Report: Virtuelles Training

Helfen Spiele töten? Report

Laut dem "Kölner Aufruf" werden Spiele von der US-Army zur Überwindung der Tötungshemmung eingesetzt. Tatsächlich werden spieleähnliche Simulationen und auch Mods kommerzieller Spiele beim Soldatentraining verwendet. GamersGlobal prüft, ob es dabei um Tötungs-Enthemmung oder andere Ziele geht.
Tim Gross 13. Juni 2009 - 14:05 — vor 14 Jahren aktualisiert
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Major Jeremy Macdonald ist Teil der Armed Reconaissance Forces der Kanadischen Armee, also der gepanzerten Aufklärer. In Wahrheit aber beschäftigt er sich nicht damit, am Steuer von Schützenpanzern durchs Gelände zu tuckern, sondern ist für Forschung & Entwicklung im Bereich „Capability Development“ zuständig. Wenn man Macdonald so zuhört, scheinen sich zunächst einmal alle Beteuerungen der Spiele-Industrie in Luft aufzulösen; Spiele wären keinesfalls dazu geeignet, das virtuelle Töten zu trainieren. Denn Macdonald und die kanadischen Streitkräfte, aber auch die US Army und andere moderne Streitkräfte, schwören zumindest teilweise auf Simulationen. Und zwar deshalb, um nicht ständig echte Multimillionen-Dollar-Raketen im Manöver zu verpulvern, oder tatsächliche Panzer mit ihrem enormen Sprit- und Ersatzteilhunger ins Gelände zu lassen. Und diese Simulationen sind, zumindest bei den Kanadiern, immer öfter modifizierte kommerzielle Spiele, als Spezialprogramm angepasst fürs Militär. Doch dabei geht es nicht darum, die „Tötungshemmung“ abzubauen, sondern um die Beherrschung von Gerät und um kluges taktisches Vorgehen.

Major Macdonalds hat das Ziel, den kanadischen Streitkräften durch virtuelle Trainingsumgebungen Manöverzeit und Geld zu sparen.
Wenn er auf VBS2 (Virtual Battle Space, von den Machern von Operation Flashpoint 1 und ArmA 2) setze, so Macdonalds, so koste ihn das 1.500 Dollar pro Trainingsplatz, und 1000 Plätze kämen auf 1,5 Millionen Dollar. „Dem gegenüber kostet mich Armed Assault 50 Dollar pro Platz, und 1.000 Plätze gerade mal 50.000 Dollar. Was glauben Sie, was wir mit den restlichen 1,45 Millionen Dollar alles tun können?“ Bohemia Interactive, die Macher von VBS, werden das nicht gerne hören: Der Major kauft sich also aktuell lieber Armed Assault 2 im Laden und lässt es für wenig Geld für seine Zwecke  modifizieren, als dass er ihre Profi-Simulation erwirbt. Doch keine Sorge Bohemia Interactive, auch die Kanadier setzen VBS weiterhin ein, ebenso wie die US-Armee und – in Zukunft – die NATO.


Der Virtual Battle Space (VBS) stammt von den Machern von Operation Flashpoint 1 und ArmA 2, Bohemia Interactive


499.500 Dollar gespart


Speziell fürs Militär produzierte Software ist nicht nur teuer, es gibt für sie mangels freier Entwicklungstools auch kaum Zuarbeit von Dritten, also der Modding-Szene. Und die Produktionszyklen werden in Jahren gemessen. Dem gegenüber sind Militär-Shooter oder vergleichbare Spiele spottbillig, und ihre Entwicklungszeit ist deutlich kürzer. Selbstverständlich müssen sie für Militärzwecke erst angepasst werden, doch das kann über die zumeist mitgelieferten Editoren und Tools geschehen. „Wir wollten mal ein spezielles Fahrzeug als 3D-Modell.“, erzählt Macdonald aus dem Nähkästchen. Eine Expertenfirma wollte dafür seinen Worten nach 495.000 Dollar haben. Wieso genau diese Summe? "Weil das echte Fahrzeug 500.000 Dollar gekostet hätte, und unter diesem Preis wollten sie eben drunter bleiben", lästert Macdonalds. Und fährt fort:  „Wir haben dann lieber einen Modder beschäftigt, der in seiner Freizeit Modelle für den Flight Simulator von Microsoft entwickelt. Für den waren 500 Dollar mehr, als er haben wollte.“

Ein anderes Beispiel: Auf Grundlage von SWAT 4 hat ein eigenes Modder-Team für die kanadische Armee das Trainingsprogramm „Canadian Forces Direct Action“ entwickelt, mit dem Soldaten taktische Entscheidungen und die Führung kleiner Kampftrupps trainieren. Gerade mal 25.000 Dollar habe das Training damit im ersten Jahr gekostet, so Major Macdonald. Ebenfalls auf SWAT bauen übrigens die Mods "Simulated Incident Management" und "L.A. County Sheriffs Department" auf, mit denen amerikanische Polizeikräfte die Ausbildung ihrer Polizisten begleiten.

Wie das Training dann abläuft? Auf der untersten Ebene genauso, wie unsereiner ein taktisches Actionspiel genießt: mit WASD-Griff und Maus. Nur dass die Spieler Uniform tragen, und ihnen die Ausbilder kritisch über den virtuellen oder echten Rücken blicken. Und nach der Spielsession gibt es natürlich ein Debriefing, also eine Einsatznachbesprechung. Dort müssen die Soldaten begründen, wann sie wieso was gemacht haben, und ob das richtig war. „Spieler, die bereits Computerspiele kennen, haben anfangs einen Vorteil“, verrät Macdonalds, „aber das gleicht sich bald aus.“

Projekt IRET: Feedback in beide Richtungen

Doch mit reinem Bildschirmeinsatz gibt man sich bei den Kanadischen Streitkräften nicht zufrieden. Das Projekt IRET (für „Immersive Reflexive Engagement Trainer“) verbindet die virtuelle mit der echten Welt. In der einfachsten Ausbaustufe wird ein Spiel schlicht auf eine Leinwand projiziert, und statt der Maus kommen echte Gewehre mit Laser-Aufsatz zum Einsatz – eine Schnittstelle erkennt, ob der trainierende Soldat einen Bildschirmgegner getroffen hat oder nicht.  Dieses einfache Prinzip wurde mittlerweile ausgebaut. Nun werden an die Wände eines Trainingsparcours mehrere große Leinwände angebracht. Mit speziellen Erweiterungen erkennt die Spielesoftware (in diesem Fall wiederum SWAT 4) Sprachbefehle wie „Legt die Waffen nieder!“ Auch echt geworfene Simulations-Flashbangs (die mit einem grellen Lichtblitz und ohrenbetäubendem Geräuschimpuls die im Umkreis Stehenden für mehrere Sekunden kampfunfähig machen) werden von der Mod erkannt und entsprechend umgesetzt: Die Computer-Bösewichte gehen in die Knie und wirken mehrere Sekunden lang wie gelähmt. Umgekehrt sollen die trainierenden Soldaten bald „Feedback Wests“ tragen, spezielle Rüstungswesten, die per Kabel und demnächst auch per Drahtlosübertragung erkennen, wenn die Bildschirm-Gegner auf ihren Träger feuern; Treffer werden durch die eingebauten Technik spürbar. Diese Westen sind keinesfalls sündteure Spezialanfertigungen: Bei tngames.com lassen sie sich für knapp 140 Dollar bestellen. Und das Wichtigste bei IRET: Der Trainings-Mod ist klar, wo sich die Soldaten im Raum befinden – taktisch kluges „Stellungsspiel“ wird belohnt, blindes Vorpreschen bestraft.

Bei IRET geht es darum, virtuelle Gegner und echte Trainierende miteinander "interagieren" zu lassen.


Klausmensch 14 Komm-Experte - 2213 - 13. Juni 2009 - 19:40 #

Sehr gelungenes Fazit, das Beispiel mit dem Baseballspieler ist sehr gut gewählt. :)

GamingHorror Game Designer - 968 - 9. Juli 2009 - 17:45 #

Finde ich auch hervorragend, gerade weil der Baseballschläger einerseits in der Realität nicht selten als Tat- oder Mordwaffe bekannt und berüchtigt ist und gleichermassen harmlos wie bedrohlich wirken kann - und auch entsprechend in Filmen zum Einsatz kommt.

Trotzdem käme niemand auf die Idee Baseball zu verbieten.

Massimo 08 Versteher - 198 - 13. Juni 2009 - 19:45 #

Das Fazit trifft es im Prinzip genau, schade dass nicht jeder so eine vernünftig differenzierte Ansicht hat.

Ansonsten sehr interessant, ich finds schon fanszinierend wie modifizierte(!) Software solche komplexen Trainings ersetzen/erweitern kann.

Tungdil1981 19 Megatalent - 16681 - 13. Juni 2009 - 19:49 #

Es ist doch klar, dass das Militär auf solche Simulation setzt. Sie sind nun mal günstiger. Aber da ich Soldat bin und schon solche Simulation genutzt habe, kann ich sagen, sie bereiten auf keine Falle auf´s "töten" vor! Und nicht umsonst sagt sagen wir den Rekruten, dass man schießen nur durch schießen lernt. An einer richtigen Waffe.

Wolsga 13 Koop-Gamer - 1775 - 13. Juni 2009 - 22:42 #

Naja sie vermitteln Waffenumgang und Taktik und bereiten zum Kampf und letzlich zum Töten vor. Emotional wohl weniger, eher technisch-taktisch, das wird ja wohl niemand bestreiten. Von daher hat nat. der Kritiker idealen Zugang für seine Argmumente das "Killerspiele" Amokläufe vorbereiten. Es liegt im Auge des Betrachters. Pc-Spiele sind cineastisches Entertainment, oftmals mit sehr ernstem Hintergrund. Wenn man das differenzieren kann ok.
Aber es gibt wohl auch Spieler die das offensichtlich nicht können.

BFBeast666 14 Komm-Experte - 2094 - 13. Juni 2009 - 22:55 #

Nur wird man durch Maus-Schubsen und Tastendrücken nicht befähigt, mit einer Schußwaffe genau zu zielen. Das lernt man immer noch am Objekt selbst.

Wolsga 13 Koop-Gamer - 1775 - 14. Juni 2009 - 0:25 #

Das ist köstlich ausgedrückt, am Objekt^^

Jörg Langer Chefredakteur - P - 469808 - 14. Juni 2009 - 1:15 #

Ich gehe mal davon aus, dass sich Objekt auf die Schusswaffe bezieht.

Wolsga 13 Koop-Gamer - 1775 - 14. Juni 2009 - 8:40 #

Es kann sich auf beides beziehen, Objekt kann ein Pappkamerad sein
oder ein Mensch (Übungsmunition, Infrarotgewehre etc.), ein Fahrzeug oder ein Videoabbild wie in "Iret" ein Objekt ist eigentlich immer eher eine eine Sache auf die man projeziert und weniger mit der man ausübt.
Is eigentlich auch egal, wenn ihr eh meint das diese Übungen nicht zur Ausübung millitärischer Gewalt dienen, sondern zum Blümchenpflücken. Schiessübung und Bildung von Phantasien am PC sind innerhalb der Diskussion 2 verschiedene Argumentbereiche, natürlich lernt man nicht am PC schiessen.
Ich habe es nur sehr genau differenziert, ich habe nicht in einer Silbe gesagt das die Tötungshemmschwelle durch diese Simulationen gesengt wird. (Lieblingsargument von Dr.Pfeiffer)

Jörg Langer Chefredakteur - P - 469808 - 14. Juni 2009 - 11:33 #

Wer meint denn, dass diese Übungen nicht zum Trainieren der "Ausübung militärischer Gewalt" dienen? Der ganze Report handelt genau davon.

Meine Argumente sind ganz andere: Erstens sehe ich keinen Ansatz dafür, dass diese virtuellen Manöver "Tötungshemmschwellen herabsetzen", wie es ja der Kölner Aufruf behauptet. Im Gegenteil, auch wenn das nicht im Report steht: Ich persönlich glaube, dass es einem Soldaten, der überwiegend virtuell geprobt hat, schwerer fallen wird, auf echte Menschen zu schießen, als wenn er im Manöver auf echte Menschen getroffen ist.

Zweitens finde ich es unsinnig, Spielen vorzuwerfen, mit ihrer Hilfe würden Soldaten trainieren. Nur, weil das Militär etwas nutzt, um damit zu trainieren (oder auch zu kämpfen), also damit in letzter Konsequenz zu töten, heißt das doch nicht, dass dieses etwas für Zivilisten verboten sein muss. Dafür kannst du selbst mehr Beispiele finden, als auf diese Seite passen. Ich nenn' mal nur eines: GPS.

Wolsga 13 Koop-Gamer - 1775 - 14. Juni 2009 - 16:44 #

Ich beziehe mich hauptsächlich auf Viking der schrieb: "Aber da ich Soldat bin und schon solche Simulation genutzt habe, kann ich sagen, sie bereiten auf keine Falle auf´s "töten" vor!"
Da in der Diskussion ungeheure Polemik herrscht, is es vllt. besser
man schreibt präziser "bereiten auf keine Falle emotional auf´s "töten" vor!".

Nur deswegen habe ich mich überhaupt in die Diskussion eingeschaltet
und da auch gleich nochmal nachgelegt wurde mit dem Maus-PC-Bezug, kam mir der Eindruck auf, das man die einfachste Realität hier nicht beim Namen nennen darf. Ich bin ansonsten völlig Deiner Meinung,
wir schauen Kriegsfilme und "töten" am PC weil es Unterhaltung ist.
Wobei ich den Titel "Helfen Spiele töten" nicht so glücklich empfinde, weil man im Bezug auf auf millitärisch-taktische Übungen am PC die Headline des Artikels mit einem glatten ja beantworten kann und Du möchtest wohl eher das Gegenteil ausdrücken....

Anti 11 Forenversteher - 801 - 14. Juni 2009 - 9:39 #

"Weil das echte Fahrteug 500.000 Dollar gekostet hätte, und unter diesem Preis wollten sie eben drunter bleiben", lästert Macdonalds."

ACHTUNG: Rechtschreibfehler (Fahrteug)

Anti 11 Forenversteher - 801 - 14. Juni 2009 - 9:49 #

Das Fazit ist ganz meine Meinung.

Wi5in 15 Kenner - 3332 - 14. Juni 2009 - 10:11 #

Finde ich auch.

sanhaji 04 Talent - 31 - 14. Juni 2009 - 17:12 #

Als Computerspieler musste ich persönlich bei der Bundeswehr feststellen das Spiele (also die normalen unveränderten) rein gar nichts trainieren.

Mit einem echten Gewehr zu schießen ist etwas ganz anderes als mit der Maus und damit meine ich nicht nur die "Technik". Es existiert auch eine ganz andere Hemmschwelle abzudrücken (auch wenn es nur auf Pappziele ist).

In unserer Kaserne gab es einen Schießsimulator (AGSHP- Infos dazu finden sich in der Wikipedia), dort wurde uns erstmal aus Sicherheits- und wahrscheinlich auch Kostengründen der Umgang mit der Waffe beigebracht bevor wir "scharf" schießen durften.
Solche Militärischen Simulationen haben aber nichts mit den uns bekannten Spielen zu tun.

Aber wie gesagt: Ich als ehemaliger Counterstrike Spieler hatte nirgends Vorteile gegenüber Nicht-Spielern.

GamingHorror Game Designer - 968 - 9. Juli 2009 - 17:53 #

Kollegen von mir waren erst neulich das erste mal auf dem Schießstand, zum "Probeschiessen". Von der automatischen 9mm über den Revolver zum Jagdgewehr war alles dabei.

Reaktionen: viel Überraschung über die gesamte Physik dahinter, gerade Rückstoß und Lautstärke aber auch Gewicht der Waffen und wie schwer oder einfach das zielen fällt.

Und das sind alles gestandene Killerspiel-Spieler!

Ich stelle fest: mit Maus und Tastatur das Schiessen und Zielen zu trainieren ist genauso unglaubwürdig als mit dem Hometrainer das Fahrradfahren zu lernen.

Übrigens, warum verbietet man nicht einfach Killerspiele nur für Schützenvereinsmitglieder, und umgekehrt zum Eintritt muss erst eine Killerspiellosigkeit nachgewiesen werden? Damit könnte ich gut leben. ;)

mean2u 13 Koop-Gamer - 1309 - 14. Juni 2009 - 18:45 #

Sehr interessanter Report, der das Thema ziemlich gut zusammenfasst. Bitte in Zukunft mehr davon ^^

peo 08 Versteher - 188 - 14. Juni 2009 - 21:27 #

Super Bericht...bitte mehr...

Was mich noch weiter brennend interessieren würde - wie diese Programme aussehen, Screenshots von diesem "World in Conflict Mod" oder anderer Mods wäre wirklich echt spannend.

Vor allem wenn man sieht wie die Bundeswehr oder andere Militärinstitutionen solche Programme zu üben benutzen, dann muss man sicher wirklich totlachen, wenn wieder sinnlos Diskussionen kommen das Counterstrike zum töten animiert wird.

Joker 12 Trollwächter - 1189 - 15. Juni 2009 - 12:16 #

großartig...

ich weiß warum ich deine hefte früher gerne gelesen hab ;)