So, betreibe ich doch mal Zweitverwertung. Text stammt aus meinem Blog.
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Okay, hört zu. Wir müssen mal wieder ran. Dürfte aber einfach sein.
Es braucht keine lange Exposition. Es reicht, den Namen Winnenden in den Raum zu werfen. Ganz Deutschland weiß dann, was Sache ist. Weiß von Tim K. und dem von ihm ausgeführten Amoklauf an seiner ehemaligen Schule. Weiß auch, dass dabei und auf der Flucht 16 Menschen starben, inklusive dem Täter selbst, der sich im Lauf einer Schiesserei mit der Polizei schließlich selbst richtete. Weiß wahrscheinlich ebenso, dass das alles ein großes Rätsel ist, da Tim doch auf sein Umfeld so normal wirkte und man ihm vielleicht vieles zugetraut hätte, aber einen Amoklauf doch nicht. Wie gesagt: das weiß man alles. Fakten zu Winnenden gibt es inzwischen genug. Der Grundstein für unseren Einsatz ist gelegt.
Wir machen diesen Einsatz, da dieses Wissen über die Geschehnisse in Winnenden bruchstückhaft ist. Denn so viele Details wir auch kennen, die Antwort auf eine ganz zentrale Frage werden wir doch nie so recht wissen. Diese Frage lautet: Wieso eigentlich? Unsere Klienten wollen das ja verstehen, was da wie, wann und wo schief gelaufen ist, dass ein 17 Jahre alter Junge zu einer solchen Greueltat greift. Doch so weit wird es nicht kommen. Man darf vermuten, dass nicht einmal Tim K., sollte er noch am Leben sein, uns erklären könnte, wieso er fünfzehn Menschen erschoss. Nicht einmal er selbst. Er könnte seine Beweggründe nennen, ja. Aber verstehen würde es dennoch keiner. Man kann das nicht verstehen. Wie denn auch?
Aber so können wir das nicht stehen lassen. Das geht unseren Kunden gegen den Strich. Wir sind schließlich alle Menschen, und Menschen können das nicht leiden, wenn auf ihrer Welt Unbegreifliches geschieht. Also wählen wir den einfachen Weg. Und kramen aus der Mottenkiste, alle Jahre wieder, Sündenböcke heraus. Wenn wir keine Erklärung haben, dann basteln wir uns eben eine. Und schmücken sie ein bißchen aus. Möglichst sollte ein Themengebiet ausgewählt werden, dass eben nicht jeder kennt. Dass nur einem noch halbwegs geringen Teil der Bevölkerungsschicht bekannt ist. Dass manipulierbar ist. Und dass wir mit absoluter Sicherheit auch auf eben jenes Unbegreifliche beziehen können, dass wir gerade so verzweifelt zu verstehen suchen. Ich habe hier mal was vorbereitet: Killerspiele.
Uns kommt der Boom der letzten Jahre sehr zu Gute. Kaum ein Jugendlicher lebt mehr ohne PC und Konsole, und auch Internetzugang ist nahezu zur Selbstverständlichkeit geworden. Reden Großeltern mit ihren Enkeln, besteht spätestens seit 2008 die akute Gefahr, dass sie zwischen Fachbegriffen wie Web 2.0, Chat, XBox 360, PS3, Twitter, Weblog, Facebook, studivz, myspace, youtube, Livestream und Skype absolut kein Land mehr sehen. Ach, es braucht dazu gar nicht den Vergleich Großeltern-Enkel. Der Vergleich Eltern-Kinder trifft es ebenso gut. Aber das ist die Welt, in der die Jugendlichen aufwachsen. Das ist ihre Lebenswelt. Die ältere Generation, die damit nicht mehr mitkommt oder nicht mehr mitkommen will, klinkt sich aus. Und natürlich ist da eine gewisse Grundskepsis vorhanden. Mann, was haben wir aber auch wieder für ein Glück.
Denn jetzt können wir loslegen. Direkt nachdem die Polizei auf dem Computer des Täters eines dieser Killerspiele gefunden hat, werden wir uns an die Medien wenden und sagen: "Da! Da habt ihr's. Wir wussten es doch. Verbot!" Die Äußerung an sich mag rhetorisch wenig ausgeklügelt sein, doch was interessiert uns das denn wenn sie doch schließlich genügt? Sie genügt sogar völlig. Es ist doch so: Wir reden damit einem großen Teil der Bevölkerung nach dem Mund. Die brauchen gar nicht mehr als unser kurzes "Da!"-Geschrei. Die haben da nur drauf gewartet und schreien nun kräftig mit. Ist doch ihr Wissen über diese bösen Spiele schon seit Jahren nur genährt durch uns, nicht aber durch persönliches Handanlegen. Wissen doch so unendlich viele Leute über das Thema Computerspiele nichts außer dem, womit wir sie füttern. Und wir füttern sie natürlich nur mit Übertreibungen. Wenn wir zum Beispiel Hans-Dieter Schwind heißen und der Präsident der Deutschen Stiftung für Verbrechensbekämpfung sind, dann sagen wir Sätze wie: "Dass der 17-Jährige auf der Flucht noch weiter um sich geschossen hat, ist ein Verhalten, das Jugendliche auch in Spielen wie Counterstrike oder Crysis lernen können" und fordern dann noch eben ein totales Verbot von Computerspielen, in denen Gewalt ein Thema spielt.
Wir lassen dabei außer Acht, dass wir in Deutschland bereits die weltweit schärfsten Jugendschutzbedingungen haben. Wir lassen auch außer Acht, dass Counterstrike wie kaum ein anderes Spiel federführend ist für den Wettkampf im Gebiet des E-Sports, dass es nach intensiven Prüfprozessen offiziell ab 16 Jahren freigegeben wurde und dass es der Suche nach der Nadel im Heuhaufen gleich kommen dürfte, einen Schüler zu finden, der es nicht bereits einmal spielte. Inwiefern Crysis, in dem der Spieler als Supersoldat der Zukunft bei weitem nicht nur gegen menschliche Gegner sondern auch gegen Aliens kämpft, da diese die Erde gerne mal in eine zweite Eiszeit verwandeln würden, sich außerdem als Testlauf für einen Amoklauf an einer Realschule deuten lassen kann: das könnten wir nicht erklären. Wir verschweigen also auch das. Namen reichen uns völlig aus. Und genug überzeugende, möglichst grausam und verachtenswert klingende Adjektive für diese Ausflüge in digitale Welten: die werden uns schon einfallen.
Wir kommen damit durch, immer wieder. Und das Perfide ist: Wir tun dabei nur, was viele eh schon fordern. Wir hieven die Computerspiele ans Tageslicht, aus ihrer (alleine schon aufgrund des immens gestiegenen Wirtschaftsfaktors ungerechtfertigten) Nische heraus. Wir stellen sie aufs Podest und sorgen vermeintlich für das, was sich viele Spieler seit Ewigkeiten wünschen: wir machen ihr Hobby der Öffentlichkeit bekannt. Aber: Wir tun es nach unseren Regeln. Wir sind im Grunde Märchenonkel. Und schwer ist das nicht. Denn: Wir müssen ja noch nicht mal mehr Bescheid wissen über die Materie. Wir reden halt einfach drauf los.
Wir wissen, dass es Leute gibt, die das durchschaut haben. Wir wissen, dass sich viele Spieler nun schon seit Jahren in Weblogs, Foren und mit offenen Briefen die Finger wund tippen, um klar zu machen, wie einseitig und falsch die Diskussion um ihr Hobby ist. Wie sie versuchen, vor blindem Aktionismus zu warnen und den Dialog anbieten. Und wie sie, genau wie so viele andere, aufrichtig mit den Opfern der Amokläufe und mit ihren Angehörigen an der Trauer teilhaben. Wie sie fassungslos sind aufgrund dessen, was dort geschehen ist. Sie sind das lebendige Beispiel dafür, dass Killerspiele ihre Konsumenten nicht zu Killern oder gefühlslosen, abgestumpften Menschen erziehen. Und sie pochen darauf, dass die Wurzel allen Übels wohl in weitaus komplexeren Zusammenhängen und Mißständen der Gesellschaft zu suchen ist als es so manch einer bisher wahrnehmen will. Aber das beunruhigt uns nicht. Wir wissen ja, dass sie damit nicht durchdringen werden. Nicht zu unserer Zielgruppe. Die schaut die Tagesschau und Hart aber fair, und fertig ist die Sause. Der Rest: ja, meine Güte. Wer hört denn schon auf den? Das müsst ihr euch einprägen, wenn ihr jetzt in den Einsatz geht. Ihr dürft Folgendes niemals vergessen: Wir haben noch nichts zu befürchten.
Denn was die Wahrheit ist, das bestimmen hier immer noch wir.
Ist das eigentlich so geplant, dass man sich für seine eigene News auch immer einen Punkt geben kann? Habe ich direkt mal wieder ausgenutzt. Gnihihi.
Na klar :-)
Ja klar, das ist wie beim Klassensprecherwählen mit dem eigenen Zettel...
Ja, war n thema alles.
Vorurteile wird es immer geben...
Das wird es... ;)
Erfolgskommentar! :p
Dies könnte auch ein Erfolgskommentar werden, oder?
Top-Artikel! ;)
Immer wieder interessant, was man so findet.
Hey, ich fürchte die andere News ist eine Falle?
Dann eben hier: -> Adventure Menu -> Dig
Nächste Grabung => Go!
Nach was gräbst du denn?
Schätze?
Dann schnappe ich mir auch mal die Schaufel.
Verdammte Falle... naja Schaufel los!
Alt, Älter, am Ältesten *budel*
Buddeln ist cool lol
Mittlerweile hätte man schon längst Dritt- und Viertverwertung betreiben und diese News in regelmäßigen Abständen einfach mal unter die Topnews mogeln können.
das ist also die älteste News von GG?
die allerallerälteste ?
schon über 3 jahre her!
Das Schöne am Graben ist ja, dass man tatsächlich auch noch lesenswerte Texte finden kann. Schön :-)
so alt, dass es nicht einmal ein Bild dazu gibt^^
stimmt!
Nicht so viel geschnatter hier, etwas mehr ehrfurcht in diesen alt-ehrwürdigen Räumen, wenn ich bitten darf!
:)
Hier wird auch noch kräftig gebuddelt.
Dadurch, dass hier eh nur Archäologen anwesend sind, werden keine zum Thema passenden Texte erwartet, oder?