In der wöchentlichen Rubrik "Die 2. Chance" stellt Sven Ohnstedt gute Spiele vor, die eine eben solche verdient haben aus seiner Sicht -- entweder, weil sie etwas älter sind, oder ein Nischendasein führen.
Wir schreiben Samstag, den 11. Juni 2011. Es dürfte etwa 17:30 Uhr gewesen sein, als sich umherstehenden Kunden einer Münchner GameStop-Filiale folgender Dialog eröffnete:
"Kann ich bitte deinen Ausweis sehen? Das Spiel ist ab 18."
"Ja, Mann. Piss' mich nicht an, Alter! Ich bin schon 18, okay?"
"Werden wir ja gleich feststellen."
"Ja, Mann! Mach' kein Stress, Mann. Hat eh scheiß Wertungen gekriegt, das Spiel. Also was hast du?"
"Wieso willst du es dann kaufen?"
"Ey, meine Kollegen haben gesagt, es geht halt schon ab. Grafik ist natürlich kacke, aber kannst halt abspacken, wie du Bock hast."
"Okay, du bist 18. Aber jetzt noch mal: Hast du deine Freunde gefragt, was die dem Spiel für eine Wertung geben würden?"
"Ja ey, besser halt. 70 Prozent oder so – mindestens!"
Ich lauschte dem Gespräch noch ein paar Augenblicke, ehe sich schließlich die Argumente wiederholten und die Diskussion sich dem entsprechend im Kreis drehte. Auch ich bin der Meinung, dass Videospiele keine abschließende Bewertung benötigen – sie würden uns Spielern, so unterschiedlich wir sind, selbst dann Freude bereiten, wenn wir im Vorfeld nicht um deren Qualitäten wüssten. Jedoch ist es jene Prozentangabe, Schulnote oder welche Skala auch sonst Anwendung finden mag, die mancheinem Leser erst den Zugang zu diesem Medium eröffnet und für ihn zudem eine notwendige Grundlage darstellt, um die eigene Meinung zum Ausdruck zu bringen. Wie wäre das obige Gespräch ohne diese Grundlage verlaufen?
Überbewertet?
Bewertungen nehmen zumindest noch eine zweite, wichtige Funktion ein: Sie fördern das Interesse des Lesers. Für erhitzte Gemüter mögen Diskussionen um die vermeintlich gerechte Bewertung eines Spiels im Vordergrund stehen. Tatsächlich dürfte es gar nicht so wichtig sein, ob das Spiel über- oder unterbewertet wurde. Mir scheint weitaus bedeutender, dass Spiele überhaupt bewertet werden – so wird ihnen erst große Aufmerksamkeit zuteil. Die Frage sei erlaubt: Wieso wird manches Spiel mit keiner Bewertung bedacht? Alice im Wunderland für den Nintendo DS wurde beispielsweise weitgehend missachtet. Dieses Schicksal hat es nicht verdient! Lasst uns dem Spiel eine Bewertung geben.
Unterbewertet?
Um allem voran ein beliebtes Vorurteil zu widerlegen: Alice im Wunderland für den DS ist eine lizenzträchtige, eigenständige und, jawohl, gelungene Umsetzung des gleichnamigen Kinofilms. Und obendrein: Als wäre der Film, Tim Burton sei Dank, nicht schon schräg genug, nimmt das Spiel ihn nicht allzu ernst – es ist noch schräger als der Film!
Das weiße Kaninchen namens McTwisp, der verrückte Hutmacher, die allwissende Raupe Absolem sowie die Grinsekatze folgen dem von euch geschwungenen Stylus auf Schritt und Tritt – das Steuerkreuz benötigt ihr einzig, um das Aktionsmenü aufzurufen. So springt und klettert ihr durch geschicktes Antippen der richtigen Stellen. Zeichnet dagegen horizontale Striche, um eure Feinde in die Flucht zu schlagen. Jede Spielfigur besitzt neben mehreren Attacken auch zwei Spezialfähigkeiten, die zur Lösung der zahlreichen Rätsel zum Einsatz kommen. Dreht beispielsweise mit McTwisp die Zeit zurück, um Hindernisse verschwinden zu lassen oder kehrt mit Absolum die Schwerkraft um, um kopfüber an der Decke weiterzulaufen. Alice lässt sich dagegen nicht steuern, befolgt aber eure Anweisungen. Passt bloß auf, das ihr nichts passiert! In der Not fängt sie wie ein kleines Kind zu schreien an – entfernt euch daher nicht allzu weit von ihr und rettet sie zudem vor den Schergen der Herzkönigin, sonst ist das Wunderland und somit das Spiel verloren.
Überhaupt bewerten?
Alice im Wunderland erinnert grafisch entfernt an Okamiden, auch hinsichtlich der Steuerung bestehen Ähnlichkeiten. Die düstere Stimmung dagegen könnte The Legend of Zelda - Twilight Princess entnommen sein. Die aberwitzigen Dialoge schließlich stehen denjenigen in Alice - Madness Returns in keiner Weise nach. Ich muss gestehen, dass mir das Spiel große Freude bereitet hat. Insbesondere die Auseinandersetzungen mit den Zwischengegner haben es mir angetan – ich hätte aufgrund der einfachen Steuerung keine derartige Spieltiefe vermutet. Zugegeben, es könnten mehr Kämpfe sein, aber ich habe sie nur selten vermisst. Das wird aber mit Sicherheit nicht jeder so sehen. Man kann das Spiel vermutlich auch langweilig finden – wenn sich schon am Film die Geister scheiden, wieso sollte es beim Spiel auch anders sein? Nun denn: Welche Bewertung hätte das Spiel verdient?
Fakten: Alice im Wunderland DS
Schöner Text! Alice im Wunderland DS habe ich damals auch getestet und für echt gut befunden. Ziemlich schade, dass das Spiel so untergegangen ist und nur sehr wenig Beachtung gefunden hat.
Ich kann mich dem Autor nur anschließen und es auf jeden Fall empfehlen!
Omg Alice hat keinen Mund und keine Nase !
Grausamer Spieleentwickler ;>
Die eigentlich interessante Frage beantwortet der Artikel aber nicht: Welches Spiel wollte der Typ kaufen? Alice war's ja offensichtlich nicht :D
Gute Frage. Den Duke? Bulletstorm? Hm.
Das neue (V) steht sicher für 'Video', stimmt's!?? xD *SCNR*
Vielen Dank für den Tipp. Das Spiel kaufe ich mir demnächst garantiert. :)
Habe ich gerade doch echt Lust drauf bekommen, für mal zwischendurch ;)
Lest