."

Dr. Niki Laber ist ehrenamltich Präsident des Österreichischen Verband für Unterhaltungssoftware.
Dem pflichtet Niki Laber bei: "Es macht keinen Sinn, etwas zu verbieten, stattdessen sollten wir versuchen, die Dinge zu erklären. Videospiele sind in den Köpfen vieler Erwachsenen immer noch Kinderspielzeug. Wir müssen ihnen zeigen, dass es sich dabei aber um Erwachsenenunterhaltung handelt." Das Interesse an den von Herbert Rosenstingl erwähnten Eltern-LANs ist übrigens groß: Tatsächlich konnten mit den vorhandenen finanziellen Mitteln in 2009 fünf solcher LAN-Partys sowie zwei Veranstaltungen für Pädagogen ausgerichtet werden – dann waren die Mittel alle. Nachfragen aber hat es deutlich mehr gegeben.

Rosenstingl ist gleichzeitig Projektleiter der Bundesstelle für die Positivprädikatisierung von Computer- und Konsolenspielen (BuPP): "Mit der Positivprädikatisierung wollen wir Eltern und Jugendlichen wertvolle Spiele empfehlen, statt vor möglicherweise problematischen zu warnen." Über 400 Titel befinden sich mittlerweile auf der Liste. Ausgedruckte Versionen der Listen, die mit einer Auflage von über 10.000 Stück in Kooperation mit einem Elektronikhändler im Raum Wien ausgelegt wurden, waren binnen weniger Wochen vergriffen. Nun plant man, mit größeren Auflagen ganz Österreich zu erreichen. Denkbar sei hier beispielsweise eine Kooperation mit den Händlern, die selber eigene Hefte ausliegen haben (aktuell Saturn und Gamestop). Die BuPP würde den Inhalt liefern und die Händler diesen in ihren eigenen Magazinen verbreiten. Auch Niki Laber findet die Idee der Positivprädikatisierung gut: "Verbote haben noch nie viel bewirkt. Das heißt aber nicht, dass wir keine Altersbeschränkungen wollen." Vor allem, führt Laber weiter aus, würden durchgängige Kennzeichnungen weniger gut informierte Eltern unterstützen.

Ghostbusters ist einer der wenigen Actiontitel mit einem "Positivprädikat" der österreichischen Bundesstelle BuPP. Hauptgrund: "Gewalt werde nur gegen Geister ausgeübt, die aber nicht getötet, sondern nur gefangen würden.

Fazit: Größerer Pragmatismus
 
Altersbeschränkungen können auch nach hinten losgehen...
In Österreich scheint insgesamt ein größerer Pragmatismus im Umgang mit Video- und PC-Spielen zu herrschen, insbesondere in der Politik. Bei den Europawahlen 2009 betonten alle großen österreichischen Parteien zwar, dass brutale Spiele nicht in Kinderhände gehören, aber eben auch, dass sie keinesfalls als Sündenbock als Auslöser für Amokläufe herhalten dürfen. Oder, um es mit Herbert Rosenstingl zu sagen: "Altersbeschränkungen können auch nach hinten losgehen, indem sie von den Jugendlichen als Gütesiegel uminterpretiert werden".

Die größte österreichische Spielemesse Game City (24. bis 26.9.2010) ist ebenfalls ein Zeichen für den etwas anderen Ansatz beim Jugendschutz in unserem Nachbarland. Während Kinder Spiele für ihre Altersklasse ausprobieren können, informieren sich nebenan die Eltern bei Vorlesungen, Talkrunden und wissenschaftlichen Diskussionen über das Thema Videospiele und sollen so Medienkompetenz erlernen. Hier geht es nicht darum, Spiele als gefährlich zu brandmarken, sondern den Eltern einen besonnenen Umgang mit dem Medium zu eröffnen. Ein erfolgreiches Konzept: In 2009 besuchten über 50.000 Besucher die Messe. Der Austragungsort dieser Messe war und ist übrigens das Wiener Rathaus. Wir versuchen gerade erfolglos, uns eine ähnliche Messe im Roten Rathaus in Berlin vorzustellen. Oder in der bayrischen Staatskanzlei...

Autor: Jörg Langer / Redaktion: Christoph Hofmann (GamersGlobal)

(Bildnachweis: Karte des Aufmacherbilds veröffentlicht bei Wikipedia unter CC und GNU.)
Jörg Langer 25. Juni 2010 - 21:23 — vor 13 Jahren aktualisiert
PARALAX (unregistriert) 25. Juni 2010 - 21:42 #

Schöner Bericht. :-)

DELK 16 Übertalent - 5488 - 25. Juni 2010 - 21:51 #

Sehr schöner Bericht. Wobei auch in Ländern, wo die Altersfreigabe nicht geregelt ist (Erfahrungsbericht aus Niederösterreich) normalerweise auf die jeweilige Altersfreigabe geschaut wird, vor allem in den großen Ketten wie Media Markt oder Gamestop. Aber generell ist der Umgang mit Spielen hier einfach, wie so vieles, entspannter als in Deutschland. Und es heißt Stephansplatz, nicht Stephanplatz :)

Green Yoshi 22 Motivator - P - 36249 - 25. Juni 2010 - 21:59 #

Interessanter Bericht, dank Consol.AT Abo und dem gleichnamigen Podcast hab ich in den letzten Jahren schon ein bisschen was über den österreichischen Videopsielmarkt erfahren, im Urlaub wandert man dann ja doch lieber auf die Berge als durch die Spieleläden.^^

NedTed 19 Megatalent - 13364 - 26. Juni 2010 - 10:30 #

Den pragmatischen Ansatz unserer Politiker kann ich bestätigen (insbesondere bei Politdiskussionen im Tv zu beachten). Nur generell gesprochen werden Computerspiele nachwievor verunglimpft...

Acka81 10 Kommunikator - 458 - 26. Juni 2010 - 11:55 #

sehr interessanter Artikel, super mal Einblick bei unseren Nachbarn zu bekommen

Ne0n 09 Triple-Talent - 271 - 26. Juni 2010 - 16:08 #

Interessant finde ich den Jugendschutz.
Jedes Bundesland kann selbst wählen.
Finde ich gelinde gesagt, schon richtig Krass ^^

rknall 10 Kommunikator - 513 - 27. Juni 2010 - 0:29 #

Das kann man wie immer so oder so sehen. Im täglichen Umgang ist es eher lässig. Wobei sich das nicht auf die Spiele bezieht. So ziemlich jeder Laden geht nach dem Pegi System (die Großen, wie Saturn und Media Markt sowieso).

Das prüft auch in regelmäßigen Abständen unsere AK.

Das Problem hast du dann, wenn der Jugendschutz in anderen Bereichen eingreift, wie zum Beispiel bei den Sperrstunden. Da wirds dann richtig kompliziert.

Schmuhf (unregistriert) 26. Juni 2010 - 16:13 #

Ich finde vieles in Österreich etwas bedenklich, aber Ihre Orientierung am PEGI-System finde ich super. Schade, dass die USK hierzulande schon so etabliert ist... :/

rknall 10 Kommunikator - 513 - 27. Juni 2010 - 0:33 #

Darf ich fragen, was du unter Anderem bedenklich findest. Nur so aus Interesse.

robsetabse 10 Kommunikator - 490 - 26. Juni 2010 - 19:13 #

sehr schöner artikel!
wohne selber in wien, von daher hab ich einen schönen bezug dazu.

die meisten leute die ich kenne kaufen sich spiele übrigens in england oder bei steam.

Daeif 19 Megatalent - 13820 - 26. Juni 2010 - 19:48 #

Hach, wie ich diese Auslands-Artiek liebe... Ist immer interessant zu sehen, was in anderen Ländern spielemäßig vor sich geht. Besonders bemerkenswert, dass die Österreicher Spiele nicht kollektiv verurteilen. Wie eigentlich in ganz Europa. Was läuft denn hier so falsch, dass quasi alle Nachbarn Computerspiele zumindest akzeptiert haben, nur wir Deutschen nicht?

rknall 10 Kommunikator - 513 - 27. Juni 2010 - 0:32 #

Von mir ein Kudos, für diesen guten Artikel. Der Grundtenor, dass wir Österreicher die Diskussion wirklich ein wenig entspannter sehen, kommt ganz gut rüber. btw, auch wir hatten schon Fälle, wo Kids ein wenig durchdrehten und Lehrer verprügelten, oder Ähnliches. Amoklauf war dabei noch keiner, Gott sei Dank. Aber trotzdem kam dann wieder der eine oder andere Politiker auf die Idee mit den Killerspielen. Da wird dann aber vor Allem von den Medien schnell zurück gepfiffen.

Ich denke mal, dass unsere Medienlandschaft, noch ein wenig kritischer den Themen gegenüber steht wie in Deutschland, und nicht so sehr auf Populismus abzielt. Daher können dann solche Themen eben auch ein wenig differenzierter betrachtet werden.

Anonymous (unregistriert) 27. Juni 2010 - 1:33 #

Sehe ich auch so, gibt natürlich auch in Ö. grausige Blätter/Medien, aber im großen und ganzen halten sich unsere Freunde aus Austria noch ein bischen an den Presse Ethos. Armes Deutschland, leider betreffen die medialen Indifferenzen ja nicht nur Videospiele.

Arandor 10 Kommunikator - 428 - 27. Juni 2010 - 21:53 #

Vielen Dank für diese Spielemarkt-Berichte. Können wir uns in naher Zukunft auch auf einen Blick auf den Asien-Markt freuen?

Earl iGrey 16 Übertalent - 5093 - 28. Juni 2010 - 5:16 #

Ganz ausgezeichneter Artikel, sehr informativ! Vielen Dank.

MTR 12 Trollwächter - 1033 - 28. Juni 2010 - 12:55 #

Sehr guter Artikel und sehr interessant. Gerade die Thematik der Killerspiele wird dort glaub besser gehandhabt. Ich denk mir manchmal, dass solche Artikel ruhig mal die hießigen Politiker lesen sollten.

Gecko 13 Koop-Gamer - 1518 - 28. Juni 2010 - 14:24 #

Hierzulande auch eine solche Messe umsetzen zu wollen klingt wirklich noch ziemlich nach Zukunftsmusik.

Früher oder später wird man aber auch hier mehr Einsicht zeigen müssen und durch den Wegfall gewisser Politiker dürfte sich die Sache auch automatisch etwas entspannen.

Interessant da mal etwas mehr zu erfahren, der Artikel bringt ja wirklich viele Infos. :)

MeckGeiwa 11 Forenversteher - 631 - 1. Juli 2010 - 11:38 #

Sehr interessanter Artikel. Bin selbst aus Österreich - nicht aus Wien - Wien ist anders!
Bin heute erst auf diese Seite gestoßen - solche Artikel findet am auf anderen Spieleseiten so gut wie gar nicht!

Aber Jörg Langer birgt halt für Qualität - wie früher bei der GameStar (die immer noch das beste Spielemagazin am Markt ist)

Markus 14 Komm-Experte - 1878 - 3. Juli 2010 - 13:16 #

toller Artikel, sehr interessant!